Die genussvolle Gra...
 
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Die genussvolle Grausamkeit manch Menschen. Woher kommt das nur?

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Gelöschtes Profil
Themenstarter
Beiträge : 26767

Jetzt gerade in Syrien werden viele Gefangene aus den Gefängnissen befreit. 

 

Man liest von sehr, sehr, sehr vielen Grausamkeiten. 

 

Woher kommt das? Was muss passieren um Grausam zu sein?

 

M.

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40 Antworten
Simba
 Simba
Beiträge : 263

@meriadoc Beides liegt ja in unserem Wesen gegründet:

das, was dem Leben und Wohlergehen zuträglich ist, und was wir "gut" oder "das Gute" nennen,

wie auch das, was dem Leben und Wohlergehen abträglich ist, destruktiv, und was wir "schlecht" nennen.

Wie man das Schlechte nähren kann, ist ganz vielfältig und da könnte man lange drüber schreiben (schlimme Erfahrungen, Ideologien, Feindbilder, Gottesbilder, Bedrängnisse wie Hunger, Krieg, Ausgrenzung usw.)

Auf jeden Fall ist auch der Grausame selbst Opfer seiner Grausamkeit, denn solch eine seelische Verfassung macht einen Menschen kaputt. Man mag sich mit seiner Ideologie darüber hinwegtäuschen und es verdrängen, aber es macht einen kaputt.

simba antworten
1 Antwort
hundemann
(@hundemann)
Beigetreten : Vor 1 Jahr

Beiträge : 930

ja, habe selbst auch Gewalt verübt, und Gewalt erhalten....

Was mir hilft ist der mein einfacher Glaube an Christus.  Christus brachte seinen Jüngern bei,

was es heißt, zu dienen......

ER wusste, dass IHM Gott der Vater unbegrenzte Macht gegeben hat. Aber er legte Seinen 

Umhang ab, und wusch den Jüngern die Füße.....................................................

Füße war damals die Arbeit der Sklaven.

Bis auf Petrus protestierte keiner der Jünger. Sie hielten es für selbstverständlich, das Christus

sie auf Liebe von Gott dem Vater, zu sich selbst, und zu seinen Jüngern........bediente.

Obwohl Christus wusste, was für eine Macht ER hatte, diente er, und forderte sie gleichzeitig

auf, auch zu dienen. Herrschen und Dienen sollen unzertrennbar sein............

Kann man das heute so noch leben............

Wo wir Menschen alle, auch ich, ein tiefes Bedürfnis nach Macht, Anerkennung, Größe und

Bedeutung haben, auch ich.

Denn die meisten Beziehungen zerbrechen an der Frage, wer die Macht, das Sagen hat,

Größe, Bedeutung, wichtig sein...........

Frieden heißt auch, verzichten zu können.................

Da habe ich auch noch viel zu lernen. Eine einfache Botschaft Christi, aber schwer zu leben.

Wenn ich meinen Stolz ablegen kann, mir von Christus die Füße zu waschen,

kann ich vielleicht auch anderen Menschen die Füße waschen.

 

 

 

hundemann antworten


neubaugoere
Beiträge : 17185

@meriadoc 

Galater 5,22

19 Was die menschliche Selbstsucht hervorbringt, ist offenkundig, nämlich: Unzucht, Verdorbenheit und Ausschweifung,
20 Götzenanbetung und magische Praktiken, Feindschaft, Streit und Rivalität, Wutausbrüche, Intrigen, Uneinigkeit und Spaltungen,
21 Neid, Trunk- und Fresssucht und noch vieles dergleichen.

neubaugoere antworten
9 Antworten
Gelöschtes Profil
(@deleted_profile)
Beigetreten : Vor 3 Jahren

Beiträge : 26767

@neubaugoere 

 

Ja, aber nicht jeder wird deswegen zum Sadisten, Quäler......

 

Trotzdem guter gedanke

 

 

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Herbert
(@herbert)
Beigetreten : Vor 1 Monat

Beiträge : 14

@neubaugoere 

Wenn man die Erklärung einfach so aus dem Kontext wiedergibt hilft es nicht viel, denn die Frage ist ja, wo kommt Unzucht etc. her.

AUs der Bibel entnehme ich, dass die Liebe die größte Kraft ist, aus der sich alle anderen ableiten. Wie du eingangs geschrieben hast ist die Selbstsucht = einseitige und übertrieben Selbstliebe die erste Ursache. AUch Menschen wie Hitler etc. haben geliebt, aber eben nur ihr EGO und die, die dieses bedient haben.

Das zweite Problem ist, dass wenn einer in einer Gemeinschaft beginnt nur sich selbst zu lieben und danach sein Handeln ausrichtet, die anderen, die das ursprünglich nicht wollen, aber Angst bekommen, dass sie nun benachteiligt werden, weil der erste hemmungslos in seine Tasche wirtschaftet, dann beginnen sie mitzumachen. EIn giftiger Pilz kann eine komplettes Ragou verderben.

herbert antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 5 Jahren

Beiträge : 5029

@herbert Das zweite Problem ist, dass wenn einer in einer Gemeinschaft beginnt nur sich selbst zu lieben und danach sein Handeln ausrichtet, die anderen, die das ursprünglich nicht wollen, aber Angst bekommen, dass sie nun benachteiligt werden, weil der erste hemmungslos in seine Tasche wirtschaftet, dann beginnen sie mitzumachen.

 

Ich würde es anders formulieren, aber der Mechanismus, den Du da ansprichst, ist wirklich relevant. Das Problem dabei: ursprünglich ist er im evolutionsbiologischen Sinne dafür verantwortlich, dass sich die Spezies Mensch weiter entwickelte: zum Herrscher der Erde. Die Tendenz, egoistisch zu handeln, ist bei allen Lebewesen vorhanden (also die Regel, nicht die Ausnahme!), wird nur häufig dadurch "versteckt", dass es im egoistischen Sinne sein kann, mit anderen zu kooperieren (Näheres dazu hat R. Dawkins in seinem Buch "Das egoistische Gen" ausgeführt).

Es gibt aber nun mal sowas wie eine gauss'sche Normalverteilungsglocke auch hinsichtlich der genetischen Veranlagung, sich egoistisch zu verhalten: Während bei den allermeisten sich egoistische und altruistisch-cooperative Tendenzen die Waage halten, gibt es an den Rändern Individuen, die sich entweder besonders egoistisch oder besonders altruistisch verhalten. Je nachdem, wie nun die Umgebung sich verändert hat, können dadurch die eher altruistischen oder die eher egoistischen Individuen besonders viel Erfolg haben (und sich auf Dauer in der Gesamtpopulation durchsetzen). Wenn z.B. besonders kooperative Individuen Erfolg im Leben haben, werden diese Individuen mehr Nachkommen (mit der genetisch vererbten Tendenz, sich kooperativ zu verhalten) haben und die Gesamtpopulation wird kooperativer (Umgangsdeutsch: sozialer). Während im umgekehrten Fall, wenn sich egoistisches Verhalten auszahlt, die nächste Generation sich in Richtung "mehr Egoismus wagen" entwickelt.

