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Was bedeutet "evangelikal"?

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andreas
Themenstarter
Beiträge : 1806

Vor kurzem gab es bei j.de einen Austausch, in dem jemand sich als nicht mehr evangelikal bezeichnete. Ich habe das nur am Rand verfolgt, aber gemerkt, dass die Reaktionen einen Austausch über die theoretischen Grundlagen der Verwendung dieses Begriffs nahelegen.

Da es sich bei "evangelikal" um einen recht jungen Begriff handelt, eröffne ich diesen Thread bewusst im Forum "Kirchengeschichte". Denn Definition heißt immer auch Abgrenzung, und diese kann ja nur die gegenüber anderen christlichen Strömungen in der Kirchengeschichte sein.

Damit ist nicht gesagt, dass die Sache selbst neu sei. Der Anspruch, das Christentum möglichst ursprünglich zu verstehen, ist also davon unberührt. Diesen Anspruch hat aber ja fast jede christliche Strömung. Insofern hat die kirchen- und theologiegeschichtliche Einordnung auch wieder Sinn.

Mich würde interessieren:

Was bedeutet der Begriff Eurem Verständnis nach?
Wie kommt Ihr zu diesem Verständnis?
Wie bestimmt Ihr das Verhältnis zu anderen Strömungen / Gruppen / Bewegungen / ... der Christenheit?
Gibt es etwas, was sich Eurer Ansicht nach gegenseitig mit "evangelikalsein" ausschließt?
Was gäbe es sonst noch zu sagen?

Vielleicht als Bonus-Frage: Würdet Ihr Euch selbst so bezeichnen?

Meinen eigenen derzeitigen Ansatz werde ich in einem ersten Kommentar darzulegen versuchen.

Den Wikipedia-Artikel kenne ich, Danke! Er ist brauchbar, aber nicht das, wonach ich fragte. 😊

Dank und Gruß von

Andreas

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130 Antworten
1 Antwort
Helmut-WK
(@hkmwk)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 7390
Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Mich würde interessieren:

Was bedeutet der Begriff Eurem Verständnis nach?
Wie kommt Ihr zu diesem Verständnis?
Wie bestimmt Ihr das Verhältnis zu anderen Strömungen / Gruppen / Bewegungen / ... der Christenheit?

Historisch stammt der Begriff aus dem Englischen, wo der schon eine längere Geschichte hat. In den 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde er von den Pietisten in D entdeckt und als Selbstbezeichnung übernommen, was an sich durchaus ok war (und die Pietisten haben auch eine längere Geschichte …).

Historisch ist so manches Positives durch evangelikale Gruppen gekommen: Abschaffung des internationale Sklavenhandels durch duie Methodisten, „innere Mission” durch den Pietisten Wichern, und die Baptisten waren, als sie im 17. Jh. die Religionsfreiheit gewissermaßen „erfanden”, zwar nicht evangelikal im damaligen Sinn des Wortes, gehören aber heute dazu.

Bei den, was sich in den USA evangelical nennt, gibt es einerseits eine Aufweichung theologischer Positionen - in einem englischen Forum meinte jemand auf meine Frage, warum evangelical nicht als Gruppe o.ä aufgeführt war, dass die evangelicals doch nur noch wischi-waschi wären, keiner wüsste, wofür das Wort steht. Andererseits bekommen wir in den Medien mit, dass viele US-evangelicals sich politisch immer mehr nach rechts orientieren. Zwei Gründe, warum ich mich oft nicht als evangelikal bezeichne.

Zum traditionellen pietisch-evangelikalen gehört:

  • Betonung einer persönlichen Beziehung zu Jesus (schon im 17.Jh., in Abgrenzung zur lutherischen Orthodoxie, die einseitig auf die »rechte Lehre« bedacht war)
  • Betonung der persönlichen Heiligung (dito, die extreme Gegenposition war die Auffassung, evangelische Freiheit zeige sich gerade darin, dass man bewusst sündigte)
  • Daraus abgeleitet: Betonung der Notwendigkeit einer Bekehrung (wobei der Punkt unterschiedlich stark betont wird …)
  • Betonung der Glaubwürdigkeit der Schrift, und dass sie maßgeblich ist (v.a. seit dem 18.Jh., in Abgrenzung zur mit der Aufklärung beginnenden Bibelkritik)
  • Betonung der Gemeinsamkeit aller Gläubigen in den verschiedenen Kirchen

Typisch evangelikal ist, dass man sich in einem Hauskreis trifft und über die Bibel spricht, dass man nicht alles schluckt, was der Pastor oder Prediger erzählt, sondern sich durch (gemeinsames und persönliches) Bibelstudium sein eigenes Urteil bildet, und eben, dass es darauf ankommt, was die Bibel sagt.

