Anschluss verlieren
Wenn ich krank bin, macht mir das Gefühl zu schaffen, dass ich den Anschluss verliere - einen entscheidenden Moment verpasse, ins Hintertreffen gerate. Das hat mich veranlasst das hier zu schreiben:
1 Wie Züge rast Leben rechts und links vorbei. 2 Ohnmächtig das Bedauern, nicht darin zu sein. 3 Den Anschluss verlieren, die Abfahrt verpassen. 4 Zurückgeblieben, als Relikt des Gestern im Rückspiegel der Geschichte. 5 Und irgendwann vergessen.
6 Wenn wir die Kontrolle verlieren, den Fahrplan nicht mehr selbst bestimmen. 7 Weil wir alt werden, oder Krankheit uns zum Innehalten zwingt, 8 aber das Schwungrad um uns sich nicht in die Speichen greifen lässt. 9 Dann spüren wir den Lauf der Zeit.
10 Ich schaue auf zum Herrn, von hier kommt mir Hilfe. 11 Nicht wie ich es will, keine Aufholjagd, kein Festhalten der Züge. 12 Der, dem Raum und Zeit unterstellt, führt mich zur rechten Zeit wieder zum rechten Ort. 13 Er stellt mich dort auf meine Füße, wo fester Grund mich trägt.
14 So finde ich Frieden und Gewissheit. 15 Bin vom Wettlauf mit der Zeit befreit. 16 Und ganz in deinen Händen finde ich Ruhe. 17 Denn wer auf den Herrn vertraut, der wandelt im Schatten des Höchsten und in der Gunst des Heils.
Kann das jemand nachvollziehen? Wie geht ihr mit dem Gefühl um? Hinterlasst mir eure Gedanken, hier oder dort.
Das Einlassen auf Gott ... dieses Verlassen auf Gott ... braucht Mut ... zum Lassen ... sein lassen ... loslassen .. gehen lassen ... kommen lassen ... verlassen ...
Zur Freiheit hat Gott uns berufen. Frei zu sein von diesen Zwängen, von diesen Bedrängnissen, von dieser Gier, von diesem Festhaltenwollen, von diesem Selbstmachenwollen ... von dieser Angst, etwas zu verpassen ...
Ich war gerade krank und etwas "umgeschubst" ein paar Tage ... ich genieße das nicht, aber mir ist bewusst, dass ich diese Auszeit brauche, um wieder gesund zu werden. Ich finde diese Zeit nicht wirklich gut, weiß sie aber zu schätzen, auch, dass ich aufgehoben bin in ihm, unabhängig von dem, wie es mir gesundheitlich geht. Weil er immer ist. Immer da ist. Immer für mich ist. Immer bei mir ist. - Jetzt fand um mich herum nicht soo viel statt, wo ich denken könnte, das hab ich jetzt verpasst oder ich wäre außen vor. Das kann ich tatsächlich eher nicht nachvollziehen. Und ich würde von mir sagen, ich schaue nicht "bewusst" zum Herrn, ich wähle eine andere Formulierung: "mir ist bewusst, dass er da ist" ... für mich ... für uns ... dass ich geborgen bin in ihm ...
Vor mir oder uns (Gemeinde) liegen ein paar interessante Wochen/Monate ... spannende Dinge geschehen gerade, viele geraten ins Staunen. Neues tut sich auf. Na klar, bin ich gern dabei. Und es geht aufwärts mit meiner Gesundheit und ich freue mich, dass ich wieder Energie habe, gut auftanken konnte.
(Wir haben einen Nachmittag für Frauen vor uns ... in den letzten Wochen kaum Anmeldungen - jetzt erhalte ich grad die Nachricht, dass die Anmeldezahlen durch die Decke gehen ... 72 Anmeldungen ... so krass. Thema: Wer bin ich, wenn mich niemand sieht? - Wer in Berlin ist und dabei sein möchte am Samstag, den 11.10. sagt mir per pn Bescheid)
"Wettlauf mit der Zeit" - eine schöne Formulierung für die heutige Zeit, für den Zeitgeist ... Wettlauf ... getrieben sein ... alles (..) müssen ... alles wissen müssen, alles hören müssen, alles sehen müssen, alles mitkriegen müssen, überall dabeisein müssen ... irgendwie oder irgendwas sein müssen ... Ja, Gottes Kind sein dürfen, mich hineinbegeben dürfen in Gottes Fülle, in seine Fürsorge, seine "Ausbildung", weil ich weiß, dass Er das Beste ist, was mir je passiert ist. <-- frei zu sein, um in Gott aufzuatmen.