Es handelt sich dabei um einen evolutionären Regulierungsmechanismus, der in den letzten paar Milliarden Jahren dafür gesorgt hat, dass sich auch das soziale Leben immer den sich wandelnden Umweltbedingungen anpassen konnte: Von da an, wo andere Menschen ein ebenso große Bedrohung für uns, bzw. unsere Chancen auf Nachkommenschaft bedeuteten wie sonstige Berdrohungen (Wetter, Freßfeinde, Nahrungsmittelknappheit), wurde es notwendig, sich gegen diese Bedrohung zu wappnen: ja, man war zwar darauf angewiesen, dass bei der Mammut-Jagd alle kooperierten. Aber man musste auch, um sich (als Individuum) erfolgreich fortpflanzen zu können, zusehen, dass man bei der Beuteverteilung seinen "gerechten Teil" abbekam. Oder gern auch etwas mehr...

Wenn wir nun bei uns Menschen die Tendenz bemerken, dass viele Egoisten unterwegs sind - dann lässt sich daraus erstmal etwas über unsere Vergangenheit ablesen: Offenbar war egoistisches, aggressives Verhalten in den letzten paar tausend Jahren erfolgreicher als rein altruistisches Verhalten. Egoisten, auch aggressive Egoisten, hatten besonders viele Nachkommen, die wiederum genetisch besonders gut auf die zunehmend egoistisch strukturierte Umwelt vorbereitet waren: Im Haifischbecken braucht man selbst scharfe Zähne, und Friedfische überleben darin nicht lang.

Die Struktur unserer Umwelt ist inzwischen vor allem eine kulturelle: Es war in den vergangenen Jahrhunderten, wenn nicht sogar ein, zwei Jahrtausenden, wichtiger, sich angepasst an die kulturellen, als an die natürlichen Umweltbedingungen zu verhalten. Kulturelle Umweltbedingungen meint hier: Gesellschafts- bzw. Herrschaftsformen. Lange dominierte die Gesellschaftsform der Adels- oder Königsherrschaft (übrigens auch zu Jesu Zeiten!) und spätestens seit Machiavelli haben wir's schwarz auf weiss, dass altruistisches Verhalten nicht gerade der Erfolgsweg für Fürsten ist. In den letzten dreihundert Jahren ging die faktische Herrschaft vom erblichen Adel auf den Geld-Adel über, was an der sozialen Grundstruktur nichts änderte, beziehungsweise sogar offenbarte, wie ihre Gesetze lauten: konkurriere!

Das ist der kategorische Imperativ des heute über die Welt herrschenden Kapitalismus: "Konkurriere, oder gehe unter!"

Und wie Du es ganz richtig beschrieben hast, sehen sich auch jene dazu gezwungen, diesem Imperativ zu folgen, die es eigentlich gar nicht wollen. Denn wer dem Imperativ nicht Folge leistet, der hat unter den gegebenen Umweltbedingungen die Arschkarte gezogen, Sprichwörter - immer gute Hinweise auf die Tatsächlichkeit eines Phänomens -  dazu gibt's zur Genüge: "Den letzten beißen die Wölfe." usw..

Mehrere Beispiele für das, was Du ansprichst:

wenn einer in einer Gemeinschaft beginnt

finden sich in den Meditations on Moloch Beispielsweise wenn sich alle in der Gemeinschaft darauf verständigen, einen Teil ihres Einkommens dafür (Umweltschutz, beispielsweise Filtereinbau in Fisch-Farmen, die an einem See angesiedelt sind, der ansonsten droht, seine Wasserqualität zu verlieren) zu verwenden, dass die Einkommensquelle erhalten bleibt. Derjenige, der heimlich gegen die Vereinbarung verstößt, profitiert nicht nur davon, sondern droht gleichzeitig, die anderen aus dem Markt zu drängen: weil seine Waren ja entsprechend günstiger verkauft werden können, ohne dass sich sein Profit vermindert. Der Druck auf die anderen, sich ebenfalls nicht mehr an die Vereinbarung zu halten, also ebenfalls wieder vom kooperativen zum egoistischen Verhalten zu wechseln, wächst entsprechend. Geben sie ihm nicht nach, bezahlen sie dafür mit der Vernichtung ihrer Existenz. (Man könnte es übertragen und sagen: folgerichtig bezahlte Jesus dafür, nicht sich gemäß den herrschenden Gesetzlichkeiten, dem Moloch-Prinzip, zu verhalten, mit dem Tod.)

 

Ich nenne diesen Mechanismus, angeregt durch die verlinkte Website, das Moloch-Prinzip. Und dieses Prinzip herrscht über die Welt. (Man könnte es übertragen und sagen: folgerichtig bezahlte Jesus dafür, nicht sich gemäß den herrschenden Gesetzlichkeiten, dem Moloch-Prinzip, zu verhalten, mit dem Tod.)

Jeder von uns, der sich angepaßt an die Regeln der kapitalistischen Wirtschaftsform verhält, unterwirft sich damit Moloch (den man mit einem finsteren Gott vergleichen könnte). Weil Moloch, also die Tendenz zum Egoismus, schon in uns ist. Wir müssen uns nicht erst großartig und nach langen Gewissenskämpfen dafür entscheiden: es ist unsere default position, unsere Standardeinstellung.

 

Man muss aufpassen, da zu sehr moralisch zu werden. Der Moloch in uns "normalen Menschen" ist kein Sadist. Er ist nur rücksichtslos. Er treibt uns nicht an: "Füge Schmerz und Leid zu!", sondern er rät uns lediglich: "Sieh zu, dass du deinen Vorteil sicherst, die Probleme anderer Leute sind nicht die deinen!"

Seine Rücksichtslosigkeit lässt sich für so gut wie alle von uns in tausenderlei kleinen Alltagsdetails nachweisen. Beispielsweise haben wir gerade im Smalltalk-Forum einen Thread über Schokoladenhasen zur Osterzeit. Na klar, der ist nur Smalltalk. Aber an ihm wird die Selbstverständlichkeit unserer Rücksichtslosigkeit exemplarisch deutlich: Wenn sich deutsche Mittelstandsbürger darüber austauschen, wie teuer doch die Schokolade inzwischen in den Supermärkten geworden sei: jene Schokolade, die zu 80 bis 90%* von Menschen angebaut wird, die unter sklavenähnlichen Bedingungen leben müssen.

Das ist also der Herrscher dieser Welt: unser aller Selbstverständnis, dass Rücksichtslosigkeit schon irgendwie okayisch sei, solange ihre logisch notwendigen und sichtbaren Folgen nicht direkt vor der eigenen Haustür auftauchen.

