Benachrichtigungen
Alles löschen

Heute vor 30 Jahren

Seite 1 / 2

Irrwisch
Themenstarter
Beiträge : 3477

Heute Nacht haben wir in SWR3 den Film

" Bornholmer Strasse " gesehen.

Ein für mich überaus gut gemachter Film über die Öffnung des ersten Grenzübergangs, nachdem zuvor Schabowski vor laufenden Kameras erklärt hatte, die Grenze sei ab sofort offen für jeden Bürger der DDR.

Diese Erklärung habe ich ziemlich ungläubig und fast nicht fassbar in den 19 Uhr Nachrichten im Fernsehen gesehen.

Ich weiß noch genau, wo ich saß und wie ungläubig ich diese Worte damals meiner Familie mitgeteilt habe.

Heute Nacht sind in mir wieder viele Bilder, Erleben und Gefühle aus den damaligen Geschehnissen aufgetaucht.

Geschehnisse, die nach wie vor für mich immer noch in ihrem friedlichen Ablauf ein Wunder sind.

In diesem Thread möchte ich euch alle dazu einladen, einmal Rückschau zu halten und zu teilen, wie ihr die Grenzöffnung und die Zeit drumherum damals erlebt habt.

Seid herzlich gegrüßt
Inge

Antwort
29 Antworten
Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0

... war Reichsprogromnacht.

Das soll diesen Erinnerungsthread nicht schmälern, ich wollte es nur auch genannt haben.

So ist das Datum für mich immer mit einem sehr traurigen und einem freudigen Ereignis verbunden.

Anonymous antworten
5 Antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0

Da hast du recht.

Ich glaube aber, dass dieses Jahr 1989 im Vordergrund steht, weil wir 30. Jahrestag haben.

und ich glaube auch, dass nicht einmal die Opfer der Reichspogromnacht uns daran hindern wollen würden, uns heute vor allem des 9.11.89 zu erinnern und uns zu freuen.

Übrigens ist der 9.11. auch noch in 2 anderen Jahren ein deutscher Schicksalstag gewesen. ich bin nur so schlecht in Geschichte, dass ich die Daten nicht weiß. Vielleicht kann jemand helfen?

Anonymous antworten
Irrwisch
(@irrwisch)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 3477

https://de.wikipedia.org/wiki/9._November_(Deutschland)

irrwisch antworten
Irrwisch
(@irrwisch)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 3477
Veröffentlicht von: @enajelpram

Das soll diesen Erinnerungsthread nicht schmälern, ich wollte es nur auch genannt haben.

Danke daür.
Auch dieses Ereignis an diesem Tag ist mir durchaus bewusst

Da ich gerne eigene Erleben speziell zur Grenzöffnung wollte und eigene Erleben zur Reichsporomnacht eher nicht für mich vorstellbar sind, hatte ich dies bei der Threaderöffnung ausgeklammert

irrwisch antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0

Letztendlich scheint
der 9.11 so eine Art deutscher Schicksalstag zu sein

9.11.1848 Hinrichtung von Robert Bosch ( nach der gescheiterten Revolution)
9.11.1918 Ausrufung der Weimarer Republik
9.11. puhhh 23 ? Hitlers Putschversuch
9.11.38.. Pogromnacht

Nachtrag vom 09.11.2019 1337
9.11... weiss ich garnicht mehr was ich gemacht hab
Ja.. von der Pressekonferenz hatt ich noch was mirbekommen.
*Mein* Datum bleibt der 30.9.. Prager Botschaft..
Da war ich gut ne Woche in einem Auffanglager Sani, mit ein paar
*das erste mal* Erlebnissen

Anonymous antworten
Orangsaya
(@orangsaya)
Beigetreten : Vor 7 Jahren

Beiträge : 2984

9.11... weiss ich garnicht mehr was ich gemacht hab
Ja.. von der Pressekonferenz hatt ich noch was mirbekommen.
*Mein* Datum bleibt der 30.9.. Prager Botschaft..

