Organigram der politischen Ordnung der Richterzeit
Was mich als Nichttheologen einmal interessieren würde, ist folgendes. Falls bekannt - wie war der Aufbau des Staates in Israel während der Richterzeit? Waren diese Richter gewählte Richter? Falls ja, kann man jene Staatsordnung eigentlich mit dem Rätesystem vergleichen?
Veröffentlicht von: @afxFalls bekannt -
das ist letztlich die entscheidende Frage. Was ist bei welcher Quellenlage bekannt?
Die einzige schriftliche Quelle, die über jene Zeit vorliegt, ist das Richterbuch in der Bibel.
Und ich bitte zu beachten, dass ich "über jene Zeit" und nicht "aus jener Zeit" schrieb, denn letzteres ist bereits eine Deutung. (Durchaus auch meine, aber das macht sie nicht besser oder schlechter.)
Historische Forschung würde ganz grob sagen: bei allen Informationen, die sich nicht einem geschichtstheologischen Konzept zuordnen lassen, können wir mit höherer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie aus der beschriebenen Zeit kommen, als bei anderen. Aber ein wenig beißt sich die methodische Katze hier auch selbst in den Schwanz.
Also lange Rede kurzer Sinn:
Veröffentlicht von: @afxwie war der Aufbau des Staates in Israel während der Richterzeit?
Ich würde weder von einem Aufbau noch von einem Staat reden, sondern es war ein loser Stammesverband.
Was die Richter anging, wäre die Annahme einer demokratischen Wahl ein Anachronismus.
Die "Geschichte Israels", die ich im Schrank stehen habe, stammt von 1984 und zitiert aus einer von 1956, die Richter seien "aus der Stadt oder den Stämmen stammende, zur zivilen Verwaltung und Rechtssprechung über eine Stadt und einen entsprechenden Landbezirk von den (Stammes-)Ältesten eingesetzte Vertreter einer Ordnung im Übergang von der Tribal- zur Stadtverfassung." (Herbert Donner, Geschichte Israels Bd 1, S. 150)
Aber gut möglich, dass die Forschung seit 1984 schon mehr weiß. Wobei "wissen" in dem Fall strenggenommen nur Ergebnis von Archäologie sein kann, und da sehe ich wenig Chancen für ein Organigramm.
Veröffentlicht von: @afxFalls ja, kann man jene Staatsordnung eigentlich mit dem Rätesystem vergleichen?
Den Vergleich halte ich für sehr gewagt.
Eine andere Frage wäre, ob sich herausfinden lässt, welches Bild von dem Zusammenleben der Stämme Israels das Richterbuch in seiner Endgestalt zeichnen will. Ich sehe aber auch da wenig Möglichkeit, bis zu einem Organigramm zu kommen.
Dann war das wohl so etwas ähnliches wie die afghanische "Jirga".
Ich überlege gerade, ob das System der Richter nicht eher vergleichbar war mit dem System der germanischen Stämme, die anfangs auch gewählte Häuptlinge hatten und wo es keine Erbfolge gab. Am längsten haben meines Wissens die Sachsen an diesem System festgehalten: keine Fürsten, kein König, nur ein Häuptling.
Später erst entwickelte sich daraus die bekannte Ordnung mit dem Adel (und damit Königtum).
Veröffentlicht von: @andreas-wendtDie "Geschichte Israels", die ich im Schrank stehen habe, stammt von 1984 und zitiert aus einer von 1956
Also schon sehr alt.
Veröffentlicht von: @andreas-wendtdie Richter seien "aus der Stadt oder den Stämmen stammende, zur zivilen Verwaltung und Rechtssprechung über eine Stadt und einen entsprechenden Landbezirk von den (Stammes-)Ältesten eingesetzte Vertreter einer Ordnung
Wie kommen die auf die Idee? Die Richter der Richterzeit sind von niemanden eingesetzt außer von Gott (die einzige "Ernennung" durch einen Menschen ist die Berufung Baraks zum Richter durch die Prophetin Deborah).
Oder sind da die Leute gemeint, die in den Toren der Städte Recht sprachen? Die kommen allerdings im Richterbuch nicht vor ...
Veröffentlicht von: @andreas-wendtWobei "wissen" in dem Fall strenggenommen nur Ergebnis von Archäologie sein kann
Zuweilen hilft auch der Vergleich mir besser bekannten, ähnlich gelagerten Fällen, siehe meinen "verneinenden" Beitrag mit dem Hinweis auf akephale Gesellschaften.
Helmut
Veröffentlicht von: @hkmwkVeröffentlicht von: @hkmwkDie "Geschichte Israels", die ich im Schrank stehen habe, stammt von 1984 und zitiert aus einer von 1956
Also schon sehr alt.
Schon, ja.
Veröffentlicht von: @hkmwkWie kommen die auf die Idee? Die Richter der Richterzeit sind von niemanden eingesetzt außer von Gott
Nun muss das eine das andere nicht zwingend ausschließen.
Es gibt in Richter 10,1-5 und 12,7-15 Listen von Richtern, von denen nichts weiter erzählt wird. Sie werden in der Bibelkunde darum auch gern "kleine Richter" genannt. Wir erfahren hier nichts darüber, wie sie eingesetzt werden.
Zwei Deutungen wären möglich:
1. Wir müssen hier von den Geschichten her schließen, in denen eine Einsetzung durch Gott erzählt wird, und sie auch hier annehmen.
