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Die kluge Else

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Queequeg
Themenstarter
Beiträge : 6439

In diesem Märchen geht es um eine Frau, die sozusagen nur sein durfte, wenn sie den Vorstellungen der Eltern - und später aller anderen Menschen – entsprach und natürlich auch nur tun durfte, was von ihr erwartet wurde. Als sie dann einmal doch getan hatte, was sie selbst wollte, kam es zur Katastrophe und alle hielten sie für verrückt. Aber es war weder eine Katastrophe, noch war sie verrückt - sie hatte sich nur der Fesseln entledigt, mit denen sie ihr Leben lang gebunden war.

Eines der Märchen, das erst auf den 2. Blick gut ausgeht.

Die Entwicklung dieser Frau, die nur Tochter eines Vaters und später Ehefrau eines Mannes sein durfte und nicht sie selbst, hat Drewermann in seiner Interpretation beklemmend realistisch beschrieben - auch den einzigen Ausweg.

Aber, das ist der Preis der Freiheit - man kann einsam dabei werden.

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107 Antworten
Lucan-7
Beiträge : 23134

@queequeg 

Aber, das ist der Preis der Freiheit - man kann einsam dabei werden.

Weshalb die Freiheit vielerorts gleich doppelt verneint wird: Sowohl die eigene Freiheit als auch die anderer Personen, von der Norm abzuweichen, wird abgelehnt.

Im Ergebnis bleibt die Unsicherheit, auf der diese Ablehnung beruht, weiter bestehen, wird sogar noch gehegt und gepflegt, während alles, was irgendwie Anders ist als man selbst, mit großer Aggression verfolgt wird.

Das sind jedenfalls die Zustände, auf die wir gerade wieder zusteuern...

lucan-7 antworten


neubaugoere
Beiträge : 16019

Ist es das hier? Die kluge Else der Gebrüder Grimm.

Zweite Frage: Was genau möchtest du sagen? Über die Motivation deines Beitrags hast du noch nichts berichtet. Tät mich aber interessieren. Danke.

neubaugoere antworten
17 Antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

Ja, das ist es.

Ich hatte zufällig mit der Frage einem "Kluge-Else-Dasein" zu tun, das übrigens nicht nur für Töchter von Vätern - und Müttern - gilt, sondern ebenso für Söhne von Väter oder Müttern.

Da hat jetzt Lucan schon gut erfasst, dass es letztlich um die Angst vor der Freiheit geht und wie man den Mut davor bekommt, anstatt sich der Angst und der daraus folgenden Aggression zu überlassen.

queequeg antworten
neubaugoere
(@neubaugoere)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 16019

@queequeg 

Weil du gern allen "Gefesselten" grad ne Geschichte über Freiheit zukommen lassen wolltest? Ich scheine deine Motivation nicht wirklich zu verstehen ... Ich hab am Tag auch mit Vielem zu tun, was aber keinen Grund bietet, etwas zu posten ... Verstehst du, wonach ich frage?

neubaugoere antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

Nee.

queequeg antworten
neubaugoere
(@neubaugoere)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 16019

@queequeg Ist das jetzt der Part, wo einer dem anderen was aus der Nase zieht oder magst du es einfach nicht sagen? Ist ja auch nicht schlimm, kann man ja einfach so sagen. Du auch. 😉

neubaugoere antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

Ich hab keine Ahnung, was Du willst. Ich habe es hier reingestellt, weil es gerade in meinem Umfeld Thema war. Morgen gibt es vielleicht ein anderes Thema - stell ich dann vielleicht auch hier rein, oder auch nicht.

queequeg antworten
neubaugoere
(@neubaugoere)
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@queequeg 

Warum stellst du diese Dinge hier rein? - Wäre meine Anschlussfrage. Ich vermute aber, dass ich keine Antwort erhalten werde. Ist auch okay. Da können wir uns offenbar nicht verständigen, was auch völlig in Ordnung ist. (für mich ist "weil ich es grad erlebt habe" keine Motivation)

neubaugoere antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

Ja dann musst Du halt mit der Lücke leben. Ich bastele doch nicht Dir zuliebe eine Motivation, die es gar nicht gibt.

Was übrigens ist eigentlich Deine Motivation, auf meinen Beitrag einzugehen?

queequeg antworten
neubaugoere
(@neubaugoere)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 16019

@queequeg - zum vorherigen Beitrag

Kräftemessen 😀 Ich übe Umgang.
Im Ernst: Mir erschließt sich nicht, warum du aus dem Nichts so einen Beitrag schreibst ohne Zusammenhang HIER und auch ohne weitere Worte, wieso du ... aber das hatten wir ja schon. Deshalb frage ich einfach mal nach. Resümee: Du bist der Fachmann, ich bin nur ein Laie. 😉

neubaugoere antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

Ich kann Deinen Einwand nicht verstehen. Es schreibt doch hier nicht jeder und jedes mal aus einer bestimmten Motivation. Ich wüsste auch gar nicht, was die sein sollte.

Ich denke einfach, das eine oder andere, was ich erlebe oder denke, könnte für andere interessant sein - geht mir jedenfalls irl so. Wenn das Motivation ist, dann ist es das. Aber deshalb muss man doch keine Inquisition in Gang setzen.

queequeg antworten
neubaugoere
(@neubaugoere)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 16019

@queequeg 🙂 - zum vorherigen Beitrag

Ja, genau das ist Motivation. - Schön wäre es, du schriebst sie einfach dazu. 🙂
Hast du das Gefühl, ich setzte ein Inquisition in Gang? Wouw. Tut mir leid, wenn ich da bei dir was getroffen hab. - In "real" hört sich das vielleicht anders an, wenn ich 2 oder 3x nachhake. - Hätte ich nicht nachfragen sollen? Wenn ja, warum nicht? 

neubaugoere antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

"Hätte ich nicht nachfragen sollen?"

Sicher. Wäre aber schön gewesen, wenn Du nun Deinerseits gezeigt hättest, was Deine Motivation ist, das wissen zu wollen.

Und was ist jetzt anders als vorher? Macht das meinen Text verständlicher oder akzeptabler oder was?

queequeg antworten
neubaugoere
(@neubaugoere)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 16019

@queequeg - zum vorherigen Beitrag

Veröffentlicht von: @queequeg

Wäre aber schön gewesen, wenn Du nun Deinerseits gezeigt hättest, was Deine Motivation ist, das wissen zu wollen.

Ich dachte, das hätte ich:

Veröffentlicht von: @neubaugoere

Mir erschließt sich nicht, warum du aus dem Nichts so einen Beitrag schreibst ohne Zusammenhang HIER und auch ohne weitere Worte

Veröffentlicht von: @neubaugoere

Was genau möchtest du sagen? Über die Motivation deines Beitrags hast du noch nichts berichtet.

Ich will dich einfach verstehen. 🙂

neubaugoere antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

"Ich will dich einfach verstehen. "

Schön, das will ich umgekehrt ja auch und finde dazu keinen Ansatz.

Die Beiträge, die hier initiiert werden, haben doch nur selten einen Zusammenhang mit anderen Threads. Und nur bei einer Minderheit ist ausdrücklich eine Motivation erwähnt.

Deshalb verstehe ich nicht, warum und woraufhin Du ausgerechnet jetzt bei meinem Beitrag so ausdrücklich nach einer Motivation fragst.

Außer dem, was ich geschrieben habe - aber selbst nicht wirklich als Motivation verstehe - kann ich mir auch gar nicht vorstellen, was dabei Motivation sein könnte.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

Beiträge : 23134

@queequeg 

Da hat jetzt Lucan schon gut erfasst, dass es letztlich um die Angst vor der Freiheit geht und wie man den Mut davor bekommt, anstatt sich der Angst und der daraus folgenden Aggression zu überlassen.

Wobei es fraglich bleibt, ob die ursprüngliche Erzählung hier wirklich etwas über "Freiheit" aussagen wollte... geschweige denn, ob diese irgendwie positiv vermittelt werden soll.

Man kann es zwar so auslegen... aber wäre das die Absicht der Autoren gewesen, dann stünden eher Vater und Ehemann kritisch im Mittelpunkt als die vermeintlich dumme und verwirrte Else.

Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit war zum Zeitpunkt der Entstehung der Geschichte kein großes Thema in der Gesellschaft.

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@lucan-7 

"die ursprüngliche Erzählung hier wirklich etwas über "Freiheit" aussagen wollte... geschweige denn, ob diese irgendwie positiv vermittelt werden soll."

Das ist nicht das Anliegen eines Volks-Märchens. Es wird ja auch nicht wie ein Kunstmärchen von einem Autor gedichtet, der etwas Bestimmtes damit sagen will, sondern entwickelt sich im Laufe vieler Jahrhunderte aus dem "Bauch des Volkes". Es sagt etwas aus, wie es im oder mit dem Leben einer "klugen Else" oder eines "Rotkäppchen" oder eines "Schneewitchens" ist.

Weil es die Gegebenheiten des Lebens überdeutlich zeigt, kann man dann dessen Bedeutung extrahieren.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

Beiträge : 23134

@queequeg 

Weil es die Gegebenheiten des Lebens überdeutlich zeigt, kann man dann dessen Bedeutung extrahieren.

Es sind aber  nicht nur "Gegebenheiten", sondern auch Werte und Ideale.

 

 

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@lucan-7 

Die gehören ja schon zu den Gegebenheiten dazu. Aber sie spielen als moralische Kategorien in Märchen kaum eine Rolle.

queequeg antworten
lhoovpee
Beiträge : 2990

@queequeg 

Im Märchen von den Gebrüder Grimm ist das "kluge" ja eher ironisch gemeint, weil das Mädchen eben gar nicht so klug war, sonder dumm. Sie erkannte noch nicht einmal sich selbst. Der Mann wollte sie nicht mehr, weil sie zu dumm war. Am Ende wollte niemand etwas mit ihr zu tun haben und sie verließ das Dorf.

Ob man hier nun Freiheit und Emanzipation hinein interpretieren kann... ich weiß ja nicht. Auch wenn ich eine solche Version cool fände. 

lhoovpee antworten
4 Antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

Beiträge : 23134

@lhoovpee 

Ob man hier nun Freiheit und Emanzipation hinein interpretieren kann... ich weiß ja nicht. Auch wenn ich eine solche Version cool fände. 

Ich denke schon... es wird halt nur nicht als etwas positives dargestellt. Wer "frei" sein will, der verschwindet aus der Gesellschaft. Und das wird keineswegs kritisch gesehen, sondern als natürliche Konsequenz. Entweder man akzeptiert das Leben, das einem zugewiesen wird - oder man ist niemand mehr.

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@lhoovpee Ich habe - nach den entsprechenden Vorgesprächen - zu Beginn jeder Therapie den Leuten dieses Märchen vorgelesen. Die meisten konnten erstmal nichts damit anfangen und fanden es nur komisch. Es hatte auch nie jemand gekannt. Ich habe es ihnen dann mit der Interpretation von Drewermann mitgegeben und sie gebeten, sich trotz ihres initialen Unverständnisses Gedanken darüber zu machen.

Mit ganz wenigen Ausnahmen hatten dann in der folgenden Sitzung die Leute unisono gesagt, dass sie beim Nachlesen des Märchens in Ruhe und der Interpretation gemerkt haben, dass sie selbst eine "kluge Else" waren - auch die Männer.

Vor allem erkannte so gut wie jeder, dass er gar nicht dumm war, aber dumm gehalten oder für dumm gehalten. Und das letztlich, um sie zu disziplinieren. Auch die Else ist nicht von Natur aus dumm. Aber als sie endlich selbst etwas tat, da kannte sie sich selbst nicht mehr, woher auch. Und eine Frau, die selber denkt und etwas anders oder anderes tut, als von ihr erwartet wird, kann der Mann nicht gebrauchen.

Übrigens war das bei einem Mann am auffälligsten, der sich am Anfang, nach dem Vorlesen des Märchens darüber beklagt hatte und meinte, dass er Hilfe brauche und kein Märchen vorgelesen bekommen müsse. Ich hatte schon den Eindruck, dass er gar nicht zum nächsten Termin erscheinen würde. Er kam aber, völlig entgeistert, dass dieses Märchen quasi das Motto seines Lebens war. 

Er war Ingenieur geworden, aber seit eh und je mit einem Wahnsinns Minderwertigkeitsgefühl, das er bis an den Rand des Herzinfarktes mit schlauen Konzepten und Leistungen auszugleichen versuchte. Ihm vielen dann eine Fülle von Ereignissen seines kindlichen Lebens ein, die ihm immer wieder zeigen sollten, dass er doch eigentlich zu nichts im Stande war.

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 23768

@lhoovpee 

Zum Beitrag

Ob man hier nun Freiheit und Emanzipation hinein interpretieren kann... ich weiß ja nicht. Auch wenn ich eine solche Version cool fände.

Es ist möglich, dass das Märchen nicht zu Ende erzählt wurde, bzw wurde das glückliche Ende in den Namen Else  und Hans versteckt. Noch irrt sie bei Grimm in Vogelfangnetz herum.

Else kommt von Elizabeth, hebr. Elischewa ...  mein Gott ist Glück und Segensfülle

Hans kommt von Johann, hebr Jochanan ... Gott ist Gnade

 

Wenn Else dem richtigen Hans (Jesus) begegnet, der sie liebt und sie aus dem Netz der Abwertung und Ablehnung befreien kann, dann kann sie auch ihre gottgegebene Identität finden und Annahme erleben.

