Presseartikel: Jesus vielen amerikanischen evangelikalen Christen zu links.
Hallo Community,
ich bin grad auf diesen Artikel hier gestoßen:
Es geht darin um eine Entwicklung in den USA, bei der Grundlagen des Evangeliums so zurechtgebogen werden, dass sie für eine harte Law-and Order Politik à la Donald Trump taugen.
Predigten, die den Weg Jesu, bei dem eine bewusst schwache Haltung zu einem Bloßstellen der verdorbenen harten Haltung führt (Hinhalten der anderen Wange nach Angriff), zum Thema haben, gibt es da gar nicht mehr. Das Evangelium wird so verborgen, wie es dem sehr menschlichen politischen Willen entspricht. Und Prediger, die sich daran nicht halten, bekommen in ihren Kirchen Probleme.
Ich habe diesen Thread unter "Kirchengeschichte" eingeordnet, weil ich denke, dass es kein wirklich theologisches Thema ist, sondern eins, bei dem es in erster Linie um Macht geht und um den Umgang mit dem Evangelium in diesem Kontext. Die Kirche als Gemeinschaft vieler Menschen und damit vieler Wähler wird instrumentalisiert und darüber der Kern ihrer selbst beschädigt.
In der heutigen Welt mögen solche Vorgänge nichts Besonderes mehr sein. Aber ich bin da etwas rückständig und mich verstört so etwas immer noch. Ich frage mich aber auch, ob unsere Kirchen nicht vielleicht ganz ähnliche problematische Aspekte enthalten, denn auch die Kirchen in Deutschland waren lange Zeit Instrumente in der Hand der Mächtigen.
Und so möchte ich denn auch anregen, in diesem Thread zwei Aspekte zu diskutieren:
1) Der Presseartikel der Frankfurter Rundschau und die dort beschriebene Entwicklung in den USA.
2) Gibt es bei unseren Kirchen ähnliche Aspekte? Gibt es biblische Inhalte - insbesondere, die die Lehre Jesu und dem Konzept des neuen Bundes in Christi Blut - also dem Kern des Evangeliums - betreffen, die nur selten bis gar nicht in Predigten in deutschen Kirchen vorkommen?
Für mich ist der zentrale Punkt hier nicht die Verdorbenheit der Welt, die Lüge, das "sich etwas vormachen", das so überhaupt nicht ist, sondern mir ist es wichtig darauf zu schauen, was uns verloren geht, wenn wir ein falsches, ein verbogenes Evangelium leben.
Jesu Weg der intelligenten Schwachheit, bei der die Macht von der physischen in die geistliche Dimension übergeht, ist ein geniales Friedenswerkzeug, dessen sich grad Politiker bedienen sollten. Und die Möglichkeit der Umkehr von unguten Wegen bei gleichzeitiger Vergebung von Schuld und der Prämisse für die Geschwister im Glauben, dies zu achten und nicht zu Verurteilern zu werden, ermöglicht wirkliche Veränderung, eine Fehlerkultur, die zu einem Wachstum zum Guten führt, wie das mit keinem anderen Konzept vergleichbar wäre.
Das mal als Anmerkungen von mir, der sich gerne Konzepte aus der Perspektive ihrer systemischen Wirkweise ansieht.
Aber das Evangelium ist ja viel mehr als nur ein Instrument für gelingendes Leben, für friedvolles Miteinander und in unvergleichlicher Weise aufbauenden gesellschaftlichen Entwicklung. Das Evangelium ist die Botschaft für die persönliche Errettung aus dem Würgegriff der Schuld und die Eintrittskarte in die Dimension des ewigen Lebens. Und grade dies geht doch mit einem Evangelium verloren, das wieder Gesetzlichkeit predigt und Strafen fordert, das physische Härte verherrlicht und intelligente Schwachheit für eine Dummheit hält. Im Grunde genommen ist das nicht mehr christlich. Die Kirche wird zu einem politischen Verein deklassiert, der seine Kernaufgabe nicht mehr im Fokus hat.
Liebe Grüße
GoodFruit
1) Der Presseartikel der Frankfurter Rundschau und die dort beschriebene Entwicklung in den USA.
Dieser Presseartikel, das sollte man nicht vergessen, stellt nicht in erster Linie ein Referat über Entwicklungen in den USA dar, sondern die Position von Russell Moore. Der ist selbst Pastor, ist selbst evangelikal. Und der macht nun also Trump für die von ihm wahrgenommene Entwicklung verantwortlich. Das ergibt für das deutsche Leserpublikum insofern Sinn, als wir hier ja mehrheitlich ohnehin Trump für den Grund mannigfaltiger negativer Entwicklungen in den USA halten, das simple Erklärungsmuster: "Trump ist schuld!" wird also ohne viel kritische Hinterfragung akzeptiert.
Im Artikel wird, wenn ich das nicht irgendwo übersehen habe, der wichtigste republikanische Kontrahent von Trump, DeSantis, nicht erwähnt. Wenn jemand als Ex-Chef von Cristianity Today und Evangelikaler Pastor in der evangelikalen Gemeinschaft etwas kritisiert und Trump als Wurzel des Kritisierten nennt, DeSantis & Co allerdings nicht mal erwähnt - dann darf davon ausgegangen werden, dass hier nicht in erster Linie elaboriert argumentierte Kritik formuliert wird, sondern dass wir als Leser da in rechts-interne Grabenkämpfe mit hineingezogen werden sollen: Es geht um Autorität und Macht in der evangelikalen Bubble.
Die hier von ihm skizzierte Entwicklung hat ganz gewiß nicht mit Trump angefangen. Wenn man sie nachvollziehen möchte als Deutscher, sollte man unbedingt das Buch von Annika Brockschmidt: "Amerikas Gotteskrieger - wie die religiöse Rechte die Demokratie gefährdet" lesen.
2) Gibt es bei unseren Kirchen ähnliche Aspekte?
Was meinst Du hier mit "unseren Kirchen"? Die evangelikalen Gemeinden in Deutschland? Die zwei großen Staatskirchen? In der Tendenz standen die Kirchen - seit das Christentum in der "westlichen Welt" an die Macht kam - stets auf konservativer Seite und damit stets auch strikten, also erbarmungslosen Law&Order-Positionen nahe. Keine große Überraschung, immerhin beruht das gesamte christlich-ethische Konzept auf der Autoritätshörigkeit. Wahlweise gelten eben Jesus, Gott, der Heilige Geist oder die Bibel als Autorität, der sich alles andere unterzuordnen habe. Jesus/Gott wird immer wieder als König dargestellt oder als patriarchale Autorität, der man sich unterzuordnen habe und deren Verdikte man zu akzeptieren habe, selbst wenn man sie/ihren Sinn nicht versteht.
Die Kirchen sind klassischerseits streng hiearchisch aufgebaut, wo die Katholiken ihren Papst hatten, nehmen sich die Protestanten andere Autoritätsfiguren, von Calvin über Luther bis Billy Graham.
In emanzipatorischen Konflikten war die Mehrheit der Christenheit stets zuverlässig auf Seiten der Macht zu finden. Ob es jetzt um die Emanzipation der Sklaven ging, der Frauen, der Armen (Antisozialismus ist eine Grundkonstante im Christentum) oder der sexuell divers Orientierten. Deswegen kam das Christentum auch so gut mit Faschismus und Didkatur klar, das moralische Versagen (mangelnder Widerstand oder doch lieber gleich liebdienerische Einschleimerei) der Kirchen gegenüber Hitler, Mussolini, Franco, Pinochet, Videla usw. bestand aus einer erstaunlichen Zahl von Ausrutschern, die sich wohl einfacher als Regel verstehen ließe.
