Agnostizismus >< Glaubensgewissheit
Neulich sagte mir Jemand: "Letztlich bin ich wohl sowas wie ein 'christlicher Agnostiker'!"
Ich habe gestutzt, denn beides scheint sich gegenseitig auszuschließen, beides scheint unvereinbar.
Ein Agnostiker sagt: "Ob es wahr ist, oder nicht, vermag ich nicht und vermag niemand zu sagen. Es kann wahr sein und es kann sich auch als falsch erweisen!"
Das ist in Glaubenssachen der Unterschied zu einem Atheisten (der möglichwerweise noch 'missionarisch' unterwegs ist, weil er God-Talk und Religion für schädlich hält) und der sagt: "Es gibt keinen Gott, das Christentum und Glaube sind grundsätzlich unwahr!" ...
Nun ist aber der christliche Glaube etwas, was Viele grund-sätzlich mit Glaubensgewissheit verbinden und alle Atheisen & Agnostiker einladen, "die Wahrheit selber zu entdecken", von Gott. in der Begegnung mit dem Auferstandenen und durch den Heilige Geist zur "Glaubensgewissheit" geführt zu werden!
Mein Gesprächsparner aber sagte: "Ich habe das in gewisser Weise hinter mir, ich war ja auch einmal so unterwegs. Aber aufgrund der Lebens- und Welterfahrung und mit all den Fragen und Zweifeln, die ich irgendwann nicht mehr wegblenden konnte und kann, ist mir diese Art von Gewissheit und Sicherheit nicht mehr möglich. Ich bin, versteh mich richtig, keiner, der den Glauben ganz verloren hat, ich bei kein Atheist - sondern eher Jemand, der nachwievor hofft, dass der christliche Glaube richtig ist und dass das Evangelium wahr ist. Ich hoffe es sehr! Aber ich bin mittlerweile auch ein 'Agnostiker', der sein 'Es kann (hoffentlich) wahr sein, ich wünsche es sogar - aber mit tiefer Gewissheit kann ich es nicht sagen - und vertraue darauf, dass mir dies nicht als Unglaube vor die Füße fällt!"
Mich hat das berührt und ich gebe es mal hier als Impuls weiter, dass nicht Jedem/Jeder die Glaubensgewissheit möglich ist, die Viele für das "A und O" halten.
Was meint Ihr?
L'Chaim
Veröffentlicht von: @awhlerMich hat das berührt und ich gebe es mal hier als Impuls weiter, dass nicht Jedem/Jeder die Glaubensgewissheit möglich ist, die Viele für das "A und O" halten.
Was meint Ihr?
L'Chaim
Ich denke, dass es vielen Menschen so geht, und dass das schon seit langer Zeit so ist. Ganz früher war es lebensbedrohlich, als Ketzer zu gelten, danach im Sinne der Zugehörigkeit zu einer großen sozialen Gemeinschaft noch lange schädlich, offen so über sein Glauben und Nichtglauben zu reden. Opportun war es immer, die offiziellen Bekenntnisse und Gebete mitzusprechen, die kirchliche Erziehung zu durchlaufen, danach die Rituale zu kennen und mitzumachen und die Fragen, was davon man wirklich glauben kann und glauben will, mit sich selbst auszumachen oder mit Menschen, denen man vertraute, aber nicht unbedingt mit Funktionschristen.
Mittlerweile hat sich da wohl der Wind gedreht. Christlicher Glaube kann nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden, weniger als 50 % der Bevölkerung gehören einer der großen Kirchen an, und es ist die Frage, ob die Kirchen nicht den Bus verpasst haben.
Ich selbst habe irgendwann vor langer Zeit mal alles über Bord geworfen, bis auf die Kirchenmitgliedschaft, und dann nach und nach wieder Glauben aufgebaut. Der christliche Agnostiker aus dem Eingangsartikel ist mir jedenfalls sympathischer als Leute, die im Glaubenspoker ein Blatt vortäuschen, dass sie eigentlich gar nicht haben können.
dass nicht Jedem/Jeder die Glaubensgewissheit möglich ist, die Viele für das "A und O" halten.
Ich persönlich glaube, dass ganz viele Menschen so glauben/hoffen.
Anders kann ich mir die vollen Kirchen an Weihnachten (und leeren über den Rest des Jahres) nicht erklären. Ich glaube nicht, dass diese Menschen nur aus Familientradition in die Kirche kommen an den Feiertagen.
Ich habe gerade in den letzten Jahren erlebt, dass die Heiligabend-Gottesdienste wieder voller und die Menschen aufmerksamer, offener und empfänglicher, auch für die Predigt, wurden. Zwischendurch (in den 90er/Anfang 2000er Jahren) gab es in der Tat rückläufige Tendenzen, aber spätestens seit 9/11 und all dem Weltgetriebe seitdem, ist der Wunsch wohl bei Manchen wieder gewachsen: "Es möge doch wahr sein mit Trost, Hoffnung, Halt & Orientierung!" - auch im christlichen Glauben, auf den man mal getauft und konfirmiert wurde,
Und meine Erfahrung ist, dass der Unterschied zwischen Volkskirche und freikirchlichen Gemeinden oft darin besteht, dass das "Drinnen - Draußen -Sein" im Blick auf Glauben & Zweifel, Bekenntnis & Indifferenzen in der VK fließender und offener ist. Insofern ist diese Art von "christlichem Agnostizismus" wohl tatsächlich eine zunächst irritierende, aber für Viele wohl gültige Definition in ihrer Zuordnung und ihrem Selbstverständnis, sofern sie sich nicht ausdrücklich vom christlichen Glauben verabschiedet haben ...