Psalm 124, 6 Gelobt sei der HERR, dass er uns nicht gibt zum Raub in ihre Zähne! 7 Unsre Seele ist entronnen wie ein Vogel / dem Netze des Vogelfängers; das Netz ist zerrissen, und wir sind frei. 8 Unsre Hilfe steht im Namen des HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.

#Die Handlung des (falschen) Ehemannes im Märchen mit dem Netz des Vogelstellers hatte meine Aufmerksamkeit erregt.

deborah71 antworten
Evana2
 Evana2
(@evana2)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 475

Liebe @deborah71,

mir gefällt dein Bezug vom Märchen zur biblischen Auslegung sehr, denn hinter den Märchen verstecken sich
oft biblische Geheimnisse, die von Generation zu Generation vermittelt wurden, bis sie irgendwann "verteufelt"
wurden.
Deshalb danke.

 

evana2 antworten


Mariposa22
Beiträge : 670

@queequeg 

Aber, das ist der Preis der Freiheit - man kann einsam dabei werden.

Vorausgesetzt die eigene Freiheit beruht nicht darauf, andere einzuengen, findet man in der Freiheit Gemeinschaft mit Gott und Verbundenheit mit seinen Nächsten. Was man nicht findet ist Zustimmung und Anerkennung durch andere. Auf solche Heucheleien kann man auch gut verzichten.

 

 

 

 

mariposa22 antworten
2 Antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@mariposa22 

"Was man nicht findet ist Zustimmung und Anerkennung durch andere. Auf solche Heucheleien kann man auch gut verzichten."

Richtig. So haben das dann auch die Menschen gesehen, denen es so gegangen ist.

Deshalb ist das Ende des Märchens auch keineswegs deprimierend, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, indem Else scheinbar ins Nichts geht. Sie geht ganz im Gegenteil in eine offene Zukunft und lässt die ganzen Gefangenwärter ihres Lebens hinter sich.

queequeg antworten
Mariposa22
(@mariposa22)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 670

@queequeg

Ich denke sogar, dass wahre Einsamkeit davon kommt, dass man nicht sich selbst ist. Man lebt dann ja ständig mit einem Fremden zusammen. Mir ist es auch mal so gegangen. Dann ist man einsam inmitten anderer Menschen.

Wenn man sich selbst gut kennt, kann man sehr gut mit sich alleine sein und die Kraft der Liebe sammeln, die man für den Umgang mit den Mitmenschen braucht.

mariposa22 antworten
Jack-Black
Beiträge : 4142

@queequeg Die Interpretation des Märchens, die du hier lieferst, ist, wenn man sie so liest, nicht unstimmig. Aber rein gefühlsmäßig, wenn ich nur den Text auf mich wirken lasse, käme ich im Traum nicht drauf, dass es so gemeint sein könne.

Wenn ich den Text auf mich wirken lasse, so ist es seine prä-surrealistische Traumhaftigkeit, die mich am meisten dabei berührt. Im Traum hab ich es öfter mal mit Problemen, die unbedingt gelöst werden müssen, bei denen ich viele Lösungsversuche mache und mich oft sogar darüber ärgere, immer wieder das Gleiche zu tun, obwohl ich dem Lösungsziel nicht näher komme. So, wie mich in diesem Märchen die Wiederholung der nach unten in den Keller rennenden Person nervt, der das "Problem" geschildert wird und die sich dann mit zum Herumheulen dazusetzt. Interessanterweise haben wir da nämlich nicht die übliche Dreierfigur (ein Motiv taucht dreimal auf und beim dritten Mal kommt es zu einer wichtigen Abweichung), sondern es sitzen schließlich, bevor der Hans auftaucht, fünf Leute da im Keller: die Dreier-Figur, die üblicherweise solchen (Märchen-) Texten Struktur gibt, wird hier breitgeklopft, wie man es eben auch aus Problemlösungs-Träumen kennt: nach der dritten Wiederholung wird's auf unangenehme Art redundant.

 

Tatsächlich wird das Problem im Keller auch gar nicht gelöst, sondern das Märchen switcht da dann um wie ein Traum irgendwann umswitcht - zu einem völlig neuen Thema. Na gut, die oberflächliche "message" des Märchens wird da halt an einem zweiten Beispiel exemplifiziert: wenn man sich ewig mit Scheinproblemen aufhält, kriegt man den Alltag nicht richtig geregelt. Die "Klugheit" Elses ist ganz offenbar nur eine spöttisch-ironische Attributierung, tatsächlich wird uns ja mit ihr eine bestimmte Art der Dummheit vorgeführt: die Inkompetenz, ein einmal in's Visir genommenes Ziel auch zu verfolgen, indem man sich von Unwichtigem ablenken läßt (selber ablenkt).

 

In dem Sinne wird Else dann auch "bestraft": Sie muss ein Narrengewand tragen (die Schellen/Klingeln des Vogelnetztes).

Den letzten Satz

Da lief sie fort zum Dorf hinaus, und niemand hat sie wieder gesehen.

jetzt so zu interpretieren, wie Du es tust (erst auf den 2ten Blick ein guter Ausgang), finde ich etwas sehr weit hergeholt, wenn man die Zeit, in der das Märchen entstand, mit bedenkt. Gemäß meinem Verständnis steht am Ende keine Freiheit, die "nur" mit Einsamkeit bezahlt wird, sondern es steht da die Vernichtung der Existenz per Ausschluß aus der Gemeinschaft.

Ich kann da keine Emanzipationsgeschichte erkennen. Heute, in unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft, mag die Möglichkeit existieren, sich ausserhalb der etablierten Gesellschaft zu stellen und eben so am Rand eine Abgesonderten-Existenz zu führen.

Aber die kluge Else findet in ihrer Welt nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit keineswegs ihr Glück in einem der Nachbardörfer: Niemand hat sie wieder gesehen, und das Niemand muss nicht begrenzt auf die Einwohner dieses einen Dorfes gedacht werden. Es gibt da in den Nachbarorten kein Sozialamt, keine Tafel, keine Frauenhäuser oder sonstigen Flüchtlingsheime...

Else bevorzugt es, zu essen und zu schlafen, statt zu arbeiten. Das macht sie für den Rest der Menschen verzichtbar, ja sogar zu einer Bürde, derer man sich besser entledigt. Wie es dann Hans tut, der, als er merkt, dass er sich da eine Frau geangelt hat, mit der kein (Familien-) Staat zu machen ist (dass das im ersten Teil der Erzählung für die Zukunft phantasierte gemeinsame Kind nicht geboren wurde, ist bezeichnend): die Frau ist unfruchtbar im übertragenen Sinne und Hans wirft, sobald er das erkannt hat, sie folgerichtig auf die Straße. So werden hier die harten Realitäten einer Welt gezeichnet, die den Inklusionsgedanken (denn Else ist nicht eigentlich klug, sondern behindert) noch nicht sonderlich weit entwickelt hatte.

Else macht eben keine Entwicklung durch, die "freie" Entscheidung, zuerst zu essen und zu schlafen, statt zu arbeiten, ist kein Akt des Empowerments oder der Emanzipation von männlichen Autoritäten (zuerst Vater, dann Hans): es ist schlicht eine Dummheit. Weil Else sich nicht weiter entwickelt, weil sie, sobald sie mal was Produktives tun soll (Bier aus Keller holen, bzw. Getreide einholen), in frühkindliche Verhaltensmuster verfällt (die eigentliche Aufgabe vergessen, einfach den basalen Trieben gehorchen), statt Problemlösungskompetenz zu demonstrieren, bestraft sie das Leben. Eine verheiratete, erwachsene Frau darf sich nicht wie ein Kleinkind verhalten, sie muss vorausplanen können, sie muss Triebaufschub gelernt haben...

Das Märchen endet mit dem letzten Satz: Else hat sich zur Närrin gemacht und niemand will was mit der Verrückten zu tun haben. Da beginnt keine Heldenreise jenseits des Dorfs; wenn sie Glück hat, endet sie als Hafenhure oder Bettlerin, wenn sie Pech hat, wird sie auf der Landstraße erschlagen oder von wilden Tieren gerissen... Oder sie verhungert einfach.

 

So jedenfalls verstünde ich die "Message" dieses Märchens, sobald ich den Kontext seiner Entstehungszeit mit bedächte. Wir haben hier keine positive Heldin, sondern die "kluge" Else ist ein warnendes Negativbeispiel, eine pädagogisch zu verstehende Erzählung. Interessanterweise wird die Dummheit Elses erst bestraft, nachdem sie - per Heirat - den Erwachsenenstatus erreicht hat. Während ihre Flausen in der ersten Erzählungshälfte von den anderen noch "mitgemacht" werden und keine direkten negativen Konsequenzen auf sie haben, ändert sich das per Heirat: Nun ist sie eine Erwachsene, welche die Verantwortung für die Konsequenzen ihres Handelns selbst zu tragen hat, ganz egal, ob sie diese Konsequenzen überhaupt durchschaut (mir fällt da gerade eine Liedzeile von Mike Krüger ein: "Unwissenheit schützt vor Kenntnis nicht!", grinst ihm der Grenzer ins begrenzte Gesicht...).

jack-black antworten
59 Antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@jack-black 

Gut und schön. Nur will das Märchen keine Moral verbreiten oder uns sagen, wie man etwas machen soll. Es zeigt einfach, wie es in bestimmten Lebenslagen ist.

Hier eben, wie es ist, nichts anderes als die Tochter - oder auch Sohn - eines Vaters zu sein. Elses Essen und Schlafen ist keine Emanzipation, sondern Subversion. Sie fällt auch nicht in frühkindliche Verhaltensmuster, sie ist denen nie entronnen. Erwachsen werden konnte sie als Tochter eines Vaters nie lernen.

Insofern hat sich in ihrem Leben auch nichts geändert. Es ist nur an Stelle ihres Vaters ihr Mann getreten, der sie in gleicher Funktion übernommen hat.

queequeg antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 4142

@queequeg Nur will das Märchen keine Moral verbreiten oder uns sagen, wie man etwas machen soll.

Wir können das Märchen selbstverständlich nicht darüber befragen, was es will. Aber wenn man sich fragt, wie jemand auf so eine Erzählung gekommen sein könnte, darf man doch wohl auch über dessen Intentionen spekulieren, oder? Nach meinem Textverständnis wird hier auf spöttische Art ein Negativ-Beispiel skizziert.

 

Es zeigt einfach, wie es in bestimmten Lebenslagen ist.

Kein Einwand: In bestimmten Lebenslagen ist es einfach so, dass, wer nicht arbeitet und/oder nicht im üblichen sozialen Rahmen funktioniert, ausgegrenzt wird.

Und das geht dann regelgemäß nicht gut, sondern zumeist schlecht aus.

Elses Essen und Schlafen ist keine Emanzipation, sondern Subversion.

Da hab ich eben nochmal nachgegoogelt, was üblicherweise unter Subversion verstanden wird:

Subversion: meist im Verborgenen betriebene, auf die Untergrabung, den Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung zielende Tätigkeit.

 

Auf einen Umsturz der bestehenden Ordnung zielt Elses Essen und Schlafen keineswegs. Und folgerichtig gibt es auch keinen Umsturz der bestehenden Ordnung. Es gibt nur eine Ausschließung Elses aus dieser Ordnung, exekutiert durch einen Vertreter dieser Ordnung (Hans).

 

Insofern hat sich in ihrem Leben auch nichts geändert. Es ist nur an Stelle ihres Vaters ihr Mann getreten, der sie in gleicher Funktion übernommen hat.

 

Es hat sich durch die Heirat in ihrem Leben etwas ganz kategorisch verändert: Als Kind trug sie keine Verantwortung für ihr Verhalten. Als Eherfrau, also Erwachsene, trägt sie eine solche Verantwortung. Dass ihr Mann jetzt , ganz gemäß der herrschenden Ordnung, das "Oberhaupt" ihrer Familie ist, während vorher ihr Vater diese Rolle innehatte, stimmt zwar, geht aber am eigentlichen Punkt vorbei: sie selbst ist nicht mehr das Kind des Oberhaupts, sondern dessen Ehefrau. Ihre Rolle hat sich geändert, aber dieser Veränderung trägt ihr nach wie vor kindliches (kindisches...) Verhalten keine Rechnung.

Und am Ende steht dann nicht irgendeine Freiheit, sondern die Auslöschung.

Problematisch ist im Rahmen des Märchens nicht die herrschende Ordnung, sondern das Irgnorieren dieser Ordnung. Die "kluge" Else ist nicht der Regelfall, sondern der Ausnahmefall i.S. v. Regelverstoß. Dieser Regelverstoß wird bestraft gemäß dem, was Du schreibst:

Es zeigt einfach, wie es in bestimmten Lebenslagen ist.

In vielen Märchen wird am Ende nochmal der status quo post zusammengefaßt: Da wird das tapfere Schneiderlein König, da wird Hans besitzlos glücklich, da heiratet Dornröschen den Prinzen: eine neue Ordnung hat sich etabliert. Häufig ist diese neue Ordnung aber nur eine Re-Installation der alten Ordnung, während zwischendurch mal suversive Kräfte versuchten, die (Macht-)Ordnung zu okkupieren. (Mein Lieblingsmärchen überhaupt und auch hier passend: "Die zwei Brüder", wo zwischendurch der Intrigant versucht, sich als Drachentöter auf den Thron zu schwindeln).

Im Fall von der klugen Else ist der status quo post derselbe wie der status quo ante: die Ordnung, nach welcher ein Mädchen seinem Vater "gehört" und im Erwachsenenalter dann seinem Ehemann, bleibt vollkommen unangetastet. Die kluge Else ist das Exempel dafür, dass es nix bringt, diese Ordnung anzutasten, ja dass es sogar schon gefährlich ist, sie auch bloß zu ignorieren.

