Mein komischer Lehrer
Hallo an alle 😊
Als ich in der 5. und 6. Klasse war hatte ich einen Klassenlehrer, der seine Klasse in Deutsch und Gesellschaftslehre (GL) unterichtet hat. Vor einigen Tagen mit Mitte 30 musste ich wieder an ihn denken und mir kam der Gedanke, dass mit diesem Lehrer vielleicht irgendwas nicht gestimmt hat. Ich kann mich wieder erinnern, dass er manchmal dafür gesorgt hat, dass ich mich unwohl fühlte und das lässt mich irgendwie nicht mehr los. Ich muss in letzter Zeit viel darüber nachgrübeln, würde es hier gerne mit euch teilen und eure Meinung dazu lesen.
Ich weiß nicht ob der Beitrag am besten hier hin passt oder nicht doch besser in ein anderes Unterforum. Da ich unsicher bin poste ich ihn erstmal hier.
Triggerwarnung: Demütigung von Schülern, Außenseitererfahrung
Wenn ich hier meine Erlebnisse mit diesem Lehrer, berichte, kann ich das vermutlich nicht mit einen roten Faden machen, deshalb werde ich hier einfach mal einige Erinnerungen auflisten. Ich nenne den Lehrer Herr Karl. Das war natürlich nicht sein richtiger Name:
-Erstmal muss man wissen, dass Herr Karl ein extrem aufgeblasenes Ego darüber hatte was für ein guter Lehrer er sei. Er war der Meinung er war ein brillianter Lehrer und er war auch der Überzeugung er hätte ein besonders gutes Verhältnis mit seinen Schülern. Ich glaube auch, dass er dachte er wäre ein guter und weiser Mensch. Er war hochgeistig oder hat sich zumindest so dargestellt.
-In meiner Klasse gab es damals eine Schülerin, die schrieb nicht sehr gute Noten. Einmal wollte Herr Karl sie wachrütteln, damit sie sich mehr in der Schule anstrengte und er tat folgendes: Wir waren im Unterricht und er sagte "Sabrina (Name geändert) steh auf." Sabrina stand auf und alle Augen in der Klasse waren auf sie gerichtet. Dann sagte Herr Karl ihr, dass sie von nun an auf eine Sonderschule gehen müsse. Er redete dann noch etwas weiter und zum Schluss sagte er ihr, dass sie gar nicht auf eine Sonderschule gehen müsste und dass er ihr das nur gesagt hätte damit sie aufwacht und fleißiger wird. Man hat deutlich gesehen wie unwohl sich Sabrina die ganze Zeit fühlte. Sie hatte ihren Kopf gesenkt und und schaute runter.
-Ende der 6. Klasse haben wir eine Klassenfahrt unternommen bei der wir unter anderen auch in Trier waren. Einmal als wir historische Stätten der alten Römer besichtigten sprach Herr Karl davon, dass damals die Männer die Frauen unterdrückt haben und dann sagte er "Damals war es besser. Nicht wahr Hannah (Name geändert), damals war es besser?" Meine 12 jährige Mitschülerin Hannah wusste nicht was sie darauf sagen sollte und blieb einfach stumm. Im Nachhinein bin ich stolz auf sie, dass sie noch nicht mal nervös gelacht hat.
-Ich erinnere mich auch ganz dunkel das er den Begriff "Sprung in der Schüssel" sehr mochte. Ich kann mich allerdings nicht mehr erinnern in welchem Zusammenhang er ihn genau benutzte. Ich weiß nicht mehr ob er nur von anderen Menschen (von außerhalb) sagte, sie hätten einen Sprung in der Schüssel oder ob er das auch von Schülern sagte.
-Bei der nächsten Erinnerung weiß ich nicht ob es wirklich so war wie ich es damals wahrgenommen habe. In Deutschunterricht bei ihm haben wir damals manchmal Diktate geschrieben. Dann laß er uns nach der Reihe Wörter vor, die wir aufschreiben mussten. Einmal laß er in einem Diktat lauter Wörter vor bei denen ich persönlich das Gefühl hatte, dass sie alle einen sexuellen Unterton hatten. Es war nicht offensichtlich aber für mich war damals trotzdem klar das sie ein sexuelles Thema hatten. Leider kann ich mich nur noch an eines dieser Wörter erinnern, das war "erröten" und deshalb kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen ob die Wörter wirklich sexuell gedacht waren. Vielleicht unterstell ich ihm hier auch etwas, dass er gar nicht getan hat. Damals war ich mir aber sicher.