Nun kann man immer weiter behaupten, die christliche Lehre, das Evangelium, stünde eigentlich für etwas Anderes: für Solidarität mit den Ausgegrenzten, mit Emanzipation von Machtwillkür, gar für linke Positionen. Aber dann ergibt sich eben das Problem der Praxis, in welcher dieses Evangelium offenkundig regelmäßig anders verstanden wird, nämlich im rechts-reaktionären, letztlich anti-sozialen Sinne. Da ähnelt nun Deine Position hier ein wenig der des Geisterfahrers auf der Autobahn: "Sooo viele fahren in der falschen Richtung!"
Es sollte allen politisch Denkenden klar sein: Falls Donald Trump dieses Mal nicht der Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird, dann wird es mich hoher Sicherheit ein andere rechts-reaktionärer, christlich-evangelikaler Kerl wie DeSantis. Der sich hinsichtlich dessen, was er machtpolitisch durchzusetzen gedenkt, von Trump dadurch unterscheidet, dass er noch reaktionärer, noch anti-liberaler, noch weniger tolerant ist. Er nimmt den rechts-national-religiösen Gedanken nämlich deutlich ernster als Trump (dem es letztlich immer nur um sich selbst, nicht wirklich um eine politische Sache geht). Sein bisheriges Wirken spricht da eine eindeutige Sprache (und nachher soll mir niemand erzählen, man habe das ja nicht ahnen können...)
edit (da Editierungszeitraum schon nach einmaligem Durchlesen des Textes abgelaufen war):
hiearchisch --> hierarchisch
Didkatur --> Diktatur
Falls Donald Trump dieses Mal nicht der Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird, dann wird es mich hoher Sicherheit... --> ... dann wird es mit hoher Sicherheit...
Hinzufügung: Trump war zu Beginn seiner Karriere überhaupt nicht religiös interessiert und vertrat - z.B. in Abtreibungsfragen - sogar manchmal eher liberale Positionen. Ihm sind Religion, Gott und Glaube auch heute noch völlig schnuppe und er bedient nur die Vorurteile der Religiösen, um ihre Stimmen zu bekommen. DeSantis und Co sind aber bekanntlich und nach Selbstaussagen streng christlich orientiert: sie meinen es ernst mit ihrem christlichen Glauben und das heißt konkret: mit rechts-reaktionären, anti-demokratischen und rassistischen Positionen.
Es geht um Autorität und Macht in der evangelikalen Bubble.
Die christliche Bubble in den USA war und ist beim Thema Trump gespalten. Der Trumpismus hat in den USA aber auch eine Eigendynamik entwickelt, die ganz unabhängig von Trump ihre Blüten treibt.
stets auf konservativer Seite und damit stets auch strikten, also erbarmungslosen Law&Order-Positionen nahe. Keine große Überraschung, immerhin beruht das gesamte christlich-ethische Konzept auf der Autoritätshörigkeit.
Eine absolute Meinung und Weltbild, die du vielleicht besser der Realität anpasst. Als Beispiel
https://de.wikipedia.org/wiki/Christlichnationaler_Gewerkschaftsbund_der_Schweiz
Ich kenne die politische Landschaft in DE nicht, deshalb kann ich nur aus der Schweiz argumentieren. Und hier waren und sind christliche Kirchen und Organisationen auf beiden Seiten des politischen Spektrums aktiv. Genauso wie es Mitte des 19Jhr Diskussionen innerhalb der Kirchen gab, ob sich die Kirchen auf Seiten der Monarchisten oder Demokraten positionieren sollten. Und zumindest in Teilen der evangelikalen Kirchen hier in der Schweiz ist eine gute Portion Staatsskepsis vorhanden.
Jesus/Gott wird immer wieder als König dargestellt oder als patriarchale Autorität, der man sich unterzuordnen habe und deren Verdikte man zu akzeptieren habe, selbst wenn man sie/ihren Sinn nicht versteht.
Ich weiss nicht, ob du jetzt hier einfach nur trollst oder du dich nie ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt hast. Es gibt durchaus autoritär organisierte Kirchen, da widerspricht niemand. Aber gerade im evangelikale Bereich sind die Mehrheit der Kirchen demokratisch organisiert. Und auch im theologischen Hintergrund wird im evangelikalen Bereich zwar gehorsam gepredigt, aber kein Sklavischer. Gehorsam geschieht aus einem familiären Vertrauensverhältnis heraus und nicht aus einer autoritären Struktur, dies geht so weit, dass man das Wort und Konzept Gehorsam in evangelikalen Predigten kaum hört.
In emanzipatorischen Konflikten war die Mehrheit der Christenheit stets zuverlässig auf Seiten der Macht zu finden.
Deine Aussage ist wieder mehr Meinung als Fakt. Das erste aktive und passive Frauenwahl und Stimmrecht wurde von einer christlichen Gemeinschaft in Deutschland gepflegt.
Und auch in der jüngeren Geschichte waren Christen und die christlichen Parteien in dieser Frage gespalten und bildeten durchaus die politische Meinung der Bevölkerung ab. Hier ein Artikel zu dem Thema in der Schweiz https://www.livenet.ch/themen/gesellschaft/ethik/geschichte/385922-50_jahre_frauenstimmrecht_ein_blick_zurueck.html
Ob es jetzt um die Emanzipation der Sklaven ging, der Frauen, der Armen (Antisozialismus ist eine Grundkonstante im Christentum) oder der sexuell divers Orientierten.
Sorry Jack, aber jetzt fängst du an Blödsinn zu schreiben. Einige der wichtigsten Figuren in der Abolitionists waren Christen, allen voran Quäker, und selbst säkulare Quellen attestieren, dass "the great Awakening" in den 1830 Jahren eine signifikante Rolle darin spielte, dass die Sklaverei abgeschafft wurde. Und was die Fürsorge für die Armen betrifft, so wurden viele soziale Organisationen, als auch Kinderheime, Spitäler, Altersheime usw. von Christen gegründet und später vom Staat übernommen und weitergeführt. Auch Schulbildung für die armen Arbeiterklassen, die sich keine teuren Privatschulen leisten konnten, wurden von Kirchen geführt. Kinder, die in den Fabriken der reichen aufgeklärten atheistischen, kapitalistischen Industriellen arbeiteten, wurden von Kirchen zusätzlich ernährt und bekamen durch eben diese auch eine elementare Schulbildung.
Deswegen kam das Christentum auch so gut mit Faschismus und Didkatur klar, das moralische Versagen (mangelnder Widerstand oder doch lieber gleich liebdienerische Einschleimerei) der Kirchen gegenüber Hitler, Mussolini, Franco, Pinochet, Videla usw. bestand aus einer erstaunlichen Zahl von Ausrutschern, die sich wohl einfacher als Regel verstehen ließe.
Klar, das war ja auch der Grund, warum evangelische Theologen wie Bonnhöfer hingerichtet wurden, weil sie sich so gut mit den Machthabern verstanden. Du hattest in der christlichen Szene immer einen Dualismus, eine offizielle "Staatskirche" die sich vom Staat vereinnahmen liess, und eine Kirche die sich dem Staat widersetzte. Aktuell passiert genau dies in China. Es gab während der ganzen Geschichte der Kirche, Christen betrachteten und sich in den Dienst des Staates stellen liessen. Aber genauso lange hast du die Teile der christlichen Kirche, die sich dem Staat widersetzten. Wenn du nur das eine siehst (oder sehen willst) dann hast du einen historischen Blinden Fleck. Denn darfst du natürlich für dich selbst kultivieren, ist dir freigestellt. Aber stelle ihn nicht als Wahrheit dar.
