Hallo zusammen,
hat hier schon mal jemand Erfahrungen mit Ghosting in einer Beziehung gemacht?
Ich war etwa 6 Monate mit meinem Freund zusammen. Wir kannten uns vorher schon ein-zwei Jahre, sind aber erst letztes Jahr zusammen gekommen. Es war eine Fernbeziehung und wir haben uns meist nur am Sonntag gesehen. Mit s Teilen seiner Familie hatte ich auch schon Zeit verbracht.
Seit einigen Wochen reagiert er weder auf Nachrichten noch auf Anrufe. Wir hatten keinen großen Streit o.ä. und ich bin auch ziemlich sicher, dass er keine andere hat, sondern ich ihm eigentlich wirklich was bedeute.
Nach 2 Wochen in denen ich mich immer mal wieder versucht habe zu melden, habe ich das ganze aufgegeben. 🙁
Hat das schon mal jemand erlebt? Wie seid ihr damit umgegangen?
Ich habe schon so viel gelesen und versucht Antworten auf sein Verhalten zu finden. Einiges klingt irgendwie ein wenig plausibel, nachvollziehen kann ich es trotzdem nicht und leichter macht es das ganze auch nicht.
Hallo Hurricane,
da ich älteren Semesters bin, musste ich "Ghosting" erst einmal bei Wikipedia nachschlagen. Dieses Phänomen des plötzlichen Rückzuges soll häufiger auftauchen, seit es digitale Medien gibt. Daher habe ich überlegt, wie es vor Internet und Co war, als Beziehungen durch persönliche Begegnung, Briefe und Telefon aufrecht erhalten wurden.
Als Teenager habe ich durchaus erlebt, dass Leute einfach nicht mehr zu einem vereinbarten Treffen kamen, das Telefon nicht mehr abnahmen oder Briefe plötzlich unbeantwortet blieben. Allerdings wurde dieses Verhalten als schlecht beurteilt und bestraft, weil die räumliche Distanz zwischen den Beziehungspartnern nicht so hoch war. Ein Mann, der seine Freundin bei einem Date "Versetzte" (so hieß das ghosting früher), hatte mit der Konsequenz zu rechnen, dass er plötzlich auch keine neue Freundin mehr fand, weil sich sein Verhalten in der Tanzschule/Klasse/Disko/Stadtteil herumsprach und die Frauen Abstand von ihm nahmen. Und oft erfuhr man die Ursache für sein Verhalten durch den Bekanntenkreis. Irgendwer hatte ihn mit einer "Neuen" in der Kneipe gesehen. "Ghosting" war mit dem Risiko der Sanktion verbunden und "Man" tat es in der Regel nicht.
Digitale Medien überbrücken große Distanzen und vermitteln das Gefühl einer engen Beziehung, weil man täglich in Kontakt ist. Auch ich fühle mich meinen Kindern per Whats app nah, obwohl sie weit weg von mir leben und ich von ihrem tatsächlichen Leben gar nichts mitbekomme, sondern nur das, was sie mir an Fotos senden und Nachrichten schicken. Das ist aber nur eine Auswahl von dem was sie zeigen wollen, nicht ihr tatsächliches Leben. Ob neben dem tollen Foto vom selbsgebackenem Kuchen ein Berg Abwasch steht, für das tolle, neue Kleid das Konto hoffnungslos überzogen wurde oder die Schnapsleichen auf der anderen Seite des Partyfotos liegen, erfahre ich nicht.
Auch wenn du dich mit deinem Freund einmal die Woche getroffen hast, sein wirkliches Leben hast du nicht mitbekommen.
Daher komme ich zu der Schlussfolge, dass digitale Beziehungen über große Distanz eigentlich "Ghost-Beziehungen" sind, die einem Nähe vorspiegeln, die gar nicht vorhanden ist. Weil das soziale Umfeld fehlt, Menschen zu sanktionieren, die einfach ohne Abschied und Grund verschwinden, ist es sehr einfach, diese Scheinbeziehungen zu lösen.
Du bist jetzt verunsichert und verletzt von deinem Freund und du machst dir auch Sorgen, dass ihm etwas passiert ist. Das kann ich gut nachvollziehen. Vielleicht hilft es dir, wenn du von dir aus ein Ende setzt und ihm schreibst, dass Schluss sei, weil er sich nicht meldet. Bei der nächsten Beziehung würde ich darauf achten, dass der Haupteil die persönliche und nicht die digitale Begegnung ist und eine echte Partnerschaft mit allen Höhen und Tiefen entsteht.