In den evangelikalen Kreisen, in den ich mich bewegt habe, war es selbstverständlich, dass es auch Fragen gibt, zu den die Bibel keine Antwort hat (adiaphora nennen das Theologen), dass man auch Fachinformationen (historische, sprachliche etc.) zu Rate zieht, um den Sinn einer Stelle zu verstehen (oder mindestens, dass das die benutzten Ausleger getan haben), aber auch die Option, eine Bibelstelle ganz persönlich und bewusst subjektiv auf sich zu beziehen („das hat der Herr mir heute gesagt”). Die Enge, die ich aus manchen »anti-evangelikalen« Beiträgen hier herauslese, hab ich so selten erlebt. Und auch nicht den Fanatismus. Wir sollen den Sünder (alle Menschen sind Sünder, also auch ich) lieben und die Sünde hassen. Und jeder kann sich irren, ich bin nicht unfehlbar 😉

Gibt es etwas, was sich Eurer Ansicht nach gegenseitig mit "evangelikalsein" ausschließt?

  • Bewusstes Abweichen oder eindeutiges Uminterpretieren der Heiligen Schrift
  • Sich als einzig wahre Gruppe zu verstehen (»Allianzgedanke«)
  • Ein Lebensstil ohne den Kampf gegen die innewohnende Sünde
hkmwk antworten
BeLu
 BeLu
Beiträge : 5078
Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Was bedeutet der Begriff Eurem Verständnis nach?

Mir scheint, der Begriff "Evangelikale" hat sich für diejenigen eingebürgert, die sich früher als "bibeltreue Christen" bezeichnet hätten oder es vielleicht auch heute noch so tun. Von daher wäre "evangelikal" mit "bibeltreu" gleichzusetzen oder stünde dem zumindest sehr nahe.

Allerdings heißt das trotzdem nicht, dass alle Evangelikalen exakt die gleichen Ansichten vertreten, was "bibeltreu" ist und was nicht, denn es fließt immer auch die eigene Interpretation der Bibel mit hinein. Beispiel: Ist die Erde 6000 Jahre jung? Würde ich diese Frage den zwei Ältesten in meiner Gemeinde stellen, würde ich zwei verschiedene Antworten bekommen. Der Eine würde mit einem Ja antworten, der Andere mit einem Nein. Beide würden sich aber als Evangelikal bezeichnen.

Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Vielleicht als Bonus-Frage: Würdet Ihr Euch selbst so bezeichnen?

Ich bin sehr vorsichtig damit, diesen Begriff zu verwenden, eben weil man dann gleich mit Leuten in einen Topf geworfen wird, mit denen man eigentlich nicht in einem Topf landen möchte.

belu antworten


Kranich1
Beiträge : 20

Ja, eine interessante Frage, die bei mir auch immer mal wieder aufgeploppt ist, weil ich das Gefühl habe, dass es hier auch sehr starke Fronten gibt, die ich manchmal so nicht nachvollziehen kann.

Für mich ist "evangelikal" ein komplett amerikanisch geprägter Begriff, der im Zusammenhang mit der dort sehr stark ausgeprägten Politisierung der Kirchenlandschaft zu tun hat und den man so auf Deutschland nicht übertragen kann. Evangelikale Christen in Amerika sind häufig gleichzeitig Republikaner und vertreten dadurch auch eine bestimmte politische Auffassung.

Ich bezeichne mich selbst gern als "evangelisch-freikirchlich", weil ich zum einen sehr viele Sichtweisen der evangelischen Kirche bzw. Luthers auf das Christentum teile, mich zum anderen aber in der evangelischen Landeskirche nicht mehr wohlfühle.
Würde mich jemand als "evangelikal" bezeichnen, würde ich wohl widersprechen, denn für mich schwingt da auch immer eine ganz stark ausgeprägte konservative Weltanschauung mit, die mit dem Glauben begründet wird.

kranich1 antworten
Taubnessel
Beiträge : 103

Hallo Andreas

Mein Verständnis von "evangelikal" hat sich verändert und ist mittlerweile auch negativ geprägt. Einerseits wegen der Bezeichnung "evangelikale Christen" in den USA, mit deren Glaubensverständnis und Auftreten ich Mühe habe, andererseits aufgrund teils sehr negativer Erfahrungen mit "evangelikalen Christen" in meiner eigenen kleinen Welt.