Hast du die auch gesehen. Kohl war in Polen zu Besuch und es wurde eine provisorische Pressekonferenz gemacht. Kohl war peinlich albern, bis klein zu ihm flüsterte: "Dieses Interview ist live."😇 Ich dachte mir, wie es bei Staatsbesuchen wohl hinter den Kulissen ist?

Prag ist für mich auch ein Einschnitt und hier haben wir viel einer Person zu verdanken. Es ist Schewardnaze. Der fragte Genscher, ob Kinder in der Botschaft sind. Als es bejaht wurde, hatte er die sowjetischen Muskeln spielen lassen. Ihm haben wir viel zu verdanken.

orangsaya antworten


Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0

Um 6:00 uhr morgens, am 10.11.89
weckte mich meine Schwester. Wir wohnten zusammen in einer Wohnung in Leipzig und studierten beide da.

Sie weckte mich mit den Worten:
"B., das glaubst du nicht! Da sitzen Leute auf der Berliner Mauer und trinken Sekt!" Das mit einem Gesichtsausdruck, als wenn sie es selbser nicht glaubt.

Meine Antwort: "Du spinnst, kann nicht sein..." usw.

Dann haben wir das Radio angemacht - es gab kein anderes Thema.

Dann haben wir uns umarmt, ganz ganz fest, und sind durch die ganze Wohnung getanzt! und haben gejubelt und gelacht

Dann bin ich in die Uni und hab ein Seminar mitgemacht. Anschließend haben wir mit Kommilitonen einen Kaffee in der Mensa getrunken, uns alle angeguckt und gesagt: Sind wir bekloppt? Was machen wir hier? Wir müssen nach Berlin!

Dann sind wir zur Polizei und haben uns als brave gelernte DDR-Bürger den Stempel im Ausweis geholt (leider hab ich den Ausweis später verloren). und ca. um 19:00 Uhr stand ich an der Berliner Mauer. Und wurde von einem Bayern auf ein Bier eingelade, zusammen mit meinem damaligen Freund, der dabei war. Wir haben uns lange unterhalten, in einer westdeutschen Kneipe. Später in der Nacht habe ich noch meine beiden Westberliner Cousins getroffen, die ich inzwischen anrufen konnte (Handys gabs nicht, ebensowenig wie auch nur eine einzige freie Telefonzelle in ganz Berlin...)

am nächsten Tag haben mich die beiden Cousins ihrer Oma vorgestellt, die sie großgezogen hat. Toll, dass ich die damals noch kennenlernen durfte. Dann haben sie mir noch das Olympiastadion gezeigt.

Ich weiß nur noch, dass ich am meisten erstaunt darüber war, dass Westberlin genau die gleichen Bürgersteige aus Granitplatten hat wie der gesamte Osten und dass es Straßenzüge gab, die ähnlich verfallen waren wie die Ostberliner.

Mein Gedanke war: "Das ist ja völlig irre - sieht genau so aus wie bei uns. Warum durften wir uns das denn die ganze Zeit nicht anschauen??"

Das war mein 10. und 11.11.89.

Anonymous antworten
2 Antworten
Irrwisch
(@irrwisch)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 3477

Guten Morgen, Polyglott

Es berührt mich, Erleben von Menschen zu lesen, die in der DDR gelebt haben. Ich war ja auch " der anderen Seite"

Danke für deine Geschichte.

Liebe Grüße
Inge

irrwisch antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0

Danke dir, liebe Inge.

Wenn ich ein bisschen das Gefühl rüberbringen konnte, freut mich das.

Wir haben damals wirklich ein Wunder erlebt.

Wenn mich also mal wieder jemand fragt, ob es Wunder gibt: Ich habe mindestes eins gesehen.

Übrigens ist es für mich auch umgekehrt sehr interessant, wie Menschen in Westdeutschland, die keinen Bezug in die DDR hatten, die Revolution von 89 und den Mauerfall erlebt haben.

Bei all den vielen Beiträgen zum Thema dieses Jahr hätte ich auch sehr sehr gern mal einen größeren Artikel oder Interviews mit solchen Menschen aus dem Westen gelesen.

Ich hoffe also, dass sich da noch ein paar zu Wort melden.

