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Sonderverwaltungszonen in Nevada?

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Tertullian
Themenstarter
Beiträge : 415

Bin heute über diesen Artikel gestolpert:

https://www.sueddeutsche.de/politik/usa-technologie-libertarismus-1.5199920

Zumindest in Deutschland sind libertäre Ansichten ja ziemlich eindeutig dem rechten politischen Spektrum zuzuordnen. Bei mir würde die Aussicht, von einem großen Wirtschaftskonzern (auch politisch) zumindest teilweise regiert zu werden, ganz sicher keine Begeisterung hervorrufen. Ich halte solche Entwicklungen langfristig für eine Gefahr. Wenn so etwas in anderen (US-) Staaten Schule machen sollte sind das IMHO keine gute Nachrichten für die Demokratie. Natürlich gibt es (zunächst) sehr hohe Hürden, um überhaupt in den "Genuss" eines solchen Systems zu kommen. Aber: Ist das womöglich erst der Anfang von einer umfassenderen Entwicklung? Kommen die USA so nicht vom Regen in die Traufe? Schließlich ist man gerade erst Trump losgeworden. Und: Ja, der Gouverneur von Nevada ist Demokrat, nicht Republikaner. Sieht das jemand ähnlich kritisch wie ich? Oder eher unproblematisch? Würde mich über eine sachliche Diskussion ohne Verschwörungstheorien freuen.

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18 Antworten
Eldarion
Beiträge : 526

Die Meldung hab ich auch schon gesehen. Ganz so drastisch wie du sehe ich das nicht.
In Nevada gibt es ausser Wüste und Casinos nicht viel.
Na ja. Atemberaubende Landschaften und Viehzucht gibt es schon. Für mich wäre das was 😊
Aber aus Sicht der Politiker gibt es eben nicht viel, was Steuereinnahmen im großen Stil nach sich zieht.
Wenn man sich die Bedingungen ansieht, haben die es ja in sich.

Zudem müssen alle Interessenten 250 Millionen Dollar Kapital vorweisen, binnen zehn Jahren eine weitere Milliarde investieren und eine "industriespezifische Steuer" an den Bundesstaat zahlen.

Der Staat gibt also keineswegs die Staatlichkeit vollständig auf, sondern gewährt einem Konzern eine gewisse Autonomie.
Das könnte man als Konzernokratie betrachten. Ob sich das in Nevada erfolgreich umsetzten lässt, wage ich zu bezweifeln. Zumal ja auch eindeutig unerschlossenes und unbewohntes Land vorrausgesetzt wird. Es kann also nicht einfach bewohntes Gebiet plötzlich von Tesla oder Googel regiert werden.

Im übrigen würde ich den Libertarismus nicht als eindeutig rechts einstufen. Die Ablehnung des Staates ist beim linken Spektrum mindestens ebenso stark vertreten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Libertarismus
Ob der Begriff für diese Idee in Nevada überhaubt taugt - nur weil die SZ das so schreibt - scheint mir auch ein wenig fraglich zu sein.

eldarion antworten


Lucan-7
Beiträge : 21306

Das ist nicht neu. In den USA gab es immer schon Bestrebungen der Superreichen, massiv Einfluss zu nehmen... nicht nur politisch, sondern auch über die Gründung von Schulen, Firmen etc...

Die Politik soll sich da raus halten. Das ist dasselbe Prinzip, welches den Adel im europäischen Mittelalter prägte. Wer das Geld und die Firmen hat, hat die Macht - und bestimmt die Öffentlichkeit.

Das ist das Gegenteil von Demokratie wie wir es verstehen... in den USA wird das aber anders betrachtet, da gilt es als Verwirklichung der "Freiheit".
Wohl, weil man sich der Illusion hingibt, dass prinzipiell jeder reich werden und dann in gleicher Weise Einfluss nehmen kann. Was natürlich Blödsinn ist.

Ich betrachte das als Rückschritt. Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun.

lucan-7 antworten
Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0

Was ich da sehe, ist die Verabschiedung von Arbeitnehmerrechten.

Wer soll denn in so einer Stadt wohnen wollen? Irgendwo in der Wüste und der einzige Arbeitgeber ist der Besitzer der Stadt, in der man wohl oder übel wohnen müsste, um da zu arbeiten?
Ob man da dann noch arbeiten kann, wenn man da nicht wohnen will, müsste man sehen. Also ob das dann zur Bedingung gemacht wird.

Also man hätte einen großen Arbeitgeber, dem gehört die Stadt in der ich lebe, er bestimmt da alles, er müsste dann auch Schulen etc. da hin stellen.....in den USA wo das mit der Beschulung ja scheinbar etwas freier gehandhabt wird als hier, auch mal interessant: was wird dann da vermittelt? Normaler Schulplan oder irgendwas, was gut für das Unternehmen ist?

Ich halte das einfach für falsch, aber ich bin ja auch kein Amerikaner.