Nun kann man immer weiter behaupten, die christliche Lehre, das Evangelium, stünde eigentlich für etwas Anderes: für Solidarität mit den Ausgegrenzten, mit Emanzipation von Machtwillkür, gar für linke Positionen. Aber dann ergibt sich eben das Problem der Praxis, in welcher dieses Evangelium offenkundig regelmäßig anders verstanden wird, nämlich im rechts-reaktionären, letztlich anti-sozialen Sinne. Da ähnelt nun Deine Position hier ein wenig der des Geisterfahrers auf der Autobahn: "Sooo viele fahren in der falschen Richtung!"
Das ist dein Verständnis, was aber nichts mit der Realität zu tun hat. Es gibt wohl genauso viele Christen und christliche Organisationen, die sich links Positionieren wie es derer gibt, die sich Rechts Positionieren.
Und wenn man sich die politischen Positionen der EVP hier der Schweiz betrachtet, dann gibt es Themenbereich, in denen sie Mitte rechts politisiert, Familienpolitik, Wirtschaftspolitisch, ... aber auch Themenbereiche in denen sie eher links politisiert, Sozialpolitik, Einwanderung, Ökologie, usw.
Es sollte allen politisch Denkenden klar sein: Falls Donald Trump dieses Mal nicht der Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird, dann wird es mich hoher Sicherheit ein andere rechts-reaktionärer, christlich-evangelikaler Kerl wie DeSantis. Der sich hinsichtlich dessen, was er machtpolitisch durchzusetzen gedenkt, von Trump dadurch unterscheidet, dass er noch reaktionärer, noch anti-liberaler, noch weniger tolerant ist. Er nimmt den rechts-national-religiösen Gedanken nämlich deutlich ernster als Trump (dem es letztlich immer nur um sich selbst, nicht wirklich um eine politische Sache geht). Sein bisheriges Wirken spricht da eine eindeutige Sprache (und nachher soll mir niemand erzählen, man habe das ja nicht ahnen können...)
Da gebe ich dir grundsätzlich recht, nur solltest du mit der Einschätzung von DeSantis etwas vorsichtiger sein und nicht alles für bare Münze nehmen, was linke Medien so alles hetzen. In manchen mag DeSantis Trump voraus sein, in anderen ist er wesentlich gesitteter.
Wenn du aber der Meinung bist das ein demokratischer Kandidat weniger Machtgeil ist und nicht nur darauf aus ist seine Klientel zu bedienen, dann lebst du im lala Land.
@arcangel Eine absolute Meinung und Weltbild, die du vielleicht besser der Realität anpasst.
Meinungen sind immer persönlich und können also gar nicht "absolut" sein. Übrigens hast Du in dem Zitat von mir, auf welches Du so reagiertest, die ersten drei Worte weggelassen, die da lauteten: "In der Tendenz..." Freilich stand dazu das von mir verwendete Wort "stets" in sprachlogischem Widerspruch. (Früher hab ich häufiger die unsinnige Formulierung "manchmal immer" verwendet, ich tendiere anscheinend zu solchen in sich widersprüchlichen Formulierungen). Zur Aufklärung nun also: das "stets" möchte ich zurücknehmen, das "in der Tendenz" stehen lassen.
Ob diese Tendenz nun objektiv als dominierend nachweisbar sei, ist wiederum schwer zu ermitteln: einzelne Beispiele aus meiner Sichtwarte sind da ebenso fragwürdig wie einzelne Gegenbeispiele aus Deiner Sichtwarte.
Der springende Punkt: für mich reiht sich das, was in den USA gerade geschieht, und was Thema dieses Threads ist, völlig nachvollziehbar und wenig überraschend in das ein, was ich an dem tendenziellen Verhalten christlicher Gruppen, so sie denn die dominierende Position in einer Gesellschaft hatten, in der Geschichte wahrgenommen habe. Ich bin nicht erstaunt, dass für so manche Evangelikalen in den USA bestimmte als tolerant, liberal oder sozial interpretierbare Aussagen über Jesus inzwischen nicht mehr zustimmungsfähig sind: diese toleranten liberalen und sozial interpretierbaren Aussagen über Jesus stehen ebenso in der Bibel wie Aussagen, die sich in intoleranter, antiliberaler und unsozialer Weise interpretieren lassen - und Christen suchen sich halt aus der Bibel die Aussagen heraus, die ihren eigenen Auffassungen entsprechen. So gehen Leute praktisch immer vor, wenn sie Texte interpretieren. Umgekehrt tendieren Leute auch dazu, das, was ihren Ansichten widerspricht, zu ignorieren, wenn es aus einer Quelle stammt, die für sie Autorität hat, ja sogar eine Offenbarung bedeutet. Da dieser rezeptionspsychologische Mechanismus für Dich als Christen hinsichtlich der Bibel vielleicht etwas unanschaulich ist, verweise ich auf Mohammed: dem wurde ja vom Erzengel mal dies, mal jenes offenbart. In der Phase seines Lebens, in der er selbst auf der eher schwachen Seite der Macht sich befand, offenbarte ihm dieser Bote Gotte alle möglichen milden, toleranten, liberalen Wahrheiten. Sobald Mohammed aber selbst in die Position des Mächtigen geraten war, wurde das, was er von den göttlichen Offenbarungen so mitkriegte, immer intoleranter, strenger, anti-liberaler (Lesetip hierzu: Hamed Abdel-Samad: "Mohammed - eine Abrechnung"). Diese Art, von den göttlichen Hinweisen immer nur das mitzukriegen, was einem selbst gerade in den Kram passt, haben die Muslime bis heute von ihrem Idol und Siegel der Propheten übernommen: beide, sich ja logisch widerstreitenden "Seiten" sind im Koran zu finden. Aber nicht für diejenigen, die voraussetzen, dass der Koran keine Fehler und inhaltlichen Widersprüche enthalte, da er ja von Gott stamme, und die gleichzeitig ihre ethischen Positionen mit dem Koran zu begründen versuchen.
Gleiches gilt für Bibel und Christen. In der Tendenz... 😀
Ich betrachte die Tendenz, Du womöglich eher die löblichen Ausnahmen, weswegen Du dann zu solchen Reaktionen kommst:
Klar, das war ja auch der Grund, warum evangelische Theologen wie Bonnhöfer hingerichtet wurden, weil sie sich so gut mit den Machthabern verstanden.*
Nun rechnen wir mal kurz nach, wieviele Bonnhöfers da im tausendjährigen Reich auf jeden getauften Christenmenschen kamen und überlegen dann noch einmal, wie sich die Christen in der Tendenz mit Rückgrat dem Regime des östereichischen Obergefreiten entgegenstellten.
Oder den Schergen Francos. Oder...
Auch in den USA wird es gewiß ein paar Evangelikale geben, die mit Trump &Co so ihre ethischen Probleme haben. Aber Thema des Threads ist eine Tendenz, nicht wahr? Und wir wissen nun mal, wie die Evangelikalen und überhaupt die besonders frommen Christen in den USA seit jeher wählten (DeSantis ist übrigens Katholik): strikt rechts-konservativ, nationalistisch (sie nennen's freilich: patriotisch) und anti-emanzipatorisch.
nur solltest du mit der Einschätzung von DeSantis etwas vorsichtiger sein und nicht alles für bare Münze nehmen, was linke Medien so alles hetzen.
Danke für die liebevolle Warnung, denn richtig: ich nehme gewohnheitsmäßig alle linke Hetze für bare Münze, wie sollte es auch bei jemandem anders sein, der doch vermutlich trollt, statt sich ernsthaft mit einem Thema auseinanderzusetzen oder gleich anfängt, Blödsinn zu schreiben...
