Selektives Bibellesen
Hi zusammen!
Vor kurzem las ich einen Thread mit einem ganz ähnlichen Titel und dachte: Gutes Thema! Allerdings war der Titel anders gemeint, was ja auch völlig okay ist. Wir müssen ja nicht alle dieselben Themen gut finden.
Aber es ließ mich nicht los, und ich versuche mal zu sortieren.
Ich meine damit nicht, dass wir selektieren, was wir in der Bibel lesen. Das tun wir auch. Sondern es geht mir um die Selektion dessen, was wir beim Lesen erfahren wollen.
Meine Eingangsthese lautet: Es ist gar nicht möglich, die Bibel nicht selektiv auszulegen. Wir alle tun das. Es ist aber möglich, sich die eigene Selektion bewusst und sie im Diskurs auch anderen transparent zu machen. Oft ist es nämlich so internalisiert, dass wir es gar nicht mehr merken.
Meine Unterthese lautet: Viele Missverständnisse im Forum wären zu vermeiden, wenn wir unser selektives Lesen hin und wieder uns und anderen bewusst machen würden.
Ich beginne mit einem Beispiel aus der Tradition: Unser Zugang zu den "5 Büchern Mose". Ich setze sie in Anführungsstriche, weil bereits dieser Titel Ergebnis einer bestimmten Art zu lesen ist.
In den meisten Inhaltsverzeichnissen unserer Bibeln sind diese Bücher gemeinsam mit denen von Josua bis Esther überschrieben mit "Geschichtsbücher".
Lese ich sie als Geschichtsbücher, ist die Frage, die ich mir beim Lesen stelle "Was ist passiert?" bzw. "Von welche Geschehnissen erzählen diese Bücher?" Wenn ich der einzige bin, der mit dieser Lupe spätestens im 3. Buch Mose eine gewisse Langeweile spürte, lasst es mich bitte wissen! 😊
Die Überschrift, die das Judentum für diese 5 Bücher hat, lautet "Thora", was wir gern mit "Gesetz" wiedergeben, aber besser "Weisung" sagen sollten. Die Frage, die man sich beim Lesen stellt, lautet "Was sollen wir tun?" bzw. "Welche Lebensweise ist gut und richtig?" Mit dieser Fragestellung liest man natürlich 1. Mose 1 bis 2. Mose 19 sehr viel anders als wir es gewohnt sind. Talmudische Auslegung kann da echt ein Augenöffner sein.
Ich vermute, alle, die die Bibel lesen, haben bestimmte Fragen, die sie bei der Lektüre stellen, und stellen andere nicht. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wären solche Fragen:
"Was ist passiert?"
"Ist das passiert?"
"Was ist zu tun?"
"Wer soll etwas tun?"
"Welchen Zuspruch finde ich für mich hier?"
"Was will Gott sagen? und wem?"
"Welche Art von Text ist das?" - Ein Gleichnis oder ein Gedicht liest man anders als einen Bericht. Doch nicht bei allen Texten ist klar, was davon sie sind.
"Auf welcher Ebene ist das, was ich hier lese, wahr?"
"In welcher Weise sind diese Worte inspiriert?"
"Welche Bilder korrespondieren mit Bildern in meiner Seele?"
"Was ist die historische Umwelt, auf die sich die Schreiber beziehen?"
"Sollen diese Worte mir meine Verlorenheit oder Gottes rettende Gnade deutlich machen?" (aka die Frage nach "Gesetz und Evangelium")
"Tut es mir gut, das zu lesen, oder nicht?"
"Was erfahre ich beim Lesen über mich?"
"Was erfahre ich über Jesus?"
"Wer oder was wird hier nicht erwähnt?"
"Benutzen die Schreiber - z.B. wegen einer Verfolungssituation - Codes, die für die ersten Lesenden leicht verständlich waren, aber für uns nicht so leicht?" (Etwa "Babylon" für "Rom")
"Gibt es hier Humor und Ironie?"
"Welche andere Stilmittel werden benutzt?"
"Welche Machtstrukturen werden hier als selbstverständlich vorausgesetzt? Und was mache ich damit?"
"Ist dieser Text genauso wichtig wie andere Texte in der Bibel? Wichtiger? Weniger wichtig?"
Ich habe hier versucht, mich auf Fragen zu beschränken, die mit der Annahme "Die Bibel ist Gottes Wort" vereinbar sind. Manche davon setzen sie sogar voraus, andere nicht. Und bei einigen weiß ich, dass man diskutieren kann, ob sie damit vereinbar sind.