Denn, ich meine, wir DDR-Bürger waren zwar in erster Linie betroffen, aber wir haben nicht das Monopol darauf, etwas zu den Ereignissen von 1989 und 1990 sagen zu dürfen. Ganz im Gegenteil, ich meine, je mehr wir einander gegenseitig erzählen, desto mehr werden wir verstehen, was den jeweils anderen Landesteil bzw. große Gruppen davon, wirklich beschäftigt hat und beschäftigt. (Ich habe nämlich z.B. auch wenig Ahnung z.B. von RAF und auch nicht wirklich einen emotionalen Bezug. Zur Friedensbewegung und den Ostermärschen schon viel mehr, da die Friedensbewegung ja auch nach Ostdeutschland, da vor allem in kirchliche Kreise, geschwappt ist, bzw. dort auch stattfand, sofern sie nicht durch die Staatsmacht daran gehindert wurde. Eine sehr interessant Gruppierung waren übrigens die "Frauen für den Frieden", die es in Ost und West gab. Im Osten vor allem deswegen, weil es Pläne gab, die Frauen in den Armeedienst einzubeziehen. Daher wurden die ostdeutschen "Frauen für den Frieden" natürlich als potentielle Staatsfeinde bespitzelt und auch verfolgt/ behindert.)

Anonymous antworten
Suzanne62
Beiträge : 7672

Von Oktober 89 bis Ende März 90 war ich im Auslandssemester in Granada. An dem Abend habe ich mit Freunden eine "ruta de tapas" (eine Kneipentour) gemacht.
Als ich nach Hause (ich wohnte in einer internationalen Studenten-WG) kam, lief im Wohnzimmer der Fernseher.
"Canal Sur" (ein privater Lokalsender für Andalusien) hatte sein gesamtes Programm umgeschmissen und berichtete ununterbrochen aus Berlin....ich starrte ungläubig auf die Bilder mit den feiernden und singenden Menschen an und auf der Mauer und konnte es nicht recht glauben.
Es war ja in den letzten Tagen auch in den spanischen Medien immer wieder über die Ereignisse in der DDR berichtet worden - die Angst vor einer "chinesischen Lösung" stand im Raum und war mit Händen greifbar.
Dafür, dass es dann so und nicht anders gekommen ist, bin ich bis heute zutiefst dankbar, auch wenn ich über die aktuelle politische Entwicklung nicht besonders glücklich bin.

suzanne62 antworten
1 Antwort
Irrwisch
(@irrwisch)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 3477

Guten Morgen, Susanne

Auch dein Bericht hat mir viel zu sagen.
Denn mir war bisher nicht bewusst, wie umfangreich dieses Wunder auch in anderen Ländern dazu geführt hat, das ganze Programm umzuschmeissen.

Es ist und bleibt ein ganz großes Ereignis in meinem Leben.

Liebe Grüße
Inge

irrwisch antworten


Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0
Veröffentlicht von: @irrwisch

Heute Nacht sind in mir wieder viele Bilder, Erleben und Gefühle aus den damaligen Geschehnissen aufgetaucht.

Veröffentlicht von: @irrwisch

Geschehnisse, die nach wie vor für mich immer noch in ihrem friedlichen Ablauf ein Wunder sind.

Montagsgebet vorher in Magdeburg:
Ich hatte endlich einen Platz für die Ausbildung als Fachkrankenschwester erhalten.
Für den Klassenspiegel hatte ich mich mit "Kreuzkettchen" fotografieren lassen, und hatte damit einen "Stempel" weg.

An dem Montag wurden wir im Fach ML (Marksismus/ Lennismus) davor gewarnt, in den Dom zum Friedensgebet zu gehen.
Eigentlich wollte ich da hin, war aber nicht für unbesonnene Aktionen.
Als bekennender Christ in der DDR war ich dafür nie im Knast.
Hatte versucht, mein Köpfchen ein zu schalten.
Also war ich der Meinung, es wäre besser, ich ginge den Abend nicht in den Dom.
Gegen halb sieben hörte ich Radio (westen). Dort wurde gesagt, daß am Vormittag Verhandlungen mit der Stadt geführt wurden.

