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Selektives Bibellesen

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andreas
Themenstarter
Beiträge : 1810

Hi zusammen!

Vor kurzem las ich einen Thread mit einem ganz ähnlichen Titel und dachte: Gutes Thema! Allerdings war der Titel anders gemeint, was ja auch völlig okay ist. Wir müssen ja nicht alle dieselben Themen gut finden.

Aber es ließ mich nicht los, und ich versuche mal zu sortieren.
Ich meine damit nicht, dass wir selektieren, was wir in der Bibel lesen. Das tun wir auch. Sondern es geht mir um die Selektion dessen, was wir beim Lesen erfahren wollen.

Meine Eingangsthese lautet: Es ist gar nicht möglich, die Bibel nicht selektiv auszulegen. Wir alle tun das. Es ist aber möglich, sich die eigene Selektion bewusst und sie im Diskurs auch anderen transparent zu machen. Oft ist es nämlich so internalisiert, dass wir es gar nicht mehr merken.
Meine Unterthese lautet: Viele Missverständnisse im Forum wären zu vermeiden, wenn wir unser selektives Lesen hin und wieder uns und anderen bewusst machen würden.

Ich beginne mit einem Beispiel aus der Tradition: Unser Zugang zu den "5 Büchern Mose". Ich setze sie in Anführungsstriche, weil bereits dieser Titel Ergebnis einer bestimmten Art zu lesen ist.
In den meisten Inhaltsverzeichnissen unserer Bibeln sind diese Bücher gemeinsam mit denen von Josua bis Esther überschrieben mit "Geschichtsbücher".
Lese ich sie als Geschichtsbücher, ist die Frage, die ich mir beim Lesen stelle "Was ist passiert?" bzw. "Von welche Geschehnissen erzählen diese Bücher?" Wenn ich der einzige bin, der mit dieser Lupe spätestens im 3. Buch Mose eine gewisse Langeweile spürte, lasst es mich bitte wissen! 😊
Die Überschrift, die das Judentum für diese 5 Bücher hat, lautet "Thora", was wir gern mit "Gesetz" wiedergeben, aber besser "Weisung" sagen sollten. Die Frage, die man sich beim Lesen stellt, lautet "Was sollen wir tun?" bzw. "Welche Lebensweise ist gut und richtig?" Mit dieser Fragestellung liest man natürlich 1. Mose 1 bis 2. Mose 19 sehr viel anders als wir es gewohnt sind. Talmudische Auslegung kann da echt ein Augenöffner sein.

Ich vermute, alle, die die Bibel lesen, haben bestimmte Fragen, die sie bei der Lektüre stellen, und stellen andere nicht. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wären solche Fragen:

"Was ist passiert?"
"Ist das passiert?"
"Was ist zu tun?"
"Wer soll etwas tun?"
"Welchen Zuspruch finde ich für mich hier?"
"Was will Gott sagen? und wem?"
"Welche Art von Text ist das?" - Ein Gleichnis oder ein Gedicht liest man anders als einen Bericht. Doch nicht bei allen Texten ist klar, was davon sie sind.
"Auf welcher Ebene ist das, was ich hier lese, wahr?"
"In welcher Weise sind diese Worte inspiriert?"
"Welche Bilder korrespondieren mit Bildern in meiner Seele?"
"Was ist die historische Umwelt, auf die sich die Schreiber beziehen?"
"Sollen diese Worte mir meine Verlorenheit oder Gottes rettende Gnade deutlich machen?" (aka die Frage nach "Gesetz und Evangelium")
"Tut es mir gut, das zu lesen, oder nicht?"
"Was erfahre ich beim Lesen über mich?"
"Was erfahre ich über Jesus?"
"Wer oder was wird hier nicht erwähnt?"
"Benutzen die Schreiber - z.B. wegen einer Verfolungssituation - Codes, die für die ersten Lesenden leicht verständlich waren, aber für uns nicht so leicht?" (Etwa "Babylon" für "Rom")
"Gibt es hier Humor und Ironie?"
"Welche andere Stilmittel werden benutzt?"
"Welche Machtstrukturen werden hier als selbstverständlich vorausgesetzt? Und was mache ich damit?"
"Ist dieser Text genauso wichtig wie andere Texte in der Bibel? Wichtiger? Weniger wichtig?"

Ich habe hier versucht, mich auf Fragen zu beschränken, die mit der Annahme "Die Bibel ist Gottes Wort" vereinbar sind. Manche davon setzen sie sogar voraus, andere nicht. Und bei einigen weiß ich, dass man diskutieren kann, ob sie damit vereinbar sind.

Darüberhinaus denke ich, wir haben einige dieser Fragen je für uns schon mehr oder weniger bewusst beantwortet, bevor wir die Bibel aufschlagen.

Ich bin mir sicher, Ihr kennt noch weitere Leitfragen der Bibelauslegung. Eigene oder die von anderen.

Welche Fragen gibt es noch?
Würdet Ihr sagen, es gibt bei der Auslegung der Bibel angemessene und unangemessene Fragen?
Würdet Ihr sagen, manche sind wichtiger als andere?
Welche?

Und natürlich, wie würdet Ihr das begründen?

Danke fürs Lesen und Mitdenken.

Andreas

Antwort
82 Antworten
paramaribo1954
Beiträge : 524

Lieber Andreas,

ganz herzlichen Dank für deine, ich glaube auch für sehr viele weitere User*innen, hilfreiche Idee dieses wichtige Thema anzugehen.

Ich genieße es, jeden einzelnen Beitrag und jede einzelne Reaktion zu lesen und daraus zu lernen, für mich dabei die richtigen schlüsse zu ziehen.
Vorläufig werde ich keinen anderen Thread bei je.de mehr anklicken.

Danke!

paaramaribo1954

paramaribo1954 antworten


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