Darüberhinaus denke ich, wir haben einige dieser Fragen je für uns schon mehr oder weniger bewusst beantwortet, bevor wir die Bibel aufschlagen.
Ich bin mir sicher, Ihr kennt noch weitere Leitfragen der Bibelauslegung. Eigene oder die von anderen.
Welche Fragen gibt es noch?
Würdet Ihr sagen, es gibt bei der Auslegung der Bibel angemessene und unangemessene Fragen?
Würdet Ihr sagen, manche sind wichtiger als andere?
Welche?
Und natürlich, wie würdet Ihr das begründen?
Danke fürs Lesen und Mitdenken.
Andreas
Danke für deine Ausführungen.
Ich denke, dass nicht nur die Fragestellung dafür verantwortlich ist, dass ein und der selbe Text unterschiedlich wahrgenommen wird. Es gibt Texte, die ich seit Jahrzehnten auswendig kenne. Und trotzdem erfahre ich beim nächsten Lesen etwas völlig anderes. Oder wir lesen im Hauskreis einen Text, aber jeden Anwesenden spricht etwas ganz anderes an. Ich sehe da ganz klar, dass Gott auch heute noch durch sein Wort individuell zu jedem von uns spricht. Oft sind wir sehr viel zu verkopft, um das wahrzunehmen.
Danke für die Rückmeldung.
Veröffentlicht von: @herbstroseEs gibt Texte, die ich seit Jahrzehnten auswendig kenne. Und trotzdem erfahre ich beim nächsten Lesen etwas völlig anderes.
Oder vielleicht sogar deshalb? Ich kenne beides.
Veröffentlicht von: @herbstroseOder wir lesen im Hauskreis einen Text, aber jeden Anwesenden spricht etwas ganz anderes an. Ich sehe da ganz klar, dass Gott auch heute noch durch sein Wort individuell zu jedem von uns spricht.
So erlebe ich es auch. Aber wir müssen zugeben, selbst diese Entscheidung, so gemeinsam Bibel zu lesen, und zu erwarten, dass Gott zu uns heute in diesem Buch spricht, ist ja nicht die einzig denkbare.
Veröffentlicht von: @herbstroseIch denke, dass nicht nur die Fragestellung dafür verantwortlich ist, dass ein und der selbe Text unterschiedlich wahrgenommen wird.
Ich würde sogar sagen, in den meisten Fällen sind es die Antworten, die wir völlig unbewusst auf diese Fragen geben, die zu den verschiedenen Wahrnehmungen führen. Aber die alle zu jeder Frage aufzuzählen, hätte den Post unlesbar gemacht.
Moinoin Andreas
Veröffentlicht von: @andreas-wendtMeine Eingangsthese lautet: Es ist gar nicht möglich, die Bibel nicht selektiv auszulegen. Wir alle tun das. Es ist aber möglich, sich die eigene Selektion bewusst und sie im Diskurs auch anderen transparent zu machen. Oft ist es nämlich so internalisiert, dass wir es gar nicht mehr merken.
Meine Unterthese lautet: Viele Missverständnisse im Forum wären zu vermeiden, wenn wir unser selektives Lesen hin und wieder uns und anderen bewusst machen würden.
Manchmal würde nur eine kleine Nachfrage, wie der Schreiber etwas gemeint hat, sehr weiter helfen und zu guten Gesprächen führen.
Aber noch ein anderer Blick
Ich musste vor etwas über 20 Jahren im Rahmen einer Ausbildung Seelsorge in Anspruch nehmen.
Das gehörte zu der Ausbildung dazu.
Damals bekam ich in der ersten Stunde einen Fragebogen mit.
Darauf auch die Aufforderung, 5 mir sehr wichtige Bibelstellen aufzuschreiben.
In einer der nächsten Stunden fragte ich nach, warum gerade diese
Frage so wichtig sei.
Die Antwort war, dass die Seelsorgerin daran schon erkennen kann, wie ein Mensch in seinem Glauben und auch darüber hinaus geprägt und auch unterwegs ist.
Selektives Bibellesen zeigt sich auch darin,dass verschiedenen Menschen in ihren jeweiligen Lebenssituationen bestimmte Texte sehr wichtig werden können.
Weiteres Beispiel.
Ein Professor der Theologie an einer Theologischen Hochschule predigte ab und zu in unserer Gemeinde.
Ich habe seine Predigten immer sehr geschätzt.
Aber eine davon ist mir in ganz besonderer Erinnerung geblieben.