Also saß ich in der nächsten Straßenbahn.
Das Viertel um den Dom war abgeriegelt.
Überall standen ganz unauffällig einzelne Personen, die gut beobachten, wer Richtung Dom ging. Sprechfunk hatten sie dabei.

Der Dom war voll, wie sonst noch nie.

Nach dem Gebet wurde uns auch gesagt, daß wir jetzt aus der Kirche ausziehen, eine Runde mit unseren Kerzen um den Domplatz gehen, und dann wieder in den Dom einziehen.

Wir sollten uns nicht provozieren oder groß ansprechen lassen, denn nur im Dom waren wir geschützt. Das gelte auch für den Heimweg.

Wir zogen aus dem Dom, als die letzten auszogen, zogen die ersten wieder ein. Und das so etwa in Zehnerreihen, Menschen mit Kerzen und Gebeten.

Für den Heimweg standen ganz viele Straßenbahnen, die sonst nie vom Domplatz führen, vor dem Dom, in alle Himmelsrichtungen von Magdeburg.
Es hieß einsteigen, und nach Hause fahren. Nicht reden, sich nicht provozieren lassen.

Auf dem Heimweg fuhren wir auch an einer Schule vorbei.
Der Schulhof war rammel voll mit "Grünen", die nur darauf warteten, los legen zu können. Es war wohl den Tag sogar Schießbefehl mit harter Munition angeordnet gewesen.

Sicheren Fußes erreichten wir wieder unsere Wohnungen.

9.11. 89:
Ich sollte Nachtschicht haben.
H. hatte an der Pforte Dienst, und ich trank immer gern noch ein Käffchen mit ihm.
Als wir da so saßen kam M. vorbei: "die Mauern sind auf"
"Willst Du uns verasc**?"
"Nein, ihr könnt rüber, jetzt gleich"

Na, ich ging noch zur Arbeit.
Wir waren es in der Zeit gewohnt, daß die Ablösung nicht kam, weil sie sich über Ungarn davon gemacht hat.
Aber ich ging zur Arbeit.
In der Nacht schaute ich OST und WEST-TV. Mittlerweile wußte ich, was ein Taxi nach Helmstedt kostet.

Als der erste zur Arbeit vom Frühdienst kam meinte ich: "Die Nacht war ruhig, ich muß unter die Dusche und rüber"
"Ehm, was willst Du?"
"Egal, ich muß los. Wenn ich heute abend nicht pünktlich komme, haben sie mich nicht wieder rein gelassen."
(Man sprach ja nur von Ausreise.)

Am Taxistand bekam ich mit, daß sie Order hatten kein Taxi mehr in den Westen fahren zu lassen. Da war aber eins, das nach Helmstedt wollte, in dem noch ein Platz frei war.
Also stellte ich mich vor die Kühlerhaube, und erkämpfte mir den Platz.

Im Auto bekam der Fahrer mehrfach Order, nicht mehr über die Grenze fahren zu dürfen.
Er sagte, wenn er jetzt fährt, muß er damit rechnen, daß er seinen Job los ist. Also legten wir alle je 100 Ostmark drauf.
Um 8 Uhr sollten die Grenzen weder schließen.
Und ich stand im Stau auf der falschen Seite.
Ich hatte mehr Angst, daß ich es nicht schaffen könne, als vor meinem Examen.

Dann waren wir in Helmstedt.
Die Straßen waren so sauber, und gepflegt. *staun*
Kein Müll lag dort rum.

So, nun waren wir da, nun brauchten wir also auch einen Beweis, daß wir da waren.
Also zur Polizei, einen Stempel abholen.
Die waren so erstaunt darüber, daß wir so scharf auf den Stempel waren.
Dort wurde uns auch gesagt, wo wir das Begrüßungsgeld uns abholen konnten.
Als ich diese sozialistische Wartegemeinschaft überstanden hatte, seilte ich mich ab, und eroberte alleine Helmstedt.
Für die 100 DM kaufte ich mir 1x Zahnpasta, eine Haarspange, und eine kleine Porzellantasse mit Goldrand.
Betteln war nicht so mein Ding, aber an der Uhr und auch an den Schuhen erkannte man, woher ich kam.
Ich hatte mich "gut" angezogen, in dem einen Laden wurde ich sogar gefragt, ob ich den Mantel, den ich trug mir auch schon von dem Begrüßungsgeld gekauft hätte. Na so weit kam man mit 100DM nun auch wieder nicht.
In einem Geschäft lag Teppich aus. An der Türe überlegte ich, ob ich nun meine Schuhe auf der Straße stehen lassen soll. Und ohne sie in den Laden gehe.
Gegen Mittag kaufte ich mir vom letzten Westgeld noch einen Kaffee in einer Wirtschaft. Zur Massenabfütterung wollte ich nicht gehen.
Dort hatte ich dann auch noch ein nettes Gespräch.