Anonymous antworten
6 Antworten
Jigal
 Jigal
(@jigal)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 3777

Ist denn Clint Eastwood nicht auch Besitzer einer Stadt?

Nun denn Henry Ford hatte so etwas ja in Brasilien vor.

Fordlandia war eine Stadt die den Kautschuk für die Reifen der Ford Produkte liefern sollte. Rein ökologisch ging die Sache schief.

jigal antworten
Ungehorsam
(@ungehorsam)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 3336

Im 19. Jh., als in Europa die Industrielle Revolution im vollen Gange war, war es durchaus üblich, daß der Fabrikant neben seiner Fabrik gleich die Arbeiterwohnungen errichten ließ. Diese Wohnungen wiesen sogar einen höheren Standard als die üblichen Arbeiterwohnungen auf. Auch die Eisenbahn baute Wohnungen überall im Land für ihre Mitarbeiter. Solche Werkssiedlungen findet man heute noch in deutschen Industriestädten. Sie werden aber nur noch so genannt, denn sie gehören schon längst großen Immobilienfirmen. Und diese Firmen sind darauf aus, aus diesen Wohnungen möglichst viel Profit zu schlagen, was die ursprüngliche Idee solcher Werkssiedlungen ins Gegenteil verkehrt. Der Fabrikant bot seinen Arbeitern solche Wohnungen an, um sich einen Vorteil im Wettkampf um Arbeitskräfte zu verschaffen und um die Arbeiter an sich zu binden. Davon hatten beide Seiten Vorteile.

ungehorsam antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 2 Sekunden

Beiträge : 0

Ich weiß und wer mal in Essen vorbei kommt, sollte sich die Margarethenhöhe anschauen.

Mir geht es nicht um Werkswohnungen. Die gibt es heute noch zum Teil, aber auch wenn die Industriellen damals sicher einflussreich waren - sie waren nicht die Bürgermeister der Städte oder konnten alles bestimmen.

So wie ich das verstehe, geht es bei dieser Sache in Nevada darum, dass die Firmen wirklich die ganze Stadt besitzen und das politische Sagen haben. Das ist dann einfach ihre Stadt.

Und das ist für mich schon ein Unterschied zu einer Werkswohnung. Sicher haben die Werkswohnungen damals dazu beigetragen, dass die Leute der Firma treu blieben, aber das war damals ja auch wirklich ein "Plus" und letztendlich war es ihre Entscheidung - sie konnten auch kündigen und trotzdem in der selben Stadt bleiben.

Anonymous antworten
Ungehorsam
(@ungehorsam)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 3336

So wie ich das verstehe, geht es bei dieser Sache in Nevada darum, dass die Firmen wirklich die ganze Stadt besitzen und das politische Sagen haben. Das ist dann einfach ihre Stadt.

Wenn das wirklich so ist, geht es zu weit.

ungehorsam antworten
Eldarion
(@eldarion)
Beigetreten : Vor 7 Jahren

Beiträge : 526
Veröffentlicht von: @ungehorsam

Das ist dann einfach ihre Stadt.

Ich denke, dass die grundsätzliche, politische Hoheitsgewalt nicht völlig abgegeben werden kann. Wenn zum Beispiel Googel eine Art Googelstan
gründen würde, würde sich dieses Territorium immer noch auf dem Staatsgebiet von Nevada befinden.
Googel hätte eine Art von weitreichender Autonomie, aber der Konzern wäre deswegen ja nicht völlig souverän.

Nachtrag vom 13.02.2021 1347
Hier ist noch mal ein weiterführender Artikel.
https://www.golem.de/news/nevada-high-tech-firmen-sollen-ihre-eigene-stadt-regieren-2102-154037.html

Offenbar ist das Gesetz auch noch nicht durch.

eldarion antworten
lubov
 lubov
(@lubov)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 2684
Veröffentlicht von: @pottkind

Und das ist für mich schon ein Unterschied zu einer Werkswohnung. Sicher haben die Werkswohnungen damals dazu beigetragen, dass die Leute der Firma treu blieben, aber das war damals ja auch wirklich ein "Plus" und letztendlich war es ihre Entscheidung - sie konnten auch kündigen und trotzdem in der selben Stadt bleiben.

Nun ja... das hing stark davon ab... Da z.B., wo ich erwachsen geworden bin, gab es nur zwei bzw. 50 Jahre später dann drei "Industrie-Arbeitgeber". Da wohnte man also im Grunde entweder seit Generationen auf dem eigenen Grund und Boden und hatte Handwerk oder Landwirtschaft. Das hieß aber zumeist auch: Der zweite Sohn musste "auswandern", denn der Ort war klein, einen weiteren Handwerker dieser Art brauchte man da nicht, und die Höfe waren, wenn man eine Familie damit ernähren können musste, nicht teilbar.