Wenn du aber der Meinung bist das ein demokratischer Kandidat weniger Machtgeil ist und nicht nur darauf aus ist seine Klientel zu bedienen, dann lebst du im lala Land.
Ja sicher: alle Politiker sind Schweine, weiss doch jeder ausserhalb vom Lalaland!
Das demagogische Dauerfeuer jener, die die Demokratie gefährden (siehe oben meinen Literaturtip), trägt offenkundig Früchte bis weit in die malerischen Alpentäler hinein: da alle Kandidaten eh gleich korrupt und machtgeil sind, isses freilich egal, wer gewählt wird. Wozu überhaupt noch Demokratie?
q.e.d.
*Wenn der Herr Bonnhöfer, in seinem Grabe liegend, (oder in seinem Astralleib durch's himmlische Jerusalem wandelnd?) erführe, wie häufig, ja gewohnheitsmäßig er zwecks pauschaler, gern auch prophylaktischer, Exkulpation anderer noch viele Jahrzehnte nach seiner Hinrichtung herzuhalten hat, beziehungsweise was für eine grandiose posthume Karriere er als role model für all die nachgeborenen kleinen Bonnhöfers im Geiste hinlegte - was er dazu wohl zu sagen hätte? Frag ihn doch mal, wenn Du ihn dann im Jenseits triffst - ich komm ja nicht dazu.
"In der Tendenz..." geb ich dir sogar recht, da nominell die Staatskirchen die Mehrheit der Christen darstellen.
Ob diese Tendenz nun objektiv als dominierend nachweisbar sei, ist wiederum schwer zu ermitteln: einzelne Beispiele aus meiner Sichtwarte sind da ebenso fragwürdig wie einzelne Gegenbeispiele aus Deiner Sichtwarte.
Da mir keinerlei Studie zu dem Thema bekannt ist, müssen wir uns wohl mit Beispielen und Sichtweisen begnügen. Ziel meines Beitrages war, deiner doch sehr einseitigen und zum Teil absolut formulierten Darstellung entgegenzuhalten. Und Falschaussagen auch, als solche zu bezeichnen, da muss ich mich vielleicht für die Wortwahl, aber nicht für den Inhalt rechtfertigen.
Der springende Punkt: für mich reiht sich das, was in den USA gerade geschieht, und was Thema dieses Threads ist,
Weshalb du wohl folgendes geschrieben hast
Was meinst Du hier mit "unseren Kirchen"? Die evangelikalen Gemeinden in Deutschland? Die zwei großen Staatskirchen? In der Tendenz standen die Kirchen - seit das Christentum in der "westlichen Welt" an die Macht kam - stets auf konservativer Seite
Da ich die Schweiz zur westlichen Welt zähle, darf ich wohl Beispiele aus der Schweiz anführen, oder?
Der Fehler, der dir hier unterläuft, ist, dass du die Staatskirchen und die evangelikalen Gemeinden in einen Topf wirfst. Gerade die Beispiele der Menschenfreunde, die du aufgeführt hast, zeigt wie sehr sich diese beiden Gruppen unterscheiden, währen die einen willige Helfer waren, die anderen eher unbeliebt bei den Machthabern und in vielen Fällen verfolgt. Aktuell in China und Russland zu beobachten. Und im Falle von China stimmt dann auch das mit der Tendenz nicht mehr, da tendenziell mehr Menschen in evangelikalen Gemeinden als in den vom Staat kontrollierten Kirchen aktiv sind. Und da es mehr chinesische Christen gibt als es Katholiken gibt, würde dies die Tendenz noch weiter verschieben, aber das gehört ja nicht zum Westen.
Ja sicher: alle Politiker sind Schweine, weiss doch jeder ausserhalb vom Lalaland!
Was ich nicht behauptet habe, ich habe nur von dem demokratischen Kandidaten (der USA) gesprochen. Wollte dich nur darauf hinweisen, da du ja so viel wert auf Formulierungen legst.
ich nehme gewohnheitsmäßig alle linke Hetze für bare Münze, wie sollte es auch bei jemandem anders sein, der doch vermutlich
Das muss ich annehmen aufgrund der Art und Weise wie du DeSantis beschreibst. Aber ich lasse mich gerne belehren, welche rechts gerichtete Berichterstattung der USA konsumierst du denn, um dir ein ausgewogenes Bild zu verschaffen.
Nun rechnen wir mal kurz nach, wieviele Bonnhöfers da im tausendjährigen Reich auf jeden getauften Christenmenschen kamen und überlegen dann noch einmal, wie sich die Christen in der Tendenz mit Rückgrat dem Regime des östereichischen Obergefreiten entgegenstellten.
Das wären dann geschätzte 3700 christliche Geistliche, die bekannt sind. Wo wir dann wieder bei der Unterscheidung der staatlich vereinnahmten Kirche und der evangelikalen Kirche sind.
Nicht jeder der kirchlich getauft ist ein Christ, das kannst du gerne als falscher Schwede Argument abtun. Eine Taufe war noch nie das Entscheidungsmerkmal, ob jemand Christ ist oder nicht. Oder willst du all die bekennenden Atheisten, die als Kind getauft wurden, etwa als Christen bezeichnen. Und da solls doch den einen oder anderen geben.
Du hattest in der christlichen Szene immer einen Dualismus, eine offizielle "Staatskirche" die sich vom Staat vereinnahmen liess, und eine Kirche die sich dem Staat widersetzte.
Genau so. Und gerade, wie Du schriebst, gibt es zu den Freikirchen deutliche Unterschiede. Danke, Du hast gut gekontert und wirkst dabei nicht selbstdarstellerisch. 👍
Hallo Goodfruit
Interessantes Thema, wenn der Artikel inhaltlich korrekt ist, dann erinnert es mich an die Entwicklung des römisch-katholischen Kultes. Dort hat sich ein Teil der christlichen Kirche auch mit dem Staat ins Bett gelegt und fand sich schnell in der Position wieder, Kernthemen umzudeuten, um die neu gefundene Rolle und die Positionen des Staates zu rechtfertigen.
Wenn man sich die Kirchengeschichte anschaut, dann frage ich mich was daran jetzt überraschend sein soll?
Jack ist ja schon recht ausführlich auf diese Strukturen eingegangen, auch wenn Arcangel zu Recht auf diverse Ausnahmen hingewiesen hat. Nur ist es fraglich, inwieweit es ohne die aggressive Politik vor allem der ursprünglichen katholischen Kirche überhaupt noch diese Ausnahmen geben würde... denn ohne Zusammenarbeit mit autoritären Regierungen und Diktaturen hätte sich das Christentum überhaupt nicht derartig verbreiten können. Das fing mit Kaiser Konstantin an und hört bis jetzt nicht auf... Franco hat in Spanien ganz hervorragend mit der katholischen Kirche zusammengearbeitet (Aufklärung gab es da auch nur wenig bislang), gleiches findet man in Südamerika, welches ja ohnehin mit Gewalt christianisiert wurde.
Dass es da hin und wieder auch Leute gab, die es mit dem christlichen Glauben und der Nächstenliebe tatsächlich ernst meinen will ich gar nicht bestreiten. Auch größere Organisationen wie die Protestanten sind ja inzwischen eher links unterwandert, und ich will auch nicht jeder evangelikalen Gemeinde diktatorische Herrschaftsphantasien unterstellen (Obwohl da manches Gemeindemitglied schon davon phantasiert, wie schön es doch wäre, wenn alle Menschen dessen Glauben und Weltbild übernehmen würden...).