So, am Abend hatte ich wieder Nachtschicht. Irgendwie mußte ich heim.
Geld für eine Fahrkarte hatte ich nicht.
Der Tauschsatz war an diesen WE bis zu 1:100.
Mein Monatsgehalt wollte ich nicht für ein Bahntiket ausgeben.
Also stellte ich mich an die Straße Richtung Grenze und hob den Daumen.
Ein Wartburg hielt, und auch in dem war genau noch ein Platz frei.
Kurz vor der Grenze, es war kurz vor 1/2 2 Uhr hielten Reporter das Mikrofon ins Auto, mit der Frage, warum wir wieder zurück wollen.
Die anderen sagten, sinngemäß: die DDR, ihr ein und alles.
Ich sah mich um, ob auch eine Kamera da wäre. Nein.
Also sagte ich, daß ich gerne da geblieben wäre, daß ich aber auch Verantwortung trage, und daß Menschen darauf warten, daß ich heute abend komme, sie ablöse, und sie versorge.
Wir fuhren weiter.
Irgendwann war ich dann in meinem Zimmer, total überdreht. Schlafen ging nicht.
Um 21 Uhr begann ich dann meine Arbeit.
Nach einer halben Stunde klingelte das Telefon.
"Was, du bist da? Die haben gerade Dein Liveinterview von der Grenze gebracht, ich wollte mich gerade vom Acker machen, daß sie mich nicht holen."
Leider habe ich dieses Interview nie selbst gehört, aber am nächsten Tag wurde es nochmal gebracht, und alle, die mich kannten, erkannten mich auch an der Stimme.

Nachtschicht.
Im Nachbarhaus hatte R. Dienst. Es gab da so eine Verbindungstüre zwischen den Häusern.
In der Nacht sagten wir, wer zu erst von uns raus ist, stellt sich nach dem Visum an.

Auf dem Domplatz war wieder eine große Menschenansammlung, die alle diese Visum haben wollten.
Aber wir waren es ja gewohnt, zu warten.
Irgendwann war ich dann auch in dem Büro.
Nun hatte ich ja den Stempel vom Vortag im Ausweis.
Entgeistert fragte mich diese Frau, warum ich da bin, und nicht gleich im Westen geblieben bin.
Meine Antwort: " Ich mußte zur Arbeit, war das nicht richtig?"

In Magdeburg bin ich geblieben bis 93.
Ich ging erst, als die ersten wieder kamen, nach einem halben Jahr Westen, weil sie #so ein Heimweh# hatten, und wie blöd ich doch bin, weil ich nie über meinen Tellerrand gesehen hatte. (Heute weiß ich, daß sie die Probezeit nicht überstanden hatten)
Ich ging ins Kinderdorf bei Kiel.
Das erst halbe Jahr dachte ich, ich spreche eine Fremdsprache.
Die Worthülsen hatten bei uns andere Inhalte. Also verstanden die Menschen etwas ganz anderes, als was ich gemeint habe.

Heimweh zurück?
Nein, das hatte ich nie. Heute noch lebe ich im westlichen Teil Dts., und arbeite auf dem Examen, das ich mal in Magdeburg abgelegt habe.
Trotzdem weiß ich, daß es hier nicht die besseren Menschen gibt. Und das es gut ist, daß ich nicht weiß, was wer früher mal gemacht hat.

Veröffentlicht von: @irrwisch

Heute Nacht sind in mir wieder viele Bilder, Erleben und Gefühle aus den damaligen Geschehnissen aufgetaucht.

