Könnte Triggern - Abolitionismus
Ob man das Konzept des Abolitionismus nun gut oder schlecht findet, es regt zum Nachdenken an – über eine andere Form der Reaktion auf Gewalt, über eine, die weniger durch den Gedanken der Rache, Sühne, Schuld und Gegengewalt geprägt ist. Vielmehr soll eine bessere Welt entstehen durch eine Form des Dialogs, der Aussöhnung und der kollektiven Reaktion auf Konflikte und Gewalt. Ob das letztlich funktioniert, müsste erprobt werden.
Auszug aus
Was denkt ihr darüber. Ich bin da zwiegespalten.
M.
@meriadoc
Was denkt ihr darüber. Ich bin da zwiegespalten.
Die Idee, dass Gefängnisse nicht wirklich funktionieren ist nicht neu. Und ich finde es gut und richtig, wenn man zumindest mal darüber nachdenkt, ob das wirklich so sein muss oder ob es nicht auch anders geht.
Das heißt nicht, dass ich dafür bin, jetzt einfach die Türen aufzumachen und zu sagen: "Probieren wir es halt mal aus". Das wird vermutlich nicht gut gehen.
Aber trotzdem ist es richtig, ein System zu hinterfragen und mal nachzudenken: "Geht das nicht auch besser?"
Eine Antwort kann ich darauf spontan auch nicht geben, der Ansatz erscheint schon sehr radikal. Aber schon die Diskussion darüber erscheint mir sinnvoll... auch wenn es mich bisher nicht überzeugt.
@meriadoc
Gefängnisse sind nicht vom Himmel gefallen, sondern gehören zu jeder Gesellschaft. Es mag vereinzelte Ausnahmen geben.
Mich stört, dass die Opfer irgendwas aushandeln sollen. Nicht jede Tat hat ein greifbares Opfer und wir haben als Gesellschaft lange gebraucht, um die Strafjustiz nicht in die Hände der unmittelbaren Opfer zu legen.
Abolitionismus scheint auch zu verkennen, dass es gefährliche Menschen tatsächlich gibt. Gefängnisse dienen auch dem Schutz der Bevölkerung.
Eine Alternative zu Gefängnissen wäre es, alle Verurteilten in die Verbannung zu schicken - oder in den Tod (zB Schirlingsbecher).

@johnnyd Mich stört, dass die Opfer irgendwas aushandeln sollen. Nicht jede Tat hat ein greifbares Opfer und wir haben als Gesellschaft lange gebraucht, um die Strafjustiz nicht in die Hände der unmittelbaren Opfer zu legen.
Richtig! Das Ganze scheint wenig ausgegoren zu sein.
@meriadoc Aus dem von Dir verlinkten Artikel:
Kirstin Drenkhahn (...) Sie hält das Konzept „für ziemlich unrealistisch“, weil es Menschen benötige, die ihre Konflikte auf eine viel reifere, erwachsenere und mutigere Weise lösen können müssten. „Ich sehe nicht, dass das flächendeckend passieren wird.“
und
Der Soziologe Thomas Lang kritisiert, dass Abolitionisten wie Thompson und Loick das aktuelle Strafsystem zu sehr mit Identität und zu wenig mit dem Kapitalismus in einen Zusammenhang brächten. Es finde eine Überbetonung von Race im Racial Capitalism statt. Deswegen komme es zum Fehlschluss, zu glauben, dass man die Polizei abschaffen könne, ohne den Rest, also das kapitalistische System, das notwendig auf die Polizei angewiesen sei, gleich mitabzuschaffen.
Genau diese beiden Punkte fielen mir schon ein, als ich noch gar nicht bis zu dem Kritik-Teil gelesen hatte. Wenn ich mir dann weiter unten durchlese, wie das denn nun konkret funktionieren/ablaufen solle, erstaunt mich, wie wolkig und wenig handfest da die Vorstellungen aussehen.
Der springende Punkt ist wohl, dass solche Konzepte wirklich speziell auf der (moralischen) Unhaltbarkeit des us-amerikanischen status quo basieren. Das us-amerikanische Justizsystem ist besonders krass vom Kapitalismus geprägt, in manchen Countys scheinen privat geführte Gefängnisse die wirtschaftlich wichtigsten Player zu sein, wodurch dann ein ausreichender Nachschub an Knackis plötzlich zur ökonomischen Notwendigkeit mancher Gemeinden wird. Was tun, wenn die Leute sich nix mehr zuschulden kommen lassen und die Gefängnisse nicht mehr profitabel geführt werden können? Werden dann neue Knackis durch die Verfolgung immer geringerer Lappalien generiert, oder wird an der Kostenseite gespart, also den Ausgaben, die die Knasts für ein menschenwürdiges Leben ihrer Insassen aufbringen sollten?