Aber es gab und gibt in vielen Kirchen auch den unbedingten Willen zur Macht. Und das funktioniert sehr gut, weil es diese Kirchen erfolgreich macht. Und Erfolg bringt neue Anhänger und Unterstützung.
Deshalb ist da für mich auch nichts verwunderlich...
Jack ist ja schon recht ausführlich auf diese Strukturen eingegangen, auch wenn Arcangel zu Recht auf diverse Ausnahmen hingewiesen hat
Nur ist es keine Ausnahme, sondern ein roter Faden, der sich durch die gesamte Kirchengeschichte gezogen hat und wenn man die Bibel betrachtet bereits bei den Propheten angefangen hat.
Es gab immer ein Establishment, dass sich allem bediente, um an der Macht zu bleiben, und dabei kam ihm die Religion ganz recht, aber es tuts auch jede andere Ideologie oder Weltanschauung, inklusive Aufklärung und Atheismus.
Das Christentum ist seit Beginn weg anti-establisment weshalb es auch immer innerhalb und vor allem aus ausserhalb der Establishment-Kirchen unabhängige und oft auch oppositionelle Bewegungen gab und gibt.
Jede christliche Bewegung, die sich vom Establishment vereinnahmen lässt oder meint, das Establishment umzukrempeln, endet als Teil des Establishments. Beispiele hierfür gibt es genug.
Aktuell passiert ja das Gleiche in den USA, aber auch in Ländern wie Russland oder China. Christentum ist in seinem Kern subversiv. Wann immer eine Kirche seinen subversiven Auftrag aufgibt und sich anpasst, beginnt ein Weg, der von der Orthodoxie wegführt. Dafür gibt es unzählige von Beispielen.
Nur ist es keine Ausnahme, sondern ein roter Faden, der sich durch die gesamte Kirchengeschichte gezogen hat und wenn man die Bibel betrachtet bereits bei den Propheten angefangen hat.
Wenn du damit meinst, dass es wohl zu allen Zeiten immer wieder eine Handvoll Leute gegeben haben mag, die tatsächlich versuchten christliche Ideale wie Vergebung und Nächstenliebe zu leben, dann magst du damit wohl recht haben.
Wenn du meinst, dass es jemals eine christliche Mehrheitsgesellschaft gab, die Jesu Ideale in einem modernen Sinn, also mit Respekt vor dem Leben, Vergebung und Nächstenliebe, tatsächlich umzusetzen versuchte - dann wage ich das doch mal ganz klar zu bestreiten.
Alle großen christlichen Organisationen zumindest bis zur frühen Neuzeit waren darauf ausgelegt, in erster Linie politische Macht und Reichtum anzuhäufen (Bettelmönche und Armutsorden waren auch hier Ausnahmen). Das muss nicht bedeuten, dass die Beteiligten alle verlogen waren, ich denke schon, dass ein Großteil der Verantwortlichen der Meinung war, dass das schon alles gut und richtig sei und Jesus goldene Statuen, Schmuck und sündhaft teure Prunkbauten ganz bestimmt gefallen hätten und ganz in seinem Sinne sind.
Dass es immer wieder einzelne Leute und kleinere Organisationen gab und gibt, die die Sache anders sahen und versuchten, es anders zu machen ist sicherlich richtig. Das gilt auch für Einzelpersonen innerhalb dieser machthungrigen Organisationen... aber die sind halt dennoch ein Teil im Getriebe der großen Maschinerie, der es in erster Linie um Macht und Einfluss geht.
Wenn du meinst, dass es jemals eine christliche Mehrheitsgesellschaft gab, die Jesu Ideale in einem modernen Sinn, also mit Respekt vor dem Leben, Vergebung und Nächstenliebe, tatsächlich umzusetzen versuchte - dann wage ich das doch mal ganz klar zu bestreiten.
Da hast du recht, sowas gab es nie und wird es auch nie geben.
Nur waren es über die Jahrhunderte hinweg nicht einfach nur ein paar handvoll hier und da, sondern signifikante Grössen. Gross genug, um für die Mächtigen zur Gefahr zu werden.
Da hast du recht, sowas gab es nie und wird es auch nie geben.
Nur waren es über die Jahrhunderte hinweg nicht einfach nur ein paar handvoll hier und da, sondern signifikante Grössen. Gross genug, um für die Mächtigen zur Gefahr zu werden.
Ja, gelegentlich tauchte mal jemand auf, der die Mächtigen daran zu erinnern versuchte, dass Jesus das doch vielleicht ganz anders gemeint haben könnte... oder die auch selbst gerne mehr Macht und Einfluss gehabt hätten.
Diese Leute wurden dann meistens ganz schnell beseitigt, wenn sie nicht zufällig wie Luther über mächtige Verbündete verfügten...
Ja, ständig (korrektur von mir) tauchte mal jemand auf, der die Mächtigen daran zu erinnern versuchte, dass Jesus das doch vielleicht ganz anders gemeint haben könnte
Diese Leute wurden dann meistens ganz schnell beseitigt, wenn sie nicht zufällig wie Luther über mächtige Verbündete verfügten...
Veröffentlicht von: @arcangelEs gibt wohl genauso viele Christen und christliche Organisationen, die sich links Positionieren wie es derer gibt,
Für die christlichen Organisationen hätte ich da gern einen, auf Deutschland bezogenen, Beleg...
Veröffentlicht von: @arcangelAls Schweizer kann und will ich das ehrlich gesagt gar nicht.
Also weichst Du aus...
Weißt Du ich bekomme das immer wieder zu hören/lesen, "Wir Christen sind doch gar nicht rechts!", aber wenn es an das Belegen dieser Aussage geht, bricht das große Schweigen aus...
Morgen soll es Schnee geben, und in China ist ein Sack Reis umgefallen.
Veröffentlicht von: @jack-blackWas meinst Du hier mit "unseren Kirchen"? Die evangelikalen Gemeinden in Deutschland? Die zwei großen Staatskirchen? In der Tendenz standen die Kirchen - seit das Christentum in der "westlichen Welt" an die Macht kam - stets auf konservativer Seite und damit stets auch strikten, also erbarmungslosen Law&Order-Positionen nahe. Keine große Überraschung, immerhin beruht das gesamte christlich-ethische Konzept auf der Autoritätshörigkeit. Wahlweise gelten eben Jesus, Gott, der Heilige Geist oder die Bibel als Autorität, der sich alles andere unterzuordnen habe. Jesus/Gott wird immer wieder als König dargestellt oder als patriarchale Autorität, der man sich unterzuordnen habe und deren Verdikte man zu akzeptieren habe, selbst wenn man sie/ihren Sinn nicht versteht.
Auch wenn du hier stark vereinfachst und polemisierst, so muss ich der Grundtendenz deiner Aussage zustimmen.
In den meisten Ländern, die wir heute als "christlich geprägt" ansehen, also in Europa, Nordamerika, Russland, und teilweise Südamerika sind die christlichen Denominationen durch patriarchale Autorität und konservative Haltung geprägt.
Dass es auch (und gerade) in vielen dieser Länder Christen gibt, die eine ganz andere Haltung einnehmen (z.B. Befreiungstheologie), sollte aber ebenso wenig übersehen werden wie Gemeinden in Ländern, wo Christen eine Minderheit bilden und teilweise verfolgt werden.