-Ich habe den Verdacht, dass Herr Karl dachte ich wäre besonders talentiert. Er sagte meiner Mutter so Sätze wie: "Die [Dorisa] ist eigentlich sehr intelligent aber kann es irgendwie nicht ausdrücken." oder "Die [Dorisa] ist der Typ Genie auf der Sonderschule". Ich war eine normale 2er-Schülerin ob er recht hatte kann ich bis heute nicht 100% sicher sagen aber es fühlt sich komisch für mich an. Er sagte meiner Mutter auch mal "Die [Dorisa] ist eigentlich sehr sozial, die anderen Kinder haben es nur noch nicht gemerkt." Ich war damals ein ganz normales Kind (zumindest bis irgendwann in der 6. Klasse als ich aufgrund von etwas Mobbing zu einer Eigenbrötlerin wurde).
-Als Kind liebte ich es wenn wir um Deutschunterricht die Aufgabe bekamen Geschichten zu schreiben, denn es machte mir sehr viel Spaß. Als ich Herr Karl als Deutschlehrer hatte, schrieb ich zweimal Geschichten, die so gut waren, dass mich sogar Mitschüler lobten. Herr Karl meinte dann irgendwann ich solle eine Geschichten schreiben, die sich dann die ganze Klasse gemeinsam anhört. Diesmal gab er die Aufgabe eine Geschichten zu schreiben nur mir. Als ich dann zuhause saß und die Geschichte schreiben wollte, fehlte mir irgendwie die Inspiration. Vielleicht lag es daran, dass diesmal kein Thema vorgegeben war oder vielleicht lag es am Druck aber es fiel mir sehr schwer etwas brauchbares zu Papier zu bringen. Ich brachte dann doch etwas aufs Papier, aber es war Schrott. Als dann der Tag gekommen war die Geschichte vorzulesen, wollte Herr Karl, dass wir uns in einen Stuhlkreis setzen. Das taten wir sonst nie. So saßen wir Schüler also in einem Stuhlkreis und ich laß ihnen meinen Schrott vor. Da ich vorher zwei gute Geschichten geschrieben hatte, ist es verständlich, dass Herr Karl dachte diese Geschichte wird auch gut werden aber selbst wenn diese Stuhlkreis-Geschichte gut gewesen wäre, wäre es trotzdem eine pädagogisch seltsame Entscheidung gewesen. Sowas kann die anderen Kinder neidisch werden lassen. Ich befürchte dass sich durch dieses Erlebnis meine Freude am kreativem Schreiben verringerte und das vielleicht aus dem Grund die nächste Geschichte, die ich im Deutschunterricht schrieb (als wieder alle die Aufgabe bekamen) auch sehr schlecht war.
-Die nächste Erinnerung ist besonders seltsam: Wir waren im Unterricht -zur Erinnerung es war entweder Deutsch oder Gesellschaftslehre- und Herr Karl sagte mir ich solle nach vorne kommen. Dann sollte ich mich mit dem Blick zur Klasse neben den Lehrerpult stellen. Dann fragte er mich: "Kannst du singen?" Dann bricht meine Erinnerung aprubt ab, was sehr seltsam ist, da ich normalerweise ein sehr zuverlässiges Erinnerungsvermögen habe. Die naheliegendste Erklärung für mich ist, dass er mich dazu aufforderte der Klasse etwas vorzusingen, es dann schlecht klang, die anderen Schüler mich auslachten und ich die Erinnerung aufgrund von Scham verdrängt habe. Ich konnte als Kind nicht singen. Ich weiß, dass es schwer ist das zu glauben aber an den Anfang dieses Erlebnisses erinnere ich mich ganz klar und wieso sollte mein Gehirn so etwas erfinden?
-Damals habe, ich wenn ich geredet habe wohl häufig das Wort "halt" benutzt. "Halt" nicht im Sinne von "anhalten", sondern im Sinne von "Dann gehen wir halt ins Einkaufszentrum." Wenn ich im Unterricht eine Wortmeldung hatte und dabei das Wort "halt" benutzt habe, hat Herr Karl es kritisiert. Aber seine Aufforderung dieses Wort nicht mehr zu benutzen hat nicht geholfen, es hat mich eher nervös gemacht. Die anderen Lehrer haben mein Sprechen nie kritisiert. Für sie war nur wichtig, dass ich immer meine Hausaufgaben mache und im Unterricht mitkomme. Für sie war ich nur eine von 20.
