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Ökonomie der rituellen Opfer

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Arcangel
Themenstarter
Beiträge : 4397

Ich lese gerade Levitikus. Und dabei treibt mich die Frage der Ökonomie um.

Betracht man die Regel für "unbewusste"(!) Sünde und deren Opfer, die erbracht werden müssen. Dann würde ich mal behaupten, ein ehrlicher Jude würde sehr schnell bankrottgehen.

Auch andere Dinge wie zum Beispiel das Opfer für Frauen nach der Regelblutung, die zwei Tauben erfordert. Wenn man die Zahlen der Bibel alleine für die Wüstenwanderung hochrechnet, dann kommt man auf gut eine halbe Milliarde Tauben, die in den 40 Jahren geopfert worden sein müssten. Zum Vergleich, man schätzt die heutige weltweite Taubenpopulation auf 400 Millionen Individuen.

Es ist irgendwie von vorneherein klar, dass diese Gebote nie auch nur ansatzweise von irgend einer Generation Juden eingehalten wurde.

Ausserdem stehen all die Ritualgebote im Narrativ sowohl in Exodus als auch in Levitikus ziemlich quer in der Landschaft.

Da stellt sich mir schon die Frage, was tun die Ritualgebote da überhaupt.

Antwort
27 Antworten
Helmut-WK
Beiträge : 7361
Veröffentlicht von: @arcangel

Wenn man die Zahlen der Bibel alleine für die Wüstenwanderung hochrechnet

Zahlen in altorientalischen Texten (und dazu zählt auch das AT) sind immer mit Vorsicht zu genießen. Es wurde auch schon vorgeschlagen, dass sie aus einer Zeit stammen, in der das Dezimalsystem (noch) nicht benutzt wurde, und deshalb eigentlich niedriger sind. Aber solche Annahmen lösen auch nicht alle Probleme (die es, wie gesagt, auch außerhalb der Bibel gibt).

Veröffentlicht von: @arcangel

Dann würde ich mal behaupten, ein ehrlicher Jude würde sehr schnell bankrottgehen.

Na ja, wenn er wegen dieser Gefahr vorsichtig ist, kann er dem entgehen. Zumal alles, was nicht direkt verbrannt wird, von Menschen gegessen wird - auch das gehört zur "Ökonomie der Opfer". Im Extremfall könnte ein Mensch nur Fleisch essen, das bei seinen Sündopfern anfält 😉

Veröffentlicht von: @arcangel

Es ist irgendwie von vorneherein klar, dass diese Gebote nie auch nur ansatzweise von irgend einer Generation Juden eingehalten wurde.

Aber offenbar von den Pharisäern. Die das einfache Volk, das sich so was nicht leisten konnte, verachteten.

Helmut

hkmwk antworten


andreas
Beiträge : 1802

Hi!

Die vorgeschlagene "Lösung", dass Leviticus erst lange nach der Wüstenwanderung geschrieben wurde und seine Opfervorschriften darum zur Zeit der Wüstenwanderung gar kein Problem darstellten, vermag historisch einzuleuchten, aber wirft neue Fragen auf, die persönlich sogar noch interessanter finde.

1. Wenn wir uns auf die historische Argumentation einmal einlassen, wäre die Frage, woher eigentlich die Erkenntnis kommt, dass Leviticus zur Zeit des zweiten Tempels geschrieben wurde. Es steht ja nirgendwo drin.
Ganz grob ist das historische Hauptargument: Die dort beschriebenen Vorschriften passen am besten in die Zeit des zweiten Tempels, also muss es auch dort geschrieben worden sein.
Die These der sehr späten Abfassung ist also eigentlich keine Lösung für das Problem, das Du wahrnimmst, sondern lediglich eine Schlussfolgerung aus ihm.
Diese Schlussfolgerung mag stimmen oder nicht, sie beantwortet ganz andere Fragen nicht.

2. Wenn man schon annimmt, dass der Text nicht zur Zeit der Wüstenwanderung geschrieben wurde, warum dabei stehenbleiben und nicht auch gleich anzweifeln, dass es überhaupt eine Wüstenwanderung gegeben habe - zumindest in den Zahlen, die in demselben Buch verzeichnet sind? So tun es dann auch die meisten Exegeten, aus deren Stall die Annahme der späten Abfassung stammt.
Allerdings: Wenn die Zahl der Menschen in Wahrheit eine viel geringere gewesen sein könnte, könnten die Tauben ja vielleicht doch gereicht haben.