Mit "konservative Haltung" meine ich aber nicht nur "die Kirchen" bzw. deren hierarchisch aufgebaute Führungsstruktur, sondern eigentlich noch viel mehr die einzelnen Christen. Schauen wir uns doch einfach mal in Deutschland um. Ich denke, dass der Großteil der heutigen Gottesdienstbesucher und Kirchensteuerzahler dem sogenannten "gutbürgerlichen Mittelstand" zuzurechnen ist. Und bei den Freikirchen dürfte es nicht viel anders aussehen. Und damit sind wir beim Kern der Sache angekommen:
der solide Mittelstand hat sich meistens finanziell etwas "erarbeitet", vielleicht auch etwas geerbt, verfügt also über Werte und ein (mehr oder weniger) gesichertes Einkommen und hat bei politischen und gesellschaftlichen Veränderungen möglicherweise etwas zu verlieren. Also ist das Beharrungsvermögen entsprechend hoch - man darf dies auch als "konservative Haltung" bezeichnen.
Kommen dann auch noch Machtstreben wie auch drohender Machtverlust oder politische und wirtschaftliche Unsicherheiten hinzu, dann kann diese konservative Haltung schnell zu einer reaktionären Einstellung übergehen. Und spätestens dann ist man nicht mehr weit davon entfernt, Teile der Bibel umzudeuten, zu vernachlässigen oder ganz wegzulassen.
Bei manchen (mächtigen) war das schon immer offen erkennbar, z.B. bei Päpsten und Gegenpäpsten, bei den Bischöfen und Kirchenfürsten im Mittelalter und nicht zuletzt beim Reichsbischof Müller der "Deutschen Christen" im 3. Reich.
Nicht so deutlich und offensiv, aber unterschwellig genauso vorhanden war (und ist) diese Grundhaltung aber bei den meisten ihrer Anhänger, bei scheinbar "guten Christen" des "Kirchenvolks" und in den letzten Jahren ganz deutlich erkennbar bei vielen Freikirchen (besonders in den USA).
Vielleicht bleibt die ernüchternde Feststellung:
Immer, wenn eine Bewegung stark und dominierend wird und dadurch in ungewisser Zukunft etwas zu verlieren hat, neigt sie zu bewahrender (konservativer) und im schlimmsten Fall reaktionärer Haltung mit allen negativen Folgen für ihre Mitglieder - und erst recht für Außenstehende.
Konkret auf das Christentum bezogen bedeutet das aber auch, dass diese Menschen die Botschaft Jesu entweder nicht verstanden haben - oder nicht verstehen wollen und lediglich zu ihrem Vorteil passende Teile daraus zum eigenen Nutzen anwenden.
@bepe0905 Auch wenn du hier stark vereinfachst und polemisierst, so muss ich der Grundtendenz deiner Aussage zustimmen.
Danke! Das mit der Vereinfachung verstehe ich - aber wer würde denn hier bitteschön stets abwägend alle Aspekte nebeneinander präsentieren? Das mit dem Polemisieren akzeptiere ich, ohne es zu verstehen. Jedenfalls aber danke ich Dir, dass Du über dies beides hinwegzublicken Dir die Mühe gemacht hast!
Dass es auch (und gerade) in vielen dieser Länder Christen gibt, die eine ganz andere Haltung einnehmen (z.B. Befreiungstheologie), sollte aber ebenso wenig übersehen werden wie Gemeinden in Ländern, wo Christen eine Minderheit bilden und teilweise verfolgt werden.
Es ging mir nicht darum, die Für's und Widers irgendwie "fair allen gegenüber" abzuwägen. Ja, es gab (gibt? Man hört so wenig von ihr...) die Befreiungstheologie seitens einiger engagierter Christen in Südamerika, allerdings bekämpft - hier mal eine wohl eher der linken Hetze unverdächtige Quelle - unter anderem durch den inzwischen selig (oder gar schon heilig? Ich komm da manchmal nicht so ganz mit) gesprochenen Papst Johannes Paul II, also von allerhöchster Stelle. Und ja: da, wo die Christen in der Minderheit sind, leisten sie sich eine "Moral von unten" (oben hatte ich in meiner Antwort an Arcangel am Beispiel des Islam ausgeführt, dass dies zur üblichen Strategie von Ideologievertretern gehört): so eine Moral gereicht ihnen ja in der Situation auch selbst zum Vorteil.
Aber in den USA sind sie nicht in der Minderheit. Dort bilden sie die tonangebende Mehrheit und z.B. ein bekennender Atheist bleibt dort ählich wahrscheinlich wie ein rosa Einhorn im Oval Office. Und um die USA geht es hier im Thread - und inwiefern die Entwicklung, welche die Christen dort nehmen, übertragbar ist auf andere Weltregionen. Wir müssen also nach mehrheitlich christlichen oder zumindest kulturchristlich dominierten Ländern suchen und dort schauen, wie sich die ihrem Selbstverständnis gemäß besonders frommen/echten/wahren Christen politisch dort entwickeln.
Dabei muß zuerst bedacht werden, dass wir in den USA derzeit einen Demokraten im Oval Office haben, dass also eine Mehrheit, die ihrerseits vermutlich wieder mehrheitlich aus Christen bestand, nicht für den Kandidaten der Republikaner gestimmt hat. Und viele von denen werden vermutlich von sich sagen, dass sie "christliche" Motive für diese Wahl hatten.
Aber es gibt nun mal eine Tendenz, dass besonders fromme (siehe oben: ihrem Selbstverständnis gemäß) christliche Wähler weit überdurchschnittlich für die Republikaner votieren, eine Partei, die in meinen Augen inzwischen klar für einen rassistischen und reaktionär-antidemokratischen Kurs steht.
Nun muss man halt schauen: ist das eine us-amerikanische Sondersituation, oder ist diese Tendenz in anderen westlich-demokratischen Staaten ebenfalls zu beobachten? Wenn nich mich so in Europa umschaue, dann tendieren Parteien/Bewegungen, die für besonders anti-liberale Positionen stehen, entweder dazu, besonder christlich zu sein, oder sich zumindest so darzustellen, freilich gern in der national-christlichen Variante, welche im kreuzzüglerischen Gestus "das christliche Abendland" zu verteidigen vorgibt.
Das hat mit nachvollziehbarer, auch in meinen Augen legitimer, bürgerlich-konservativer Motivation (so, wie's ist, ist es gut, lasst es uns doch möglichst so bewahren!) wenig, mit xenophobem Beißreflex hingegen viel zu tun: "Die anderen sind anders als wir, also müssen die doof sein, vermutlich sogar gefährlich. Die wollen wir hier nicht und deswegen: XYZ!"
Immer, wenn eine Bewegung stark und dominierend wird und dadurch in ungewisser Zukunft etwas zu verlieren hat, neigt sie zu bewahrender (konservativer) und im schlimmsten Fall reaktionärer Haltung mit allen negativen Folgen für ihre Mitglieder - und erst recht für Außenstehende.
Ich würde es nicht so formulieren, stimme aber dennoch ungefähr zu. 😉 Allerdings muss hier eben zwischen "Bewegung" und "Gesellschaft" m.A.n. unterschieden werden.
Die christliche "Bewegung" mag irgendwann in den ersten ein- oder zweihundert Jahren n.Chr. eine tatsächliche Bewegung gewesen ein: eine Bewegung weg von unten, den kleinen, unterprivilegierten Wurzeln, hin nach oben an die Führungsposition der aller Kritik enthobenen Macht. Sie wurde stark und dominierend - und dann war sie etabliert. Womit die Bewegung (von --> nach) endete: aus ihr wurde Staatsdoktrin. Welche dann in der Gesellschaft, bzw. über sie herrschte. Ich möchte diesen Unterschied machen, um zu vermeiden, dass wir so tun, als wäre die evangelikale Bewegung, wie wir sie in den USA seit einem guten Jahrhundert sehen, zu verwechseln mit dem etablierten Christentum*.