Eigentlich, also aus der rein moralischen Perspektive, müsste es ja so sein: Alle sind wir dafür, dass Menschen fair für ihre Arbeit bezahlt werden. Also beteiligen wir alle uns nicht daran, Sklavenarbeit zu unterstützen und kaufen also keine unfair produzierten Waren.

Aber wenn dann am Ostersonntag die Kinder im Garten nach den Ostereiern suchen und ihre strahlenden Augen angesichts des goldenen Lindt-Hasen, den sie zwischen den Tulpen gefunden haben, von ihrer Freude zeugen... Dann sind wir als Onkel oder Tanten, Omas oder Opas, Mamas oder Papas auch beglückt und verschwenden an die Teenager, die ohne Lesen und Schreiben in der Schule lernen zu können ihre Jugend in ghanaischen Kakaoplantagen durchschuften, keinen weiteren Gedanken. Denn es geht ja in erster Linie um unsere nächsten (genetischen) Verwandten, darum, dass unsere Kinder, Enkel oder Nichten/Neffen es gut haben. In denen steckt immerhin ein gut Teil unserer eigenen Gene....

Nicht, weil wir Sadisten wären. Sondern nur, weil wir eben "normal rücksichtslos" veranlagt sind.

Dein Gleichnis mit dem vergifteten Ragout passt also nicht so recht: wir verhalten uns systemkonform allesamt toxisch.

Und daraus lässt sich ableiten: es kann mit uns menschlichen Pilzen am Ende kein schmackhaftes Ragout geben. Wir vergiften unsere Welt systemisch, sofern wir uns nicht schleunigst darauf verständigen, dass jeder, der gegen das Allgemeinwohl handelt, mit empfindlichen Sanktionen zu rechnen habe.

Dies wird allerdings nicht geschehen, da bin ich ganz pessimistisch. Und also wird unsere  (angeborene!) soziale Präferenz für egoistisches Verhalten dafür sorgen, dass wir angesichts sich sehr rasch ändernder natürlicher Umweltbedingungen (Klimawandel, Artensterben, Überbevölkerung mit entsprechender Verknappung aller natürlichen Rohstoffe) die Anpassung nicht hinbekommen. Unser Hang zu egoistischen Handlungsstrategien hatte Hunderttausende, ja Millionen von Jahren Zeit, sich genetisch zu etablieren. Wir werden ihn nicht in wenigen Jahren/Jahrzehnten aus uns heraus bekommen. Giftpilze, die wir sind.

 

 

 

*Heute in den Informationen am Mittag des dlf war eine aktuelle Meldung von Oxfam dazu Thema.

jack-black antworten
Herbert
(@herbert)
Beigetreten : Vor 1 Monat

Beiträge : 14

@jack-black 

Ich kann Deine Argumente gut nachvollziehen. In der Quintessenz behauptets Du, dass das gut und richtige Leben das jenige ist, das der Mainstream vorgibt. Auch Hitler hat mit ´naturrechtlichen Argumenten` Krieg angezettelt und Trumpfs ´America first` liegt genau auf der Ebene, auf der Du argumentierst. Kann man so machen, Hat aber mit Jesus überhaupt nichts zu tun, sondern mit der Reproduktion der unseligen Zustände in der Welt oder wie Adorno sagt: "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen". Entweder man stellt sich wie immer es einem möglich ist gegen diese Welt oder man ist für diese und dann aber auch gegen Gott.

 

herbert antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 15 Jahren

Beiträge : 25283

@herbert 

Ich kann Deine Argumente gut nachvollziehen. In der Quintessenz behauptets Du, dass das gut und richtige Leben das jenige ist, das der Mainstream vorgibt.

Über "gut und richtig" habe ich da nichts gelesen... nur darüber, wie es nun einmal IST.

Und das ist tatsächlich sehr wichtig. Ich muss da immer wieder an den Kommunismus denken: An sich, wenn man sich so die Grundideen durchliest, ist das doch eine tolle Sache, von der alle Menschen profitieren könnten.

Aber: Menschen SIND NICHT so, dass der Kommunismus funktionieren könnte. Am Ende wird es immer egoistische Tyrannen geben, die das System zur eigenen Bereicherung ausnutzen. Und die Bereitschaft, für eine anaonyme Gemeinschaft zu arbeiten, ist bei praktisch allen Menschen auch nicht so hoch ausgeprägt, wie die Bereitschaft, für sich selbst und die unmittelbar nahestehenden Menschen zu arbeiten.

Wenn wir also überlegen, wie eine bessere Welt aussehen könnte - und das sollten wir immer tun - dann müssen wir dabei auch berücksichtigen, wie der Mensch IST - ansonsten wird jede noch so gut klingende Idee scheitern.

lucan-7 antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 5 Jahren

Beiträge : 5029

@herbert In der Quintessenz behauptets Du, dass das gut und richtige Leben das jenige ist, das der Mainstream vorgibt.

Da hast Du mich gründlich mißverstanden.

Auch Hitler hat mit ´naturrechtlichen Argumenten` Krieg angezettelt (...)

Ich argumentiere nie naturrechtlich. Ganz im Gegenteil vertrete ich stets die Auffassung, dass sich Normatives nicht aus Ontologischem ableiten lässt: was in der Natur geschieht, hat per sei keine ethische Relevanz.

Aber ich bin eben auch der Ansicht, dass man die Welt nur dann (falls überhaupt...) verstehen kann, wenn man jenseits von Gut und Böse denkt. Wenn man sich anschaut, was geschieht und nach welchen Mustern es geschieht, kann man (falls überhaupt...) herausfinden, wie man es hinkriegt, dass dass geschieht, was man wünscht.

Du hattest geschrieben:

die anderen, die das ursprünglich nicht wollen, aber Angst bekommen, dass sie nun benachteiligt werden, weil der erste hemmungslos in seine Tasche wirtschaftet, dann beginnen sie mitzumachen.

Das habe ich als zutreffende Beobachtung empfunden: Menschen handeln manchmal nicht-kooperativ, obwohl sie eigentlich kooperativ zu handeln bereit waren. Dann aber merken sie, dass die geltenden Regeln (!!!) so aussehen, dass Leute, die sich kooperativ verhalten, dafür bestraft werden: in Deinen Worten: benachteiligt.

Ich sage nicht, dass dies "gut" sei, und zwar sage ich das nicht nur im moralischen Sinne, sondern auch hinsichtlich der Interessen derer, die da handeln. Am Ende leiden ja alle (wenn auch in unterschiedlichem Maße) darunter, wenn sich egoistisches gegen ehrlich kooperatives (ich möchte gern das Wort "altruistisch" vermeiden, da ich nicht denke, dass es echten Altruismus überhaupt gibt) Verhalten durchsetzt. Ich zitiere hier mal eine Passage aus den oben verlinkten "Meditations on Moloch" und übersetze in fett (ohne KI 😉 ):

Malaclypse complains to the Goddess about the evils of human society. “Everyone is hurting each other, the planet is rampant with injustices, whole societies plunder groups of their own people, mothers imprison sons, children perish while brothers war.”