-Auch hat Herr Karl mich manchmal im Unterricht vor allen anderen Schülern belehrt. Meine Erinnerungen daran sind selbstverständlich nur sehr bruchstückhaft. Einmal sagte er mir, ich solle meine Perlen nicht vor die Säue werfen. Ich weiß nicht mehr in welchem Zusammenhang das war. Ein andermal hat er im Unterricht (natürlich auch vor den anderen Schülern) etwas länger auf mich eingeredet. Ich erinnere mich nur noch an den letzten Satz: "Kein Mensch ist eine Insel." Ich vermute, das war als ich mich von meinen Schulfreundinnen zurückgezogen hatte, weil sie begonnen hatten gemein zu mir zu sein.
-Irgendwann in dieser Zeit fand ich Socken mit den Wochentagen in einem Laden. Mir gefielen die Socken. Mein 11/12jähriges ich fand es, wie soll ich sagen, fun am Montag die Montagssocken, am Dienstag die Diensttagssocken, am Freitag die Freitagssocken etc. zu tragen und ich kaufte mir die Socken. Als Herr Karl während eines Ausfluges die Socken an mir sah, fragte er mich: "Hat deine Mutter dir die gekauft, damit du immer deine Socken wechselst?" Vielleicht dachte er tatsächlich meine Mutter hätte mir die Socken gekauft, vielleicht war er ernsthaft neugierig, vielleicht wusste er nicht, dass er mit dieser Frage Scham bei mir auslöst.
-Noch was möchte ich berichten, aber ich weiß nicht, ob das wirklich die Schuld von Herr Karl war: In der sechsten Klasse gab es einen Vorlesewettbewerb. Die zwei besten Vorleser jeder sechsten Klassen traten gegeneinander an. Mit 12 Jahren war ich der Meinung ich könnte sehr gut vorlesen. Nachdem ich Aufnahmen von mir gesehen habe, wie ich in der dritten Klasse vorlas, bekam ich meine Zweifel daran aber ich denke Kindern sollte man es nachsehen wenn sie ihre Fähigkeiten noch nicht so gut einschätzen können. Als ich es fast nicht als eine der Klassenbesten in den Wettbewerb schaffte, war das fast ein Schock für mich, aber der Lehrer ließ mich als zweitbeste der Klasse am Wettbewerb antreten. Heute frage ich mich, ob ich wirklich die zweitbeste Vorleserin der Klasse war oder ob Herr Karl mich nur zum Wettbewerb ließ, weil er mich für so begabt hielt und mich mochte. Bei dem Wettbewerb war ich dann so nervös, dass ich viel zu schnell las und ich machte den letzten Platz. Hätte Herr Karl mich nicht an den Wettbewerb teilnehmen lassen, hätte er mir eine Demütigung erspart aber da ich nicht weiß ob ich nicht tatsächlich die zweitbeste der Klasse war, werde ich nie erfahren ob es wirklich die Schuld von Herr Karl war.
Natürlich habe ich hier jetzt nur schlechtes und komisches aufgezählt. Meistens verhielt sich Herr Karl auch ganz normal und häufig verhielt er sich auch normal gegenüber mir. Er konnte auch nett sein. Dadurch dass ich hier nur das negative aufgezählt habe, könnte bei euch ein verzerrtes Bild von Herr Karl entstehen aber hier ist nicht der Platz noch mehr aufzuzählen.
Obwohl ich mitbekommen hatte, was Herr Karl Sabrina angetan hat und obwohl ich ihn manchmal eigenartig fand, konnte ich damals irgendwie nicht negativ über ihn denken. Das hatte wahrscheinlich verschiedene Gründe: Weil er sich die meiste Zeit eben doch normal verhielt, weil ich als Kind vieles noch nicht einordnen konnte, wahrscheinlich auch weil mein Bruder, der Herr Karl vor mir als Lehrer hatte, immer nur positiv von ihm sprach und vielleicht hat auch Herr Karls aufgeblasenes Ego auf mich abgefärbt.