L'Chaim
Es gibt in der Tat eine Art christliches Zeugnis und Bekenntnis, dass durch allzu vollmundige, pralle und strahlende Gewissheiten für Menschen zwar vielleicht als beeindruckend erlebt wird - aber auch bewirkt, dass Menschen sagen: "Diese Art von Gewissheit habe und werde ich nie bekommen und erreichen!" Oder: "Die hatte ich auch mal, aber konnte sie nicht durchhalten und behalten!"
L'Chaim
Ich habe dabei einen damals - ohnehin schon elitär christlichen - Freund vor Augen, der von seinem Elternhaus und seiner Gemeinde für ein halbes Jahr in ein amerikanisches christliches Camp geschickt wurde, um da seinen "letzten Schliff" zu bekommen.
Als er wieder in Deutschland war, konnte er sich lange nur noch atheistisch positionieren. Erst in den letzten Jahren nähert er sich wieder sachte christlicher Denkweise.
Veröffentlicht von: @queequegAls er wieder in Deutschland war, konnte er sich lange nur noch atheistisch positionieren. Erst in den letzten Jahren nähert er sich wieder sachte christlicher Denkweise.
Erinnert mich spontan an die vielen Leute, die Apfelkorn mal lecker fanden, dann einmal zu viel davon genossen haben und seitdem das Zeug nicht mal mehr riechen mögen. 😆
Mit fällt noch ein, dass ich mit vielleicht 10 Jahren im Winter mal von dem Personal einer christlichen Arbeitslosenweiterbildung mit Ananasbowle abgefüllt wurde. Ananas mochte ich gerne und die Bowle dann noch mehr.
Irgendwann fuhr ich dann mit dem Schlitten einen Berg runter, musste aber an zwei Stellen genau zwischen zwei Bäumen durch. Aus unbekannten Gründen bin ich trotz aller Mühe genau gegen einen geknallt und der andere war plötzlich nicht mehr da.
Seit der Zeit mochte ich viele Jahre keinen Ananas mehr und habe schon bei dem Geruch Reißaus genommen
"Erinnert mich spontan an die vielen Leute, die Apfelkorn mal lecker fanden, dann einmal zu viel davon genossen haben und seitdem das Zeug nicht mal mehr riechen mögen."
Guter Vergleich. So ähnlich hat er es auch empfunden, wobei er den Geschmack noch bis heute wahrnimmt. Er meint, dass man das, was man früher beigebracht bekommen hat, nie komplett los wird.
Veröffentlicht von: @queequegEr meint, dass man das, was man früher beigebracht bekommen hat, nie komplett los wird.
Auf jeden Fall nur sehr schwer. Und dann gibt's ja auch noch das Unterbewusstsein ...
Und wenn man dann etwas in der Richtung 'Apfelkorn' wittert, wird man vorsichtig.
Und fährt manchmal schon prophylaktisch die Krallen aus.
So ist es.
Das Unterbewusste bei ihm dürfte geprägt sein von einem "Gott"-Vater. Der war überall beliebt und freundlich zu jedermann, besonders in seiner Gemeinde und da und auch anderswo ein Beispiel christlichen Lebenswandels. Und jeder beneidete seinen Sohn wegen solch eines Vaters.
Wie ich dann später erfuhr, war er zu Hause das genaue Gegenteil: unzugänglich, unfreundlich, leicht erregbar und aggressiv. Seine beiden Kinder und auch seine Frau bekamen Prügel, wenn sie etwas anders taten, als er wollte.
Ich denke, dass er ein verheerendes Gottesbild hatte und seine ganze frühere Gläubigkeit einem "Vater"-Gott widmete.
Umgekehrt denke ich, dass dieser Vater seinen Sohn stellvertretend nach Amerika schickte, um sozusagen seine eigenen Fehler dadurch zu eliminieren.
@queequeg Ja, das Vater-Bild hat direkte Auswirkungen auf das Gottes-Bild.
Und ich kenne - ansatzweise, nicht ganz so heftig - auch die Familien, die von außen betrachtet viel 'heiliger' sind als wenn man hinter die Fassade guckt.
"Als er wieder in Deutschland war, konnte er sich lange nur noch atheistisch positionieren. Erst in den letzten Jahren nähert er sich wieder sachte christlicher Denkweise."
Wie haben die Leute in diesem christlichen Camp denn das geschafft?
Ganz einfach, indem sie ihr Denken und ihre Lebenshaltung genau nach den Worten der Bibel ausgerichtet haben, vor allem nach dem AT. So war z.B. ganz klar, dass jemand, der getötet hat, auch getötet werden musste.
