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OnlyFans - wie die Banken ihre Funktion als Sittenwächter wahrnehmen

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Jack-Black
Themenstarter
Beiträge : 3609

Zufällig bin ich über die Meldung gestolpert, dass OnlyFans demnächst keusch und züchtig werden will.

Im ersten Moment war meine Reaktion: Geht mich nichts an, ich bin weder Anbieter noch Content-Abnehmer auf der Website, ich verwende nicht mal Kreditkarten, braucht mich also nicht zu interessieren.

Über diesen, schon im Artikel enthaltenen, Satz:

Was hier seit Jahren passiert, ist also größer als OnlyFans – es geht um die Zukunft von Sexarbeit im Internet. Eigentlich ist es sogar noch größer, es geht letztlich um die Macht von Zahlungsdienstleistern über das, was online erlaubt ist und was nicht (...)

las ich erstmal drüber weg.
Dann googelte ich doch ein wenig zum Thema und surfte auf einigen meiner Lieblingskanäle bei YT herum, wie dort die Sache gesehen werde.
Und inzwischen denke ich, dass die Sache tatsächlich um einiges größer ist, beziehungsweise symptomatisch für das, was ich ohnehin überall wahrzunehmen meine (jaja, schon klar: confirmation bias... Aber deswegen stelle ich das hier ja zur Diskussion, um von Euch womöglich Argumente geliefert zu bekommen, warum ich die Angelegenheit falsch betrachte...):
dass der Finanzkapitalismus unsere Gesellschaften immer unfreier macht, immer totaler in seinen Auswirkungen ist - und das nicht unbedingt zum allgemeinen Wohl.

Also kurz zusammengefaßt: OnlyFans ist eine Plattform, auf der Contentanbieter die Inhalte, die sie generieren, exklusiv ihren "Fans" zugänglich machen - die dafür bezahlen müssen. Die Plattform OnlyFans generiert keine eigenen Inhalte, sondern sie sorgt nur dafür, dass der Zahlungsverkehr zwischen den Anbietern und ihren Fans geregelt vonstatten geht - und dafür streicht sie ihren Anteil (soweit ich weiß, sind das ungefähr 20 Prozent, aber nagelt mich nicht drauf fest) ein.
Ist also sowas wie Youtube, nur eben nicht kostenfrei für's Publikum.
In der Praxis kam es dahin, dass die Website vor allem für Sex-Inhalte benutzt wird, also Soft- und Haardcorepornografie dort zu finden ist. Nicht ausschließlich - denn auch jeder andere, der Fans hat, die gern für exklusiven Content ein paar Euro monatlich berappen, kann dort seinen Kanal einrichten: DJs, Musiker aller Art, Künstler oder womöglich auch Gurus, die ihre Weisheiten nicht auf YT kostenlos in die Weltposaunen wollen, sondern nur denen anbieten mögen, die sich ihres Wertes bewußt und den zu bezahlen willig sind.
Aber wie das nun mal so ist: die großen Umsätze werden mit Sex-Inhalten generiert. Soweit, so normal, denn bekanntlich gilt: The internet is for...

Doch nun, nachdem die Besitzer von OnlyFans sich ein paar Jahre ein goldenes Näschen an diesem Geschäftsmodell verdient haben, gibt's auf einmal moralische Einwände (unterfüttert, allerdings nicht empirisch untermauert von dem stereotypen Vorwurf, hier werde Kinderpornografie verbreitet). Und zwar von den großen Kreditkarten-Unternehmen. Die üben Druck auf OnlyFans aus und so sieht sich der Websitenbetreiber gezwungen, sexuelle Inhalte ab Oktober zu verbieten.

Nun könnten manche (unter Christen womöglich noch ein paar mehr als im Durchschnitt) sagen: "Ist doch super! Da wird eine Schmuddel-Website geschlossen, das ist ein Sieg der Moral und des Anstands - sowie ein gezielter Schlag gegen die Sünde. Und darüberhinaus werden womöglich Kinder damit geschützt und Prostitution weiter marginalisiert."