Du hast anfangs ein deutsches Mittelschichts-Christentum skizziert, dessen Mitglieder in den Gottesdiensten säßen. Diese Mittelschicht (Mehrheitsgesellschaft) hat was zu verlieren und möchte das nicht - weswegen sie in der Tendenz zu konservativen Positionen neigt. Ich musste da an einen Spruch denken, den ich (auf dem flachen Lande lebend mitten in der norddeutschen Walachei) schon als Jugendlicher vor über 40 Jahren aufschnappte: "Hat der Bauer Haus und Kuh, wählt er eben CDU!" Damit war für mich das Wesen des Konservatismus auf den Punkt gebracht.
Alle hier auf'm Dorf waren Christen und aus eben diesem Grund, weil es normal war, ging dann auch ich in den Konfirmandenunterricht. So machte man das eben und hey - die Welt war so ziemlich heile, die SPD, die Fragen von Industriearbeit und Gewerkschaften - das waren alles Sachen von weit weg in irgendwelchen Städten und Ballungsgebieten. In denen gab's dann auch die RAF und wer wollte schon solches langhaarige kriminelle Gesocks? An die Wand mit denen, dann ist wieder Ruhe...
Aber diese Art Konservatismus gibt's heute nicht mehr in sonderlich ausgepräger Form, weil, Du sagst es ja: ungewisse Zukunft ist heute überall. Diese Art echter Mittelschicht-Konservatismus war aber - so meine Meinung - ohnehin nur eine rare Blüte, die in dem speziellen Biotop "Nachkriegsära" in einigen privilegierten Gegenden der Welt sprießen konnte: jenen Gegenden, denen es unverdient gut ging, die, per Ausbeutung anderer Weltregionen, für ein paar Jahrzehnte prassen konnten in Frieden und Wohlstand. Ihr geistiges, wenngleich vielleicht für eine Weile nur im Unterbewußtsein schlummerndes, Erbe indes war immer noch das christliche Weltbild einer gottgegebenen Ordnung: Oben und unten, Gott und sündiger Mensch, König, Adel und Plebs. Die idyllischen Gefilde des "christlich-konservativen Bürgertums", die Bilder von der "guten alten Zeit" waren eigentlich nichts als die Reminiszenzen der Mächtigen - wie sie eben sich in der Kultur erhalten hatten, welche die Kultur der Mächtigen war. Gedichtet, geschrieben, gemalt und gebildet wurde ja doch immer nur für diese kleine Schicht, deren goldenes Leben auf einer nicht-demokratisch verfassten Gesellschaft fußte.
Die guten alten Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war: es gab sie nur für eine kleine Oberschicht. Die in einer Zeit an der Macht war, in welcher Christ-Sein den default-modus bedeutete. Das wird heute von vielen Christen hierzulande erfolgreich verdrängt: dass die Kirchen als Sachwalter des Christlichen über Jahrhunderte auf Seiten der (wenigen) Mächtigen standen, erfolgreich mit ihnen kooperierten. Und zwar weil die christliche Lehre nun mal so gut zu so einer ständischen, nicht demokratischen und schon erst recht nicht sozialistischen Welt paßt.
Ist doch logisch: hätte die christliche Religion nicht so gut zu der letztlich sehr ungerechten Gesellschaftsordnung gepaßt, hätte sie nicht über weit mehr als 1500 Jahre blühen können: Sie enthielt alle ideologischen Ingredenzien, um die objektiv ungerechten Zustände (wer mir erzählen will, das Leibeigenschaftssystem oder die Sklavenhaltung seien gerecht gewesen, mit dem rede ich nicht) als gerecht zu legitimieren: alle Obrigkeit ist von Gott eingesetzt, gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.
Dementsprechend ist die christliche Ideologie im Kern antidemokratisch (für mich ist das Töpfer-Gleichnis dafür das stärkste, weil brutalste Bild, und die Darstellung Gottes, also des Ideals schlechthin, als unfehlbarer König und Herrscher über die Menschen hat ja wohl mit demokratischen Idealen auch null zu tun ). Woran auch der Umstand, dass hie und da sich Christen oder sogar ausgewiesene Theologen für demokratische Neuerungen stark machten, wenig ändert: in Gesellschaften, in denen 95 Prozent Christen und die restlichen 5 Prozent Juden (also den gleichen Herrscher-Gott verehrend) waren, und in denen die christlichen Eliten eben auch privilegierten Bildungs-Zugang hatten, hätte es ein veritables Wunder bedeutet, wenn da plötzlich aus dem Nirgendwo Nichtchristen aufgetaucht wären, um den wind of change anzublasen. Selbstverständlich waren es da dann auch Christen, welche die emanzipatorischen Bewegungen initiierten (Archangel bringt dafür oben mehrere Beispiele) - wer hätte es denn sonst tun können? Ändert aber nix daran, dass die Verhältnisse, die da als veränderungsbedürftig sich erwiesen, lange, sehr lange auf christlichem Acker prosperiert hatten.
Also: konservativ zu sein bedeutete über viele, viele Jahrhunderte hinweg, die ungerechten Standesverhältnisse bewahrt sehen zu wollen, die im christlichen Abendland nun mal herrschten.
Konservativ in den USA zu sein, bedeutete entsprechend, dass man für die Bewahrung der gottgewollten Rassentrennung war, wie sie in den verklärenden Erzählungen aus den Südstaaten a la "vom Winde verweht" bis heute tradiert wird: in der guten alten Zeit sangen die Nigger mit ihren lustig rollenden Augen fröhlich auf den Baumwollfeldern - und ja, sie angen christliche Lieder (davon, dass die Leibeigenen Bauern während ihres Frohndienstes auf dem mittelalterlichen Dinkelfeld die Internationale geschmettert hätten, wird seltsamerweise auch nicht berichtet, also entweder sangen die gar nicht, oder auch das christliche Lied). Entsprechend hat der "konservative" Herr DeSantis kraft seines Amtes dafür gesorgt, dass ab sofort in den Schulen Floridas unterrichtet werden muss, dass doch schließlich nicht alles für die Negersklaven damals schlecht war...
Das ist der ursprüngliche Boden des Konservatismus: er will etwas bewahren, das im historischen Regelfall für wenige Glück, für viele dagen Unglück bedeutete: die gute alte Zeit. Nachvollziehbar. Aus Perspektive der Wenigen.
Nun werden diese Erzählungen von der guten alten Zeit allerdings - das ist Märchen so eigen - ihrer tatsächlichen historischen Bedingungen entkleidet. Sodass jeder sich mit der Prinzessin auf der Erbse oder mit dem tapferen Schneiderlein, dass zum König aufsteigt, identifizieren kann und keine Veranlassung hat, sich solidarisch mit den Pferdeknechten des Prinzen, oder all den schmutzigen Köhlern, die keine Goldene Gans oder Wunschfee im Wald finden, zu fühlen. Es wird so getan, als wären die wenigen "Goldenen" Jahrzehnte, in denen sowohl in den christlichen USA als auch im christlichen Europa ein großer, ja sogar der Mehrheitsanteil der Bevölkerung am Luxus und Wohlleben partizipierten, die gottgewollte Normalität statt der zeitlich befristeten Ausnahme gewesen.