@queequeg So nach dem Motto: "Das war eben früher, und früher war das anders." Hingegen wenn in heutigen Gesellschaften, ähnliche Praktiken existieren - da ist es der Beleg dafür, daß "böse Mächte existieren bzw. die Welt regieren. Habe ich nie hingekriegt, diese Logik.
lg Tatokala
Bin ich nun ein Agnostiker oder ein Atheist - oder beides?
Ob Gott ein "Wesen" ist, weiß ich nicht, halte es aber für denkbar unwahrscheinlich.
Insbesondere die Vorstellung von Gott als menschenähnlichem Wesen halte ich für so unwahrscheinlich, dass es einer Gewissheit gleichkommt.
Beides schließt aber nicht aus, dass es ein XXX gibt, das mit der Existenz von allem einschließlich unserer Person zusammenhängt. Nur würde das mit keiner mathematisch-physikalischen Begrifflichkeit verstanden und beschrieben werden können.
Ja, da geht's schon los ... 😉 ... Agnostiker, Atheist, Gott=ein Wesen, ein XXX ...?
Karl Rahner, katholischer Theologe, ich glaube er war's, hat mal gesagt: "Gott sei Dank ist 'Gott' nicht das, was die meisten Menschen sich unter Gott vorstellen" 😉
Aber im Ernst: Atheismus lebt häufig von einer Karikatur, die er bekämpft - und Christen neigen häufig dazu, dieser Karikatur Futter zu geben. Ernsthafter schon ist die existentielle Auseinandersetzung, wie angesichts des Leids, der Absurditätsrfahrung im Leben und des kalten Universums überhaupt eine transzendente Wirklichkeit (Gott?) gedacht und geglaubt werden kann ... die "personale Gottesvorstellung" (Gott persönlich, als Wesen, als Du) ist davon nur ein Teil.
Sich offen zu halten für "ein XXX" - ein Grund-Vertrauen in den "Grund des Seins" (Paul Tillich) zu haben/behalten - zu wissen, dass Gottes Wirklichkeit immer größer ist und bleibt, als all unsere allzu menschlichen Vorstellungen ... und dem biblischen Zeugnis (nicht fundamentalistisch, aber historisch-kritisch wahrgenommen) auch ein Grundvertrauen entgegenzubringen >>> Das wäre meine Antwort auf Dein Posting ... vielleicht trifft es ja irgendwie 😉
L' Chaim
Das ist in Glaubenssachen der Unterschied zu einem Atheisten (der möglichwerweise noch 'missionarisch' unterwegs ist, weil er God-Talk und Religion für schädlich hält) und der sagt: "Es gibt keinen Gott, das Christentum und Glaube sind grundsätzlich unwahr!" ...
Das trifft auf mich ja schon mal nicht zu...
Da mir bisher noch niemand wirklich eindeutig erklären konnte, was so ein "Gott" denn nun genau sein soll kann ich im Grunde auch keine eindeutige Aussage darüber treffen, ob ich seine Existenz nun für wahrscheinlich halte oder nicht.
Auch sage ich nicht, dass das Christentum "grundsätzlich" (also in allem) unwahr wäre, sondern lediglich in wesentlichen (aber durchaus entscheidenden) Teilen.
Und weil ich das von allen anderen Religionen der Welt ebenfalls annehme (also, dass ihre wesentlichen Aussagen nicht zutreffen) betrachte ich mich als "Atheist".
Nun ist aber der christliche Glaube etwas, was Viele grund-sätzlich mit Glaubensgewissheit verbinden
Da scheint mir nun wieder ein gewisser christlicher Leistungsgedanke durchzukommen (ja, Deborah wird wieder meckern bei dem Begriff...;-) ).
Ich habe "Glaubensgewissheit" oft als nichts anderes als Fanatismus erlebt. Für mich bedeutet es schlicht die Aussage: "Ich werde von meinem Weltbild nicht abrücken, ganze egal wie die Realität wirklich sein mag!"
Das halte ich schlicht für Bequemlichkeit. Man bleibt halt stur bei seinem Weltbild, um es sich nicht zu kompliziert zu machen.
Mir ist mal ein gläubiger Christ begegnet, den ich viel überzeugender fand. Der hat klar gesagt, dass er natürlich nicht genau wissen kann, ob er mit seinem Glauben nun richtig liegt oder nicht. Aber er ist aus vielen Gründen davon überzeugt, dass sein Glauben zutrifft.
Und was auch sonst? Wieviel "Gewissheit" kann man als Mensch denn überhaupt haben? Natürlich ist es gut und richtig, für seine Überzeugungen einzustehen, denn normalerweise hat man gute Gründe dafür.
Aber letztlich kann es jedem von uns prinzipiell passieren, dass es einem plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt und man sich eingestehen muss: "Ach herjeh... da lag' ich wohl falsch! Das ist ja ganz anders als ich bisher dachte!"
So etwas kann grundsätzlich überall passieren... deshalb ist die Sache mit der "Gewissheit" auch immer mit etwas Vorsicht zu genießen.
Daher halte ich dein Beispiel auch nicht für ungewöhnlich... sondern für ganz normal und einsichtig.