Aber wenn man sich mal auf den einschlägigen Kanälen anhört, wie die Betroffenen (und das sind nicht die Kunden, sondern vor allem die Content-Anbieter auf OnlyFans) das sehen, bekommt diese Sichtweise schnell etwas Fragwürdiges. Viele der Anbieter sind SexarbeiterInnen, für die sich hier eine relativ sichere und vor allem - im Vergleich mit der Zusammenarbeit großer Pornografie-Studios - profitablere Möglichkeit anbot, von zuhause aus (immer wieder kommt der Hinweis darauf, dass so manche sich in Coronazeiten neue Einnahmequellen suchen mußten) zu arbeiten. Im üblichen Sex-Business bleibt vom Gesamtumsatz nicht sonderlich viel Geld z.B. bei den PornodarstellerInnen hängen. Nicht mal ein zweistelliger Anteil wird da i.d.R. erreicht. Während bei dem Geschäftsmodell über OnlyFans die DarstellerInnen praktisch alles bis auf das, was der Websitenbetreiber anteilig nimmt, bekommen. Kurz: OnlyFans war gut für die SexarbeiterInnen, das meiste umgesetzte Geld verdienten sie selbst und nicht irgendwelche Studio-Leute, Makler, Zuhälter...
Ihnen diesen relativ sicheren Geschäftsverkehr mit ihren Kunden/Fans zu verwehren hilft eigentlich niemandem - es sei denn, man ist so naiv zu glauben, dass die Nachfrage, die hier bedient wurde, nun plötzlich schwindet.
Wem wird also in die Hände gespielt: denen, die sich an den SexarbeiterInnen bereichern. Denen, die über das (kriminelle) Knowhow verfügen, solche Geschäfte in "Grauzonen" oder gleich ganz ins Darknet zu verlegen. Der Halbwelt. Womöglich (denn OnlyFans ist nur ein Beispiel, Patreon, TumbleR, Pornhub etc. sind weitere Fallbeispiele, in denen sich die Kreditkartenunternehmen als Moralwächter engagierten und dank ihrer Marktmacht dafür sorgten, dass private/kleine Sexcontentanbieter weichen mußten) am Ende der organisierten Kriminalität.
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Ich möchte, weil mir die Parallelen deutlich erscheinen, hier nochmal auf den "War on drugs" hinweisen, jenen milliardenteuren, nach überwiegender Expertenmeinung seit Jahren, ja Jahrzehnten längst verlorenen Krieg, der, indem das als unmoralisch und sündig verstandene Verhalten (Drogenkonsum) kriminalisiert wurde, dazu führte, dass die Nachfragebefriedigung allein dem organisierten Verbrechen überlassen wurde. Mit entsprechenden Gewinnspannen, die dann aus der Schattenwirtschaft in die "normale" Wirtschaft investiert wurden, sodaß die Mafia immer weiter und immer prächtiger blüht.
Die Leute werden - das mag man bedauerlich oder sogar ganz doll schlimm und sündhaft finden - immer Nachfrage nach Drogen haben. Und die Nachfrage nach Sex, insbesondere in medialer Form (Pornografie) wird sich auch nie verbieten oder nennenswert marginalisieren lassen. NoPorn ist eine schöne Illusion, nicht mehr.

Wo es den Nachfragern erschwert wird, ihren Bedarf zu stillen, steigen die Preise, die bereitwillig gezahlt werden. Im Fall der Drogen geht der Löwenanteil des Umsatzes nicht an die Kokain- oder Mohnbauern in Südamerika und Afghanistan. Sondern er fließt in die Taschen der Verbrechersyndikate, insbesondere derer Bosse. DAS ist die Konsequenz davon, wenn man Drogenhandel nicht nur reglementiert (was sinnvoll ist), sondern verbietet/zu verhindern versucht.

Ähnlich sehe ich die Sache beim Sex. Je stärker der Druck auf die Anbieter wird, zu desto schlechteren Konditionen können die arbeiten. Eine Frau, die womöglich mit irgendwelchen Masturbationsvideos, die sie ihren Kunden bei OnlyFans zu einem fairen Preis zugänglich macht, sich und ihre Familie finanzieren kann (muß?!), wird ja nun, wenn diese Einnahmequelle verloren geht, sich einen Ersatzjob suchen müssen. An ihr werden zukünftig also wieder all die Zecken der Pornografiebranche saugen, die Studiobosse, die Zuhälter, die Zwischenhändler...Ihr direkter Kontakt zu ihren Kunden wird wegbrechen, die Entfremdung nimmt zu, sie wird wieder mehr zum Stück Fleisch in der Theke objektifiziert. Wenn sie Pech hat, wird sie dann wieder zu Dingen genötigt werden, die sie vorher nicht tun mußte. Sexualpraktiken, die sie ablehnt, Darsteller-Partner, die sie ablehnt... Die Risiken, die sie einzugehen hat, steigen, nur Einkommen sinkt.