Ich könnte fast ein Buch darüber schreiben. Und alles noch sehr präsent[del][/del], manches, als ob es gestern war.
Doch ich bin hier schon recht lang geworden.
Gerade bei der Geschichte mit dem Montagsgebt, kamen mir die Tränen, weil mich die Vergangenheit so berührt hat.

LG Ano
da zu persönlich.

Nachtrag vom 09.11.2019 1433
Noch heute denke ich manchmal an H. der damals Pfortendienst hatte.
Er hatte es nicht so gut getroffen wie ich. Er war spastisch gelähmt, und wohnte in dem einen Heim.
Aber er war mir all die Jahre, wo ich ihn kannte, ein guter und treuer Freund.
Als ich dann von Mgb. weg war, hatte ich ihn noch eine Weile besucht. Aber ich war jung, und zog durch Dt. und war selten nur noch in Mgb.

Anonymous antworten
3 Antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0

Die Grenzen waren auf, und einige trauten sich mehr.
Ich hatte endlich diesen Platz zur Fachschwester bekommen (der westlich nicht anerkannt ist)

Aus dem Haus, in dem ich arbeitete waren wir zu viert geschickt worden.
G. auch Christ und gut 20 Jahre älter, als ich, A., ihr Vater war Bürgermeister in einem kleinen Ort bei Mgb., und A. sie war mal gerade ein Jahr in unserem Haus, und machte die steile Kariere.
(Meine damalige Stationsschwester war mit dem Leiter der Kripo in Mbg. verheiratet, die Hochzeitsfeier für meine stellvertretende Stationsschwester richtete das ZK = Zentralkommete der SED aus, weil ihre Schwester Sekretärin bei Erich war, und ihr Schwager Chefkoch bei Erich.
Wir arbeiteten in einem kirchlichen Haus, das es heute noch gibt. Dieses Haus war damals so etwas wie eine "Insel", wo es nicht nur um Staatstreue und Parteizugehörigkeit ging.)

Auf dem besagten Klassenspiegel hatte ich besagtes Kettchen gut sichtbar um.
Nun hatte ich auch, nicht nur im September diesen Platz bekommen, sondern auch einen Platz in Gnadau für den Kirchlichen Fernunterricht, einer der 3. Wege, für Menschen, die nicht studieren durften.
So ergab es sich, daß kurz nachdem die Grenze offen war, ich einen Mittwoch doppelten Unterricht hatte.
Einmal in Gnadau, und einmal in Mgb.
Ich ging zu meiner damaligen Oberschwester, und erklärte ihr, sie solle mir eine Entschuldigung für einen Unterricht schreiben. Welcher war mir egal.
Für sie war klar, ich bleibe die Woche in Gnadau, und schrieb mir die Entschuldigung für Mgb.
Ich selbst gab 14 Tage vorher diesen Zettel in der Fachschule ab.

An diesem Mittwoch, so erzählte mir G. kurz danach, ist die Klasse, als der Lehrer politische Floskeln benutzt hatte, geschossen aufgestanden und raus gegangen.
Er lief zum Direktor.
Mit dem Klassenspiegel kamen beide wieder, und er zeigte in Richtung von meinem Platz. Er konnte aber arg schlecht sehen.
Und hatte wohl nicht bemerkt, daß ich den Tag entschuldigt fehlte.

Danach wechselte der Klassenspiegel die Farbe, man hatte allen Paßfotos den weißen Rand abgeschnitten, und mir das Kreuz.

Danach benahmen sich die meisten Lehrer wieder "normal". Vorher sprachen sie oft in meine Richtung, und entschuldigten sich z.B. dafür, daß sie ja alle in dem System lebten, und nicht anders konnten.

Anonymous antworten
Irrwisch
(@irrwisch)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 3477

Liebe Anonyma.

Auch deine Worte haben mich sehr berührt.
Wie viel Mut hat es euch gekostet, zu diesen Montagsdemos zu gehen.
Gebet läßt Mauern zusammen brechen.