3. Vorausgesetzt, Leviticus stammt aus der Zeit des zweiten Tempels, stellt sich die für mich interessanteste Frage: Warum wurden diese Vorschriften überhaupt in die Zeit einer Wüstenwanderung zurückprojiziert? Ja, ich weiß, die Standardantwort lautet: Das war halt die Zeit einer besonderen Heiligkeit und Autorität. Aber das war sie ja erst nach Fertigstellung des Pentateuch, nicht schon währenddessen.
All die Ungereimtheiten, die Du bemerkst, werden ja den ersten Lesenden in meinethalben persischer Zeit genauso aufgefallen sein. Und es steht m.W. an diesen Stellen in Leviticus nicht, dass dies Vorschriften seien, die erst später "wenn ihr mal Land und Tempel habt", eingehalten werden sollen.

Was also ist die literarische Absicht dahinter, von einer Situation zu erzählen, in der Vorschriften erlassen werden, die in eben dieser Situation unmöglich eingehalten werden können?

Und im Rahmen des Tempels kann man bei "literarisch" auch immer "theologisch" mitlesen.

Diese Frage wird durch "Der Text wurde viel später geschrieben" nicht beantwortet, sondern streng genommen erst aufgeworfen.

andreas-wendt antworten
2 Antworten
Arcangel
(@arcangel)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 4397
Veröffentlicht von: @andreas-wendt

2. Wenn man schon annimmt, dass der Text nicht zur Zeit der Wüstenwanderung geschrieben wurde, warum dabei stehenbleiben und nicht auch gleich anzweifeln, dass es überhaupt eine Wüstenwanderung gegeben habe - zumindest in den Zahlen, die in demselben Buch verzeichnet sind? So tun es dann auch die meisten Exegeten, aus deren Stall die Annahme der späten Abfassung stammt.

Warum muss man das Kind mit dem Bade ausschütten, dafür besteht doch gar kein Bedarf! Es besteht kein Grund, die Wüstenwanderung anzuzweifeln, höchstens deren Dimension.

Dass die ersten Bücher der Bibel eine Kompilation aus diversen Quellen sind, die erst später zu einem Ganzen zusammengefügt wurden, dazu geben uns die Texte selber genug Anhaltspunkte. Es ist durchaus plausibel und würde so manche holprige Stelle (wie oft war Mose auf dem Berg, haben die Israeliten Gott nur gehört oder auch gesehen, wollten sie auf den Berg und mussten zurückgehalten werden oder fürchteten sie sich und wollten gar nicht? uvm.) auch der Umstand, dass mitten in einem Narrativ ein Stück Gesetz, dass Thematisch mehr oder weniger (meistens eher weniger) passt. Sind für mich ein Hinweis, dass hier eine redaktionelle Arbeit stattgefunden hat, bei dem der Redakteur die Texte nicht verändert, sondern nur zusammengefügt hat. Dies lässt eine Datierung der einzelnen Texte nicht zu. Aus welcher Zeit diese Texte stammen ist offen, da in diesem Texten eigentlich nur vom Zelt gesprochen wird kann der Text auch vor dem ersten Tempel entstanden sein.

Für mich ist die Spezifität der Texte einer eher willkürlichen Auswahl von Delikten eher ein Hinweis, dass hier Urteilssprüche von (Mose Aron oder späteren Priestern) als Gesetz zusammengefügt und in den gesamten Text eingeflossen sind.

Mit dem einfügen in diese Texte wurden diese "Urteile" somit zum Gesetzeskanon.

arcangel antworten
andreas
(@andreas-wendt)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 1802
Veröffentlicht von: @arcangel

Es besteht kein Grund, die Wüstenwanderung anzuzweifeln, höchstens deren Dimension.

Genau das meinte ich mit

Veröffentlicht von: @arcangel
Veröffentlicht von: @###user_nicename###

- zumindest in den Zahlen, die in demselben Buch verzeichnet sind?

Und genau die Zahlen sind es ja, aufgrund deren Du zu Deiner Frage kommst.
Wenn wir nun annehmen, dass die Dimension der Wüstenwanderung ein bisschen kleiner war - oder sogar sehr viel kleiner - dann stellt sich das Problem, wo damals all die Tauben hergekommen sein sollen, nicht mehr. Denn für eine kleinere Dimension könnten sie doch gereicht haben.
Damit fällt aber wiederum der Hauptgrund weg, warum historische Exegese annimmt, die Opfervorschriften seien später abgefasst worden.

