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Gibt es eine christliche Ethik?

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Lucan-7
Themenstarter
Beiträge : 21647

Die Frage mag seltsam scheinen, immerhin gehören ethische Fragen zum christlichen Kerngeschäft.

In einem anderen Thread ging es mir allerdings um die Grundlage dieser Ethik, und um dort nicht zu sehr ins offtopic zu geraten möchte ich diese Frage gerne hier auslagern.

Denn in der Regel, so scheint mir, sind sich Christen bezüglich vieler ethischer Frage erstaunlich uneins. Es scheint, dass die Bibel hier keine wirklich klare Orientierung gibt, praktisch jede Interpretation ist letztlich umstritten.

Ich wage mal zu behaupten, dass das, was wir heute unter "christlicher Ethik" verstehen, in Wahrheit so wie jede andere Ethik auf der Welt auf einem gesellschaftlichen Konsens beruht, der sich funktioniell bewährt hat und im Laufe der Zeit immer wieder angepasst wurde, wo es notwendig war.
Anschliessend wurde dieser Konsens als biblisch oder göttlich inspiriert begründet und damit zur "christlichen Ethik" erklärt.

Das Problem ist, dass die Bibel gar keine Grundlage für eine verbindliche Ethik liefert... oder, ganz im Gegenteil, viel zu viele verschiedene, teils widersprüchliche Ansätze hat, um hier eine echte Orientierung zu geben. Das Problem ist also nicht, dass man in der Bibel keine ethischen Werte finden würde... sondern dass man viel zu viel davon hat und alles auch noch interpretiert werden muss.

Was bedeuten würde, dass es auch keine "echte" christliche Ethik gibt... sondern lediglich ethische Werte, die nachträglich mit dem Etikett "christlich" versehen wurden.

Deshalb meine Frage, was ihr eigentlich unter einer "christlichen Ethik" versteht, wie diese zustandekommt - und wie verbindlich diese letztlich sein kann.

Antwort
103 Antworten
Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0

Moral und Ethik
Um Deine Frage erstmal grundsätzlich zu beantworten:

Nein, es gibt keine christliche Ethik, sowenig, wie es eine christliche Mathematik gibt.

Du fragst vermutlich nicht nach der christlichen Ethik, sondern nach der christlichen Moral.

Die Begriffe Moral und Ethik werden häufig synonym verwendet, das führt dann schnell zu Verwirrung.

Ich möchte hier zwei Definitionen vorschlagen, auf Grundlage derer man Deine Fragestellung vielleicht besser (oder überhaupt erst) beantworten kann.

Moral (abgeleitet aus dem lateinischen mores = Sitten) ist die Gesamtheit von Regeln und Werten, auf welche sich eine (sub-) kulturelle Gemeinschaft geeinigt hat, die als innerhalb dieser Gemeinschaft Gültigkeit haben.

Ethik ist dagegen die Wissenschaft bezüglich moralischer Phänomene. Die Ethik beschäftigt sich nicht mit dem, was richtig und gut ist, sondern damit, wie entsprechende Urteile zustande kommen (können, konnten), wie sie sich begründen lassen usf.

Üblicherweise wird Ethik als eine Teildisziplin der Philosophie verstanden. Moral ist keine wissenschaftliche Disziplin.

Wenn wir diese Definitionen zugrunde legen, ergibt sich meine Eingangsbehauptung von selbst. Zwar kann man in der Ethik wiederum eine spezifische Fragestellung hinsichtlich der moralischen Phänomene im christlichen Bereich machen, also z.B.: Welche Regeln sind für sich selbst als christlich verstehende Gemeinschaften typisch oder sogar konstituierend? Aber in solch einem Fall ist nicht die Existenz solcher Regeln fragwürdig, sondern lediglich ihr Zustandekommen, ihr Funktionieren und so weiter.

Anhand dieses Zitats:

Veröffentlicht von: @lucan-7

Das Problem ist, dass die Bibel gar keine Grundlage für eine verbindliche Ethik liefert...

möchte ich das nochmal beispielhaft erläutern. Wenn Du hier statt "Ethik" "Moral geschrieben hättest, dann wäre Dein Satz eine zutreffende Problembeschreibung aus ethischer Sicht: Wir haben das (unbestreitbare, faktische) Phänomen, dass sich viele Christen auf die Bibel als Grundlage ihrer Moral berufen, und wir haben zugleich das Phänomen, dass Christen unterschiedliche moralische Standpunkte vertreten. (Beispiele: Säuglingstaufe, Homo-Ehe, Kriegsdienstverweigerung, Ablehnung oder Befürwortung des kapitalistischen Wirtschaftssystems)
Wenn unterschiedliche Christen (angeblich) sich auf dasselbe Fundament (Bibel) für die Findung ihrer moralischen Prinzipien berufen, dabei aber unterschiedliche Moralen herauskommen, dann kann dieses Fundament nicht sonderlich zuverlässig sein. Aufgabe des Ethikers wäre es nun also - er soll ja Wissen schaffen - Erklärungen für diesen Widerspruch zwischen moralischen Selbstaussagen der Christen und den Tatsachen (dass Christen unterschiedliche Moralen vertreten) zu finden.
Es ist also aus ethischer Sicht nicht damit getan, festzustellen, dass Christen trotz angeblich gleichem Fundament unterschiedliche moralische Positionen beziehen.
Sondern es muß danach gefragt werden, warum dies so sei.