Dein Text erinnert mich an die Geschichte von Michael Ende, Momo.
Da stehlen die grauen Männer die Zeit: das Miteinander, die Freude, das Spielen..... schneller, weiter, höher, unzufriedener....
Momo findet die Zeitblumen und beginnt ihren Freunden Zeitblumen zu schenken, das die Gemeinschaft wieder gesunden lässt und die grauen Stress-Männer sich in Rauch auflösen.
Das Hebräische Wort für Heilung kommt aus dem Wortstamm für Entspannen.
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*Das Hebräische Wort für Heilung kommt aus dem Wortstamm für Entspannen.*
Was ein schöner Gedankengang ... dann entspannt meine Seele ... ja, sie wird gesund ... weil/wenn sie nicht mehr an-ge-spannt ist ... Spannung raus und Heilung/Ent-spannung rein ... 🙂
@deborah71 Das hebräische Verb für heilen ist rapha. Das bedeutet heil machen, gesund machen. Entspannung im Deutschen heißt loslassen. Wo im Hebräischen ist ein Hinweis zu finden dass rapha oder marpe irgendetwas mit entspannen zu tun hat? Denn auch rapha heißsst so viel wie "zusammen flicken". Woher kommt deine Behauptung?
@undwenndoch
Ich habe mich nicht auf marpe bezogen. Auch wenn marpe aus demselben Wortstamm resh - pe -aleph kommt, mit dem mem für ein Hauptwort davor.
Die Verben resh - pe - aleph und resh- pe- he sind die Grundlage für meine Aussage.
Ich glaube, dass es schwierig ist krank zu sein und Krankheit auszuhalten. Die Seele, die das aushalten muss, durchläuft sicher eine Bewährungsprobe. Ich hoffe selbst, davon verschont zu werden, mich anders bewähren zu dürfen…was will man tun, wenn es soweit ist und einem scheinbar die Hände gebunden sind? Es bleibt einem nur das Leben selbst - einatmen, ausatmen…und selbst das ist manchmal mühsam und schwierig. Ein Kranker bedarf der mitfühlenden Aussenwelt, die sein Menschsein immer noch wahrnimmt, auch wenn es reduziert ist auf ein Minimum.
Ein Baby kann auch nicht viel ausser rumliegen und schauen, ganz am Anfang…aber es ist eben der Anfang…es geht im Regelfall einem „Mehr“ entgegen…mehr Autonomie…mehr Können…bei einer schweren Krankheit ist es manchmal genau umgekehrt.
Was ist schwerer? Durchzustehen oder Zuschauen, wie jemand durchsteht? Alles grenzwertig…und weit entfernt von dem, was wir uns als Leben wünschen.
Hoffnung…manchmal nur auf den Tod, als Erlösung, wenn es schlimm ist…und selig, wer es so sehen kann und sich vom Leid nicht unterkriegen lässt und den Ausblick auf „Danach“ legen kann.
Gäbe es Krankheit nicht, könnte die Erde zum Paradies werden…
"Ich glaube, dass es schwierig ist krank zu sein und Krankheit auszuhalten."
Ja, das empfindet wohl jeder anders. Bei meinen reichlichen Erkrankungen der letzten Jahre hatte ich immer den Eindruck, "es ist gut" so, egal, wie es weiter geht oder endet.
"Das Resultat eines erfüllten Lebens?"
Ja, wird wohl so sein, ich weiß es nicht. Allerdings glaube ich tatsächlich, dass ich neben all dem Mist, den ich auch kenne, ein erfülltes Leben gehabt habe. Wenn ich je das Wort "gesegnet" benutzen sollte, würde ich es wohl von meinem Leben sagen.
Ja, solche Dinge können da mit eine Rolle gespielt haben. Aber wenn ich da selbst Zusammenhänge vermuten kann, dann sind das eher zwei Umstände.
Das eine ist die Biografie, die ich geschrieben habe. Sie hat mir gezeigt, wie ungemein viel ich Leben erlebt habe. Durchaus auch Erfahrungen, die ich lieber nicht gehabt hätte, aber in der Summe doch erheblich mehr gutes. Alles Dinge, an die ich mich spontan nicht erinnert hätte. Aber im kontinuierlichen Nachdenken und Nachfühlen kamen dann überraschende Dinge heraus, die überwiegend positiv waren - vor allem "Neubewertungen" von Mensch, die ich früher offenbar falsch wahrgenommen habe.