Die us-amerikanische Problematik lässt sich jedenfalls nicht 1:1 auf andere Länder übertragen. Hier bei uns in Deutschland müssen meinem Kenntnisstand nach die Gefängnisse keine Profite erwirtschaften. Ich weiß nicht genug über den deutschen Strafvollzug, denke aber, dass die Insassen nicht zu (billiger, harter) Arbeit gezwungen werden dürfen. Man möge mich (un-) gern korrigieren! 🙂
Also ergibt der Gedanke, auch bei uns sei das Gefängniswesen eine Art Forführung der Sklaverei, nicht wirklich einen Sinn. Es sei denn, man denkt hier in gaaaaaanz großem Rahmen. Und zwar wie folgt: Wenn ehrliche Arbeit für die unteren Klassen nicht mehr genug abwirft aufgrund der geringen Löhne, um damit gut und in Würde über die Runden zu kommen, steigt die Kriminalität logischerweise. Man könnte die Kriminalitätsraten also senken, indem man gerade den unteren Einkommensklassen mehr vom gesamtgesellschaftlichen Reichtum abgibt. Beispielsweise durch eine Erhöhung der Mindeslöhne. Das mag die Reiche Klasse, d.h. die Kapitalisten, aber nicht, denn jeder Euro, den man an Löhnen mehr zahlt, geht ja vom eigenen Profit ab.
Die Knast-Drohung ist also auf diesem Umweg eine Maßnahme, die "Bescheidenheit" der arbeitenden Klasse, insbesondere ihres ärmeren Teils, zu erpressen, indem die Opportunitätskosten für das "sich seinen gerechten Teil vom Kuchen nehmen" erhöht werden. Das Problem der Armutskriminalität wird durch Sanktionierung solch kriminellen Verhaltens zu lösen versucht: Lieber arbeitet dann jemand halt für eigentlich viel zu wenig Geld, als dass er kriminell wird und in den Bau wandert. Der zitierte Soziologe Thomas Land liegt also richtig: wenn Gefängnisse sozusagen Symptome eines systemischen Problems - nämlich der kapitalistischen Umstände - sind, dann bekommt man Symptomfreiheit nicht hin, ohne dieses systemische Problem zu beheben.
Übrigens gibt es einen Aspekt, der mir in dem verlinkten Artikel überhaupt nicht berücksichtigt scheint: all jene kriminellen Akte, die nicht sozusagen durch die wirtschaftliche Zwangslage von Kriminellen begangen werden. Also die Nicht-Armutskriminalität. 😀 Was tun mit brutalen Sexualstraftätern, was mit gewaltgeilen Schlägern oder mit geldgeilen Anlagebetrügern, was tun mit millionenschweren Firmenchefs, die gewaltige Umweltverschmutzungen für etwas bessere Bilanzen inkauf nehmen? Zwar denke ich, dass unser juristisches System die großen Fische viel zu häufig davonkommen lässt und Sanktionen unverhältnismäßig oft Angehörige der Unterschicht treffen. Aber zumindest dem Ideal nach (dass vor dem Gesetz alle gleich sein sollten) ist es ja durchaus anders und wenn wir nun Gefängnisse als Sanktion fär alle abschaffen, schaffen wir sie auch für die kriminellen Reichen und narzisstischen Rücksichtslosen ab - wovor sollte sich ein Multimillionär dann überhaupt noch fürchten? Sanktionsdrohungen für asoziales Verhalten sind notwendig, um die soziale Ordnung zu gewährleisten und es wäre zu fragen, ob die Sanktion Gefängnisstrafe prinzipiell verzichtbar sein, oder durch eine Sanktion mit ähnlicher Abschreckungswirkung ersetzt werden kann.