The Goddess answers: “What is the matter with that, if it’s what you want to do?”

Malaclypse: “But nobody wants it! Everybody hates it!”

Goddess: “Oh. Well, then stop.”

Malaclypse beschwert sich der Göttin gegenüber über die Schlechtigkeit der Menschheit: "Jeder verletzt jeden, der Planet wird von Ungerechtigkeiten überschwemmt, ganze Gesellschaften plündern ihre eigenen Mitglieder aus, Mütter werfen Söhne ins Gefängnis, Kinder verrecken, während Brüder Krieg gegeneinander führen."

Die Göttin antwortet: "Wo liegt das Problem, wenn es doch das ist, was ihr wollt?"

Malaclypse: "Aber niemand will das! Alle hassen es!"

Die Göttin: "Oh. Na, dann hört halt auf damit."

Das ist der springende Punkt. Rein logisch könnten wir Menschen damit aufhören, uns und unseren Planeten kaputt zu machen. Liebe braucht es dafür nicht, und im Gegenteil zu Dir und vielen anderen glaube ich nicht, dass Liebe ein ausreichender Motivator ist: weder gibt es genug von ihr noch hält sie lang durch. Nein, es würde ausreichen, dass wir kollektiv vernünftig handeln: Wir wollen nicht, dass es Kriege gibt? Na, dann sollten wir eben keine führen. Wir wollen nicht, dass der Planet zur überhitzten Hölle wird? Dann sollten wir ihn nicht weiter aufheizen. Wir wollen nicht, dass die Ressourcen so schnell zur Neige gehen, dass am Ende um die letzten Reste ein Kampf auf Tod und Leben geführt wird? Dann sollten wir sie uns besser einteilen...

Um also uns sinnvoll hinsichtlich unserer eigenen (Überlebens-) Interessen zu verhalten, müssen wir aber zuerst erkennen, wie wir uns üblicherweise, durch unsere genetischen Anlagen getrieben, verhalten. Wir müssen uns selbst erkennen und dürfen uns da nichts vormachen. Wir dürfen uns also beispielsweise auch nicht vormachen, dass wir (und die jeweils anderen) eigentlich gerne kooperativ und liebevoll handeln und eigentlich in unserer großen Mehrheit hilfsbereite, unegoistische Wesen seien. Das sind wir nicht, die Menschen würden nicht die Welt beherrschen, wenn sie solche netten Zeitgenossen wären. Nein, wir müssen uns eingestehen: wenn wir uns auf unsere Gefühlstendenzen verlassen, Gefühlstendenzen, die in unserer biologischen Natur verankert sind - dann werden wir uns ähnlich verhalten wie in den letzten paar Millionen Jahren. In der Vergangenheit war so ein Verhalten, von einem Gutteil Aggressivität und Rücksichtslosigkeit geprägt, zwar der Weg zu unserem Erfolg - aber die Welt hat sich geändert: der Platz, den unsere Vorfahren hatten, der ist für uns heute viel kleiner: Zu Jesu Zeiten gab es schätzungsweise 300 Millionen Menschen auf der Welt, erst vor 200 Jahren wurde die 1 Milliardenmarke erreicht, und inzwischen sind wir über 8 Milliarden: Zwanzig mal so viele wie in biblischen Zeiten. Und mit einem Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch, der um ein Vielfaches höher ist. Wenn man vor tausend Jahren nicht in einen Krieg geraten wollte - dann konnte man in die Wildnis gehen und als Einsiedler leben. Wenn man nicht den Schikanen eines despotischen Herrschers ausgesetzt sein wollte - dann konnte man ebenfalls auswandern. Ein paar hundert Kilometer weit weg - und schon war es unwahrscheinlich, dass man überhaupt je wieder etwas über diesen Herrscher würde hören können.

Gleichzeitig war man aber auch im Durchschnitt viel stärker auf die Gesellschaft, in der man lebte, angewiesen. Wenn man sich in der seinen Ruf erstmal verscherzt hatte, als Faulenzer, Dieb oder Betrüger identifiziert: dann war man sozial fast schon tot. Und konnte, wenn man nicht als Einsiedler im Walt überleben wollte, kaum darauf hoffen, eine andere Gemeinschaft zu finden, die einem beim Überleben half. Man war also zu kooperativem Verhalten innerhalt der kleinen Gesellschaft gezwungen: nur die Smartesten schafften es in solchen kleinen Gemeinschaften (Gemeinden... 😉 ) sich den Anschein ehrlich kooperativen Verhaltens zu wahren und dennoch heimlich egoistisch zu Werk zu gehen.

Man konnte also einerseits, wenn man individuell stark genug dazu war, eine Gesellschaft verlassen (zum Beispiel, weil man die in ihr geltenden Regeln scheisse fand) und irgendwo in den unbesiedelten Weiten der Erde nach eigenem Gutdünken existieren. Man war aber, wenn man eben nicht individuell besonders stark genug war, allein zu überleben, dazu verdonnert, die eigenen egoistischen Triebe zurückzunehmen, bzw. so weit zu kontrollieren, dass man nicht aus der Gemeinde ausgegrenzt wurde. Man musste sich "gesellschaftskonform" verhalten: nicht unbedingt aus moralischer Überzeugung sondern aufgrund des eigenen Überlebensinteresses.

So war das früher.

Heute gibt es auf dem ganzen Planeten keinen "freien Platz" mehr, auf den sich jemand, der mit unserer Gesellschaft nix zu tun haben will, zurückziehen könnte. Jedes freie Stückchen Erde hat einen Besitzter, genaugenommen gibt's kein freies Stückchen Erde mehr. Und selbst, wenn man sich mit Erlaubnis eines Landbesitzers irgendwo seine Klause würde in den Wald stellen dürfen: den Begleitumständen der gigantisch angewachsenen Gesellschaft: dem Klimawandel, dem Artensterben, der Vergiftung von Luft, Wasser und Boden entkommt man ja nicht mal als Pinguin* in der Antarktis. Einer mag individuell so starkt sein wie er will: seiner Mit-Menschheit vermag er heutzutage nirgends mehr zu entkommen.

Auf der anderen Seite haben wir heute keine kleinen Gemeinschaften mehr, sondern die Massengesellschaft. Man kann gestern noch seine Cousine auf die fieseste Art abgezogen haben, und kann dennoch heute problemlos sein Gesicht auf der Straße zeigen - denn die Cousine und die vier, fünf anderen Leute, denen sie was erzählt hat, wird man mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dort nicht treffen, weil die Millionenstadt eben recht viele Straßen hat... Wenn ich heute in einer kleinen Gemeinde ein Gemeindemitglied hintergehe - dann will morgen niemand mehr was mit mir zu tun haben. Wenn ich heute in einer Millionenmetropole (in einem Zig-Millionenland) jemanden hintergehe. Dann wird mich morgen immer noch jeder Verkäufer, jeder Fahrkartenkontrolleur, jeder Mitarbeiter in der Verwaltung... so freundlich behandeln, als wäre ich ein "unbescholtener Bürger".  Erst recht, wenn ich jemanden mies behandelt habe (z.B. durch den Kauf von durch Kindersklavenarbeit produzierter Schokolade), der nicht als "Teil unserer Gesellschaft" verstanden wird.