Zu behaupten, das Märchen wolle

keine Moral verbreiten oder uns sagen, wie man etwas machen soll.

erscheint mir in dieser Hinsicht irrig. So kann man es betrachten, wenn man schlicht ignorieren will, dass es sehr wohl eine Moral verbreiten will - nur eben eine, die man selbst für falsch/überholt/ungut hält. Ordnet man das Märchen historisch ein, dann entstand es in einer Zeit patriarchaler Ordnung. Und seine Moral (im Sinne der vermittelten Botschaft) ist dann eigentlich nicht schwer zu verstehen: wer diese Ordnung ignoriert und seinen sich aus ihr ergebenden Pflichten nicht nachkommt, der bestraft sich selbst. Es ist noch nicht mal ein ethisches Problem, sondern ein intellektuelles: Wer die Regeln nicht beachtet, verhält sich dumm.

Dass die partriarchale Ordnung (sowohl hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern als auch zwischen den Generationen oder Ständen) in sich problematisch sein könne - das ist für uns heutige Leser ein derart üblicher Gedanke, dass wir ihn als selbstverständlich voraussetzen und daher Schwierigkeiten haben, einen Text zu verstehen, der auf dem entgegengesetzten Paradigma fußt. Seit mehreren Jahrzehnten werden wir von Narrativen bombardiert, in welchen die patriarchale Ordnung als rückständig, herzlos, brutal, primitiv und letztlich dysfunktional gemalt wird. Narrative, in denen (zuletzt am liebsten) junge weibliche Protagonisten sich wider sämtliche patriarchalen Strukturen durchsetzen, den "blinden" Gehorsam gegenüber Autoritäten verweigern, mal offen, mal subversiv. Und am Ende dieser Art Erzählungen strahlt die Heldin dann als "role model" hell auf oder - fast ebensogut in's weltanschauliche Propagandakalkül passend, aber doch deutlich seltener anzutreffen - wird von der brutalen Ordnung zermalmt und gewinnt so eine Art Märtyrernimbus.

Diese Märchenstruktur passt vermutlich sehr gut zu dem, worum es einer psychoanalytischen Perspektive auf solche Erzählungen geht: die handelnden Figuren werden als Archetypen interpretiert, das Märchengeschehen als inner-psychische Entwicklung des Individuums.

Nichts gegen so einen Ansatz, es ist ja das Schöne an solchen Texten, dass man sie stets neu und unter anderen Blickwinkeln lesen kann.

Aber man sollte schon, wenn man einen Text ernst nehmen möchte, aufpassen, dass man nicht nur in ihn hineininterpretiert, was man so zu sagen hat, sondern dass man auch probiert, etwas aus ihm herauszufinden, das von den Autoren da mit Intention hineingelegt wurde.

Ich stelle mir dieses Märchen vor, wie es im achtzehnten oder frühen neunzehnten Jahrhundert erzählt wird. Wem? Kindern vermutlich, denn ich stelle mir vor, dass Erwachsene zur damaligen Zeit nicht soooo viel leichter als heute durch eher langweilige Geschichten zu fesseln waren, in denen so wenig Gewalt, Gold oder Sex vorkommt. Die platte Ironie, mit welcher die Klugheit der Else da lächerlich gemacht wird, scheint ebenfalls dafür zu sprechen, dass sie auch von Kindern verstanden werden sollte. Also: ein Märchen, das man Kindern erzählt. Weil es sooooo spannend sei? Nö. Das Märchen ist nicht sonderlich spannend. Man will nicht, wenn auf halber Strecke aufgehört wird, wissen, wie's weitergeht. Man kann etwas lachen über die Idioten, die sich nacheinander zum gemeinsamen Rumheulen im Keller einfinden und Kinder finden das umso witziger, als es allesamt "große" Leute sind, die sich da so dämlich verhalten. Aber das war's auch schon. Würde nach der Kellerszene nur noch erwähnt, dass Hans die Else heiratet, wären die Kinder insofern zufrieden, als auch diese besonders belanglose Geschichte wieder mit einer Heirat endet, aber auch etwas enttäuscht, dass das schon Alles gewesen sein soll.

Die "Pointe" kommt aber erst - ziemlich überraschend und daher auch recht eindrucksvoll - im zweiten Teil. Der zuerst den Anschein hat, das eben Gehörte  über die Klug-dummheit Elses werde nochmal variiert. Bis dann plötzlich das Unerwartete geschieht: Hans macht etwas anders als es vorher die Erwachsenen taten: Er akzeptiert nicht das kindische Verhalten Elses. In seiner Funktion der verbliebenen Verkörperung der herrschenden Verhältnisse bestraft er Else.

Und das tut er nicht etwa, indem er sie schlägt, beschimpft etc. Sondern indem er ihr das Vogelnetz überwirft. Da, an dieser Stelle, wird aus der eher dümmlich-lustigen Geschichte etwas Größeres, Geheimnisvolleres, aber auch Düsteres. Die Strafe - oder wollte man nicht doch lieber sagen: die Konsequenz, die Else für ihr unerwachsenes, unbedachtes Verhalten erfährt - besteht im Verlust ihrer Identität. Es gibt keine Identität ausserhalb der herrschenden Ordnung. Als Else vor der Tür ihres Heims steht, und von Hans erfährt, sie säße eigentlich drinnen, akzeptiert sie dies als die Wahrheit. Sie weiß nicht mehr, wer sie ist - weil sie sich ausserhalb der Ordnung setzte mit ihrem kindischen Verhalten. Ausserhalb dieser Ordnung gibt es keinen alternativen Orientierungsrahmen, in welchen man sich stellen und seine Identität finden könnte. Darin besteht die totale Auslöschung dieser Anti-Heldin: bevor sie noch aus dem Dorf herausstolpert, hat sie schon ihre Identität verloren.

Warum sollten da andere sie einlassen? Ja, sie ist frei - frei von allen Beziehungen zu anderen. Und ja, das kann man als "Einsamkeit" zusammenfassen. Aber dieses an sich schon starke Wort Einsamkeit scheint mir hier noch immer zu euphemistisch. Ich finde, "vernichtet" passt auf die Else am Ende besser als "einsam".

Dieses Bild, wie da die Frau, in ein Netz - dem Gegensymbol zur Freiheit, und gleichzeitig in ein Narrenkostüm - verstrickt, vor ihrem Haus steht und nicht mehr weiß, wer sie ist... Wie sie dann von Nachbar zu Nachbar stolpert und an verschlossene Türen klopft...  Wie sie dann aus dem Dorf wankt um in der großen Leere des Niewiedersehens zu verschwinden - das ist ein düsteres, wirklich angsteinflößendes Bild.

Mir kann niemand weismachen, so ein Bild mutete man Kindern zu, ohne damit eine erzieherische Absicht zu verfolgen. Die Kinder, insbesondere die Mädchen, die das erzählt bekommen, sollen sich ihren Reim darauf machen, und der sieht so aus: "Ich werde mich klüger als die kluge Else verhalten. Wenn ich später mal verheiratet bin, werde ich die Anweisungen meines Mannes befolgen und vermutlich ist es auch besser, wenn ich jetzt schon immer brav den Anweisungen meines Vaters folge und nicht mich von der Pflichterfüllung durch nutzlose Grübeleien ablenken lasse."

 

Sorry für die Ausführlichkeit, ich will Dir hier kein metaphorisches Ohr abkauen oder um des Rechtbehaltens Recht behalten. Irgendwie finde ich, je länger ich über das Märchen nachsinne, desto mehr Aspekte, die mir der Erwähnung wert erscheinen... Fühle Dich nicht genötigt, meinen Monolog jetzt mit einer Antwort zu würdigen, es sei denn, Du hast da selbst Bock drauf und empfindest meine Ausführungen nicht eher als Klugscheisserei...

 

 

 

Ceterum censeo, dass das Alignmentproblem gelöst werden muss...

jack-black antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@jack-black 

Nur soviel: Es gibt im Volksmärchen keinen Autoren, im Gegensatz zu einem Kunstmärchen. Insofern gehen Deine Anmerkungen am Märchen vorbei. Es ist keine sozialkritische Bestandsaufnahme.

Und ja, natürlich sehe ich im Märchen den psychoanalytischen Gehalt. Was sollte auch in einer Therapie anders interessieren?

queequeg antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

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@queequeg Es gibt im Volksmärchen keinen Autoren, im Gegensatz zu einem Kunstmärchen.

Jeder Text hat einen (oder mehrere) Autoren. Ob der nun namentlich bekannt ist (wie beim Kunstmärchen) oder ob der Text in einer auch über Generationen hinweg oral transportierten Tradition dadurch entstand, dass unterschiedlichste Autoren ihren Teil beitrugen (ähnlich wie übrigens bei den Bibeltexten) ist unerheblich. Wenn das Märchen exakt so, wie es die Gebrüder Grimm da "dem Volksmund abgeschaut" haben, von einer Person erzählt wurde, dann war diese Person der Autor und hatte, wie jeder, der etwas erzählt, dabei eine Absicht. Wenn die Gebrüder Grimm sich das Märchen nur von irgendeiner alten weisen Frau erzählen ließen und dann formal redigierten, dann kann man sie als Teil der Autorenschaft bezeichnen.

Es ist keine sozialkritische Bestandsaufnahme.

Hab ich auch nicht behauptet. Es ist nicht "sozialkritisch", sondern kann im Gegenteil als der Festigung der bestehenden Ordnung dienlich verstanden werden.

 

Und ja, natürlich sehe ich im Märchen den psychoanalytischen Gehalt. Was sollte auch in einer Therapie anders interessieren?

Es war mir durch das Eingangsposting nicht klar ersichtlich, dass allein diese psychoanalytische Perspektive Thema des Threads sein solle. Ich dachte, das Märchen selbst stünde als Text im Zentrum. Jetzt weiß ich's besser! 🙂

 

jack-black antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 4142

Edith sagt: Wenn man nach " Unterschied Volksmärchen vs. Kunstmärchen" googelt, dann steht recht weit oben ein Treffer, wo ein sogenannter Sofatutor behauptet, Volksmärchen hätten keine Autoren. Das halte ich für eine irreleitende Engführung des Autorenbegriffs. Falls man aber auf so einer engen Definition bestehen will, möge man meinetwegen statt "Autor" im hier diskutierten Zusammenhang lieber "Erzähler" sagen. Der letzte Erzähler in diesem Zusammenhang lebte also im frühen 19. Jahrhundert - zu der Zeit, wo das Märchen von der Klugen Else verschriftlicht und gewissermaßen in seiner Fortentwicklung "eingefroren" wurde. Wenn ich nun über die möglichen Intentionen des Autoren spekuliere, so meine ich damit die Intentionen, die ein Erzähler verfolgt haben mag, der womöglich weitaus früher, aber keineswegs später als ~ 1855 lebte.

jack-black antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@jack-black 

Ja, gut. Wie immer bringst Du hier schlaue Analysen. Nur sind wir hier nicht in einem Hörsaal oder einem germanistischen Seminar.

Dein rationaler Stil ist für wissenschaftliche Arbeit adäquat, nicht aber für das lebensalltägliche Verständnis eines Märchens - und übrigens auch nicht für religiöse Aussagen. Da bastelst Du was mit dem Hammer, wofür man eine Rohrzange braucht.

queequeg antworten
neubaugoere
(@neubaugoere)
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Beiträge : 16019

@queequeg 

Veröffentlicht von: @queequeg - zum Beitrag

Nur sind wir hier nicht in einem Hörsaal oder einem germanistischen Seminar.

Veröffentlicht von: @queequeg - zum Beitrag

Was sollte auch in einer Therapie anders interessieren?

Wir sind (aber) auch nicht in einer Therapie(sitzung) ... *anmerke*

neubaugoere antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@neubaugoere 

Ich hatte ja keine besondere Motivation - jedenfalls nichts, was ich so nennen würde -, den Beitrag hier reinzustellen. Aber der Verlauf der Diskussion hat dann jetzt doch nachträglich eine Motivation implementiert - @jack-black: ich hab gegoogelt, der Begriff ist korrekt gebraucht.

Es geht mir jetzt darum, Mut zu machen, dahin zu sehen, wie gegenwärtige Lebenssituationen im Netz der Fäden der Vergangenheit hängenbleiben und sich aus daraus gefangen nehmenden Beziehungen zu befreien, auch wenn sich zunächst einmal alle von einem abwenden.

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

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@queequeg 

Zum Beitrag

Es geht mir jetzt darum, Mut zu machen, dahin zu sehen, wie gegenwärtige Lebenssituationen im Netz der Fäden der Vergangenheit hängenbleiben und sich aus daraus gefangen nehmenden Beziehungen zu befreien, auch wenn sich zunächst einmal alle von einem abwenden.

Und wie sieht dein Mut machen jetzt aus?

Dieses Märchen ist bislang das gruseligste an Ablehnung und Abwertung, das mir untergekommen ist, in dem sogar der logische Tod der jungen Frau durch Ausgrenzung und verschlossene Türen in Kauf genommen wird. Mit dem Vogelnetz wird sie symbolisch sogar auf die Ebene von Tieren degradiert.  Drewermann hat für mich hier komplett daneben interpretiert, aus Schwarz versucht Weiß zu machen.

Ich persönlich würde  das Märchen und die Entfaltung für Hochsensitive mit einer Triggerwarnung versehen.

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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@deborah71 

Was für ein Vogelnetz? 

Hast Du Drewermanns Interpretation gelesen? An welcher Stelle liegt er daneben?

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 23768

@queequeg 

Zum Beitrag

Was für ein Vogelnetz?