Oder...um es mit David auszudrücken
" Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen"

Auch dein Pflichtbewusstsein spricht seine eigene Sprache.

Gestern habe ich bei den damaligen Interviews besonders geschaut, ob auch du dabei warst...........wohl eher nicht.

Auch dir herzlichen Dank und liebe Grüße
Inge

irrwisch antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0
Veröffentlicht von: @irrwisch

Oder...um es mit David auszudrücken
" Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen"

Das war unser Satz damals,
und das Lied, Komm Herr segne uns
http://liederschatz-bayern.de/html/lied.php?song=8

Veröffentlicht von: @irrwisch

Auch deine Worte haben mich sehr berührt.
Wie viel Mut hat es euch gekostet, zu diesen Montagsdemos zu gehen.
Gebet läßt Mauern zusammen brechen.

Es war einfach die Bewegung der Zeit.
Und endlich mal ausbrechen aus zu engen Formen, satt haben der Schizophrenie im Privat- und Berufsleben, denn man hatte da ja immer eine andere Meinung.

Nach der Wende, als so viele sich haben taufen lassen (um nicht am nächsten Baum zu hängen) wurde in kirchlichen Kreisen überlegt, wo sie neue Kirchengebäude erbauen.
Heute überlegen sie, wie sie die alten am besten verkauft bekommen.

Veröffentlicht von: @irrwisch

Auch dein Pflichtbewusstsein spricht seine eigene Sprache.

Na ja, meine Freunde hatten das kirchliche Haus als "Sprungbrett in den Westen" genutzt.
Und ich wäre auch gern gegangen, hatte aber 2 Brüder und Eltern mit Arbeit. Die wären dafür bestraft worden.
Das war schlimmer, wenn sie sagten "Tschüß, ich darf abfliegen."

Dann kam die Zeit, wo man nicht wußte, ob man am Ende der Arbeit abgelöst wird, weil Ungarn offen war.
Einige kannte man ja von weitem. Und natürlich hat keiner vorher gesagt, morgen bin ich weg.

Irgendwer sprach mich mal an, ihre Schwester hatte sich mit ihren Freund neue Möbel auf Kredit gekauft. Der Kredit war nicht bezahlt, die Möbel waren runtergewirtschaftet, und nun waren sie weg.
Die Schwester sollte für die Schulden auf kommen.
Und so fragte sie mich, ob ich ihr etwas abkaufen könne. Leider #brauchte# ich nichts, schön waren die eh nicht mehr.
Die Schwester, die für die Schulden aufkommen sollte, war alleinerziehend mit einem Steppke von 3.
Und so viel haben wir in der DDR nun auch wieder nicht verdient, auch wenn die Wertigkeit der Dinge anders war.

Veröffentlicht von: @irrwisch

zu diesen Montagsdemos zu gehen.

Auch Magdeburg hatte die Friedensgebete so wie die anderen großen Orte, ich glaube am Freitag.
Doch dann trafen sich da immer mehr Ausreise willige, die nur hofften bald weg zu sein. Friedensgebete waren das keine mehr.
So splitterte sich die Montagsgruppe ab.

Veröffentlicht von: @irrwisch

Auch dein Pflichtbewusstsein spricht seine eigene Sprache.

Ich weiß nicht, es war nicht die Pflicht, eher die Verantwortung.

Veröffentlicht von: @irrwisch

Gestern habe ich bei den damaligen Interviews besonders geschaut, ob auch du dabei warst...........wohl eher nicht.

Nein, ich war da nicht mehr bei.
Irgendwer sagte mir mal, das es ein Archiv mit Material frisch von der Wende gab. Und daß da vielleicht mein Betrag auch noch ist.
Da ich den auch gerne mal hören wollte, lies ich ich vor ca 10 Jahren suchen. Den gab es nicht mehr, waren eben zu viele.

LG Ano

Nachtrag vom 10.11.2019 1205
Für meinen älteren Bruder war es Verrat, als ich ihm vor 20 Jahren sagte, daß ich nicht wieder zurück komme (obwohl die Grenzen offen waren), mein jüngerer Bruder beschimpfte mich als "überheblichen Wessi" weil mein erstes Auto ein Polo wurde. Er hatte bereits einen Wartburg, und einen Alfa Romo. (in gleicher Zeit)
Wir sind eben auch durch diese DDR-Erziehung gelaufen.