2. In anderen Geschichten wird eine Einsetzung durch Gott ausdrücklich erzählt, weil sie eigentlich der Ausnahmefall war, und es sonst eben die Richter als normale Institution einer Stämmegesellschaft gab.
Beide Interpretationen scheinen mir plausibel.
Letztlich macht es die von mir zitierte These aber so, wie Du es selbst beschreibst, nämlich schließt aus einem
Veröffentlicht von: @hkmwkVergleich mit besser bekannten, ähnlich gelagerten Fällen,
Ich muss diese These übrigens weder verteidigen noch bekämpfen, aber sie schien mir nicht ganz so abwegig wie Dir.
Veröffentlicht von: @andreas-wendtLetztlich macht es die von mir zitierte These aber so, wie Du es selbst beschreibst, nämlich schließt aus einem
Veröffentlicht von: @andreas-wendtVergleich mit besser bekannten, ähnlich gelagerten Fällen,
Damit meinte ich aber Völker, die ungefähr so organisiert waren bzw. sind, wie es aus dem Richterbuch (mit meiner Interpretation) hervorgeht.
Helmut
Da ich gerade in der Althebräisch-Leseklasse im Buch Richter stecke, kann ich dir einiges dazu schreiben, soweit wie wir schon durchgestiegen sind.
Das Wort für Richter wird durch verschiedene Querverweise als Hirte, Befreier gelesen.
Die Vorstellung eines Richters unserer aktuellen Zeit mit Rechtsprechung betrifft höchstens die Prophetin Deborah, die ihr "Büro" zwischen Rama und Bethel unter der Deborah-Palme hatte. Dorthin ging das Volk, wenn es eine Rechtsprechung brauchte, die im Stammesverband nicht gelöst werden konnte.
Nach Josua gab es lange keinen von Gott eingesetzten Leiter, so wie Mose und Josua. Eine Ältestenschaft wurde um Rat gefragt, ansonsten tat jeder, was im gut dünkte.
Die Reihenfolge der Richter ist nicht so, wie sie im Buch nacheinander erscheinen. Es gibt auch zeitliche Lücken, in denen angenommen wird, dass die Ältesten wieder eine Zeit Einfluß hatten.
Es gibt ein Muster im Buch Richter, das sich mehr oder weniger deutlich in den einzelnen Stories wiederholt:
1) Das Volk wandte sich von Gott ab.
2) Gott liess daraufhin Bedrückung zu, Schwierigkeiten mit den umgebenden Stämmen/Völkern.
3) Das Volk schrie zu Gott.
4) Ein Befreier stand auf und half und das Volk hatte xx Jahre Ruhe.
Dann ging das Spiel von vorne los.
Das war eine wilde Zeit mit vielen Aufs und Abs, bis dann der Prophet Samuel kam als letzter Richter und Übergang in die Zeit der Könige.
Daher wird sie auch als nicht-staatliche Zeit bezeichnet
Nein.
Veröffentlicht von: @afxWas mich als Nichttheologen einmal interessieren würde, ist folgendes. Falls bekannt - wie war der Aufbau des Staates in Israel während der Richterzeit?
Israel war zu der Zeit kein Staat, sondern eine "akephale Gesellschaft", etwas ungenauer ausgedrückt: eine Anarchie.
Auf lokaler Ebene gab es Leitung (Dorf- und Sippenältesten, womöglich auch noch was "eine Stufe höher"), aber es gab keine zentralen politischen Organe. Das einzige, was "zentral" war, war das Heiligtum in Schilo ("Stiftshütte"). Religiös bedeutsam, aber keine politische Institution.
Typisch für akephale Gesellschaften: Wenn sie kollektiv bedroht werden, schließen sie sich zusammen und vergessen interne Konflikte, aber sobald der Feind abgewehrt ist, fällt das wieder auseinander. Das ist eben nur eine "Notstandsordnung", die erlischt, wenn der "Notstand" nicht mehr existiert.
In Israel sah das so aus, dass ein von Gott erwählter "Richter" auftrat, der den Kampf führte (das war konkret unterschiedlich, lies am besten mal das Buch der Richter in Einem durch). Spätestens nach dessen Tod gab es nichts mehr, was die 12 Stämme zusammenhielt (und einige Richter scheinen auch nur einen Teil der Stämme "gerichtet" zu haben, allerdings gehen darüber wohl die Meinungen auseinander).
Am Ende des Richterbuchs wird das so zusammengefasst: "Damals gab es keinen König in Israel, jeder tat, was er für richtig hielt".
Solche akephalen Gesellschaften sind von außen so gut wie unregierbar: Selbst wenn du ein Führer, unter dem sie sich zusammengeschlossen haben, besiegen kannst, wird doch über kurz oder lang ein anderer auftreten, und die Sache geht von neuem los. Noch heute gibt es deshalb Gebiete, in denen die Regierung sich möglichst wenig einmischt, z.B. die "tribal areas" in Pakistan (an der Grenze zu Afghanistan).
Veröffentlicht von: @afxFalls ja, kann man jene Staatsordnung eigentlich mit dem Rätesystem vergleichen?
Ein Rätesystem ist deutlich weniger anarchisch. Dafür kann man ein Organigramm erstellen, bei einer akephalen Gesellschaft macht so was keinen Sinn.
Helmut
Ups, war nicht abonniert ...