Systemisch betrachtet könnte man vielleicht sagen, dass Ethik und Moral sich wechselseitig beeinflussen.
Dafür spricht, dass Moral (=die herrschenden Sitten) sich ja verändert. Für diese Veränderungen können unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen: der innergesellschaftliche ethische Diskurs über die Moral ist ganz sicher einer dieser Faktoren. Indem also über die Sinnhaftigkeit, das Funktionieren und Zustandekommen der moralischen Regeln im Rahmen der Ethik diskutiert wird, fließen die Erkenntnisse aus dieser Diskussion in die moralischen Regeln der Zukunft mit ein. Diese moralischen Regeln der Zukunft werden dann jene Phänomene sein, mit denen sich die Ethik der Zukunft auseinandersetzt. 😊

Anonymous antworten
7 Antworten
PeterPaletti
(@peterpaletti)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 1317
Veröffentlicht von: @blackjack

Ethik ist dagegen die Wissenschaft bezüglich moralischer Phänomene. Die Ethik beschäftigt sich nicht mit dem, was richtig und gut ist, sondern damit, wie entsprechende Urteile zustande kommen (können, konnten), wie sie sich begründen lassen usf.

Nö.
Die Ethik ist jener Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst und ist das methodische Nachdenken über die Moral.

Die (allgemeine) Ethik wird heute als die philosophische Disziplin verstanden, die Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und für die Bewertung seiner Motive und Folgen aufstellt.
Dabei kann die Ethik allerdings nur allgemeine Prinzipien und Normen guten Handelns oder ethischen Urteilens überhaupt oder Wertvorzugsurteile für bestimmte Typen von Problemsituationen begründen.

So nachzulesen bei Wikipedia.

Ethik beschäftigt sich sehr wohl mit der Frage, was sittlich richtig und gut ist.

peterpaletti antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0
Veröffentlicht von: @peterpaletti

Nö.

Doch.

Veröffentlicht von: @peterpaletti

Die Ethik ist jener Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst und ist das methodische Nachdenken über die Moral.

Das ist in anderen Worten das, was ich schrieb. Es ist nur leicht mißverständlich formuliert, weil man es so verstehen könnte, dass Ethik darin bestehe, menschliches Handeln zu bewerten. Aber das tut sie nicht, sondern sie befaßt sich mit der Bewertung. Ihr Gegenstand ist sind die unterschiedlichen Bewertungen, welche sich in den unterschiedlichen Moralen konkret manifestieren.

Veröffentlicht von: @peterpaletti

So nachzulesen bei Wikipedia.

Ich halte meinen Definitionsversuch für sauberer.

Veröffentlicht von: @peterpaletti

Ethik beschäftigt sich sehr wohl mit der Frage, was sittlich richtig und gut ist.

Nein. Sondern mit der Frage, was als sittlich richtig und gut gilt und wie zu diesen Urteilen gelangt wurde oder gelangt werden kann.

Das ist allein deswegen schon evident, da Sitten sich eben ändern und "gut" und "richtig" immer subjektive Werturteile sind also Interpretationen, nicht Beschreibungen von Sachverhalten. Es galt in Sklavenhaltergesellschaften als sittlich richtig, aufmüpfige Sklaven zu schlagen. In unserer Gesellschaft gilt dies nicht als richtig, ja die gesamte Sklaverei wird unseren Moralvorstellungen entsprechend abgelehnt. Die Ethik als philosophische Teildisziplin kann gar nicht herausfinden, was richtig und was gut sei. Sie kann nur herausfinden, wie Menschen zu entsprechenden Urteilen gelangen. Eben, indem methodisch über Moral nachgedacht wird.

Anonymous antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21647
Veröffentlicht von: @blackjack

Du fragst vermutlich nicht nach der christlichen Ethik, sondern nach der christlichen Moral.

Das dürfte wohl eine Frage des Standpunktes sein...

Ich frage ja explizit, ob es eine "christliche Ethik" gibt. Und das bezieht sich ja auf das Zustandekommen und die Grundlagen der Moral. Deren Basis wird aus christlicher Sicht im Glauben gesehen, welcher in der Bibel zum Ausdruck kommt.

Und so wie ich es verstanden habe, hat dieser Glaube den Anspruch, eindeutig zu sein - das heisst, Gott hat ganz bestimmte, konkrete Erwartungen an die Menschen, wie deren Moral optimalerweise azuszusehen hat. Aufgabe der Christen ist es (unter anderem), Gottes Erwartungen mit Hilfe des Heiligen Geistes zu erkennen und umzusetzen.

Aus christlicher Sicht dürfte daher der Begriff "Ethik" gerechtfertigt sein. Allerdings habe ich es ja nicht umsonst als Frage formuliert - denn es fehlt die Eindeutigkeit der Basis.