Anonymous antworten
Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0

-Re: Heute vor 30 Jahren - Westdeutschland
ich war 21 Jahre und saß alleine zu Hause vor dem Fernseher, meine Eltern waren an dem Abend nicht da - Kartenspielen oder Kegeln, weiß ich nicht mehr.
Ich schaute "irgendeinen Film" oder irgendeine Serie (Profis?), und währenddessen kam am unteren Bildschirmrand ein Satz, immer wieder, immer wieder, in Endlossschleife.
So "toll" formuliert, dass ich ihn gar nicht begriffen habe zuerst.
Aber vergessen habe ich ihn nie.
".... hat die Öffnung der innerdeutschen Grenze relativiert".
Relativiert? Ich habe nichts begriffen.
Doch dann, im Zuge des ständig wiederkehrenden Satzes, da habe ich es dann mit mal doch begriffen ...
WAHNSINN!
Ich habe dann eine gute Freundin angerufen (ausnahmsweise so spät noch..) und wir haben das Erstaunen und die Freude darüber geteilt.
Halleluja!
In der Schule hatte ich gelernt, wie verschieden die Systeme und wie unmöglich eine Wiedervereinigung wäre, die ja eh nie zustande käme.
Meine Familie war damals auseinander gerissen worden, meine Mutter und meine Oma konnten keinen Besuch von der Schwester der Oma und deren Familie mehr bekommen.
Wir durften "rüber", aber zuerst hatten alle solche Angst, erzählte meine Mutter mir mal, dass sich keiner traute rüber zu fahren.
Als aber so viele zurückkamen, da trauten sie sich dann doch.
Uns Kinder nahmen sie dann mit.
"Mutti, nehmen die mir jetzt an der Grenze die Puppe weg?".
Es gab keine gute Meinung.
Geld umtauschen, gefälligst drüben noch was einkaufen weil das Geld nicht zurückgetauscht wurde, aber alles zu gleichen Preisen überall - das fand mein Vater dann gar nicht so schlecht.
Die Schwester meiner Oma durfte dann mit 60 oder 66 Jahren endlich das erste Mal kommen.
Und dann eines Tages dieser Tag vor dem Fernseher.
Ein guter Bekannter, Polizist, konnte endlich nach all den Jahrzehnten seine eigene Mutter besuchen - das war zu DDR - Zeiten verboten, dass ein Bundesdeutscher Polizist da rüber kam!.
Doch die Mutter glaubte ihm nicht, dass er ihr Sohn ist .....
Die Verwandten meiner Oma durften nun endlich zu Besuch kommen obwohl sie "eigentlich" noch viel zu jung dafür waren (nach DDR-Gesetzen die bis zu dem Tag galten!).
Und bei "uns" arbeiten und leben.

Das war also ein sehr enges Geschehen für mich, ein sehr emotionales Erlebnis, ein Wunder wenn man die vorherige Geschichte bedenkt (und die Beteuerungen gewisser ... von "drüben" ).

Aber dieser Moment, da vor dem Fernseher, unvergessen als wäre es gerade eben gewesen.
"Die ..., hat die Öffnung der innderdeutschen Grenze relativiert".

Anonym, da doch sehr persönlich ...

Anonymous antworten
1 Antwort
Irrwisch
(@irrwisch)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 3477

-Re: Heute vor 30 Jahren - Westdeutschland
Liebe Anonyma,

ja, auch für mich war es damals vor dem Fernseher erst einmal nicht fassbar, was dort gesagt wurde.

Zu lange Jahre schien unser 2. Teil Deutschlands fest zementiert und eingemauert.

Ich kann dein " Wahnsinn" gut nachvollziehen.

Danke auch dir
Liebe Grüße
Inge

irrwisch antworten


Seite 1 / 2
Teilen:

Hey du!

Dieses Forum ist für dich kostenlos.
Das funktioniert nur, weil uns treue Menschen regelmäßig mit ihrer Spende unterstützen.
Bist du dabei?