Ein Text aus Klagelieder 3 war Grundlage seiner Predigt.
Der Hintergrund dieser Predigt war, dass dieser Mann in einer ganz schweren Erkrankung am Rande des Todes gestanden hatte. Sogar beten war ihm damals nicht mehr möglich.
Seine Chance, dies zu überleben, waren gering.
Diese Predigt nach seiner Genesung war zutiefst berührend für mich.
Ein weiteres Beispiel fällt mir ein:
Nach dem ziemlich frühen und auch heftig erlebten Tod meiner Mutter hat mein Vater bei Hiob tief gesurft.
Im Vorfeld hatte ich an dem Tag, an dem uns die Diagnose ihrer Erkrankung mitgeteilt wurde, in der Tageslosung gelesen
" So heißt es nun Abschied nehmen....."
Damit ar für mich klar, dass meine Mutter diese Krankheit nicht überleben wird.
Danke für diesen Thread.
Er birgt in sich ganz viele Facetten.
Ich lasse mich überraschen
Liebe Grüße
Inge
Sehr eindrückliche Beispiele, vielen Dank!
Vielen Dank, Andreas 😊
Der ganze Fragenkatalog kommt an meine Pinnwand, dass mir keine Frage auskommt. Da ist soviel Stoff drin....
Die Fragen erinnern mich auch an meine Anfänge im Bibellesen mit den Heftchen der Orientierung.
Dort wurden ein paar Grundfragen gestellt, die auf die persönliche Begegnung mit dem Wort ausgerichtet waren und, wenn jemand wollte, konnte er mit Farben lesen, indem die Farben den bestimmten Fragethemen zugeordnet waren. So waren Ermutigung, Aufforderung, Warnung, Verheißungen, die Gottespersonen schneller wiederfindbar beim Nachschlagen.
Für das Wort selektiv ist mir nun wiki eine Hilfe im Artikel 'Selektive Wahrnehmung', denn es spielt da sehr viel der eigenen Persönlichkeit und Geschichte mit ins Wahrnehmen, Aufnehmen oder nicht und Interpretieren hinein.
Ich denke, Jesus wusste um die Fähigkeit des Menschen, selektiv zu lesen, hören, interpretiern und wieviel im Gedächtnis bleiben konnte, wenn es noch nicht über Praxis verinnerlicht war. Mich schaut dabei seine Aussage an, dass der Heilige Geist die Jünger an alles erinnern würde, was Jesus gesagt hatte und sie in alle Wahrheit leiten würde, also die menschliche Begrenztheit weiten und mehr Verständnis aufbauen würde.
Zwei Aufforderungen Jesu sind mir sofort eingefallen:
Mk 4,24a Und er sprach zu ihnen: Seht zu, was ihr hört! ..und die Weiterführung im Vers reflektiert auf selektives Wahrnehmen mMn und dass die Art der Wahrnehmung Folgen hat.
Lk 8,18a Seht nun zu, wie ihr hört! ...auch hier gibt es eine entsprechende Weiterführung.
Jetzt beim Heraussuchen der Verse ist mir deutlich geworden Was kommt von außen auf mich zu, Wie ist der innere Prozess bezüglich angekommener Informationen.
Veröffentlicht von: @andreas-wendtIch bin mir sicher, Ihr kennt noch weitere Leitfragen der Bibelauslegung. Eigene oder die von anderen.
Was sind meine Motive und Ziele des Bibellesens? ...würde ich hinzufügen. Das kann täglich ja mehrfach wechseln von Neugier bis Studium, Ermutigung, Entspannung, Wegweisung, Gehörtes prüfen, Gemeinschaft mit Gott im Wort.... kritisch lesen, widerlegen wollen... diese Seite gibt es ja auch
Ich erwarte hier konkrete Bereicherung im Thread 😊
lg
Deborah
Veröffentlicht von: @deborah71Der ganze Fragenkatalog kommt an meine Pinnwand, dass mir keine Frage auskommt. Da ist soviel Stoff drin....
Ich würde persönlich empfehlen, für Dich zu prüfen, ob Du diese Fragen alle für gute Fragen hältst und warum. Es waren die ersten, die mir einfielen, und ich wollte eine gewisse Vielfalt abbilden. Aber manche von ihnen finde ich für mich selbst gar nicht ansprechend. Das ist dann mein selektives Lesen.
Veröffentlicht von: @deborah71Was sind meine Motive und Ziele des Bibellesens?
Sehr gute Frage.