Oder man wohnte eben in einer der Werkswohnungen, als es denn welche gab. Dann war man aber voll abhängig. Da konnte man nicht eben mal streiken - dann saß man auf der Straße. Da konnte man nicht eben mal hingehen und sagen: "Chef, ich will um Gehalt verhandeln!". Man kannte sich untereinander, einer, der "Stunk" machte, der vielleicht noch andere Arbeiter aufwiegelte, den konnte keiner brauchen, der war draußen. Das war die Zeit der Industrialisierung (und lange danach) - da gab es genug Leute, die sich freuten, wenn sie für den Lohn arbeiten konnten. Die zweiten Söhne (und ja dann auch oft die Töchter). Und nach den zweiten Söhnen und den Töchtern und den Leuten aus den Nachbarorten dann wieder 100 Jahre später auch die "Gastarbeiter".

In so einem Ballungsgebiet wie dem Ruhrpott mag (bzw. wird) das natürlich anders gewesen sein.

lubov antworten


love.israel
Beiträge : 125

Disney beschützt Dich
Neu ist diese Idee nicht, bislang sind Konzerne durchaus auch als Kommune aufgetreten, z.B. in der Branche "Gesicherte Wohnkomplexe" - umzäunte Wohnkomplexe mit Sicherheitspersonal,
- Zugang (auch der Einwohner) nur mit Sonderausweis,
- vorherige Anmeldung von Besuchern, die über Nacht bleiben (auch Kinder und Enkel)
- strenge Vorschriften, ob und wann der Mülleimer rausgestellt wird, ob man vor der Tür rauchen darf, Alkoholkonsum, Grillparties etc.
- aber auch Kontrolle bereits bei der Bewerbung als Wohnungsnehmer (richtiges Gehalt, richtige Hautfarbe, richtige Religion).

Ein führender Anbieter in dieser Branche ist der Disney-Konzern geworden. Keine weiße Oma braucht sich in einer amerikanischen Kleinstadt mehr Sorgen um ihre Sicherheit im eigenen Haus in einem mittlerweise herunter gekommenen Wohnviertel mehr machen - ist genügend Geld vorhanden beschützt Mickey Mouse Oma mit hohen Zäunen, Sicherheitsmaßnahmen und Wachpersonal vor Gonuffen.

love-israel antworten
3 Antworten
tristesse
(@tristesse)
Beigetreten : Vor 2026 Jahren

Beiträge : 19045
Veröffentlicht von: @love-israel

Keine weiße Oma braucht sich in einer amerikanischen Kleinstadt mehr Sorgen um ihre Sicherheit im eigenen Haus in einem mittlerweise herunter gekommenen Wohnviertel mehr machen - ist genügend Geld vorhanden beschützt Mickey Mouse Oma mit hohen Zäunen, Sicherheitsmaßnahmen und Wachpersonal vor Gonuffen.

Und was ist mit farbigen Omas?

Veröffentlicht von: @love-israel

Gonuffen.

Das kenn ich nicht?

tristesse antworten
Eldarion
(@eldarion)
Beigetreten : Vor 7 Jahren

Beiträge : 526
Veröffentlicht von: @tristesse

Und was ist mit farbigen Omas?

Vor denen werden die weißen Omas ja gerade beschützt, denke ich 😊

Veröffentlicht von: @tristesse

Gonuffen.

Ganoven?

eldarion antworten
love.israel
(@love-israel)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 125
Veröffentlicht von: @tristesse

Und was ist mit farbigen Omas?

In den USA ist es leider so, dass andere als weiße Nachbarn die Grundstückspreise fallen lassen, denn die Befürchtung geht um, dass einige dieser Nachbarn weitere anlocken könnten. Da sind unsere transatlantischen Freunde leider sehr unfreundlich.

Ob dies bei Disney-Siedlungen auch der Fall ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.

love-israel antworten
Liberatus
Beiträge : 132

Pottersville
Was Du über diese Innovationszonen in Nevada berichtest, erinnert mich sofort an einen beliebten amerikanischen Film von 1946 und seine keineswegs versteckte prophetische Botschaft.

In Ist das Leben nicht schön? schickt Frank Capra die Hauptperson George Bailey, Geschäftsführer eines lokalen Bausparvereins, auf einen Horrortrip in eine Alternativwelt, in der die beschauliche Kleinstadt Bedford Falls in die Hände des Immobilien-Oligarchen Mr. Potter gefallen ist, den Namen Pottersville trägt und zu einem Ort von Kommerz und Kälte geworden ist. Ich liebe den Film nicht nur als warmherziges Plädoyer für menschliche Solidarität, sondern auch als einen der radikalsten phantastischen Filme aller Zeiten.

Rich Cohen kommt in seiner Analyse des Films jedoch zu dem Ergebnis, daß dies der erschreckendste Film aller Zeiten ist, und daß die Horrorvision Pottersville die Welt darstellt, wie sie wirklich ist. https://www.salon.com/2010/12/25/its_wonderful_life_terrifying_movie_ever/

liberatus antworten


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