Das, was der Ehemann über Else platziert. Vielleicht liest du das Märchen nochmal.

Hast Du Drewermanns Interpretation gelesen?

Ja. Sie ist etwas weiter unterhalb des Märchens platziert in dem link, den neubaugöre gepostet und den du bestätigt hast. Dazu dann deine Wiedergabe seiner Interpretation.

An welcher Stelle liegt er daneben?

Nicht an einer Stelle, sondern gesamt.

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@deborah71 

Ich glaub, Du hast Drewermann komplett nicht verstanden. Ich kann jedenfalls nirgendwo erkennen, was Deine Einschätzung stützt.

Was an meiner Wiedergabe von Drewermanns Interpretation ist denn so daneben? Vielleicht habe ich auch was nicht gut genug ausgedrückt.

Den Link von Neubaugöre finde ich nicht.

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 23768

@queequeg 

Hier ist das post von neubaugöre mit dem link hinter dem Märchentitel.

 

Hier ist deine Antwort darauf.

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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@deborah71 

Ich hatte zugestimmt, dass es das Märchen ist. Danach hatte neubaugöre gefragt.

queequeg antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@deborah71 

Hast Du Drewermanns Interpretation gelesen?

Ja. Sie ist etwas unterhalb des Märchens platziert in dem link

Das ist jetzt nicht Dein Ernst? Da stehen gerade 2 Sätze zu dem, was Drewermann meint, aber doch nicht seine Interpretation.

Wie kannst Du aufgrund einer solchen Minimalinformation, die nicht mal vom inkriminierten selbst kommt, solch ein Urteil fällen?

 

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
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@queequeg 

Das ist ganz einfach.  Ich lese das Märchen genau, mit allen Feinheiten und vergleiche das Resüme zu Drewermann, die Kernaussage und wie er und du das Märchen verwenden. Das spricht für mich Bände.

Da Drewermann der Urheber seiner Kernaussage ist, hat er jetzt den schwarzen Peter. Es wirkt auf mich so, als suchte er ein Märchen, das zu einem Ansatz passt, den er einem Klienten oder seinen Lesern anbieten wollte und das ohne Rücksicht auf Verluste der eigentlichen Märchenaussage.

Was generell nicht passt, wird von ihm passend gemacht. So dumm wie Else, Familie, Mann und Dorfbewohner dargestellt werden, wäre sie überhaupt nicht von selbst in der Lage einen anderen freien Lebensstil und eine Identität aufzubauen ohne spezifische Hilfe.

Hast du mal die Sprüche nachgeforscht, die die Eltern über Else abgelassen haben? Ich mag gar nicht in die tieferen destruktiven Schichten und die Symboliken reingehen.

@Jack-Black hat sehr ausführlich etliche Schichten des Märchens dargestellt. Die Ebene, die @Mariposa herausgefiltert hat, ist auch sehr interessant.

Wenn du mit Drewermanns Interpretation klar kommst und Erfolge hast....  deine Sache. Akzeptiere aber bitte, dass andere dieses Märchen ganz anderes sehen, empfinden und interpretieren können und diese Sichtweise auch vertreten.

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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@deborah71 

"Akzeptiere aber bitte, dass andere dieses Märchen ganz anderes sehen, empfinden und interpretieren können und diese Sichtweise auch vertreten."

Sicher. Aber ich lasse mir keine literaturwissenschaftliche Erkenntnis als Verständnishilfe für eine aktuelle Familiendynamik verkaufen. Und ich kann auch mit keiner Wertung aufgrund einer 2 Zeilen Zusammenfassung etwas anfangen.

Dagegen, dass es Sinn macht, sich aus alten Verstrickungen zu befreien, habe ich hier noch kein überzeugendes Argument gehört. Dass man damit Schiffbruch erleiden kann oder sich nicht wundern muss, wenn sich dann alle abwenden, halte ich jedenfalls für kein Argument dagegen.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
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@queequeg 

Sicher. Aber ich lasse mir keine literaturwissenschaftliche Erkenntnis als Verständnishilfe für eine aktuelle Familiendynamik verkaufen.

Wer soll denn hier bitte detailliert in deinem persönlichen Fachgebiet mithalten? Was soll ich denn dazu beitragen können?

Ich nehme zur Kenntnis, dass du Märchen gerne für Therapiezwecke verwendest und dass du Drewermanns Kommentar zum Märchen "Die kluge Else" für hilfreich hälst.

Zu dem Märchen oder Märchen generell hätte ich noch einiges sagen können, da dich hier aber allein der therapeutische Aspekt interessiert bin ich hier jetzt raus.

Und ich frage mich noch immer, was das jetzt sollte...

lucan-7 antworten
Deborah71
(@deborah71)
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@queequeg 

Zum Beitrag

Dagegen, dass es Sinn macht, sich aus alten Verstrickungen zu befreien, habe ich hier noch kein überzeugendes Argument gehört. Dass man damit Schiffbruch erleiden kann oder sich nicht wundern muss, wenn sich dann alle abwenden, halte ich jedenfalls für kein Argument dagegen.

 

Das ist auch ohne die Benutzung dieses Märchens gültig.

Lösung aus Verstrickungen, Identitätsaufbau, Angenommen werden, Lebenshandwerkszeug vermittelt bekommen, Vergeben lernen zur Heilung der Seele und Abstand gewinnen zu können, eigenen Willen und eigene Gefühle entdecken und stabilisieren... alles, was ein Mensch in seiner Kindheit und Festigung in der Jugendzeit nicht vermittelt bekommen hat, kann nachgearbeitet werden mit fachkundiger Hilfe.

Fabianos haben da eine sehr ausführliche Tabelle im Anhang ihres Buches "Mut zur Reife", mit der man sogar selbst arbeiten kann. Es ist ein christliches Buch, dieser Aspekt taucht aber nicht in der Tabelle auf, so dass auch Nichtchristen mit der Tabelle arbeiten können.

p.s. ihren Ansatz, dass Jesus die Vergangenheit verändern würde in einer Visualisierung teile ich nicht.

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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@deborah71 

"Das ist auch ohne die Benutzung dieses Märchens gültig."

Natürlich, hab auch nix Gegenteiliges behauptet.

Die Tabelle ist ganz gut.

queequeg antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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@deborah71 

"Das ist auch ohne die Benutzung dieses Märchens gültig."

Ja, aber es ist eben auch ein gutes Werkzeug, um Probleme damit zu bearbeiten.

Bei dem Ingenieur, den ich oben schon erwähnt hatte, sah das konkreter folgendermaßen aus:

Er war erst ziemlich sauer und sagte, dass er doch nicht in einem Kindergarten sei und gut auf  blödsinnige Märchen verzichten könne. Trotzdem hatte er zu Hause das Märchen und die Interpretation von Drewermann gelesen und fand sich darin punktgenau beschrieben. Er meinte, dass Drewermann das doch gar nicht alles von ihm wissen könne - was dann bei ihm rauskam.

Seine Geschichte ist tatsächlich genau das, was Drewermann beschrieben hat. Sein Vater konnte durch die Kriegsereignisse nicht studieren und wurde dann einfacher Handwerker (schwere narzißtische Kränkung). Sein Sohn sollte das erreichen (verkörpern), was er nicht erreicht hatte, und musste deshalb immer der Beste in der Schule sein (war er auch, auch später im Studium).

Der Vater bastelte an Wochenenden immer an seinem Oldtimer rum, wobei der Junge immer zugucken musste, aber nie helfen durfte. Er musste immer 5 Meter Abstand vom Geschehen haben. Neben vielen anderen Ereignissen auf ähnlicher Ebene erinnerte er sich an diese Szenen besonders und hatte eine Mordswut entwickelt.

Klar, der Vater hatte ihn genau in dieser Beziehungsfalle (Doppelbindung) gefangen gehalten: Du musst auf jeden Fall besser werden als ich, aber du darfst auf keinen Fall besser werden.

Er löste den Konflikt nicht wie Else, indem er sich selbst nivellierte, sondern tatsächlich alle überflog, vor allem seinen Vater. Nur- damit hatte er die erste Forderung erfüllt, blieb noch die zweite. Und die erfüllte er nun auch, indem er eine Depression bekam, die ihn völlig arbeitsunfähig machte, so das er in seinen gut dotierten Job gekündigt wurde und jetzt arbeitslos war.

Das alles war ihm vorher überhaupt nicht klar gewesen und er hatte den Vater eigentlich immer als sorgend erlebt. Aber jetzt erkannte er dessen Doppelbödigkeit, und dass er mehr verhindert als gefördert hatte. Lange grübelte er darüber nach, "warum durfte ich bei seinem Auto nur zugucken, er hat mir nichts wirklich beigebracht, ich durfte nur da stehen".

In der Therapie ging es lange um die Wut, dann um sein Selbsterleben und schließlich um die Tragik seines Vaters. Dann konnte er ihm auch tatsächlich das vergeben.

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
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@queequeg 

Kannst du dir vorstellen, dass man als Frau anders auf die Geschichte schaut, als ein Mann?

Mir sind solche öffentlichen dezidierten Fallbeispiele sehr unangenehm. Da taucht sofort die Frage nach der therapeutischen Schweigepflicht und dem Schutz des Klienten auf.

Das Fallbeispiel ändert auch nichts daran, dass das Märchen für mich ein NoGo ist.

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
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@deborah71 

"Kannst du dir vorstellen, dass man als Frau anders auf die Geschichte schaut, als ein Mann?"

Ja, aber was meinst Du jetzt konkret?

"therapeutischen Schweigepflicht und dem Schutz des Klienten"

Es weiß niemand, wer es ist. Selbst wenn man ihn kennen würde, könnte man keine Rückschlüsse auf ihn ziehen.

"dass das Märchen für mich ein NoGo ist."

Ja, dann ist das eben so. Macht doch nix.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
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@deborah71 

Fabianos haben da eine sehr ausführliche Tabelle im Anhang ihres Buches "Mut zur Reife", mit der man sogar selbst arbeiten kann. Es ist ein christliches Buch, dieser Aspekt taucht aber nicht in der Tabelle auf, so dass auch Nichtchristen mit der Tabelle arbeiten können.

An das Buch erinnere ich mich noch... es stehen einige interessante Dinge aus der Erziehungswissenschaft drin die ich damals auch noch nicht kannte... ich bin mit solchen Büchern aber immer sehr vorsichtig, weil hier oft mit veraltetem Material gearbeitet wird und die Autoren da sehr viele Dinge zusammenmischen, die nicht unbedingt zusammengehören.

Aber ja, wenn man keine große Ahnung vom Thema hat kann man sich das ein oder andere dort entnehmen...

lucan-7 antworten
Jack-Black
(@jack-black)
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@queequeg Da stehen gerade 2 Sätze zu dem, was Drewermann meint, aber doch nicht seine Interpretation.

Vielleicht wäre es im Sinne des allgemeinen Verständnisses hilfreich, wenn Du Drewermanns Interpretation einfach ein wenig ausführlicher hier referieren würdest. So würde der Gegenstand des zu Diskutierenden etwas deutlicher. (umso deutlicher, je detaillierter Du referieren würdest 😉 )

jack-black antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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@jack-black 

Am besten liest man die 38 Seiten, die Drewermann geschrieben hat selbst komplett, dann weiß man es genau.

In aller Kürze:

Nach Drewermann versucht Elses Vater seinen Minderwertigkeitskomplex über seine Tochter zu kompensieren. Sie soll besser werden als er, darf aber genau das gleichzeitig nicht. - Eine übliche psychopathologische Double-Bind-Situation. -

Else reagiert mit Stillstand und kann sich gar nicht zum Erwachsen-sein entwickeln. Sie heiratet auch nicht, sondern wird verheiratet - an einen Mann, der sie wie eine Stafette vom Vater übernimmt.

Während sie noch als Kind im Elternhaus nur dümmste Ängste entwickelt, wenn sie alleine im Keller ist, folgt sie als scheinbar erwachsene Ehefrau ihren eigenen Bedürfnissen, als sie alleine ist.

Das ist aber etwas, was für sie völlig verwirrend ist, so dass sie sich selbst nicht mehr kennt. Immer noch gefangen in ihrer Abhängigkeit von dem Votum anderer fragt sie ihren Ehemann, wer sie ist und der macht deutlich, dass er sie so nicht mehr will.

All das beschreibt Drewermann anhand der Textstellen.

 

queequeg antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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Beispiel:

"Bereits der Name der «klugen Else» ist nur als Spitzname verständlich - d.h., man spricht ihn aus wie hinter vorgehaltener Hand, damit die Betreffende selber nicht merkt, daß man sich über sie lustig macht, wenn man vorgibt, sie zu loben. Das Attribut der sog. «klugen Else» läuft mit anderen Worten auf die Karikatur dieser Charakterisierung hinaus: man verlangt die «Klugheit» an sich bedingungslos, und doch, indem man vorgibt, sie bei dem Kind als vorhanden anzunehmen, gibt man zugleich auch zu verstehen, daß man im Grunde gar nicht wirklich an sie glaubt. Es ist die Doppelbödigkeit in der gesamten Beziehung zwischen Vater und Tochter, die man in dem Märchen von der «klugen Else» (und in der Wirklichkeit) gar nicht früh genug bemerken kann, denn sie bildet unausgesprochen den bitteren Hintergrund des ganzen nachfolgenden Possenstücks, dieses immer konsequenter sich gestaltenden Tragödiendramas."

queequeg antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 4142

@queequeg Danke für die Darstellung. Auch für die nächste hinsichtlich des "Spitznamens" (bzw. Spottnamens)!

jack-black antworten
Queequeg
(@queequeg)
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@deborah71 

"Und wie sieht dein Mut machen jetzt aus?"