In jener Zeit, in der es vielen, ja eigentlich fast allen gut ging, die innergesellschaftlichen Konflikte für die individuellen Kirchgänger kaum existentielle Relevanz hatten, konnte dann in der Sonntagspredigt auch gern mal in das liberalere, tolerantere, weltumspannend versöhnerische Horn gestoßen werden. Wer genug zum Teilen mit seinen Nächsten (allerdings wirklich nur mit ihnen, nicht mit denen, die da unten in Afrika wohnen) hat, für den wird die Religion als Instrument der identitätsmäßigen Distinktion nicht gebraucht: wenn alle, mit denen man gemeinsam im Gottesdienst sitzt, der Aufforderung, den Armen zu geben, so unengagiert nachkommen wie man selbst, dann kann man dieser Aufforderung, weil die sich doch schon irgendwie richtig und gut anhört, leicht kopfnickend zustimmen: es verpflichtet zu wenig. Dann kann man im Chor singen: "Wir glauben an den barmherzigen Gott der Feindesliebe, der Vergebung, der Solidarität mit den Armen und Entrechteten." Tönt doch erfreulich und kostet nix. Dann kann man sich gut darin fühlen, so einen Gott anzubeten und sich der "Rettung durch den Glauben" von irgendwelchen Sünden, die man insgeheim gar nicht so sehr bereut, wie es der Ordnung halber doch eigentlich der Fall sein sollte, erfreuen. Und warum sollten da die Gemeindeältesten, die Leiter und Pastoren und Festangestellten allzu großen Streß machen mit allzu penetranten Hinweisen auf dräuende und daher tunlichst zu vermeidende Höllenqualen und Feuerseebäder? Alle Anwesenden gehörten doch mit dazu, kein Grund, großartig auf irgendetwas Trennendes hinzuweisen, irgendwelche Ungläubigen zu verfluchen oder sonstwie den Stimmungskiller zu mimen. Die anderen, von denen sich positiv unterscheiden zu können wichtig wäre, um bessere Legitimation dafür zu haben, gegen sie zu agieren, waren für eine kurze Weile weit, weit entfernt, vorkommend höchstens in den letzten zwei Minuten Tagesschau vor dem Wetterbericht.
Diese Zeiten sind wohl so langsam vorbei. Etwas bewahren wollen (konservativ zu sein), das einem überhaupt niemand so recht streitig macht - das ist eine gemütliche Angelegenheit, da kann man sich gutmütig geben und Kirchenlieder in Dur singen.
Aber nun, wo die Verteilungskämpfe sich von fernen Südgestaden her wieder näher an uns heranverlagern, da kommt die Ursprungsnatur des Konservatismus erneuert hervor: die Reichen und Mächtigen (zu denen der Klerus traditionell gehört) wollen bewahren: ihre Privilegien. Und die religiösen Dienstleistungsinstitutionen aka Kirchen können sich entscheiden: bleiben sie weiter auf sozialliberalem Kuschelkurs, oder entsinnen sie sich wieder ihrer einstigen Distinktions-Funktion: dem Plebs zu zeigen, wo er gefälligst den Feind stehen sehen soll?!
In den USA stellt sich diese Frage für die Kirchen insofern drängender als hierzulande, weil das kirchliche Geschäftsmodell drüben ein Privatbusiness ist: der Rubel muss rollen, sonst wären die Gottesdienstvorbereitungsaufwendungen ja ein Zuschussgeschäft, zumal kein staatlich eingetriebener Zehnt unter der predigenden Belegschaft verteilt wird.
Da muss also die Glaubenskundschaft in die Veranstaltungen strömen, da dürfen nicht viele Bänke leer bleiben. Kundschaft aber kriegt man in's Haus, indem man ihr gibt, was sie nachfragt: eine Bestätigung, dass sie gut ist, so, wie sie ist - und auf jeden Fall besser als die anderen. Mit "liebe Deine Feinde!" und "gib alles den Armen und folge mir!" kriegt man sie nicht. Schon erst recht nicht dazu, tüchtig was in die Kollekte zu werfen. "Liebe Deinen Nächsten!" - das versteht sie noch, das ergibt Sinn. Aber eben auch im Wortsinne... Und der da vorne auf der Kanzel sollte es tunlichst so hinbekommen, dass er selbst als zu diesen Nächsten gehörig betrachtet wird.
Und so kommt es halt, dass die christlichen Institutionen in den USA, gerade bei den Evangelikalen, unter denen einer, der predigen und also ein eigenes Kirchengeschäft aufziehen will, nicht notwendigerweise lange Jahre an einer als qualitativ hinlänglich ausgewiesenen staatlichen Fakultät studiert haben braucht, weil tiefergehende theologische Kenntnisse für das Tagesgeschäft nicht allzu nötig sind, auf das setzen, was Kundenbindung schafft: Botschaften, die den Leuten vor allem deutlich machen, wo sie hingehören und wer die anderen sind, die nicht dazugehören. Deswegen läßt sich, wenn man mal überlegt, worin die Positionen der us-amerikanischen Evangelikalen bestehen, leichter sagen, wogegen, als wofür sie sind. Sie sind gegen Abtreibung, gegen Homoehen, gegen das Ostküsten-Establishment, gegen den Kommunismus (oder meinetwegen auch Sozialismus - mit Differenzierung haben sie's eh nicht so) und gegen Zuwanderer. Eigentlich sind sie auch mehrheitlich gegen Nigger und geschlechtliche Gleichstellung und ein bißchen auch gegen die Juden, aber das dürfen sie ja noch nicht wieder so offen sagen. Bis es soweit ist, dass sie's wieder sagen dürfen, bis also die Träume der Dominionisten realisiert sind, begnügt man sich mit Ersatzzielen: bis dahin ist man eben gegen linke Naturschutzmaßnahmen, gegen verpflichtende Krankenversicherung, gegen Förderquoten für Angehörige von Minderheiten und gegen die Verschleuderung von Steuermitteln an alleinerziehende Mütter. Das alles läßt sich schön als "konservativ" verkaufen, denn immerhin gab's in der guten alten Zeit auch keine staatliche Krankenversicherung, keinen Umweltschutz und schon erst recht keine alleinerziehenden Mütter. Und zur Minderheit gehörte gar niemand, der was auf sich hielt - oder schaffte es, wie einem ordentlichen Amerikaner selbstverständlich, schließlich auch aus eigener Kraft, ganz ohne sozialistischen Teufelskram, nach oben.
Da hinein, in diese soziokulturelle Welt, müssen viele** christliche Kirchen heute sprechen, und wenn sie nicht den richtigen Ton treffen und die harten Realitäten verkennen, dann sortiert sie der Markt halt irgendwann aus.
Entsprechend greifen sie auf die passenden Instrumente in ihrem Weltanschauungskoffer zurück: Instrumente, die seit 2000 Jahren in der Bibel schlummern und dort die unterschiedlichsten Konjunkturen überwinterten. Und unpassende Instrumente werden wieder zurück in den Koffer gelegt: wer weiß, vielleicht kommen auch wieder andere Zeiten, zu welchen Feindes- und Fremdenliebe, Solidarität und Caritas wieder höher im Kurs stehen. Der gute Handwerker ist auf alles vorbereitet.
* Nun ließe sich einwenden, das einst hierzulande etablierte Christentum habe sich von der beherrschenden Position in der Gesellschaft in den vergangenen ein- oder zweihundert Jahren wieder auf eine andere Position zurückbewegt und so könne man da ja auch von einer Bewegung sprechen. Ich würde hier dann aber doch eher von Machterosion statt von Bewegung sprechen, zumindest ging diese Positionsänderung ja wohl eher auf Druck und Antrieb von aussen, statt von innen vor. Jedenfalls käme ich auch nicht auf den Gedanken, angesichts der stetig zunehmenden Kirchenaustritte von einer Bewegung im üblichen Sinne zu reden.
**Nochmal: diese Welt macht in den USA momentan nur ungefähr die halbe echte Welt aus. Aber diese Hälfte ist halt Threadthema...