Bei meinen Mitschülern war das vermutlich anders: In der sechsten Klasse meinten einige Jungs aus meiner Klasse spaßeshalber, dass sie Karl als neues Schimpfwort etablieren wollten. Dann sagten sie zu irgendwelchen Jungs aus der Paralellklasse "Du Karl!" und lachten. Herr Karl hat das nie erfahren.
Einmal in der Mittelstufe zwischen der 7 und 10 Klasse hörte ich einen Jungen aus meiner Klasse sagen: "Herr Karl hat die [Dorisa] kaputt gemacht." Ich weiß nicht mehr ob er das wortwörtlich so sagte aber sowas in dem Sinn sagte er. Ich sollte dazu vielleicht noch erklären wieso der Mitschüler der Meinung war ich war kaputt: In der sechsten Klasse begann meine Mädelsclique gemein zu mir zu werden. Eine Erwachsene, der ich das erzählte fragte mich ob ich nicht lieber allein sein wollte. Das ist auch ein komischer Ratschlag für eine zwölfjährige aber darum geht's jetzt hier nicht. Ich war dann also immer alleine auf dem Schulhof. Als dann nach einiger Zeit Mädchen aus der Paralellklasse mich ansprachen und ernsthaft daran interessiert schien sich mit mir anzufreunden oder auch als einige Mädchen aus meiner Klasse wieder nett zu mir waren, war ich irgendwie nicht in der Lage mit ihnen zu sprechen. Ich litt inzwischen unter einer unerklärlichen, sehr starken sozialen Angst. In der 7. und 8. Klasse kam ich mir so komsich dabei vor allein auf dem Schulhof rumzustehen, dass ich mir dachte ich sollte lieber auf dem Schulhof spazieren gehen. Im Endeffekt sah ich dabei wahrscheinlich lächerlich aus weil ich in einen schnellen Tempo immer auf dem Schulhof hin und her lief. Ich glaube nicht, dass das die Schuld von Herr Karl war, zumindest nicht die alleinige aber es ist schon bezeichnend, dass dieser Mitschüler sowas sagte.
Obwohl ich nicht seinen echten Namen nenne, habe ich trotz allem ein schlechtes Gewissen, dass ich hier so schlecht über Herr Karl rede. Denn vielleicht hat er alles, was er getan hat, wirklich nur gut gemeint. Vielleicht hat all das was ich hier von ihm berichtet habe auch gar keine besondere Bedeutung und war gar nicht schlimm. Ich fühle mich leicht verwirrt.
Ich bitte um Verzeihung, dass dieser Text etwas länger wurde. Vielen Dank vom Herzen fürs Lesen.
Hi Dorisa,
aus den Beispielen ist zu ersehen, wie unpassend Herr Karl bestimmte Schüler bzw. Schülerinnen behandelt hat, die sich nicht wehren konnten, intuitiv aber merkten, es ist was nicht in Ordnung. Sie wurden in ihrem Empathieempfinden verunsichert. Da steht immer die Frage im Hinterkopf: ist es richtig, was ich empfinde?
Ein wichtiges Merkmal für subtile Manipulation und Kontrolle ist das eingepflanzte schlechte Gewissen, wenn man beginnt, die Dinge aufzudecken.
Die Sachen kommen jetzt wohl hoch, weil es an der Zeit zu sein scheint, aus der subtilen Kontrolle durch Beschämung von Herrn Karl auszusteigen. Er hat eine Form von Gewalt ausgeübt, die nicht so leicht zu benennen ist. In der Summe der Beispiele wird sie aber deutlich.
Du bist jetzt als Erwachsene in der Lage, der kindlichen Dorisa aus dieser Angelegenheit herauszuhelfen. Durch das Aufschreiben hast du diese Dinge vor Augen, kannst die Lügen entlarven und gegen Wahrheit austauschen, deinen Mut und deine Freude freisetzen, sowie deinen Begabungen frischen Schwung verschaffen.
Moin!
Ich hab mir jetzt das ganze Posting durchgelesen - und irgendwie hab ich ständig erwartet, dass gleich, beim nächsten Beispiel, eine Sache kommt, die wirklich finster und fies wird. Aber es kam dann doch wieder nur ein Beispiel einer vielleicht etwas komischen, aber nicht finsteren Situation. An einer Stelle, dem Beispiel mit dem Vorsingen, schreibst Du:
Ich weiß, dass es schwer ist das zu glauben aber an den Anfang dieses Erlebnisses erinnere ich mich ganz klar und wieso sollte mein Gehirn so etwas erfinden?