Wie immer in einer Therapie: In der Ermutigung, zunächst einmal das zu tun, was man bislang peinlich vermieden hat - auf die Dinge des eigenen Lebens genau hinzugucken und nicht die Augen zu verschließen, wenn es anfängt ungemütlich zu werden.

Um da hinzukommen - das habe ich ja schon geschrieben - hat mir gerade dieses Märchen so gut wie immer große Dienste erwiesen. Fast jeder hat sich darin erkannt und oft auf dem Weg überhaupt erst gemerkt, wie klein er gehalten und an einer eigenen Entwicklung gehindert wurde.

Von da aus ist der Weg zur "Freiheit" noch lang, aber erkennbar, während vorher nur Dunkelheit war.

 

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

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@queequeg 

Dein rationaler Stil ist für wissenschaftliche Arbeit adäquat, nicht aber für das lebensalltägliche Verständnis eines Märchens - und übrigens auch nicht für religiöse Aussagen. Da bastelst Du was mit dem Hammer, wofür man eine Rohrzange braucht.

Wenn das "lebensalltägliche Verständnis" ein anderes ist als ein "wissenschaftliches Verständnis", dann ist das lebensalltägliche Verständnis falsch und sollte hinterfragt werden.

Jedenfalls so lange, wie einem daran gelegen ist, was wirklich gemeint ist - und nicht, was man gerne hätte, was gemeint sein könnte.

Natürlich ist es legitim, ein Märchen falsch auszulegen (Also nicht so, wie es eigentlich gemeint ist), wenn man damit etwas begründen kann, das Jemandem weiter hilft.

Wenn also eine Frau sich von ihren Kindern überfordert fühlt, sie innerlich ablehnt, weil sie ihr alles wegnehmen und sie die Kinder deshalb durch übermäßige Strenge kontrolliert... dann mag sie sich vielleicht mit der Hexe im Wald solidarisch fühlen, denen die Kinder ihr Häuschen wegessen und die von der Hexe deshalb zum Eigennutz verwendet werden... und diese Beziehung schliesslich in einer Katastrophe endet.

Und dann kann man die Geschichte von dieser Seite her neu aufziehen, mit der Hexe als "überforderten Mutter", und andere Lösungen finden.

Nur ist das Märchen halt so nicht gemeint. Es ist in Ordnung, das trotzdem auf andere Weise zu erzählen - nur sehe ich dann keinen Diskussionsbedarf, weil es ja gar nicht um die Geschichte selbst, sondern um eine völlig andere Auslegung geht.

lucan-7 antworten
Mariposa22
(@mariposa22)
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@lucan-7 

Nur ist das Märchen halt so nicht gemeint. Es ist in Ordnung, das trotzdem auf andere Weise zu erzählen - nur sehe ich dann keinen Diskussionsbedarf, weil es ja gar nicht um die Geschichte selbst, sondern um eine völlig andere Auslegung geht.

Spielt es denn eine Rolle wie das Märchen "gemeint" ist? Ich bin dafür, es zu betrachten wie ein abstraktes Gemälde und zu schauen, welche Assoziationen dabei hochkommen. Muss man sich darüber streiten, was nun "richtig" ist?

Ich finde die von Queereng vorgestellte Interpretation schlüssig.

Hier kommen meine Gedanken: Wenn ich mir das Märchen anschaue, dann sehe ich als erstes die Verlogenheit und Heuchelei der Gesellschaft (Dorf) und zwar in dem Sinne, dass nur wer Leistung bringt, Existenzberechtigung hat. Else wird als faul und Lügnerin wahrgenommen. Tatsächlich hatte sie ja gar nicht die Absicht zu betrügen. Sie wollte sich erst einmal für die bevorstehende Arbeit stärken und ist dann eingeschlafen. Ich sehe in dem Märchen, wie Else von Hans benutzt und für eigene Zwecke eingespannt wird. Else verweigert sich nicht einmal bewusst. 

Möglicherweise war das Märchen mal als Warnung "gemeint", spiegelt aber die kleinkarierte Denkweise der Gesellschaft wieder.

mariposa22 antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
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@mariposa22 

Spielt es denn eine Rolle wie das Märchen "gemeint" ist? Ich bin dafür, es zu betrachten wie ein abstraktes Gemälde und zu schauen, welche Assoziationen dabei hochkommen. Muss man sich darüber streiten, was nun "richtig" ist?

Das ist wohl eine Frage des eigenen Anspruchs und der Erwartung. Natürlich kann jeder aus einem Gemälde, Märchen oder Schauspiel herausziehen, was immer einem gefällt. Und das mögen auch hilfreiche Dinge sein, die eigentlich ganz anders gedacht waren.

Es kann aber auch sein, dass man sich Dinge zurechtlegt, an denen man im Anschluss scheitert.

Nehmen wir doch mal die Interpretation der "Else" und ihrer selbst gewonnenen Freiheit. Angenommen, ein junges Mädchen sieht in dem Märchen genau diesen Aufruf, "sie selbst" zu sein, und nicht jemand, der von anderen bestimmt wird. Im Anschluss versucht sie, genau dieses freie Leben zu führen, das sie sich vorgestellt hat - und scheitert kläglich, weil sie dann eben nicht mehr Teil der Gesellschaft ist.

Hätte sie die Warnung in der Geschichte verstanden, nämlich den drohenden Ausschluss aus der Gesellschaft, dass sie zwar einerseits "frei" sein kann, dann aber "Niemand" ist, dann hätte sie das in ihre Überlegungen berücksichtigen können. Dann hätte sie überlegen können, was ihr wichtiger ist.

Es besteht nämlich die Gefahr, nur die eigene Phantasie in die Geschichten zu projezieren. Dann befinden wir uns in unserer eigenen Echokammer. Auch das kann hilfreich sein, wenn wir etwas über uns selbst erfahren wollen... wenn wir uns fühlen wie der verzauberte Frosch oder der eingesperrte Hänsel.

Es kann aber auch bedeuten, dass wir die falschen Schlussfolgerungen ziehen, wenn wir die gesellschaftliche Bedeutung aussen vor lassen. Denn auch das betrifft uns ja.

Ich denke also, dass beides hilfreich ist: Einmal darüber nachdenken, was einen persönlich dabei anspricht - aber eben auch die gesellschaftliche Perspektive sehen, was also die eigentliche Bedeutung der Geschichte ist.

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
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@lucan-7 

Gut, dann sagen wir also dem Menschen, der schon lange mit diffusen Depressionen oder Angstgefühlen durch die Welt gelaufen ist, dass ihm Geschichten, die seine Emotionalität berühren nicht helfen, sondern u.U. sogar noch schaden. Er soll sich dann lieber, weil offenbar hilfreicher, auf die kultur-historischen Besonderheiten des Textes beziehen. Mit den Erkenntnissen kann er dann seinen Depressionen und Ängsten begegnen.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
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@queequeg 

Gut, dann sagen wir also dem Menschen, der schon lange mit diffusen Depressionen oder Angstgefühlen durch die Welt gelaufen ist, dass ihm Geschichten, die seine Emotionalität berühren nicht helfen, sondern u.U. sogar noch schaden. Er soll sich dann lieber, weil offenbar hilfreicher, auf die kultur-historischen Besonderheiten des Textes beziehen. Mit den Erkenntnissen kann er dann seinen Depressionen und Ängsten begegnen.

Du kannst auch eine Kopie von Botticellis "Geburt der Vernus" nehmen, in kleine bunte Schnippsel schneiden und in einem Kindergarten verteilen, damit die Kinder daraus Mosaike basteln. Das fördert die Kreativität und ist sicher eine gute Sache für die Kinder.

Wenn du das dann allerdings zum Anlass nehmen willst, um über das Gemälde zu diskutieren, dann darfst du dich auch nicht wundern wenn dabei auf ganz andere Aspekte eingegangen wird als Kinder und ihre Mosaike.

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@lucan-7 

Ich will nicht über Gemälde diskutieren, sondern über die Kreativität der Kinder. Das Gemälde ist nur der Ausgangspunkt.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

Beiträge : 23134

@queequeg 

Ich will nicht über Gemälde diskutieren, sondern über die Kreativität der Kinder. Das Gemälde ist nur der Ausgangspunkt.

Die Überschrift lautet "Die kluge Else", nicht "Anwendung von Märchenerzählungen in der Psychotherapie".

Wenn ich über die Kreativität von Kindern diskutieren will, dann wäre "Geburt der Venus" wohl auch eine schlecht gewählte Überschrift für mein Beispiel...

 

lucan-7 antworten
Mariposa22
(@mariposa22)
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Beiträge : 670

@lucan-7 

Nehmen wir doch mal die Interpretation der "Else" und ihrer selbst gewonnenen Freiheit. Angenommen, ein junges Mädchen sieht in dem Märchen genau diesen Aufruf, "sie selbst" zu sein, und nicht jemand, der von anderen bestimmt wird. 

Freiheit besteht vielleicht genau darin zu entscheiden, was man an Fremdbestimmung zulässt und was nicht. 

Hätte sie die Warnung in der Geschichte verstanden, nämlich den drohenden Ausschluss aus der Gesellschaft, dass sie zwar einerseits "frei" sein kann, dann aber "Niemand" ist, dann hätte sie das in ihre Überlegungen berücksichtigen können.

Nun ja, vielleicht hat die gute Else Leute gefunden, die genauso ticken wie sie und mit ihnen eine freie Kommune gegründet, wo sie wieder jemand sein konnte.

Es gibt doch nicht nur Entweder/Oder. 

Es kann aber auch bedeuten, dass wir die falschen Schlussfolgerungen ziehen, wenn wir die gesellschaftliche Bedeutung aussen vor lassen. Denn auch das betrifft uns ja.

Es ist doch nur eine Geschichte, die jemand erfunden hat, keineswegs das Maß aller Dinge. Willst du irgendwelchen von dir empfundene Bedeutungen nachgehen und dein Leben danach ausrichten?

mariposa22 antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

Beiträge : 23134

@mariposa22 

Es ist doch nur eine Geschichte, die jemand erfunden hat, keineswegs das Maß aller Dinge. Willst du irgendwelchen von dir empfundene Bedeutungen nachgehen und dein Leben danach ausrichten?

Es ist eben nicht nur eine beliebige erfundene Geschichte, sondern eine Geschichte die auf die Vorstellungen ihrer Zeit Bezug nimmt (Und die sind keineswegs veraltet... man stelle sich nur mal ein Mädchen vor, welches lesbisch ist, aber von ihren Eltern mit einem Mann verheiratet werden soll... die kann sich da mit Sicherheit mit einigem identifizieren!).

Wenn man die Geschichte jetzt völlig umdeutet, dann unterschlägt man diesen gesellschaftlichen Aspekt.

Nun ja, vielleicht hat die gute Else Leute gefunden, die genauso ticken wie sie und mit ihnen eine freie Kommune gegründet, wo sie wieder jemand sein konnte.

Dass sie das brauchen würde wird ihr ja erst klar, nachdem sie verstanden hat, dass die ursprüngliche Gesellschaft sie ausstoßen wird. Deshalb ist dieser Aspekt ja so wichtig.

 

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

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@mariposa22 

"Ich bin dafür, es zu betrachten wie ein abstraktes Gemälde und zu schauen, welche Assoziationen dabei hochkommen."

Das ist genau der Punkt. Es geht im Märchen nicht um es selber, sondern um die Wirkung, die es erzielt. Und die ist nicht abhängig von kulturhistorischen oder literaturwissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern von dem, was ein Mensch in seinem Leben erlebt hat.

 

queequeg antworten
Queequeg
(@queequeg)
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@lucan-7 

"Wenn das "lebensalltägliche Verständnis" ein anderes ist als ein "wissenschaftliches Verständnis", dann ist das lebensalltägliche Verständnis falsch und sollte hinterfragt werden."

Sorry, das ist jetzt wirklich Unsinn. Niemandem nützten bei Problemen des Lebens germanistische Literaturkenntnisse. Aber wenn man das Märchen - oder andere Texte - als Verdeutlichung von Zusammenhängen im eigenen Leben liest, dann kann das sehr hilfreich sein.

Ich sage es hier nochmal: Ein Märchen will nicht "gemeint sein". Der Ursprung von Märchen ist die unterhaltsame Erzählung am Lagerfeuer oder heimischen Familienrunde.

Richtig, es geht nicht um die Geschichte selbst, sondern darum, was man aus ihr für das eigene Leben gewinnen kann.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
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@queequeg 

Ich sage es hier nochmal: Ein Märchen will nicht "gemeint sein". Der Ursprung von Märchen ist die unterhaltsame Erzählung am Lagerfeuer oder heimischen Familienrunde.

Es geht also um eine historische Einordnung - was ja auch Teil wissenschaftlicher Arbeit ist.

Ich halte die Vorstellung für gefährlich, Wissenschaft würde nur in ihrer eigenen Blase von Bedeutung sein, die mit dem "realen Leben" nichts zu tun hat. Betrieben von kauzigen Leuten, die unverständliches Zeug reden und dafür von Menschen, die das "echte Leben" kennen, mitleidig belächelt werden.

Genau diese unsinnige Behauptung treibt ja mittlerweile wilde Blüten. Deshalb halte ich gar nichts davon, Wissenschaft und "Wahres Leben" auseinanderdividieren zu wollen.

 

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
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@lucan-7 

Nein, im erlebten Leben geht es nicht um historische Einordnung, die hilft mir in keiner Weise. Hier hilft, was ein Text mit mir macht. Nicht der Text steht im Mittelpunkt, der ist nur Werkzeug, sondern meine Rezeption.