Rücksichtsloses Verhalten auch der  individuell nicht starken ist in unserer Gesellschaft also wesentlich weniger riskant als es das vor ein, zwei Jahrtausenden der Fall war. Die Opportunitätskosten für egoistisches Verhalten sind für die Masse der Menschen immer geringer geworden. Wer sich vor zweitausend Jahren offen egoistisch verhielt, musste stark genug sein, mit sozialem, aber auch mit physischem (gewaltsamem) Widerstand klar zu kommen. Es herrschte tatsächlich das Recht des Stärkeren. Man musste sich Rücksichtslosigkeit im existentiellen Sinne leisten können: man setzte mit vielen Arten von Vergehen immer gleich sein Leben auf's Spiel, wenn man es nicht zu verteidigen wusste.

Die Opportunitätskosten für allerlei Egoismus-Vergehen sind in unserer heutigen Gesellschaft fast auf Null gefallen. Nimm als Beispiel Fernreisen: Wer mit dem Flugzeug über den Atlantik düst, nimmt damit vom schrumpfenden Ressourcenteller der Menschheit dermaßen viel für sich weg, dass man es eigentlich als Diebstahl bezeichnen müsste. Aber die Leute halten es für eine Art Gewohnheitsrecht, Urlaub im Ausland zu machen und wenn jemand auf die Idee käme, per Gesetz die Preise von Flugreisen nachhaltig zu machen, gäbe es vermutlich einen Volksaufstand: (Konsum-)Rücksichtslosigkeit wird als Bürgerrecht wahrgenommen, egoistisches Verhalten wird also nicht bestraft, sondern, Quadratur des Irrsinns, sogar noch gelobt: als Verbraucherverhalten, welches das Wirtschaftswachstum anregt...

Langer Ausführungen kurzer Sinn: Die Welt hat sich extrem verändert und unsere "natürlichen" Verhaltensweisen sind nicht mehr an diese Welt angepasst. Also haben wir zwei Alternativen: Entweder, wir verhalten uns so, wie es uns unsere Gene per Bauchgefühl raten. Oder wir setzen unsere Vernunft ein. Das ist nicht unmöglich. Wir müssen nicht die Welt zerstören. Wir müssen keine Kriege führen. Wir müssen nicht akzeptieren, dass Mütter ihre Kinder einsperren und Brüder einander massakrieren. Wenn wir das nicht wollen - dann könnten wir damit aufhören. Es gibt kein Naturgesetz/Naturrecht, das uns daran hindert.

Wir müssen dazu aber ehrlich sein und genau genug in der Problemanalyse. Wir müssen erkennen, dass und wie wir uns in die heutige Lage gebracht haben, wir müssen unsere Schwächen schonungslos aufdecken und dann kluge Strategien aushecken, wie wir am intelligentesten diese Schwächen kompensieren. Und wenn wir diese Strategien gefunden haben - dann müssen wir uns auch an sie halten.

Wenn, wie Du es richtig beobachtest, Leute oft nur deswegen rücksichtslos handeln, weil sie, wenn sie nicht so wie alle anderen "spielen", benachteiligt werden... Dann müssen wir doch wohl die Spielregeln ändern. Und zwar grundsätzlich, falls sich herausstellen sollte - und das tut es! - dass die bisherigen Spielregeln Ausdruck unserer egoistischen, rücksichtslosen und unkooperativen Verhaltenstendenzen sind: Ausdruck unserer Schwäche.

 

 

 

 

 

 

 

*Trauriger fun fact, den ich heute vormittags einem Wikipediaartikel über den (einstigen...) Aralsee entnahm: Dort, wo einst das sechstgrößte Binnengewässer der Welt war, findet sich heute eine Salz- und Staubwüste. Der Aralsee wurde von Menschenhand trocken gelegt, weil seit Mitte des letzten Jahrhunderts den ihn speisenden Flüssen viel zu viel Wasser für die Baumwollfelder der Sowjetunion entnommen wurde. Wo einst Fische gefangen wurden, findet sich eine ganz spezielle Wüste: nicht einfach nur ausgetrockneter Erdboden. Sondern eine Mischung aus Erdboden, Salz und chemischen Rückständen all der Pflanzenschutzmittel, die so in die immer giftigere Brühe gerieten.  Es bilden sich immer wieder starke Windsysteme, welche diesen Salz- und Gift-Staub bis in die Stratosphäre hoch blasen - sodass Rückstände sowjetischer Herbizide inzwischen im Fleisch von Pinguinen nachgewiesen wurden.

jack-black antworten
Herbert
(@herbert)
Beigetreten : Vor 1 Monat

Beiträge : 14

@jack-black 

Da hast Du mich gründlich mißverstanden.

Das tut mir dann wirklich Leid.

Aber ich bin eben auch der Ansicht, dass man die Welt nur dann (falls überhaupt...) verstehen kann, wenn man jenseits von Gut und Böse denkt.

Was ist denn jenseits von Gut und Böse? Wenn es nicht moralisch -ethisch ist, dann ist es ´wissenschaftlich-objektiv` oder? Aber das ist eben auch moralisch. Man kann nicht nicht moralisch sein / handeln.

 Dann aber merken sie, dass die geltenden Regeln (!!!) so aussehen, dass Leute, die sich kooperativ verhalten, dafür bestraft werden: in Deinen Worten: benachteiligt.

Wo kommen die geltenden Regeln her? Es sind doch gerade die, die anfangen, aus der ´Reihe` des Gemeinwohls zu tanzen, dass sie sich die Macht erobern, um genau diese Regeln quasi als naturgegeben – normal – alternativlos – in der Ideologie / Zeitgeist zu verankern. Unter anderem deshalb musste Jesus letztlich sterben, weil er gegen den Zeitgeist und die Interessen der israelitischen Eliten angegangen ist. Nicht umsonst heißt es (1Kor.3,19): Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott. Es steht ja geschrieben: "Er verfängt die Weisen in ihrer Schlauheit."

Ich sage nicht, dass dies "gut" sei, und zwar sage ich das nicht nur im moralischen Sinne, sondern auch hinsichtlich der Interessen derer, die da handeln. Am Ende leiden ja alle (wenn auch in unterschiedlichem Maße) darunter, …..