Vielleicht, weil Du diese Szene geträumt hast. Ich bin z.B. jemand, der sehr lebhaft träumt und immer wieder habe ich mich mal dabei ertappt, wie ich davon ausging, etwas Bestimmtes sei ganz sicher passiert, jemand habe mir z.B. etwas erzählt, das ich dann zur Grundlage einer meiner Handlungen machte - und es kam dann heraus, dass ich mich dabei völlig geirrt hatte. Inzwischen leite ich manchmal sogar etwas, das ich sagen/erzählen will, ein mit: "Vielleicht hab ich das nur geträumt, aber war es nicht so, dass xyz?"
Unsere Gehirne erfinden alles mögliche - insbesondere dann, wenn es zu dem passt, was sonst schon so in ihnen vorhanden ist. In Deinem Beispiel könnte es also sein, dass Dein Gehirn die gesamte Person Lehrer Karl gewissermaßen in einer Schublade verstaut hat, die mit "komisch, seltsam, verdächtig!" beschriftet ist. Oder mit "übergriffig, demütigend, hinterhältig..." Zu solchen Schubladen-Beschriftungen passt dann diese Szene mir dem Vorsingen-Sollen bestens dazu.
Dass man als Schüler(in) vor der versammelten Klasse eine Aufgabe gestellt bekommt, der man nicht gewachsen ist, dürfte ein weit verbreiteter "Albtraum", oder eine alptraumhafte Erinnerung sein. Ich persönlich kenne das nicht, da ich solche unangenehmen Situationen selbst nie erlebte (im Schulunterricht hatte ich eine große Schnauze - positiv gesprochen: beteiligte mich engagiert am Unterricht 😀 - und die Lehrer waren wohl froh, wenn ich mal gerade nix zu melden hatte und kamen gar nicht auf die Idee, mich noch dann "dranzunehmen", wenn ich mal gerade nicht rededurstig mit dem Finger geschnipst hatte beim Aufzeigen) Aber von anderen Leuten weiß ich, dass sie solche Alpträume haben, die sie manchmal noch viele Jahrzehnte später verfolgen (beispielsweise meine Mutter mit ihren weit über 80 Jahren erzählt mir von sowas immer wieder mal).
Wenn Du nun also von Dir selbst sagst, dass Du als Kind nicht gut singen konntest, oder nicht gern gesungen hast - dann würde es sehr gut zu der Gehirn-Schublade passen, in der Dein Lehrer Karl liegt, dass er Dich dazu aufforderte, vor versammelter Klasse das zu tun, was Du dem eigenen Gefühl nach
Ich konnte als Kind nicht singen.
nicht konntest. Das, was Du danach dann meinst, womöglich verdrängt zu haben:
Die naheliegendste Erklärung für mich ist, dass er mich dazu aufforderte der Klasse etwas vorzusingen, es dann schlecht klang, die anderen Schüler mich auslachten und ich die Erinnerung aufgrund von Scham verdrängt habe.
Wäre dann die Umkehrung der (in meinen Augen) noch naheligenderen Erklärung: Dass die Begebenheit nicht stattfand und dass die folgenden Ergebnisse (das Auslachen durch die anderen Schüler) ebenfalls nicht stattfanden.
Freilich: Ich war nicht dabei. Es mag exakt so gewesen sein, wie Du es beschreibst: dass ein Deutsch/Gl-Lehrer eine Schülerin (warum?!) nach vorne ruft, damit sie vor versammelter Klasse was vorsingt. Und dann die anderen SChüler sie auslachen, weil sie so schlecht singt. Und dass dies ein so traumatisches Erlebnis für diese Schülerin ist, dass ihr Gehirn aus Selbstschutzgründen Teile dieser Demütigung ausblendet.
Ich will Dir also nicht ausreden, was Du behauptest, nämlich:
(...)da ich normalerweise ein sehr zuverlässiges Erinnerungsvermögen habe.
Ich will nur sagen, dass sehr, sehr viele Leute, auch diejenigen, die meinen, sich auf ihr zuverlässiges Erinnerungsvermögen verlassen zu können, sehr häufig Geschehnisse falsch erinnern - weil nun mal unsere Gehirne keine objektiven Videokameras und gegen Verfremdung mehrfach gesicherte Datenspeicher sind, sondern schon während des Erlebens immer auch das Erlebte interpretieren - und dieser Interpretationsanteil wird beim Erinnern an Erlebtes nicht schwächer, sondern stärker.