Mein persönliches Fazit bislang lautet daher: Nein, es gibt keine christliche Ethik - obwohl von christlicher Seite so getan wird, als gäbe es sie, da Gott hier ja angeblich eindeutige Vorgaben trifft... das heisst, es müsste hier eigentlich eine eindeutige Grundlage für die christliche Moral finden lassen, welche aber in der Realität nicht zu bestimmen ist.

lucan-7 antworten
PeterPaletti
(@peterpaletti)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 1317

Klar gibt es christliche Ethik.
Ethik ist ein Teilbereich der systematischen Theologie, die an den deutschen Hochschulen gelehrt wird.
Diverse systematische Theologen haben Bücher zur Ethik verfasst.

Die Frage ist natürlich, ob es eine eindeutige christliche Ethik oder gar eine für alle Christen verbindliche.
Und da würde ich sagen: nein, die gibt es nicht, weil die christlichen Ethiker unterschiedlich gewichten.

Allerdings ergeht es der philosophischen Ethik auch nicht anders, auch da sind sich die verschiedenen Philosophen anscheinend uneins, obwohl sie doch alle "aus der Vernunft" schöpfen wollen.

peterpaletti antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21647
Veröffentlicht von: @peterpaletti

Die Frage ist natürlich, ob es eine eindeutige christliche Ethik oder gar eine für alle Christen verbindliche.
Und da würde ich sagen: nein, die gibt es nicht, weil die christlichen Ethiker unterschiedlich gewichten.

Allerdings ergeht es der philosophischen Ethik auch nicht anders, auch da sind sich die verschiedenen Philosophen anscheinend uneins, obwohl sie doch alle "aus der Vernunft" schöpfen wollen.

Der Unterschied ist, dass die "philosophische Ethik" relativ frei darin ist, ihre Ziele zu bestimmen (Was ist das Beste für jeden einzelnen/ Was ist das Beste für das Volk/ Wie findet man einen Kompromiss zwischen Einzelnem und Volk?) und auf dieser Basis dann eine entsprechende Ethik aufbauen kann. Da kommt man dann auch mit Vernunft und Logik zu bestimmten Ergebnissen, die sich weltweit zumindest ähnlich sind.

Die "theologische Ethik" hat überhaupt keine Freiheitsgrade, hier geht es allein darum, Gottes Willen zu erkennen - und der ist auch aus der Bibel nicht eindeutig bestimmbar.

Was dann meist dazu führt, dass dann doch wieder die "philosophische Ethik" geplündert wird, um am Ende zumindest eine Moral präsentieren zu können, die funktioniert und sich bewährt hat...

lucan-7 antworten
Geotron
(@geotron)
Beigetreten : Vor 15 Jahren

Beiträge : 287

Na dann müsste man mal ein moralisches oder ethisches Problem stellen: Z.B. kann dem Judas vergeben werden? Ich meine, Jesus meinte damals nur, dass er sich gewünscht hätte nie geborn zu werden. Da es ja aber dennoch ein ewiges Leben gibt, könnte doch auch ein Verräter in den Genuss von chrsitlicher Gnade und Verständnis kommen. Er war ja lt. Bibel auch schon jeher dazu verdammt, Jesus zu verraten. Und Jesus selbst konnte trotz all seiner Liebe diesen Verrat nicht verhindern. Er sagte selbst: Nicht wie ich will, sondern so wie du willst. Ich frage mich deswegen, ob Gott ein Spieler ist, der eben nicht mit Geld oder Chips spielt, sondern mit der Wirklichkeit. Mir hat man immer erzählt, daß man z.B. mit Essen nicht spielen soll, weil es ja wichtig für das Überleben aber uch für das Leben ist. Mir scheint Gott spielt hier auch mit seinem angeblich einfigem Sohn. Sowas finde ich aber unmenschlich. So geht man mit Söhnen oder Töchtern nicht um. Und darum ist für mich so ein knallharter absoluter Gott nicht unbedingt meine erte Wahl.

Nachtrag vom 20.07.2020 0253
äh tschuldige die ganzen Rechtschreibfehler.

geotron antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21647
Veröffentlicht von: @geotron

Na dann müsste man mal ein moralisches oder ethisches Problem stellen: Z.B. kann dem Judas vergeben werden?

Wenn für Gott nichts unmöglich ist, dann kann er auch Judas vergeben... das ist für mich nicht unbedingt eine moralische Frage, sondern eher eine "technische". Die Entscheidung liegt bei dem, dem gegenüber Judas sich schuldig gemacht hat.

Veröffentlicht von: @geotron

Mir scheint Gott spielt hier auch mit seinem angeblich einfigem Sohn. Sowas finde ich aber unmenschlich. So geht man mit Söhnen oder Töchtern nicht um. Und darum ist für mich so ein knallharter absoluter Gott nicht unbedingt meine erte Wahl.

Nun ja. Aber wenn Gott existiert, dann müssen wir ihn so nehmen wie er ist. Wir können dann nicht sagen, dass wir eigentlich viel lieber einen netteren Gott hätten... zumindest würde das uns nichts nützen.

lucan-7 antworten


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