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

Beiträge : 23134

@queequeg 

Nein, im erlebten Leben geht es nicht um historische Einordnung, die hilft mir in keiner Weise. Hier hilft, was ein Text mit mir macht. Nicht der Text steht im Mittelpunkt, der ist nur Werkzeug, sondern meine Rezeption.

Eines meiner Lieblingsbücher als Kind war ein Märchenbuch der Gebrüder Grimm, sehr alt, noch von meiner Mutter als sie klein war, mit sehr realistischen Bildern darin und in altdeutscher Schrift.

Für mich waren die Geschichten total faszinierend, aber ich konnte mit den wenigsten wirklich etwas anfangen. Erst im Laufe der Jahre, als ich die ein oder andere Symbolik verstand, bekamen viele Geschichten eine tiefere Bedeutung für mich. Und erst dann konnte ich da auch einen Zusammenhang zu meinem eigenen Leben herstellen, weil ich plötzlich Teile meines eigenen Lebens dort wiedererkannte.

Du willst jetzt die historische Bedeutung ausklammern, ebenso wie die Wortherkunft, die Entstehungsgeschichte und Anderes und allein die moderne, etwas eigenwillige Interpretation Drewermanns und die Bedeutung in der Psychotherapie zur Diskussion stellen... oder eher nicht, weil wir deine Ausführungen anscheinend nur zur Kenntnis nehmen sollen.

Da muss ich mich an dieser Stelle doch mal Neubaugöre anschliessen, die ja recht hartnäckig nach deiner Motivation fragte... vielleicht solltest du da selber doch noch einmal drüber nachdenken.

lucan-7 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@lucan-7 

"vielleicht solltest du da selber doch noch einmal drüber nachdenken."

Brauch ich nicht, die ist mir ja im Verlauf der Diskussion gegeben worden, worüber ich auch gar nicht unglücklich bin.

Aber um es jetzt hoffentlich endlich wirklich klar zu machen: Es geht nicht um das Märchen an sich. Das ist nur Werkzeug. Es geht um die Befreiung aus Verstrickungen der Vergangenheit.

Und dazu analysiert Drewermann die Gegebenheiten einer "Else-Familie": Da soll die Tochter  -oder der Sohn - die Minderwertigkeitskomplexe des Vaters kompensieren, indem sie besser wird als er. Da das aber dazu führen würde, dass seine Komplexe nur noch größer werden, darf sie keinesfalls besser werden als er. Eine Beziehungsfalle, aus der keiner entrinnen kann. Die beste Lösung ist da immer noch, sich dumm zu stellen. Nur - dummerweise - wird man so tatsächlich immer dümmer, weil man sich nicht entwickeln kann. Wenn man dann noch einen Mann - oder eine Frau - bekommt, die so ticken wie der Vater, kann man in der Tat den Deckel des Sargs schon schließen.

 

queequeg antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 14 Jahren

Beiträge : 23134

@queequeg 

Aber um es jetzt hoffentlich endlich wirklich klar zu machen: Es geht nicht um das Märchen an sich. Das ist nur Werkzeug. Es geht um die Befreiung aus Verstrickungen der Vergangenheit.

Und dazu analysiert Drewermann die Gegebenheiten einer "Else-Familie": Da soll die Tochter -oder der Sohn - die Minderwertigkeitskomplexe des Vaters kompensieren, indem sie besser wird als er.

OK, es geht dir also ausschliesslich um die Sicht Drewermanns.

Davon halte ich gar nichts, weil er hier Dinge hineininterpretiert, die gar nicht in der Geschichte drinstehen. Er interpretiert die Geschichte nicht, er benutzt sie lediglich als Aufhänger für eine eigene Erzählung.

Kann man machen. "Die kluge Else" war Teil meiner Märchensammlung, die ich als Kind immer gelesen habe. Das zentrale Element waren für mich die Leute, die alle mit Else herumjammerten, sich also auf Else und ihre Sorgen einliessen, ohne aber im Geringsten hilfreich für sie zu sein.

Drewermann bezieht sich auf eine völlig andere Geschichte, welche mich hier nicht so wirklich interessiert. Deshalb ist die Diskussion hier für mich auch nicht mehr von Interesse.

lucan-7 antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 23768

@queequeg 

Zum Beitrag

Aber um es jetzt hoffentlich endlich wirklich klar zu machen: Es geht nicht um das Märchen an sich. Das ist nur Werkzeug. Es geht um die Befreiung aus Verstrickungen der Vergangenheit.

Jetzt ist die Katze endlich aus dem Sack. Das hättest du viel einfacher geradeaus haben können, statt so ein Verwirrspiel aufzuzäumen an einem unsäglichen Märchen und komplizierten Drewermann.

Mein Jesus ist da einfacher und effektiver 😜 

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@deborah71 

Da müssen dann aber die vielen Patienten, die unter teils konspirativen Bedingungen ihren christlichen Gemeinden gegenüber zu mir kamen, etwas völlig falsch verstanden haben.

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 23768

@queequeg 

So wie sie gelehrt wurden, ist das eine hohe Wahrscheinlichkeit.

deborah71 antworten
Queequeg
(@queequeg)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 6439

@deborah71 

Na, jedenfalls ist den meisten dann ja geholfen worden.

queequeg antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 23768

@queequeg 

Das ist ja auch gut.

deborah71 antworten
Mariposa22
(@mariposa22)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 670

@jack-black 

In dem Sinne wird Else dann auch "bestraft": Sie muss ein Narrengewand tragen (die Schellen/Klingeln des Vogelnetztes).

Interessant ist, dass es sich um ein VOGELnetz handelt. Ein Netz mit dem man ausgerechnet Vögel, die die Freiheit schlechthin symbolisieren, einfangen soll.

Also je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass das Märchen tatsächlich als beißende Gesellschaftskritik gemeint war.

Da lief sie fort zum Dorf hinaus, und niemand hat sie wieder gesehen.

Könnte aber auch als "ihr könnt mich alle mal" interpretiert werden.

So jedenfalls verstünde ich die "Message" dieses Märchens, sobald ich den Kontext seiner Entstehungszeit mit bedächte.

Auch damals waren nicht alle Leute tumbe Obrigkeitsdenker. Gerade unter Geschichtenerzählern und Dichter gab es brilliante Denker, die ihre Mitmenschen zum Mitdenken anregen wollten. Möglicherweise sollte das Märchen absichtlich mehrschichtig verstanden werden können, je nach dem wessen Geistes Kinde man ist.

 

 

 

mariposa22 antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 4142

@mariposa22 Interessant ist, dass es sich um ein VOGELnetz handelt. Ein Netz mit dem man ausgerechnet Vögel, die die Freiheit schlechthin symbolisieren, einfangen soll.

Ja, so kann man das auf jeden Fall mit heutigen Augen lesen. Allerdings kann man ja auch mal umgekehrt an so ein Märchen herangehen und nicht zuallererst tiefe Symbolik erwarten, sondern eine Herleitung von erzählerischen Details aus dem Lebensalltag der einfachen Leute. Wir haben es mit Hans und Else offenbar mit Bauern zu tun, ihre Hauptnahrungsquelle ist Getreide (Bier, Brei) und die Aufgabe Elses ist ja hier die Arbeit auf einem Kornfeld. Zwar haben die Eltern Elses Magd und Knecht, aber Else scheint "nach unten" geheiratet zu haben, denn in ihrem neuen Haushalt werden Knechte und Mägde nicht erwähnt. Vogelnetze waren in solchen Verhältnissen sozusagen übliche Alltagsutensilien: mit ihnen wurden die Schädlinge (als welche man Vögel nämlich auch betrachten kann und betrachten muss, wenn die eigene Existenz am landwirtschaftlichen Getreideertrag hängt) ferngehalten* und gleichzeitig ein paar Gramm Fleisch oder ein paar Kupferpfennige (wenn man die gefangenen Vögel verkaufte) erwirtschaftet.

Entsprechend lagen solche Netze vielleicht einfach aufgrund ihrer Alltäglichkeit den Erzählern nahe, ich kann mir z.B. auch vorstellen, dass es zu mehr oder weniger üblichen Scherzen gehört haben könnte, andere mit solchen Vogelnetzen einzufangen. Gab es vielleicht sogar einen lokalen Brauch, bei welchem ein Mann seiner frisch angetrauten Frau im rituellen Rahmen ein Vogelnetz überwarf? (<-- Hab ich mir grade ausgedacht!) Womöglich hätte, wäre das Märchen in einem anderen Lebensumfeld, beispielsweise unter Fischern, entstanden, statt des Vogel- ein Fischernetz dieselbe erzählerische Funktion übernommen.

Ich finde es darüber hinaus interessant, wie die Märchenhandlung, in der bis zu diesem Punkt nicht ein Funken von Magie und Anderwelt auftaucht, hier nun in's Traumhafte abbiegt. Als wenn Else überhaupt nicht mehr aus ihrem Verdauungsschläfchen aufwachen würde, ist sie nun im Netz (Traumgespinst?) gefangen, in einer Perspektive, die es ihr verunmöglicht, einen klärenden Blick von aussen auf sich selbst zu werfen. Das Verstricktsein in's Netz ist hier leicht auf eine abstraktere Ebene zu übertragen und paßt übrigens auch auf das Verstricktsein in die eigenen absurd-lächerlichen Horroszenario-Gedanken aus der ersten Hälfte des Märchens: Else kam vorher nicht aus ihren Phantasien heraus und wurde durch jene sozusagen gefesselt und zur Untätigkeit gezwungen, konnte dabei nicht von aussen auf sich selbst gucken: sie war geistig in sich gefangen (Stichworte: Autismus, Solipsismus...). Nun ist sie in dem Netz gefangen und die Folgen sind ähnlich.

 

Könnte aber auch als "ihr könnt mich alle mal" interpretiert werden.

 

Könnte es. Allerdings auch hier wieder: diese Interpretation scheint für heutige Leser/Hörer auf der Hand zu liegen, aber wir kennen diese "Fuck-You!"-Attitüde  inzwischen aus tausenderlei Narrativen und konnotieren sie positiv als eine gesunde, emanzipatorische Attitüde. Wie verbreitet war so ein Denken zur Entstehungszeit des Märchens? Wir kennen das Motiv des in den Sonnenuntergang reitenden Helden. Aber war es vor über 200 Jahren auch schon so verbreitet, dass man es problemlos auf eine Frau übertragen kann, die ihr Mann gerade rausgeworfen hat? Der souverän alles hinter sich lassende lonely Cowboy reitet in dem Sonnenuntergangsszenario weiter zu neuen Heldentaten. Else hat aber da, von wo sie nun flieht, keinerlei Heldentat verbracht, sondern versagt. Wie wahrscheinlich ist es da, dass sie dort, wohin sie sich nun wendet, plötzlich erfolgreich agiert? "Ihr könnt mich alle mal!" - das ist ein Spruch, der Unabhängikeit ausdrücken soll. Von Else ausgesprochen, würde er aber praktische Hilflosigkeit bedeuten. Ich bleibe bei meiner obigen Behauptung: hier verläßt keine Heldin das Dorf, um sich anderswo in großen Abenteuern zu bewähren. Hier taumelt eine Vernichtete in ein unrühmliches, d.h. nicht erwähnenswertes Ende: der Rest ist Schweigen.

Auch damals waren nicht alle Leute tumbe Obrigkeitsdenker. Gerade unter Geschichtenerzählern und Dichter gab es brilliante Denker, die ihre Mitmenschen zum Mitdenken anregen wollten.

Das will ich gar nicht bestreiten. Aber allein Deine Formulierung "tumbe Obrigkeitsdenker" ist sooo heutig... 😀 Sie basiert auf einer ganzen Tradition des "aufmüpfigen Denkens", die allerdings sich vor allem in privilegierten Kreisen entwickelte. Um gesellschaftskritische, gar revolutionäre Ideen zu entwickeln, braucht es Voraussetzungen wie Bildung, eine gewisse materielle Unabhängigkeit und so fort. Um sich emanzipieren zu können, braucht man nicht nur etwas, von dem man sich weg-emanzipiert. Sondern man braucht auch etwas, zu dem man sich hin-emanzipiert. Es muss eine positive Utopie geben: Was bringt es einer jungen Frau, wenn sie sich von ihren Eltern (dass hier der Vater deutlicher genannt wird als die Mutter, darf man m.M.n. nicht überbewerten, sondern entspricht nur der zeitgenössischen Wahrnehmung) emanzipiert und später von ihrem Mann, wenn da nicht ausserhalb dieser üblichen Ordnung etwas Besseres zu gewinnen wäre? Dieses Bessere, dieses Ziel, auf das hin sich eine Emanzipation auch lohnen würde, wird im Märchen mit keinem einzigen Wort erwähnt. Wir müssen es also komplett aus unserer eigenen Weltsicht in das Märchen hineininterpretieren. Und so eine Interpretationsweise nimmt m.A.n. den Text nicht ernst genug.

Tumb verhält sich hier einzig und allein Else (und jene, die es ihr in der Bierkellerszene gleich tun). Hans ist hier der schlau, ja sogar witzig (gewitzt) Handelnde. Er löst das Problem, das sich aus der Alltagsuntauglichkeit seiner Frau ergibt, recht elegant: nicht mit Gewalt, sondern mit einer List. Hans steht hier aber nicht für das wider die Obrigkeit Aufmuckende, sondern für den Fortbestand der herrschenden Verhältnisse: er sitzt drinnen im sicheren Haus. Er funktioniert, die von ihm verkörperte Ordnung funktioniert.