Ich bin kein Psychotherapeut - und Psychotherapie kann ja ohnehin nicht auf diesem Weg über irgendwelche anonymen Internetportale funktionieren. Daher weiß ich nicht, wie man "richtig" auf solche Berichte wie Deinen reagiert. Sollte ich Dich bestärken darin, dass Deine Erinnerungen und die damit verbundenen Gefühle richtig sind - weil ich ansonsten sozusagen ein Mobbing- und Demütigungsopfer noch weiter mobbe/demütige?
Oder soll ich meine Allerweltsmeinung dazu sagen: Dass wir alle irgendwelche komischen Personen unter unseren Lehrern hatten, weil nun mal nicht alle Lehrer wirklich pefekte Pädagogen sein können. Und dass es unter Lehrern auch richtig schlechte Lehrer geben kann, die aber halt nur unfähig und nicht böswillig sind?
Wenn ich Dich als mündige, ebenbürtige Erwachsene behandele und nicht als Traumatisiertes Opfer, das man mit Samthandschuhen behandeln muss, würde ich sagen: "Get over it!" Du bist Mitte dreissig, dan dem Lehrer Karl kannst Du nix ändern und auch die Arschigkeit irgendwelcher MitschülerInnen von damals solltest Du heute nicht mehr Dein Lebensgefühl bestimmen lassen. Schau auf Dich selbst und überlege Dir: wird Deine Laune besser, wenn Du Dich mit diesen Kindheitserinnerungen beschäftigst? Oder wird sie eher schlechter?
Ich (Mitte 50 inzwischen, also ein alter Knacker...) hab in den vergangenen paar Jahren es mir angewöhnt, mich mit Angelegenheiten, in denen ich wenig Sinnvolles bewirken kann, und bei denen ich alle durch's Drandenken schlechte Laune bekomme, nicht mehr zu beschäftigen. Die verdränge ich also bewußt - nicht, weil da irgendwelche Traumata bei mir getriggert werden, sondern weil ich keinen Bock auf schlechte Laune habe (weswegen ich inzwischen häufig auch irgendwelche politisch strittigen Gespräche mittendrin abbreche, sobald ich merke, dass sie zu keinem Ergebnis führen).
Aber nochmal: falls Du gravierende (d.h. behandlungsbedürftige) psychische Probleme haben und auf der Suche nach den Quellen dafür sein solltest, wäre meine Antwort vielleicht aus Sicht eines Psychotherapeuten eine völlig falsche Reaktionsweise.
Ich habe mir deine Episoden jetzt auch mal durchgelesen, und es ging mir ähnlich wie Jack... ich habe auf etwas wirklich außergewöhnliches gewartet. Aber alles, was du beschreibst, ist ganz normaler Schulalltag.
Wobei du grundlegend recht hast: Viele Lehrer haben viel Schlimmes angerichtet und tun es noch heute. Das passiert oft in gutgemeinter Absicht und ganz nebenbei, weil manche Lehrer glauben, unmittelbar in die Persönlichkeitsbildung ihrer Schüler eingreifen zu müssen - ohne wirklich Ahnung davon zu haben, was sie da eigentlich tun.
Ich habe sehr viel Respekt vor guten Lehrern, weil es sich um eine sehr verantwortungsvolle und stressige Aufgabe handelt. Man prägt als Lehrer nicht selten das ganze Leben eines Menschen entscheidend mit - im Guten oder auch im Schlechten. Beispiele für Beides könnte ich dir auch einige erzählen...
Leider ist es aber auch so, dass viele Lehrer schlicht unfähig sind. Sie haben sich für den Beruf des Lehrers entschieden, weil sie die Schule halt schon kennen und sich nicht trauen, außerhalb davon zu agieren. Innerlich sind sie, irgendwie, "Schüler" geblieben, die ewig weiter zur Schule gehen... nur dass sie diesmal mehr Macht haben.
Grob geschätzt würde ich sagen, dass etwa die Hälfte aller Lehrer nicht für ihren Beruf geeignet ist (Und Lehrer haben mir das selbst so bestätigt, dass das eine realistische Schätzung ist!). Aber da wir sowieso zu wenig haben, müssen diese halt bleiben.