Was ist der Unterschied zwischen ´moralisch handeln` und ´im Interessen` handeln. Die Moral wird doch nach den Interessen festgelegt. Wenn Ökonomen behaupten, wer Geld verleiht muss Zinsen nehmen um a) sein Risiko abzudecken und b) als Belohnung weil er Geld verleiht, dann wird dies zur Moral! Und zwar soweit, dass ein Bankier verklagt werden kann von seinen Aktionären, wenn er das nicht in ausreichendem Maße tut.   

Den Wandel der Moral kann man sehr gut an der Kriegsdebatte verfolgen. Viele die zuvor Krieg und Waffengewalt für unmoralisch hielten werten um: die sog. Interessen der Landesverteidigung sind nun plötzlich moralisch vertretbar.

 

Malaclypse beschwert sich der Göttin gegenüber über die Schlechtigkeit der Menschheit: "Jeder verletzt jeden, der Planet wird von Ungerechtigkeiten überschwemmt, ganze Gesellschaften plündern ihre eigenen Mitglieder aus, Mütter werfen Söhne ins Gefängnis, Kinder verrecken, während Brüder Krieg gegeneinander führen."

    Die Göttin antwortet: "Wo liegt das Problem, wenn es doch das ist, was ihr wollt?"

    Malaclypse: "Aber niemand will das! Alle hassen es!"

        Malaclypse: "Aber niemand will das! Alle hassen es!"

Genau diese Prämisse stimmt in keiner Weise. Schau dir die aktuelle Weltgeschichte an. Es sind sicher die wenigstens, die wirklich Krieg wollen. Aber es reichen wenige aus, um eine ganze Gesellschaft für den Krieg zu bewegen, indem entsprechende Argumente und Zwangsmittel (subtil bis offensichtlich) kombiniert werden.

Das ist der springende Punkt. Rein logisch könnten wir Menschen damit aufhören, uns und unseren Planeten kaputt zu machen. Liebe braucht es dafür nicht, und im Gegenteil zu Dir und vielen anderen glaube ich nicht, dass Liebe ein ausreichender Motivator ist: weder gibt es genug von ihr noch hält sie lang durch. Nein, es würde ausreichen, dass wir kollektiv vernünftig handeln: Wir wollen nicht, dass es Kriege gibt?

Da hast du es auf den Punkt gebracht: kollektive Vernunft ist das, was ich oben beschrieben habe. Synonym: der angebliche Zwang des Faktischen. Daher ist Liebe die einzige Kraft, die was ändern könnte. Du hast recht: weder gibt es genug von ihr noch hält sie lang durch,

Vor allem aber ist auch unklar, was Liebe in diesem Sinne beinhaltet. Die immanente Widersprüche die zu lösen wären, hat die Theologie der Befreiung ziemlich ausführlich und vollständig durchdekliniert. Wer wirklich Gott liebt, und dass heißt vorallem die Menschen und Schöpfung, kann in seinem Wirkungskreis der bürgerliche Vernunft entgegentreten.

 Um also uns sinnvoll hinsichtlich unserer eigenen (Überlebens-) Interessen zu verhalten, müssen wir aber zuerst erkennen, wie wir uns üblicherweise, durch unsere genetischen Anlagen getrieben, verhalten. Wir müssen uns selbst erkennen und dürfen uns da nichts vormachen. Wir dürfen uns also beispielsweise auch nicht vormachen, dass wir (und die jeweils anderen) eigentlich gerne kooperativ und liebevoll handeln und eigentlich in unserer großen Mehrheit hilfsbereite, unegoistische Wesen seien.

Da fällst Du meiner Meinung nach voll in die naturrechtliche oder -philosophische Denkweise zurück. Welche Kraft haben genetischen Anlagen? Ich empfehle einen Blick in Epigenetik. Zweitens: selbst wenn es genetische bedingt einen starken egoistische Treib gebe, liegt ja gerade die Herausforderung des Menschseins darin, diese zu überwinden. Die Frage ist nicht, wie sind wie genetisch determiniert, sondern wie will ich als Menschen sein. Wenn man die Freiheit, die diese Frage sinnvollerweise voraussetzt, nicht ernsthaft als gegeben voraussetzt, dann ist Menschsein wie Tiersein. 

Oder wir setzen unsere Vernunft ein -.... Die herrschende Vernunft ist die Hure der Unmoral. Es gibt keine objektive Vernunft, wie Kant das suggeriert. Es gibt die Freiheit, sich Moral und Vernunft zusammenzuzimmern, das schließt die Wahl nach einer Letztbegründung ein. Dass ist für mich die Offenbarung. Die aber, weil auch mehrdeutig, allerdings ebenso eine a priori Grundentscheidung verlangt, woran man sich orientiert. Also der Glaube an Gott und dass das Leben auf der Erde quasi die Weichenstellung für das eigentliche im Jenseits ist.

Gleichzeitig war man aber auch im Durchschnitt viel stärker auf die Gesellschaft, in der man lebte, angewiesen. Wenn man sich in der seinen Ruf erstmal verscherzt hatte, als Faulenzer, Dieb oder Betrüger identifiziert: dann war man sozial fast schon tot.

Das sind Erzählungen für Kinder, damit sie schon brav sind. In Wirklichkeit wird Faulheit, Diebstahl und Betrug kultiviert und zur Moral. Klar, jemand der ein Sparkassenautomat sprengt ist ein Dieb. Aber was ist mit denen wie jetzt jüngst in Schatten von Trumps Zinspolitik durch die Kurssprünge Millionen in die Tasche gesteckt haben oder wenn der Vorstandsvorsitzende von VW 10 Million euro in Jahr kassiert. Das ist doch nichts anderes als legaler Diebstahl oder?

Dann müssen wir doch wohl die Spielregeln ändern. Und zwar grundsätzlich, falls sich herausstellen sollte - und das tut es! - dass die bisherigen Spielregeln Ausdruck unserer egoistischen, rücksichtslosen und unkooperativen Verhaltenstendenzen sind: Ausdruck unserer Schwäche.

Das finde ich ein treffende Zusammenfassung. Wie fängt man damit an, ohne nicht in die Gefahr zu geraten, da auszukommen, von wo man weg wollte. Alle sozialen Utopien haben nicht das gehalten, was sie versprochen haben. Was tun?  

herbert antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 5 Jahren

Beiträge : 5029

@herbert Was ist denn jenseits von Gut und Böse? Wenn es nicht moralisch -ethisch ist, dann ist es ´wissenschaftlich-objektiv` oder?

Nicht notwendigerweise. Gut und Böse sind Konzepte, die meiner Ansicht nach bei der Analyse von ethischen Problemen nicht sonderlich weiter bringen. Ich will hier aber jetzt keine ellenlangen philosophischen Abhandlungen dazu verfassen und nur darauf hinweisen, dass m.A.n. ethische Überlegungen lieber die jeweiligen Interessen von an Konflikten Beteiligten in den Fokus nehmen sollten, als die müßige Frage, ob diese Beteiligten nun gut oder böse seien. So lässt sich auch pragmatisch leichter zwischen Handelnden und Handlung (Tat) unterscheiden. "Jenseits von Gut und Böse" ist freilich eine Formulierung, die als Titel eines Nietzsche-Textes berühmt wurde. 🙂

Wo kommen die geltenden Regeln her?