Was den Minderjährigen-Schutz angeht, so sind da die "Concerns", die seitens der Druckmachenden geäußert wurden, bloße Heuchelei. Minderjährige, die auf OnlyFans sich (bzw. sexuellen Content mit sich) anbieten wollten, hätten erstmal die Sache mit der Kreditkarte organisieren müssen... Es gab wohl einige Fälle, in denen Sex mit Minderjährigen auf der Plattform gefunden wurde - im Vergleich zu anderen Plattformen waren das aber sehr kleine Fallzahlen und die entsprechenden Kanäle wurden dann auch gesperrt. Der Kinder- und Jugendlichenschutz-Effekt der Geschäftsbedingungsänderungen von OnlyFans wird sich also in sehr, sehr überschaubaren Grenzen halten.

Das ist also der eine Punkt, der sich, je mehr ich drüber nachdenke, umso deutlicher als negativ bei der Sache herauskristallisiert: Entgegen der behaupteten Absicht trifft der Schaden durch die neuen Geschäftsbedingungen insbesondere SexarbeiterInnen und der Nutzen indirekt jene, die SexarbeiterInnen ausbeuten.

Der andere Punkt ist ein allgemeinerer: Wer bestimmt, nach welchen ethischen Normen wir als Gesellschaft uns verhalten? Sollten dies nicht vor allem unsere demokratisch gewählten Repräsentanten tun - die Politiker in den Parlamenten, die Regierungen insbesondere?

Aber strukturell entscheiden inzwischen große Finanzinstitute darüber, was Bürger mit ihrem Geld kaufen dürfen ( bzw. können... es läuft auf's Selbe hinaus) und was nicht. Heute sind es Sexfilmchen. Morgen sind's vielleicht Bücher von den falschen Autoren. Oder was immer auch unter moralischen Verdacht fallen könnte. Beispielsweise Dieselmotoren. Oder Fernreisen mit dem Flugzeug*...
Die Betreiber von OnlyFans haben sich in dieser Situation nicht gerade mit Ruhm bekleckert, was ihre PR angeht. Aber letzten Endes sitzen sie tatsächlich am kürzeren Hebel. Wenn Visa oder Paypal etc. beschließen, dass mit ihren Kreditkarten auf der Website nicht mehr bezahlt werden kann - was soll man dagegen tun? Sooo viele Finanzdienstleister gibt's ja nicht auf dem Markt, und vermutlich wird die Mehrzahl derer, die für einen "exclusiven" Strip ihrer Lieblingsactress mal ein paar Dollars rüberzuschieben bereit sind, sich in Sachen Cryptowährungen noch nicht so sonderlich gut auskennen.

Die großen Kreditkarteninstitute nutzen also ihre quasimonopolistische Stellung aus, um den Bürgern vorzuschreiben, was gekauft werden kann und was nicht.

Im Zusammenhang damit, dass generell die Tendenz weg vom Bargeld hin zum digitalen Bezahlen geht, sollte das noch mehr beunruhigen: die Macht der großen Finanzdienstleister wächst weiter, übernehmen sie demnächst stikum den Job, für den wir eigentlich die Politiker bezahlen?

Oder hab ich grad die große Weltverschwörungsbrille auf, bzw. wieder meine anti-kapitalistischen Sozi-Blähungen - und man sollte die Sache nicht unangemessen aufbauschen?

Was meint Ihr?

*um mal die Phantasien jener zu bedienen, die vor einer Öko-Diktatur zittern... 😉

Antwort
25 Antworten
Herbstrose
Beiträge : 14194

Und warum
machst du jetzt hier auf diese Seite aufmerksam?

herbstrose antworten
3 Antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 3 Jahren

Beiträge : 3609
Veröffentlicht von: @herbstrose

machst du jetzt hier auf diese Seite aufmerksam?

Die Begründung steht in meinem Eingangsposting: Weil ich diesen Vorgang für symptomatisch halte und für wichtiger, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

Weil Internetpornografie kein Randphänomen ist, sondern wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch sehr relevant. Je nach Quellen bezieht sich jede vierte Web-Recherche darauf und die Deutschen sind darüberhinaus "Weltmeister" im Porno-Gucken.

Es geht hier um eine Industrie - und wie die strukturiert ist. Wer in der das Sagen hat. Wohin die Gelder da fließen. Naja, ich will nicht mein - zugegebenermaßen wohl zu langes - Eingangsposting in den Details wiederholen.

jack-black antworten
Herbstrose
(@herbstrose)
Beigetreten : Vor 9 Jahren

Beiträge : 14194

Danke für deine Erklärung. Jetzt verstehe ich deine Intention besser.

herbstrose antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 3 Jahren

Beiträge : 3609
Veröffentlicht von: @herbstrose

Danke für deine Erklärung. Jetzt verstehe ich deine Intention besser.