Veröffentlicht von: @andreas-wendtIch würde persönlich empfehlen, für Dich zu prüfen, ob Du diese Fragen alle für gute Fragen hältst und warum. Es waren die ersten, die mir einfielen, und ich wollte eine gewisse Vielfalt abbilden. Aber manche von ihnen finde ich für mich selbst gar nicht ansprechend. Das ist dann mein selektives Lesen.
Es ist erstmal ein "Arbeitspapier" und kann für mich auch eine Standortbestimmung bringen, wo liegen meine Schwerpunkte bzgl der Pläne und Aufgaben, die Gott für mich hat.
Brauche ich wirklich alle Fragethemen oder ist mir was ausgekommen, dem ich Aufmerksamkeit oder mehr Aufmerksamkeit schenken sollte.
So ein Gehirnstürmchen an Stichworten ist ja nicht in Stein gemeißelt. 😉
Danke für viele gute Fragen. Was mich besonders angesprochen hat, ist dies:
Veröffentlicht von: @andreas-wendtMeine Unterthese lautet: Viele Missverständnisse im Forum wären zu vermeiden, wenn wir unser selektives Lesen hin und wieder uns und anderen bewusst machen würden
Ich würde da so gerne weiterkommen. Insbesondere finde ich es schwierig, all die Stolpersteine zu erkennen und weniger anstößige Formulierungen zu finden. Komme ich mit einem Christen anderer Prägung zusammen und es ergeben sich diese permanenten Missverständnisse und Verletzlichkeiten, dann würde ich gern erfahren, was der andere wirklich gehört hat …
Natürlich habe ich manchmal gute Kontakte zu anderen Christen, aber eher weil wir vermeiden und verzeihen als dass sich das Verständnis vergrößert und wir eine gemeinsame Sprache finden.
Selektives Bibelverständnis hat sicher auch etwas mit Berufung zu tun. Wie kommen wir aber dahin, zusammen ein Leib zu sein, der harmoniert?
Wie kommen wir aber dahin, zusammen ein Leib zu sein, der harmoniert?
Dazu sagt die Bibel:
1Kor 12,12 Denn wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.
Vielleicht sollten wir anfangen (falls noch nicht geschehen), dass jeder von uns einzigartig ist und jeder von uns in seiner Einzigartigkeit genau so von Gott gewollt ist und eingesetzt wird. Da gibt es die Leute, die dafür brennen, Gottes Wort hinauszutragen. Dann wieder gibt es fie Ldute, die es lieben, die Herde zu hüten. Dann wieder welche, die andere gern verwöhnen, .... Wir alle zusammen (Füße, Hände, Nieren, Herz ...) bilden den Leib.
Dazu kenne ich zwei Betrachtungsweisen:
1. Alle Christen, die da sind, sind der Leib. Jeder hat seinen individuellen Weg mit Gott. Der Herr fügt alle im Geist so zusammen, dass das passiert, was er möchte. Auch wenn wir es nicht bemerken, es ist gut so und bedarf nicht zusätzlicher Aktionen von Menschen.
2. Gott bringt dorthin Veränderung, wo Hunger danach besteht. So wird der Leib gereinigt, ergänzt und geordnet. Wir sollen uns bewusst mit Hingabe und Gebet in diesen Prozess stellen.
Beides ist richtig.
Veröffentlicht von: @tagesschimmerIch würde da so gerne weiterkommen. Insbesondere finde ich es schwierig, all die Stolpersteine zu erkennen und weniger anstößige Formulierungen zu finden.
Da würde ich sagen, es ist kein realistisches Ziel, das selektive Lesen ganz hinter sich zu lassen.
Aber mir hilft es, hin und wieder jüdische oder katholische Texte zu lesen und zu fragen: Warum ist es mir so fremd und wirkt für sie völlig normal? Wenn die Erstbegegnung mit anderen Ansätzen die im Forum ist, ist oft für solche Fragen nicht die Zeit.
Veröffentlicht von: @tagesschimmerSelektives Bibelverständnis hat sicher auch etwas mit Berufung zu tun. Wie kommen wir aber dahin, zusammen ein Leib zu sein, der harmoniert?
Völlig schräge Assoziation von mir: Hin und wieder gucke ich Youtube-Videos von Musiktheoretikern. Einer der größten Stars unter ihnen ist Jacob Collier. Von ihm sah ich mal ein Video, in dem er erklärte, dass es keine falschen Akkorde gibt. Selbst der Akkord, der uns völlig disharmonisch vorkommt, kann extrem sinnvoll sein, wenn der Komponist weiß, wohin er ihn auflösen will, also welcher Akkord als nächstes kommt.