Warum sollte nicht das die Message jener "brillianten Denker", die Du erwähnst, gewesen sein? Märchen sind alles andere als revolutionäre Erzählungen. In ihnen wird ziemlich regelmäßig am Ende die "Ordnung wiederhergestellt": der Richtige heiratet die Prinzessin oder übernimmt den Hof. Nicht demokratische Gleichberechtigung der Stände, Rassen und  Geschlechter steht am Ende der gut ausgehenden Märchen, sondern immer wieder die "gottgewollte" Ordnung. Das tapfere Schneiderlein führt nicht die 40-Stunden-Woche für alle Textilarbeiter ein, sondern regiert, nachdem es erfolgreich seine Emporkömmlings-Position verteidigt hat, schließlich selbst als König. Das Königsideal, das darin besteht, dass der Fähigste anführt, wird erfüllt, nicht über den Haufen geworfen.

Das Märchen der Gebrüder Grimm mit dem größten Revolutionspotential, das ich kenne, ist "Das blaue Licht".

Da putscht der Held, ein alter, gemeiner Soldat, ausgemustert und marginalisiert, mit etwas Zauberunterstützung gegen seinen Herrn, den König. Aber obwohl man ihn modern-gesellschaftskritisch als Opfer des herrschenden Strukturen sehen könnte, ist dies nicht die Position des Märchenerzählers: er ist das Opfer des schlechten Königs, nicht der Institution Monarchie. Entsprechend endet das Märchen dann auch:

Dem König ward angst, er legte sich auf das Bitten, und um nur das Leben zu behalten, gab er dem Soldaten das Reich und seine Tochter zur Frau.

Selbst ein Märchen also, das eigentlich fast ausschließlich davon berichtet, wie der vom System drangsalierte Veteran "gegen die Obrigkeit" kämpft und schließlich auch siegt, malt den Sieg dann so aus, dass das System bleibt: ein schlechter König wird halt gegen einen (besseren?! naja...) König ausgetauscht. Nicht die Ordnung an sich ist verkehrt - nur manchmal muss ein Personalwechsel her.

So "funktioniert" Königtum seit Jahrtausenden und so funktioniert übrigens auch die Psyche, weswegen sich Märchen auch häufig so gut psychoanalytisch interpretieren lassen (man überlege sich mal, wie eine fortgesetzte Revolution übertragen auf die Individualpyche aussähe: Wahnsinn...).

 

 

 

 

 

 

 

*Ein absurd anmutendes Details aus der Geschichte der chinesischen Kulturrevolution hat sich mir einst eingeprägt: Das im Zusammenhang mit dem "Großen Sprung nach vorn" Mao  zwecks Schaffung einer "modernen" Schwerindustrie viele tausende Bauern beruflich umorientieren wollte, wurde angeordnet, sie sollten, statt ihre Felder zu bestellen, lieber Eisen in kleinen, primitiven Lehm-Öfen produzieren. Zu diesem zentralistisch angeordneten Unsinn kam hinzu, dass in den Getreide produzierenden Provinzen viele korrupte Bonzen falsche Ernteetragszahlen meldeten. Die Folge war die größte Hungerkatastrophe aller Zeiten, der zig Millionen Chinesen zum Opfer fielen. Da aber die Weisheit des geliebten Mao und der ihm untergeordneten Funktionäre nicht angekratzt werden durfte, musste jemand anders als sie Schuld an der Hungersnot sein. Diese Schuld wurde bei den Völgen verortet, welche angeblich das ganze fehlende Getreide wegfraßen. Um Handlungsstärke zu demonstrieren wurde also der Kampf gegen Feldsperlinge zu einer Staatsangelegenheit. Da angeblich (oder wohl auch tatsächlich...) die Munition fehlte, um die Feinde der Bauern- und Arbeiterklasse abzuschiessen, mussten die Viecher anders bekämpft werden: man kam auf die Idee, ausgerechnet Studenten (!!!) lärmend - auch nachts - durch die Gegend ziehen zu lassen, um so die Vögel nie zur Ruhe kommen zu lassen, sondern immer und immer wieder aufzuscheuchen, bis die denn entkräftet tot zu Boden fallen würden. Besonders durchschlagend war diese Schädlingebekämpfung vermutlich nicht, aber man hatte erstens in den Vögeln einen "Feind von aussen", den gemeinsam zu bekämpfen Solidarität schaffte, zweitens einen Sündenbock (für das, was die Bonzen "verbockt" hatten) und drittens passte die Rekrutierung ausgerechnet der Studenten für diesen Unsinn voll in's klassenkämpferische, d.h. gegenüber Intellektuellen grundsätzlich mißtrauische kollektive Bewußtsein: wozu sollte man die Studenten schon in Ruhe lernen lassen, das war doch unproduktiv, nein, die sollten mal schön die Bauernklasse unterstützen... Und nein, das ist kein Märchen, das ist historisch verbürgt und zeigt beispielhaft, wie unsere üblichen, positiven Assoziationen der Vögel mit "Freiheit" nicht in allen Zusammenhängen zwingend sein müssen.

 

Ceterum censeo, dass das Alignmentproblem gelöst werden muss...

jack-black antworten
Channuschka-Mod
Moderator
(@channuschka-mod)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 818

@jack-black Kleine Korrektur zu deiner Anmerkung zur Spatzenkampagne, die richtig große Hungersnot kam erst danach, weil keine Spatzen mehr da waren um die Heuschrecken zu essen. Für heute ein Hinweis, was geschehen kann, wenn ein Teil eines Ökosystems ausfällt. Hier ein Artikel aus dem Spiegel dazu. Irgendwo hab ich mal gehört, China hat dann Spatzen aus Europa importiert, allerdings erst viel später.

channuschka-mod antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 4142

@channuschka-mod Danke für die interessante Ergänzung! Wobei ich da hinsichtlich der Schuldverschiebung von den Spatzen auf die Heuschrecken vorsichtig wäre: selbstverständlich hat so ein riesiger, unbedachter Eingriff in Ökosysteme am Ende immer unerwartete Konsequenzen. Die kausale Verkettung des Dramas aber begann ja schon vor der Idee, die Spatzen zu jagen: eben inform der - in dem von Dir verlinkten SPON-Artikel eher nebenbei erwähnten - Zwangskollektivierungen und insbesondere des Einsatzes der Bauern in der Stahlindustrie. Zusammen mit dem Versagen der Provinz-Bonzen sorgte dies für das Einsetzen und die absehbare Ausweitung der Nahrungsmittelknappheit. Welche man dann eben den Spatzen (und anderen "Schädlingen") in die Schuhe zu schieben versuchte. Dass diese Sündenbockisierung in der Folge dann das Problem sogar noch verschärfte, indem die Heuschrecken sich ohne Freßfeinde ausbreiten konnten, kommt sozusagen noch "oben drauf" (und das war mir tatsächlich neu, bis ich den von Dir verlinkten Artikel eben las). Man müßte jetzt noch genauer nachforschen, falls man wissen wollte, ob hier nicht nur der eine Sündenbock durch den anderen ersetzt wurde; nach dem Motto: "Die Natur hat sich eben gegen uns verschworen, aber wir haben den einen Feind besiegt, wir schaffen es auch, den anderen zu besiegen!" Dass die Heuschreckenschwärme direkt kausal mit der Ausrottung der Spatzen zusammenhingen, mussten den Otto-Norma-Chinesen damals ja nicht notwendigermaßen klar sein: das Denken in Ökosystem-Zusammenhängen ist ja noch nicht so lange selbstverständlich.

jack-black antworten
Channuschka-Mod
Moderator
(@channuschka-mod)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 818

@jack-black Ich bin auf diesen Spatzenmord eigentlich durch einen Artikel aufmerksam geworden, wo es um das Verschwinden unserer Hausspatzen ging und tatsächlich um eben den Schaden den Insekten anrichten, wenn die Vögel fehlen. China als warnendes Beispiel - und Heuschrecken sind super Erntevernichter. Die nehmen einem die Arbeit ab. Da hätte Else nichts mehr zu tun gehabt, wären die vorbeigekommen. Sie hätte allerdings auch keinen Brei mehr gehabt. Den Artikel hab ich aber nicht mehr gefunden... So und jetzt genug ot

channuschka-mod antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 4142

@channuschka-mod So und jetzt genug ot

Nee! 😜  Ich hab nun doch mal nachschauen müssen, weil nach meiner persönlichen Beobachtung Spatzen ziemlich viel Korn futtern. Nach Wiki-Angaben besteht denn auch ihre Nahrung überwiegend aus Samen. Nur ihre Brut wird mit Insekten gefüttert. (Das werde ich mal meinem Freund, seines Zeichens Arzt und missionarischer Veganer, der sich immer so drüber ärgert, dass seine Söhne immer noch regelmäßig Fleisch fressen, berichten: in seiner Jugend brauchen wohl Spatz und Mensch eben genügend tierische Aufbaumaterialien für Knochen, die auch KO-Spiele über volle 120 Minuten durchhalten...)

Kann natürlich sein, dass die Spatzen in China andere Ernährnungsgewohnheiten hatten als hierzulande, und ich will auch gar nicht rund heraus abstreiten, dass allein die Nahrungsbeschaffung für ihre Brut schon zu einer Eindämmung der Heuschrecken führte. Allerdings sind Heuschreckenplagen auch aus anderen Regionen der Welt bekannt, aus denen derartige Spatzen-Massaker nicht vermeldet wurden. Kurz: ich bin beim SPOn manchmal mißtrauisch, wenn, um eine Story rund zu machen, monokausale Zusammenhänge unterbreitet werden.

Als ich nun mal gezielt nach Fressfeinden der Heuschrecke gesucht habe, findet sich da der Spatz zumindest nicht an prominenter Stelle. Allerdings werden neben "manchen Vögeln" auch Säugetiere wie Mäuse (die ja zu den vier auszurottenden Übeln in China zählten) genannt, sowie bestimmte Fliegenarten (ebenfalls zu den von Maos ausgemachten Feinden zählend).

Vielleicht profitierten die Heuschrecken ja davon, dass gleich auf mehrere ihrer Fress-Feinde gleichzeitig Jagd gemacht wurde?

Heuschreckenschwarm-Plagen werden aber, soweit ich das jetzt auf die Schnelle eruieren konnte, eher mit bestimmten Wetterereignissen in Verbindung gebracht.

So, jetzt aber genug ot! 🤡 😎 

jack-black antworten
Mariposa22
(@mariposa22)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 670

Das will ich gar nicht bestreiten. Aber allein Deine Formulierung "tumbe Obrigkeitsdenker" ist sooo heutig... 😀 Sie basiert auf einer ganzen Tradition des "aufmüpfigen Denkens", die allerdings sich vor allem in privilegierten Kreisen entwickelte. Um gesellschaftskritische, gar revolutionäre Ideen zu entwickeln, braucht es Voraussetzungen wie Bildung, eine gewisse materielle Unabhängigkeit und so fort.

Das sehe ich aber vollkommen anders. Für kritisches Denken braucht es weder Bildung noch materiellen Wohlstand. Gehe mal in die Slums und schaue mal, was die Leute dort wirklich denken. Auch in unserem Kulturkreis sind Gesellschaftskritiker auf keinen Fall nur in akademischen Kreisen zu finden. Das kommt mir jetzt fast ein wenig überheblich rüber. Sorry, wenn ich dich hier missverstehe, aber du deutest so etwas an mehreren Stellen an. Ob jemand kritisch und vor allem eigenständig denkt ist wohl eher eine Charakterfrage als die von Bildung oder gar Intelligenz. 

Und sowohl bei "einfachen" Leuten als auch in gebildeten Kreis gibt es und gab es schon immer solche, die kritisch hinterfragten. Nur gab es damals keine öffentliche Plattform dafür, so dass es niemanden groß auffiel. Die Leute waren seit anbeginn der Zeit nicht so anders als wir heute. 

Warum sollte nicht das die Message jener "brillianten Denker", die Du erwähnst, gewesen sein? Märchen sind alles andere als revolutionäre Erzählungen.

Meiner Meinung nach gibt es überhaupt gar keine eindeutige Message. Märchen sind keine Offenbarungen, sondern sollen einfach die Gedanken anregen. Es muss doch nicht hinter allem eine Botschaft stecken, und man muss auch nicht alles sooo ernst nehmen.

mariposa22 antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 4142

@mariposa22 Das sehe ich aber vollkommen anders.

Ist doch gut, wäre ja langweilig, wenn wir hier alle die gleichen Ansichten verträten.

Für kritisches Denken braucht es weder Bildung noch materiellen Wohlstand.

So pauschal will ich das auch nicht vertreten. Allerdings hattest Du ja den Begriff "tumbe Obrigkeitsdenker" eingeführt und ich hatte mir dann überlegt, was der Gegenpart dazu sein könne. Und da fällt mir eben der Begriff "Revolte" ein, revolutionäres Denken: gegen die Obrigkeit gerichtetes (revolutionäre) Denken ist in meinen Augen etwas anderes als "nur"  situativ kritisches Denken.

Gehe mal in die Slums und schaue mal, was die Leute dort wirklich denken.

Naja, aus Klimaschutzgründen unterlasse ich solche weiten Reisen inzwischen lieber. 😉

Aber im Ernst: systemverändernde, revolutionäre Gedanken kamen in der Vergangenheit eher selten aus den armen Schichten. Zwar müßte in den Slums, also unter denen, die kaum genug haben, um ihre Kinder vor dem Hungertod zu retten, objektiv das Interesse an Systemänderungen am größten sein. Aber gleichzeitig fehlen gerade hier auch die Ressourcen, solche Systemänderungen durchzusetzen: dazu muss man erstmal sich zusammensetzen, realistische Pläne entwerfen, wie man vorgehen will usw.. Was wiederum voraussetzt, dass man erstens die Zeit/Muße zu solcher Organistation hat (woher soll einer, der täglich bis fast zum Umkippen schuftet, um überhaupt zu überleben, die noch nehmen?) und zweitens genug darüber weiß, wie politisches Handeln (erfolgreich) funktioniert: politische Bildung ist nötig, ansonsten kommt die Wut der Marginalisierten immer bloß bis zur nächsten Straßenecke, wo sie sich dann gewöhnlich darin entlädt, einen Laden zu plündern.