Gern geschehen. Deine Nachfrage verdeutlichte es mir nochmal: Ich hätte mich im Eingangsposting wirklich kürzer fassen sollen.

jack-black antworten


PeterPaletti
Beiträge : 1317

Die Plattform OnlyFans kannte ich bisher nicht, aber ich bin auch nicht so verstreut im Internet unterwegs.
Ich nehme aber an, dass OnlyFans nicht die einzige Plattform dieser Art ist. Wenn diese Plattform sich nun von Sexgeschäften trennen will, gibt es sicher andere, die das (weiterhin) anbieten.

peterpaletti antworten
MrOrleander
Beiträge : 2217
Veröffentlicht von: @jack-black

um von Euch womöglich Argumente geliefert zu bekommen, warum ich die Angelegenheit falsch betrachte...):
dass der Finanzkapitalismus unsere Gesellschaften immer unfreier macht

Grundsätzlich kann ich dazu leider kein Gegenargument liefern.
Im aktuellen Fall bin ich aber unsicher, ob es wirklich am Finanzkapitalismus liegt.

Veröffentlicht von: @jack-black

Wem wird also in die Hände gespielt: denen, die sich an den SexarbeiterInnen bereichern.

Was ich an Deiner Argumentation nicht verstehe: Welches Interesse sollten VISA oder Mastercard daran haben, Sexarbeiterinnen in die Halbwelt abzudrängen? Welches moralische Interesse sollten diese Unternehmen überhaupt haben? Sie wollen Geld verdienen, und das in Weltgegenden, deren moralischer Kompaß, bspw. bei Frauenrechten oder dem Einsatz von Zwangsarbeitern, in ganz unterschiedliche Richtungen zeigen kann. Natürlich sind die Unternehmen nicht frei von Normen, aber diese beziehen sich primär auf die Geschäftsabläufe im Inneren, die möglichst reibungslos ablaufen sollen. Nach außen hin hält man sich mit gesellschaftlichen Interventionen dagegen nach Möglichkeit zurück oder zeigt sich flexibel.
Mit OF konnten VISA oder Mastercard Geld verdienen. In den "Grauzonen" zahlt man dagegen vermutlich nur selten 'mit Karte'.
Sind Kreditunternehmen also die "Moralwächter", oder sind sie nicht vielmehr ein Instrument in den Händen von Moralwächtern, die mittels des Vorwurfs der Kinderpornographie auch Großunternehmen vor sich hertreiben können? Welcher Entscheider will sich vorhalten lassen, solche entsetzlichen Verbrechen indirekt befördert zu haben? Welcher Vorstand für den Imageverlust gerade stehen?
Auch wenn wir die USA aktuell eher mit Streit um Identitätspolitik und BLM etc. wahrnehmen, sind die alten Schlachtfelder nicht befriedet, und dazu gehört allemal die Sexualität. Deshalb vermute ich die "Moralwächter" in diesem Fall nicht in den Vorstandsetagen der Kreditunternehmen.

mrorleander antworten


ALF.MELMAC
Beiträge : 2157

Da lacht die Wall Street und die Kunden wundern sich

Haben sie doch ganz andere Erfahrungen mit denen gemacht

alf-melmac antworten
ALF.MELMAC
Beiträge : 2157

Da wird Mastercard nicht mehr gebraucht

Da sind sie über! Schluss! Aus! Micky Maus!

alf-melmac antworten
1 Antwort
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 3 Jahren

Beiträge : 3609
Veröffentlicht von: @alf-melmac

Da wird Mastercard nicht mehr gebraucht

Das ist eben die Frage. Im Moment ist das Bezahlen mit Crypto-Währungen noch nicht wirklich verbreiteter Usus und wird es auch bis Oktober (wo wo an die neuen Regeln bei OF gelten sollen) sein. On the long run aber hört man, wie inzwischen staatliche Regierungen in Kooperation mit den großen Finanzdienstleistern an "eigenen" Cryptowährungen arbeiten.
An einer anderen Front wird mit zunehmender wirtschaftlicher Relevanz der Cryptowährungen daran gearbeitet, sie zu deligitmieren und/oder zu kriminalisieren. Durchaus auch mit nachvollziehbaren Motiven...

So schnell werden Mastercard&Co nicht einfach ihre Macht herschenken.

jack-black antworten


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