Ich denke also, dass das Aboltionismus-Konzept weltfremd ist, und dass man, statt solche Wolkenkuckucksheime zu ventilieren, besser daran arbeiten sollte, realistisch zu schaffende Reformen voranzutreiben. Armutskriminalität* beispielsweise nicht durch immer höhere Sanktionsandrohungen bekämpfen, sondern durch eine gerechtere Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten. Aber auch, indem die Verfolgung von Verbrechen stärker danach gewichtet wird, welcher jeweils gesamtgesellschaftliche Schaden angerichtet wurde. Warum beispielsweise ab gewissen Grenzen nicht mal lebenslange Haft für Steuerhinterziehung, Anlagebetrug und andere Wirtschaftsverbrechen verhängen? Warum nicht die ökonomischen Realitäten beachten hinsichtlich des Prinzips, dass vor dem Gesetz alle gleich seien - d.h. die finanziellen Mittel, die ein Angeklagter in seine Verteidigung stecken darf, deckeln? Warum soll sich ein Reicher ein ganzes teures Anwaltsteam leisten können um sich gegen eine Klage zu verteidigen, während ein Armer, der sich gegen dieselbe Art Klage verteidigen möchte, gegebenenfalls nur auf einen Pflichtverteidiger verlassen muss?
Und selbstverständlich sollte die Effektivität des Strafvollzugssystems ständig weiter evaluiert werden: Was bringen Gefängnisstrafen unter'm Strich der Allgemeinheit an Sicherheit und "Rechtsfrieden", welche Alternativen gäbe es für sie oder wo lässt sich der Gefängnisalltag im Detail verbessern, um beispielsweise die Rückfallsquoten zu verringern usw.?
*Damit meine ich nicht allein Diebstahldelikte, Raub usw., sondern auch Delikte, die durch die Art der Sozialisation der Täter maßgeblich beeinflusst wurden. Beispiel: (häusliche) Gewaltdelikte, deren Zahl und Intensität durch bessere Bildung, bessere Wohnverhältnisse und allgemein bessere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verringert werden könnte: Armutsstress macht viele Leute aggressiv...
@meriadoc Es ist gut, sich solche Gedanken zu machen.
Ich würde mir zunächst einmal Gedanken über den Zweck von Gefängnissen betrachten.
Im Internet habe ich den Begriff "Einsperrungen" gefunden und das waren Gefängnisse wohl in ihren Anfängen. Bösewichte wurden zur Strafe auf Zeit weggeschlossen - und wenn sie nicht aufhörten, böse zu sein, vielleicht auch für immer. Sie wurden damit von weiteren bösen Taten abgehalten und hier sehe ich auch heute noch eine wichtige Funktion von Gefängnissen - insbesondere bei Kapitalverbrechern (und hier meine ich nicht solche, die sich an Kapital vergreifen, sondern solche, die ganz schwere Taten begehen). Da gibt es zum Beispiel Pädophile, die ihr Tun aus einem krankhaften Zwang heraus getriggert bekommen und die man vielleicht nie mehr unkontrolliert auf die Menschheit loslassen sollte.
Es gab aber auch den Schuldturm, wo Menschen, die ihre Schulden nicht bezahlen konnten, landeten. Das war sicher - mal abgesehen von der Strafe des Eingesperrtseins selber - vermutlich in erster Linie eine Strafe, die die Scham reizen sollte und darüber dann das Vermeiden der Strafe eine besonders hohe Priorität erhielt.
Das alles gab es schon lange in menschlichen Gesellschaften.
In den 70iger Jahre haben revisionistische Geschichtsbetrachtungen den Beginn von Gefängnissen ins 18. Jahrhundert verlegt. Der Philosoph Foucoult beschreibt in seinem Werk "Wahnsinn und Gesellschaft" das Aufkommen von Irrenanstalten und auch Gefängnissen in dieser Zeit. Außerhalb der Städte gab es oft Leprahäuser - große Gebäudekomplexe, in denen die von dieser Krankheit befallenen isoliert vor sich hinvegetierten. Diese Gebäudekomplexe verloren ihre Bedeutung, als die Krankheit kaum noch auftrat. Was tun mit diesen Gebäuden dachte man sich - und so fand man dann psychisch Kranke und Verbrecher - also alle, die von der gesellschaftlichen Norm abwichen oder sich nicht integrieren ließen als geeignete Kandidaten, diese Räumlichkeiten zu beziehen.
Der Schuldturm, der Kerker und all diese Einrichtungen waren oft nicht besonders groß. Ja es gibt eine ältere Form der Strafe des Einsperrens - aber Schuld wurde oft auch vor dem Folterknecht oder am Pranger beglichen, was dann temporäre Züchtigungen waren aber keine längere Phase des Wegsperrens mit sich brachte.