Die sind selbstverständlich das Ergebnis eines sich über Jahrtausende hinziehenden Konfliktausfechtungs- und Verhandlungsprozesses zwischen Menschen, der nie abgeschlossen sein wird.

Was sie nicht sind - und mit dieser Ansicht unterscheide ich mich höchstwahrscheinlich von Dir wie von den meisten anderen Usern hier auf Jesus.de: von irgendwelchen göttlichen Entitäten festgelegt.

Was ist der Unterschied zwischen ´moralisch handeln` und ´im Interessen` handeln. Die Moral wird doch nach den Interessen festgelegt

Nein. Sie kann höchstens als Ausdruck einstiger Interessen jener verstanden werden, die jene im Moment geltenden Regeln und Normen, (in deren Gesamtheit sie besteht) festlegten, bzw. aushandelten.

Nehmen wir z.B. eine Sexualmoral, nach welcher unter anderem die Regel gilt, dass eine Frau anderen Männern als ihrem Ehemann nicht die Hand geben darf. Da dürfte es in der Vergangenheit Männer gegeben haben, die nach Maßnahmen suchten, die sexuelle Treue ihrer Ehefrauen zu sichern (weil es halt scheisse ist, wenn man Kukukskinder untergejubelt bekommt - alle Formen der sexuellen Eifersucht lassen sich über die Artgrenzen hinweg letztlich auf dieses evolutionsbiologisch völlig logische Motiv zurückführen).

Moral ist also gewissermaßen stets von gestern, sie besteht aus einer Menge von Vor-Urteilen: Urteile, die in der Vergangenheit und häufig sogar von anderen (womöglich längst Toten) gefällt wurden und aufgrund denen nun aktuelle ethische Fragen beantwortet werden sollen.

Mein Beispiel macht den Vorteil deutlich, den eine Fokussierung auf die Interessen bietet: Wenn wir die Regel, dass eine Frau einem fremden Mann nicht die Hand geben dürfe, als Ausdruck der (nachvollziehbaren!) Interessen von Männern in der Vergangenheit betrachten, statt als eine bösartige Willkürlichkeit, dann können wir vermutlich wesentlich entspannter mit Leuten diskutieren, die heute noch auf die Gültigkeit dieser Regel pochen. Wir könnten zum Beispiel das entscheidende Interesse (dass ein Mann nicht für Kinder sorgen will, die überhaupt nicht seine leiblichen Kinder sind) als legitim anerkennen und sagen: "Heute gibt es die Möglichkeit von DNA-Untersuchungen. Wer als Mann nicht für nicht-leibliche Kinder aufkommen möchte, kann jederzeit seine Vaterschaft überprüfen lassen. Die Regel mit dem Hand-Geben ist nicht mehr notwendig, um die legitimen Interessen der Männer zu schützen. Also lasst sie uns abschaffen, weil sie die Frauen unnötigerweise in ihren sozialen Freiheiten beschränkt."

 

Genau diese Prämisse stimmt in keiner Weise. Schau dir die aktuelle Weltgeschichte an. Es sind sicher die wenigstens, die wirklich Krieg wollen.

Man muss solche literarischen Texte - von wegen: alle - schon mit etwas gutem Willen lesen. Selbstverständlich gibt es ein paar ganz Wenige, die wirklich Krieg wollen. Aber die ganz überwiegende Mehrheit (99% wäre meine Schätzung) will keine Kriege.

Aber es reichen wenige aus, um eine ganze Gesellschaft für den Krieg zu bewegen, indem entsprechende Argumente und Zwangsmittel (subtil bis offensichtlich) kombiniert werden.

Ja genau. Das ist das - zu lösende! - Problem. Die Gesellschaft sollte sich eben nicht in Kriege hineinmanipulieren lassen. Sollen doch die Putins, Napoleons, Hitlers oder Neros sich hinten im Garten die Köppe einschlagen: falls die restlichen 99 Prozent Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen würden, bräuchten sie nicht mit zu machen.

Dass in der Realität sehr häufig sich Gesellschaften in Kriege verwickeln lassen, ist eine bedauerliche Tatsache, aber keine Schicksalsnotwendigkeit.

 

Da fällst Du meiner Meinung nach voll in die naturrechtliche oder -philosophische Denkweise zurück.

Nein, diese Deine Meinung ist irrig.

Welche Kraft haben genetischen Anlagen?

Sie haben eine gewaltige Kraft, aber per se messe ich ihnen keine normative Kraft bei, argumentiere also nicht naturrechtlich.

Ich empfehle einen Blick in Epigenetik.

Welche Relevanz hätte Epigenetik im hier diskutierten Zusammenhang?

 

selbst wenn es genetische bedingt einen starken egoistische Treib gebe, liegt ja gerade die Herausforderung des Menschseins darin, diese zu überwinden.

Nein, der egoistische Trieb, der uns Menschen (wie allen anderen Lebewesen!!!) innewohnt, lässt sich nicht "überwinden". Aber er lässt sich beherrschen, disziplinieren, sogar nutzen - falls man ihn und seine Wirkmechanismen hinreichend analysiert. Übrigens ist Zivilisation letzten Endes nichts anderes als dies: die Bändigung unserer natürlichen (egoistischen) Triebe.

 

Oder wir setzen unsere Vernunft ein -.... Die herrschende Vernunft ist die Hure der Unmoral.

Sorry, da kommen wir nicht zusammen, ich kann mit solcher Terminologie nicht sinnvoll umgehen.

 

Es gibt keine objektive Vernunft, wie Kant das suggeriert.

Wo würde Kant das suggerieren?

Das sind Erzählungen für Kinder, damit sie schon brav sind.

Nö.

In Wirklichkeit wird Faulheit, Diebstahl und Betrug kultiviert und zur Moral.

Da kommen wir einander wieder näher. Die Moral, von der Du da sprichst, nenne ich: Finanzkapitalismus. Dieser bestimmt derzeit die Regeln, wie Menschen global sich verhalten.

Klar, jemand der ein Sparkassenautomat sprengt ist ein Dieb. Aber was ist mit denen wie jetzt jüngst in Schatten von Trumps Zinspolitik durch die Kurssprünge Millionen in die Tasche gesteckt haben oder wenn der Vorstandsvorsitzende von VW 10 Million euro in Jahr kassiert. Das ist doch nichts anderes als legaler Diebstahl oder?

Richtig. Und ich möchte die Aufmerksamkeit auf das Wörtchen "legaler" lenken.

Allerdings ist es ebenso "legaler Diebstahl", wenn wir Deutschen insgesamt uns von den Naturressourcen dieser Erde dreimal soviel nehmen, wie uns eigentlich zustehen würden für den Fall, dass wir mal probehalber annehmen, dass jedem Erdenbürger sein "gerechter" Anteil an ihnen zustehe.