Dass die Redaktionsarbeit eher Zusammenfügung als Veränderung war, sehe ich genauso wie Du.

andreas-wendt antworten
lhoovpee
Beiträge : 2819

Auf der einen Seite steht das geschriebene Gesetzt (mit allen Aspekten, die hier schon so genannt wurden). Ob dieses auch so durchgesetzt wurde, steht auf ein anderem Blatt.

lhoovpee antworten


tf8
 tf8
Beiträge : 1309
Veröffentlicht von: @arcangel

Auch andere Dinge wie zum Beispiel das Opfer für Frauen nach der Regelblutung, die zwei Tauben erfordert.

Welche Stelle fordert das?

Beim Suchen fand ich nur Lev. 15,25, das liest sich für mich nach einer Blutung, welche außerhalb der Regel stattfindet. "viele Tage nicht in der Zeit ihrer Isolation, oder über ihre Zeit hinaus".

Von welcher Stelle sprichst Du?

Veröffentlicht von: @arcangel

Wenn man die Zahlen der Bibel alleine für die Wüstenwanderung hochrechnet, dann kommt man auf gut eine halbe Milliarde Tauben, die in den 40 Jahren geopfert worden sein müssten. Zum Vergleich, man schätzt die heutige weltweite Taubenpopulation auf 400 Millionen Individuen.

Vielleicht willst Du anders rechnen. In Deutschland wurden in 2021 51,8 Millionen Schweine geschlachtet.
Mal 40 Jahre: 2,072 Milliarden. Das sind aber Schweine, nicht Tauben.
Ich bin kein Taubenzüchter, ich fand: sie ... erreicht ein Gewicht von bis zu 600g.

Der Fleischkonsum in Deutschland war 2020 57,33 kg pro Kopf.
Das wäre ca. 95 Tauben, eher ein paar mehr (ich verstehe das so, dass das eine das Lebendgewicht (der Taube) ist, das andere das verzehrte Fleisch (ohne Knochen, Innereien usw.).

Ferner fand ich:
Produktion von Geflügelfleisch weltweit: 135,2 Mio t.
Schweinefleisch: 114,4 Mio t.
Rindfleisch: 72,4 Mio t.

Tauben:
bis zu 20 Nachkommen pro Jahr sind möglich.

Für mich das interessanteste ist die Frage der Bibelstelle.

Die erste Hypothese wäre hier: jede Frau solle ein paar Tauben halten.
Nun, heutzutage halten manche Menschen Hunde.
10,7 Mio Hunde
15,7 Mio Katzen
das ist zumindest was ich dazu finde. Für Deutschland, das ist nur rund 1 pro 4 Einwohner. Braucht man noch die Bevölkerungsverteilung.

Dann ist die Frage, wieviel Nahrung ein Hund und eine Katze im Vergleich benötigt.

Dann ist weiterhin die Frage, ob Deine Interpretation logistisch funktionieren würde. Aber das mag ich jetzt nicht ausrechnen.
Soll ich?
21 - 34 Tage?
3-7 Tage lang
21 Tage + 3 Tage = 24 Tage / 365 Tage ~ 15
34 + 7 = 41 / 365 ~ 9

Bei beiden Ansätzen - ich bezweifle immer noch deine Auslegung -
würden die maximalen Nachkommen eines Paares Tauben ausreichen.

Im 2.Samuel 24,9 komme ich auf 1,3 Mio Männer. Vermutung: ähnlich viele Frauen.
1,3 Mio x 15 = 19, 5 Mio Besuche im Tempel (ich frage immer noch nach der Bibelstelle)
19,5 Mio / 365 Tage ~ 53.424 pro Tag
Das erscheint mir eine etwas hohe Zahl.

Auf der anderen Seite sollte wiederum Platz für das ganze Volk dort sein, während der Festtage. Aber das ist eine andere Frage.

Es waren 12 Stämme, abgesehen von der Bevölkerungsverteilung wäre eine grobe Annahme: 1/12 waren Priester (es waren weniger als 1/12 im Tempel tätig, soweit ich das verstehe).

tf8 antworten
Seite 2 / 2
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