Die Kultur, Menschen in großer Zahl aus der Gesellschaft zu entfernen und isoliert gefangen zu halten, ist vermutlich tatsächlich verhältnismäßig jüngeren Datums. Es wurden Einrichtungen wie das Panoptikum erfunden - was kreisrunde Gefängnisse waren, bei denen die Zellen vom Zentrum der Kreisstruktur her komplett einsehbar waren. In der Mitte befand sich ein Turm, in dem Wächter Dienst tun konnten. Sie konnten jederzeit in jede Zelle schauen und sehen, was der Gefangene tat. Aber die Gefangenen konnten nicht sehen, ob sie beobachtet wurden und ob überhaupt ein Wächter im Turm war.
Extreme Formen sind sicher die Gulags, in denen es neben dem Aspekt des Wegsperrens noch den Aspekt der Folter gibt.
Während ich sehe, dass es einfach Menschen gibt, denen man zum Schutz aller schwerlich die Freiheit geben kann, so gibt es sicher auch Verbrechen oder Persönlichkeiten, die straffällig wurden, denen mit einer Gefängnisstrafe nicht gedient ist und wo die Gesellschaft auch keinen Nutzen von der Strafe hat. Das können Menschen sein, die in einer Not straffällig wurden - dann aber im Gefängnis in eine kriminelle Karriere hineinkamen, weil sie dort entsprechende Kontakte knüpften. Solchen Menschen würde vielleicht mit Sozialstrafen, verpflichtender sozialer Arbeit, einer begleitenden Therapie und dergleichen eher geholfen.
Ich würde also Gefängnisse nicht abschaffen wollen. Aber ich fände es nicht schlecht, wenn es alternative Wege geben würde, Verbrecherkarrieren zu beenden oder gar nicht erst entstehen zu lassen.
Was die Polizei angeht, so denke ich, dass das Ansehen der Polizei inzwischen ihrer Funktion gerecht wird. Es gab Zeiten, da habe ich die Begegnung mit einem Polizisten mit gemischten Gefühlen gesehen. Nicht, weil ich etwas falsch gemacht hätte, sondern weil der Polizei ein Ruf anhaftete, der Begegnungen mit ihr unerwünscht erscheinen ließ. Heute freue ich mich, wenn ich Polzisten oder Polizistinnen sehe und ich versäume es meist nicht, sie und ihren Dienst zu segnen. Ich sehe in den Polizisten Dienstleister zur Aufrechterhaltung einer öffentlichen Ordnung, von der letztendlich alle profitieren. In einem Polizisten begegnet mir ein Mensch mit einem ordnenden Auftrag. Ihm kann ich als Mensch begegnen und eher Dinge klarstellen und Missverständnisse aufklären, als wenn ich einer anonym überwachenden Technologie gegenüberstehe, die jede mögliche Abweichung meinerseits vom der gesellschaftliche Norm registriert und in einen rückgestuften Sozialscore oder gleich einem öffentlichen Pranger münden lässt. Möge es immer Polizisten in angemessener Anzahl geben!
@meriadoc Aha . Die Grünen waren ja mal dafür: Die waren in den letzten 30 Jahren aber an genügend Regierungen beteiligt um festzustellen das funktioniert nicht. So wie dieses Grundeinkommen Gedöns auch nicht funktioniert.

Jaja, dieses Grünenbashing.
Ich finde es ehrlich von den Grünen, auch mal hässliche Sachen anzusprechen. Diese hässlichen Sachen werden von Leuten in allen politischen Ausrichtungen eh doch im geheimen getan. Von Pädos bis Drogen.

@meriadoc Der Mensch ist eben kein Engel. Es wird also immer Polizei geben müssen. Das ist auch das was eine Gemeinschaft schnell einführt. Das haben wir nach dem II. Weltkrieg gesehen. Was wurde schnell organisiert. Eine Kommunalverwaltung, Infrastruktur und Polizei. Irgendjemand muss die Leute die sich nicht an Gesetze einfangen. Es muss ein Gewaltmonopol geben. Jemand muss für Schutz sorgen. Wir sind nicht im Indianergebiet und haben ein Gewehr überm Kamin hängen um uns verteidigen zu können, wenn mal böse Menschen kommen. Auch finde es richtig, wenn es Leute gibt die Raser und unsichere Fahrzeuge aus dem Verkehr ziehen.
Auch bin ich froh nicht selbst mich mit Leuten rumzuärgern die meinen sie müssten jetzt da durchfahren wenn ich unterwegs bin Leuten zu helfen.