So sieht die momentan herrschende Moral aus: Dass Privateigentum ohne Limit stets durch staatliche Gewalt geschützt sein müsse, während die Plünderung der Ökosphäre so gut wie gar nicht sanktioniert wird..

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

jack-black antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 5 Jahren

Beiträge : 5029

Korrektur

Da fällst Du meiner Meinung nach voll in die naturrechtliche oder -philosophische Denkweise zurück.

Diese Meinung hatte ich als irrig bezeichnet, aber je nachdem, wie man den Begriff "naturrechtlich" versteht/verwendet, war sie doch begründet. Ich hatte das Konzept des Naturrechts bislang so verstanden, dass aus Tatsachen in der Natur, zu denen Theologen insbesondere auch die Existenz Gottes mit rechnen, normative Grundprinzipien ableiten ließen, Zitat aus dem Artikel:

In einem engeren Sinne verwenden die Moralphilosophie und die Theologie das Naturrecht als Maßstab für diejenigen Prinzipien, aus denen die Sollsätze und die Bestimmung der Gerechtigkeit für ein naturgegebenes Miteinander abgeleitet werden. (...)

Die katholische Kirche hält bis ins 21. Jahrhundert am Begriff Naturrecht fest.

Im gleichen Artikel finden sich aber auch diese Anmerkungen:

Die säkularen rechtsphilosophischen Ausprägungen des Naturrechts, die nicht aus religiösen Grundwerten hergeleitet sind, sondern von der Erkennbarkeit durch menschliche Vernunft, werden als Vernunftrecht bezeichnet.

Wenn Du also bei Deinen Ausführungen insbesondere solche säkularen rechtsphilosophischen Ausprägungen vor Augen hattest, kann ich verstehen, wie Du zu Deiner Meinung gelangtest. Zwar sind meine Vorstellungen darüber, wie Normen verhandelt werden können (noch nicht mal: sollen), anders als diejenigen der im Artikel genannten Aufklärer Hobbes, Locke oder Rousseau. Aber diesen Unterschied darzulegen, fehlt mir gerade die Lust, es auf eine überschaubare Argumentation zu konzentrieren - oder vielleicht auch momentan die Fähigkeit.

 

jack-black antworten
B'Elanna
Beiträge : 1788

Ich denke, Dinge wie Mitgefühl, Rücksicht, Gönnen-können etc. sind ein Stück weit auch anerzogen.
Genauso wie der Hang zu Gewalt, fehlende Kommunikation und einfach "das Recht des Stärkeren".
Wer letzteres vorgelebt bekommt, kann auch nur letzteres weitergeben.

Außerdem ist erwiesen durch verschiedene psychologische Versuchsreihen, dass die Hemmschwelle zu Gewalt gesenkt bzw. eingerissen werden kann durch so simple Dinge wie "Befehl", Druck oder vermeintliche Alternativlosigkeit.

Und dann gibt es mW auch noch psychologische Krankheitsbilder, denen jede Empathie abgeht.
Aber da weiss Queequeg sicher besser Bescheid.

belanna antworten
1 Antwort
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 6731

@belanna 

"psychologische Krankheitsbilder, denen jede Empathie abgeht"

Ganz kurz für den Moment:

ja, es gibt Krankheitsbilder, die zu erheblich irritierenden und mit den gesellschaftlich tolerierten Äusserungen des Lebens nicht in Übereinstimmung stehen, z.B.

strukturelle Defekte der Hirnsubtanz z.B. durch einen Unfall oder Erkrankungen oder sonstige Störungen des Blutdurchflusses in verschiedenen Hirnarealen,

durch eine Unregelmäßigkeit im Blutsystem überhaupt z.B. ein Tumor.

Störung der Neurotransmitter im Gehirn.

Bei allen diesen Störungen dürfte eine "Schuldfähigkeit" sehr in Frage stehen.

queequeg antworten


Millie49
Beiträge : 356

Quergedanke dazu: Wieso gibt es Zeit Jahrzehnten Mobbing an Schulen? Ich (Jg. 1967) war davon betroffen, die Tochter einer Freundin und nun die Enkelin einer guten Bekannten, einfach ich anders war und die beiden Mädchen anders sind (Aussehen und Auftreten). Hat die Menschheit dbzgl. nichts dazugelernt? Bringen die Eltern ihren Kindern keine Empathie bei, weil sei selber schon Täter waren? Alles kleine Psychopathen von großen Psychos? DAS macht MICH wütend und traurig! 

millie49 antworten
2 Antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 5 Jahren

Beiträge : 5029

@millie49 Bringen die Eltern ihren Kindern keine Empathie bei

Empathie kann man niemandem beibringen. Die hat man, oder man hat sie nicht. Was man beibringen kann, ist empathisch wirkendes Verhalten. Früher nannte man das: anständiges, faires, gesittetes Verhalten. 😉

jack-black antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 6731

@millie49 

"Hat die Menschheit dbzgl. nichts dazugelernt?"

Offenbar. Aber das ist nicht neu, nur das Wissen darüber. Wir wissen u.a. heute, dass Kinder schon intrauterin von Schädigungen bei der Mutter betroffen sind, wenn die Mutter z.B. ein traumatisches Erlebnis während der Schwangerschaft hatte, oder es eine Zwillingsschwangerschaft war, die ein Zwilling nicht überlebte, oder vor allem auch, wenn die Schwangerschaft und Geburt während eines (Bürger-)krieges bestand. Man rechnet in Fachkreisen davon, dass erst die 4. Generation nach einem Krieg von direkten Folgen der Krieges nicht mehr heimgesucht werden.

Jetzt kann man mal tiefgründig fragen, was aus den Menschen wird, die zurzeit eine Welt erleben, in der anscheinend nur Krieg und Mord und Vertreibung Wirklichkeit wird und man offenbar an nichts mehr glauben kann.

Klar, die kleinen Psychopathen werden große Psychopathen, so wie ihre Eltern inzwischen groß gewordene Psychopathen sind, die mal klein angefangen haben.

queequeg antworten
Lucan-7
Beiträge : 25283

@meriadoc 

Woher kommt das? Was muss passieren um Grausam zu sein?

Mischung aus Veranlagung (Genetik) und Erfahrungen (Erziehung, Erlebnisse).

 

 

lucan-7 antworten
1 Antwort
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 6731

@lucan-7 

... und Gelegenheit bzw aktuellem Anlass, wie z.B. überwiegend bei unpolitischen Amokläufern, bei denen fast immer eine Situation der persönlichen Frustration dem Amoklauf vorausgegangen ist.

Bei politischen Tätern ist es eigentlich genau so, nur werden sie meist von klein an auf Hass und Aggression trainiert.

Sehr empfehlenswert zum Thema das Buch "Der Luzifer-Effekt" von Philip Zimbardo. 

 

queequeg antworten


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