Und auf den nächsten Akkord, den unser Komponist geplant hat, bin ich echt gespannt. 😉
Tolles Bild
Völlig schräge Assoziation von mir: Hin und wieder gucke ich Youtube-Videos von Musiktheoretikern. Einer der größten Stars unter ihnen ist Jacob Collier. Von ihm sah ich mal ein Video, in dem er erklärte, dass es keine falschen Akkorde gibt. Selbst der Akkord, der uns völlig disharmonisch vorkommt, kann extrem sinnvoll sein, wenn der Komponist weiß, wohin er ihn auflösen will, also welcher Akkord als nächstes kommt.
Und auf den nächsten Akkord, den unser Komponist geplant hat, bin ich echt gespannt.
Danke dafür.
Ja, Disharmonien muss man manchmal aushalten.
Veröffentlicht von: @andreas-wendtDa würde ich sagen, es ist kein realistisches Ziel, das selektive Lesen ganz hinter sich zu lassen.
Unser ganzes Sein wirkt ja wie eine Ansammlung von Fragen, die wie ein Filter wirken. Nur ist jedes von uns Geschöpfen Stückwerk in seinem Sein. Ich kann wohl nur meine Erkenntnis, Stückwerk zu sein, in die Welt tragen und darauf hoffen, dass das auf Gegenliebe trifft.
Veröffentlicht von: @andreas-wendtSelbst der Akkord, der uns völlig disharmonisch vorkommt, kann extrem sinnvoll sein, wenn der Komponist weiß, wohin er ihn auflösen will, also welcher Akkord als nächstes kommt.
Und auf den nächsten Akkord, den unser Komponist geplant hat, bin ich echt gespannt. 😉
Ja, Disharmonien schwingen in der Luft. Das ganze Stück werden wir erst am Ende hören. Ich bin davon überzeugt, dass sich dann all diese eigenartige Spannung auflöst und die vollkommene Herrlichkeit der Braut sichtbar wird. Es tut gut, im Alltag darauf vertrauen zu können.
Danke für's Eröffnen! Das Thema ist spannend.
Ich glaube, dass der springende Punkt ist, dass unsere ganze Wahrnehmung - egal ob lesen, hören, sehen - subjektiv und damit selektiv ist.
Wir haben alle unsere eigene Brille auf, eigene Themen, die uns jetzt gerade zu diesem Zeitpunkt beschäftigen, unser ganz eigenes Vorwissen und unsere eigenen Erfahrungen und lassen das alles mit einfließen, wenn wir etwas lesen (hören, sehen).
Und daraus folgt, was wir verstehen, was uns der Text sagt. Deshalb sagt uns auch ein Text immer wieder was anderes, weil wir ständig unseren Blickwinkel ändern.
klar kann ich auch bewusst nach Thesen suchen, die mich bestärken und alles andere außen vor lassen. Aber damit schränke ich meinen Blick doch selbst ein und erkenne nie das ganze Bild.
Ich finde es wichtig, mir immer wieder klr zu machen, dass jedes Nacherzählen einer Geschichte oder eines Berichtes oder auch eines wissenschaftlichen Artikels eine Interpretation des ganzen beinhaltet. Mal mehr mal weniger, je nach dem wie siehr man um Objektivität bemüht ist. Ich wage aber zu behaupten, dass kein Mensch zu totaler Objektivität fähig ist, wenn es um die Wahrnehmung von Texten geht. Ein bisschen was von uns wird immer mit einfließen.
Ich denke, wenn wir uns dessen bewusst sind, dass wir alles durch unsere Brille selektiv betrachten, dann wird das Verständnis für andere einfacher.
Ich hab während meines Theologiestudiums übrigens zeitweise unterschiedliche Bibelübersetzungen benutzt, jenachdem ob ich für die Uni was gemacht habe oder ob ich für mich oder im Hauskreis oder in der Gemeinde die Bibel gelesen habe. Weil ich den Text sondern immer selektiv nach "Fehlern" und dem Maßstab, dessen was ich gelernt habe betrachtet hab. Dadurch war es einfacher für mich den Text nicht immer durch die wissenschaftliche Brille zu betrachten und weiterhin es als Wort Gottes, das zu mir spricht zu sehen. Im Laufe des Studiums wurde das immer weniger zum Problem für mich und heute kann ich auch in den "Urtext" schauen und fragen "was möchte der Text mir sagen?" "Was möchte Gott mir mit dem Text sagen?".