Der andere Umstand ist etwas peinlich. Ich habe früher - ist aber echt schon lange her - den Eindruck von mit gehabt, ein toller Typ zu sein. Tja, den habe ich dann Schritt für Schritt verloren. So ärgerlich das in den ersten ein-zwei Wochen war, so befreiend war das danach. MaW, ich brauch kein toller Typ zu sein um meine Daseinsberechtigung zu haben.
Vielleicht kommt auch noch eins hinzu. Vor inzwischen auch schon vielen Jahren bin ich meinem größten Feind aus Jugendjahren begegnet der mich wie einen miesen Typ behandelt hat. Wir haben miteinander geredet und er hat unaufgefordert gesagt, dass er damals viele Fehler gemacht hat und sich entschuldigt. Heute sind wir gute Freunde und sehen uns ab und zu zum Spazieren gehen - was mir heute allerdings kaum noch möglich ist.
Für Kinder wäre es natürlich am sinnvollsten. Aber es gibt vielleicht auch andere Angehörigen, für die das interessant oder wichtig sein könnte. Bei meinen Recherchen bin ich auch auf weiter zurück liegende Angehörige gestoßen, die zwar nicht oder nur am Rande in der Biographie auftauchten, aber trotzdem interessant waren, z.B. eine Ur-Ur(?)-Großmutter, die 12 Kinder hatte, von denen nur 3 überlebten. Aber leider haben die, außer standesamtlichen Eintragungen nichts hinterlassen.
Vor acht Wochen hatte ich meinen zweiten Schlaganfall. Bin gestürzt, und habe mir einige vordere
Zähne ausgeschlagen. Das sah nicht gut aus, und ich war körperlich, seelisch, geistig echt
am Ende. Manche Menschen haben sich echt vor mir abgewandt.....................................
Und ich habe den Anschluss verloren.
Auch ich habe mich für mich geschämt und mich zurückgezogen.
Kam mir etwas vor wie Hiob, neu gefragt nach dem Leben, wenn plötzlich der Boden bebt, gefragt,
lieber Gott wo bist DU, Wut, Trauer und Klage............
Doch es gab Menschen, die sind mir echt beigestanden, auch heute noch.
Und letztendlich darf ich wieder an einen barmherzigen Gott und Vater glauben.
Und heute kommt es mir nicht mehr so auf äußerliche Dinge an, mehr auf innere.
Ich weiß wieder um meinen Wert und meine Würde. Und ich schätze heute viel mehr
den Wert der Freundschaft.
Muss auch nicht mehr perfekt sein.......
liebe Grüße,
Vor einem halben Jahr starb ein mir naher Mensch aus meiner alten (seit einem Jahr bin ich nun i.R.) Gemeinde.
Er war tiefgläubig, engagiert und umtriebig, Bis ihn vor ein paar Jahren ein Schlaganfall dauerhaft schachmatt setzte und hilflos machte. Seine Verzweiflungsphasen gingen soweit, dass er zwischendurch sagte: "Wenn ich jetzt eine Pistole hätte, wäre ich morgen nicht mehr unter den Lebenden!" in anderen Phasen bezog er immer noch eine letzte Kraft von Gott und sendete auch mir mutmachende Links. Es war ein schweres Auf- und Ab bis zum Schluss ...
Den "Anschluss zu verpassen" mit einer irreparablen Hilflosigkeit ist nochmal was anderes, als eine Perspektive zu haben, dass es wieder aufwärts geht, es Heilung und Genesung und ein "Danach" gibt.
Mich haben die Besuche bei ihm und die Gespräche immer demütig und hilflos gemacht.
Als Jemand, der bis dato nie ernsthaft und dauerhaft krank war, beschäftigt mich nun doch zunehmend das, was mit dem kommenden Altwerden für mich und meine Frau und unsere Kinder noch kommt. Eine "Aufholjagd" oder ein "Festhalten der Züge" ist nicht mehr das Thema, vielmehr der Wunsch, was immer sein wird, einen Herzensfrieden in Gott zu behalten.
L'Chaim

Danke für deine Offenheit und den Mut, solche Dinge auszusprechen. - Bleib behütet!
Manchmal ist es nötig, dass Gott uns aus dem Hamsterrad oder aus dem rauschenden Zug des Alltags herausholt und dann im Bett liegen läßt. Wer im Bett liegt, kann leichter nach oben schauen.