Ich denke, dass der Blick auf die revolutionären Vorgänge in der Historie da meine Ansicht weitgehend bestätigt: von den Schwierigkeiten, die Arbeiterlasse für den Aufstand zu begeistern, dürfte so mancher Berufsrevolutionär ein Lied singen können... (Wer viel Zeit und Lust auf sperrig zugängliche Texte hat, dem sei "Die Ästhetik des Widerstands" von Peter Weiss in diesem Zusammenhang empfohlen. Er beginnt aus der Perspektive von jungen Leuten, die sich im Rahmen der sozialistisch ausgerichteten Arbeiterbildungsvereine einfach erstmal "klüger" machen wollen, da wird z.B.  gleich am Anfang eine Auseinandersetzung mit dem Pergamonnaltar in dem Berliner Museum geschildert...)

Das kommt mir jetzt fast ein wenig überheblich rüber. Sorry, wenn ich dich hier missverstehe, aber du deutest so etwas an mehreren Stellen an. Ob jemand kritisch und vor allem eigenständig denkt ist wohl eher eine Charakterfrage als die von Bildung oder gar Intelligenz.

Ich wiederum verstehe nicht, was da mit "Charakterfrage" überhaupt gemeint sein könnte. Auch den Vorwurf der Überheblichkeit kann ich nicht nachvollziehen. Ich behaupte doch nicht, dass die Angehörigen der armen Klassen von Geburt an doofer seien. Aber Vernunft ist m.M.n., um ein Bild zu gebrauchen, ein Muskel, der trainiert werden muss, um stärker zu werden. Bildung ist genau dies: ein Training der Vernunft. Sie ist ja kein bloßes Anhäufen von Faktenwissen, sondern sie geht insofern darüber hinaus, als sie Zusammenhänge zwischen Fakten herzustellen vermag: die Fähigkeit, zu erkennen, wie die Dinge in der Regel funktionieren. Und für's kritische Denken benötigt man selbstverständlich Intelligenz. Die - das wiederhole ich nochmal ausdrücklich - selbstverständlich bei der Tochter eines armen Mannes genauso genetisch vorhanden sein kann wie bei dem Sohn einer reichen Mutter. Aber Intelligenz ist ja erstmal nur Problemlösungsvermögen, also die Fähigkeit, aufgrund gegebener Informationen und einem gegebenen Ziel eine möglichst effektive Strategie zu entwickeln, dieses Ziel zu erreichen.

Wenn einem dann wichtige Informationen fehlen (mangelnde Bildung) und wenn einem Zeit und Kraft fehlen, die (stets doch auch begrenzte!) Intelligenzleistung auf das Ziel zu focussieren, dann kommt man halt nicht sehr weit.

Überheblich wäre es, zu sagen: "Da haben die Armen halt selbst schuld, wenn sie zu doof sind, ihre Interessen gegen die Herrschenden (Obrigkeit) durchzusetzen."

Das aber tue ich nicht (jedenfalls bin ich mir dessen nicht bewußt), sondern meine, hier nur die (bedauerliche) Tatsachen zu beschreiben: wer damit beschäftigt ist, bis zum Ende des Tages nicht zu verhungern, hat keine Ressourcen für substantielle Systemkritik und effektives systemänderndes Handeln übrig. Du kennst ja sicher den alten "Witz" wo der Politiker zum Geistlichen sagt: "Halte du sie dumm, ich halte sie arm!"? Solange die "Obrigkeit" (die herrschende Klasse) das hinkriegt: die unteren Schichten (marxistische Begrifflichkeit: die Arbeiterklasse) ungebildet und arm zu halten, solange braucht man keine Revolte zu befürchten und kann darin fortfahren, sie auszubeuten. So sind m.A.n. die tatsächlichen Verhältnisse, und dies zu konstatieren hat nichts mit Überheblichkeit zu tun.

Und nun will ich endlich auf unseren Ausgangspunkt zurückkommen, nämlich auf die Frage, inwiefern zu vermuten sei, dass in einem Volksmärchen emanzipatives, klassenkämpferisches (revolutionäres), systemkritisches Denken transportiert werden könnte.

Ich halte das zwar für nicht prinzipiell unmöglich, aber allgemein* für eher unwahrscheinlich.

Dazu ist die Weise, wie Volksmärchen entstehen, zu berücksichtigen. Enthielte eine Erzählung eine systemkritische, also auf Gesellschaftsveränderung zielende Botschaft, so hätte sie nur bis zu dem Zeitpunkt überhaupt Relevanz, an welchem sich das System, die herrschende Ordnung dann tatsächlich ändert. Wenn z.B. die Erzählung dazu dienen soll, die Zuhörer davon zu überzeugen, dass Gleichberechtigung und Mitbestimmung aller Gesellschaftsmitglieder systemisch besser seien als eine hierarchische Gesellschaft, in welcher der Adel befielt und das "gemeine Volk" zu spuren hat - dann wird die Erzählung ab dem Zeitpunkt, wo die Adelsherrschaft beendet wird und demokratische Verhältnisse zu herrschen begonnen haben, einfach überflüssig. Das gleiche gälte hinsichtlich anderer emanzipatorischer Prozesse: ein Erzählung, die darauf abzielt, die Ungleichbehandlung der Geschlechter in Beruf oder vor Gericht zu beenden, würde von Zuhörern, die solche Ungleichbehandlung gar nicht aus ihrem eigenen Erleben kennt, so wenig verstanden wie eine Erzählung, die das Problem der Sklaverei adressiert in dem Fall, wo die Zuhörerschaft aus einer Gesellschaft stammt, in der es keine Sklaverei gibt.

Zusammengefasst: selbst wenn anfangs in einem Märchen eine auf Systemänderung abzielende, kritische Botschaft enthalten gewesen sein sollte, so wäre sie entweder von den Zuhörern nicht verstanden worden oder hätte sich nach dem Erreichen ihres Ziels erledigt gehabt.

Wenn aber eine Erzählung sich über viele Generationen, über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende erhält, darf davon ausgegangen werden, dass sie nicht tendenziell auf Veränderung (im kollektiven Rahmen) abzielt, sondern eher das betrifft, was sich nicht verändert, was vom Publikum als "gültige Ordnung" verstanden wird. In diesem Sinne sind sie konservativ: Bauern- oder Arbeiteraufstände finden in ihnen nicht statt, und wenn (häufig) ein armer Bauer, Fischer oder Köhler der Held ist, dann sieht ein "guter" Märchenausgang nicht so aus, dass alle Bauern, Fischer und Köhler das Wahlrecht und eine auskömmliche Rentenversicherung garantiert bekommen, sondern dass eben der anfangs arme Held schließlich selbst auf dem Königsthron sitzt. Oder das Märchen geht, wenn die Grund-Botschaft darin besteht, dass man besser nicht zuuu gierig sein sollte, böse aus und der Fischer sitzt mit seiner Isebill wieder in dem ärmlichen Pisspott vom Anfang: In beiden (üblichen) Märchenausgängen ist die allgemeine Standesordnung, wonach der König herrscht und das gemeine Volk ihm zu dienen hat, wiederhergestellt.

Veränderung findet natürlich in Märchen durchaus statt, aber nicht auf kollektiver (sozio-politischer), sondern individueller Ebene: Hans Mustermann wird vom armen Bauern zum reichen König. Darin, dass Individuen Entwicklungen durchlaufen, sich in Reaktion auf äußere "Zufälle" gründlich ändern können - darin sind die Erfahrungen von Menschen über die Jahrhunderte und Jahrtausende gleich. Darin liegt ihr Weisheits-Potential: dass die Zuhörer individuell sich in den Helden oder Anti-Helden wiedererkennen können: wie läßt sich mit unterschiedlichen privaten Nöten und Sorgen, Problemen und Katastrophen umgehen?

Wäre das Märchenpublikum zu doof, Abstraktionsleistungen zu vollbringen, müßte es die Märchen regelmäßig mißverstehen. Natürlich darf das Schicksal des jüngsten Müllersohns in "Der gestiefelte Kater" nicht als auf Tatsachen basierende Blaupause verstanden werden, wie man als quasi enterbter Hungerleider es auf den echten Königsthron schafft. Es gibt keine sprechenden Kater und das wissen alle, denen dieses Märchen erzählt wird. Die Königsherrschaft steht hier also für etwas anderes: nämlich die Situation, in welche man es unter realistischer Betrachtung optimalerweise schaffen kann, wenn man die Gelegenheiten, die einem gegeben sind, richtig nutzt.

Zwar wird der König im Märchen hier nicht als die allerhellste Kerze auf der Torte skizziert: er ist beherrscht von seiner Lust auf Rebhuhnbraten und lässt sich leicht veräppeln - aber darin steckt kein obrigkeitskritisches, emanzipatorisches oder revolutionäres Denken des Märchenerzählers. Dieser eine, individuelle König ist nicht mehr so richtig ideal königlich, und folgerichtig wird er am Ende dann abgelöst durch einen besseren (per gestiefeltem Kater schlaueren) König.

 

Die Möglichkeit eines Zugangs auf der individuellen Ebene ist es ja auch, weswegen es so viele psychoanalytische Märcheninterpretationen gibt, während sich Interpretationen unter machtpolitischer oder sozioökonomischer Perspektive eher rar machen: darüber, wie der Mensch auf individueller Ebene tickt, läßt sich in Märchen viel finden, darüber, wie er auf kollektiver Ebene funktioniert, dagegen kaum etwas. Man könnte sagen: Märchen finden privat, nicht öffentlich statt.

Kritisches, politisch emanzipatives** oder revolutionäres Denken betrifft aber eben die kollektive Ebene.

 

Für solches Denken gibt es andere Textformate, vom politischen Manifest über das Propagandagedicht bis hin zum Roman, Theaterstück oder offenen Briefen mit erzieherischem Programm.

 

 

 

 

 

 

*ausgerechnet "Die kluge Else" ist nach meinem Dafürhalten kein typisches Märchen, und daher sind meine obigen allgemeinen Darlegungen über Märchen in diesem Spezialfall womöglich nicht so stichhaltig... Ich kann aber dennoch in diesem etwas aus der Märchen-Reihe fallenden Text keine kritische Tendenz im hier diskutierten Sinne erkennen, ohne große Anstrengungen, ihn "gegen den Strich zu bürsten".

 

**Man sollte, so fällt mir gerade ein, vielleicht für die individuelle "Emanzipation" eines Kindes von seinen Eltern oder einer Frau von ihrem Mann einen anderen Begriff erfinden, um solche persönlichen Angelegenheiten besser von kollektiven Angelegenheiten wie der "Emanzipation der Frauen vom Patriarchat" unterscheiden zu können.

 

 

Ceterum censeo, dass das Alignmentproblem gelöst werden muss.

jack-black antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
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@mariposa22 

Und sowohl bei "einfachen" Leuten als auch in gebildeten Kreis gibt es und gab es schon immer solche, die kritisch hinterfragten. Nur gab es damals keine öffentliche Plattform dafür, so dass es niemanden groß auffiel. Die Leute waren seit anbeginn der Zeit nicht so anders als wir heute.

Ich kannte und kenne viele Leute, die keine Ausbildung haben, in eher prekären Verhältnissen leben und dennoch intelligent und gebildet sind, sehr interessiert an Politik, Philosophie, Geschichte und Kultur. Und diese Leute sehen natürlich auch vieles in der Politik sehr kritisch und hinterfragen die bestehenden Verhältnisse.

Das ist aber nicht unbedingt die Regel. Ich habe über Jahrzehnte immer wieder mit "einfachen" Leuten gearbeitet, auf Baustellen, am Fließband, in Lagerhallen, in öffentlichen Beeten.

Und ja, viele dieser Leute waren "kritisch"... aber auf einer ziemlich fragwürdigen Basis, indem sie einfach bestimmte Politiker, die öfters in den Schlagzeilen waren, für all das verantwortlich gemacht haben, was in ihrem eigenen Leben schief läuft. "Die da oben", das sind alles "Betrüger" und "Volksverräter", und alles was diese Politiker tun muss abgelehnt werden, weil diesen Leuten einfach nicht zu trauen ist.

Damit haben sie es sich dann doch etwas zu einfach gemacht, weil sie sich nicht für Zusammenhänge interessiert haben. Stumpfe Feindbilder zu pflegen ist eben nicht dasselbe, wie Dinge kritisch zu hinterfragen. Denen ging es auch nicht darum, etwas zu verändern, sondern lediglich um ein Ventil für ihren Frust.

Es braucht aber Leute, die nicht nur meckern, sondern auch die Zusammenhänge erkennen, wenn etwas geändert werden soll. Und das findet man dann eben doch eher in gebildeten Kreisen.

Das sind nicht zwangsläufig nur Studierte und Besserverdiener... aber eine gewisse Tendenz gibt es dann doch.

Was durchaus tragisch ist. Denn gerade den Ausgebeuteten wäre es ja zu wünschen, dass sie die Verhältnisse durchschauen und erkennen, wer an ihrer Situation wirklich schuld ist und warum - aber gerade daran hapert es halt oft.

lucan-7 antworten


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