Früher verstand ich unter "evangelikale Christen" solche, die aufrichtig, ernsthaft, ehrlich, mit Leidenschaft "ein Leben mit Jesus" führen. Ich stellte mir Christen vor, die Liebe, Barmherzigkeit, Demut, Freundlichkeit und all die Tugenden predigen wie auch leben. Ich grenzte ab zu evangelisch-reformiert (so war ich erzogen worden), zu katholisch (das bekam ich am Rande mit, von meinem Vater, von Schulkollegen), zu orthodox sowieso (orthodoxe Christen kannte ich keine), aber auch zu charismatisch. Zumindest war es das, was ich in meinen ersten Jahren als Christ lernte. Unter all den aufgezählten waren die Evangelikalen gemeinsam mit den Charismatikern die wahrhaftig Bibeltreuen, die Jesus aufrichtig nachfolgen, mit dem Unterschied, dass die Evangelikalen die bodenständigeren (oder noch bibeltreueren) seien als die Charismatiker. Ziemliches schwarz-weiss-Denken. Und ziemlich arrogant, wie ich rückblickend finde.

Der Begriff ist heute breit bekannt, zumal die Medien oft genug über die "evangelikalen Christen" in den USA berichtet haben - und entsprechend ein Bild von diesem Begriff geprägt haben. Was jeder einzelne damit assoziiert, ist dann sehr unterschiedlich.

Mir ist heute egal, als was für eine Sorte Christ sich jemand selbst sieht oder nennt. Mich interessiert vielmehr, wie jemand seinen Glauben lebt, wie jemand überhaupt lebt. Einige Menschen beeindrucken mich (u.a. Evangelikale), andere stossen mich ab (u.a. auch Evangelikale).

Ich selbst bezeichne mich nicht mehr als evangelikal. Wenn das Gespräch darauf oder allgemein auf das Thema Glauben kommt, sage ich, dass ich aus Überzeugung Christ bin, was ich glaube und warum. Und wenn das Gespräch auf "die Evangelikalen" kommt, versuche ich dazu anzuregen, zu differenzieren und nicht alle über einen Kamm zu scheren.

Liebe Grüsse
Taubnessel

taubnessel antworten


Pinia
 Pinia
Beiträge : 1375

Inzwischen bezeichne ich mich nicht mehr als "evangelikal", sondern als "(Bekenntnis-)Lutheraner".
Den Begriff "evangelikal" oder "die Evangelikalen" höre ich fast nur noch von Gemeindegliedern, die von "den Evangelikalen" kamen und das Lutherische Bekenntnis befreiend erlebt haben. Also aus ihrer Erfahrung ist der Begriff absolut negativ besetzt. Von Gottesdienstbesuchern aus einer ganz anderen Ecke habe ich ihn ähnlich negativ besetzt gehört, sie bezeichnen sich sogar als "evangelikal-geschädigt" und scheuen daher auch jede verbindliche Gemeindezugehörigkeit und Festlegung.

Ich selbst würde den Begriff nicht so negativ verwenden bzw. sehe ihn auch nicht so negativ, bei allem, was ich inzwischen kritisch sehe, bzw. wo ich mich als Lutheranerin bewusst abgrenze. - Auf jeden Fall trenne ich zwischen dem Englischen "evangelical", das für "evangelisch" steht, und amerikanischen "Evangelikalen". Unsere internationalen Schwestergemeinden bezeichnen sich auch als "Evangelical Lutheran Church/Synod", also evangelisch-lutherische Kirchen in Abgrenzung zu den Reformierten, gehören aber nicht zu "den Evangelikalen" (auch wenn gerade in USA viele von ihnen eher Republikaner wählen).

Ich stamme aus landeskirchlich-pietistischen Verhältnissen und habe den Begriff "evangelikal" damals immer als Abgrenzung zu "evangelisch" verstanden, also quasi "die bibeltreuen Evangelischen" im Unterschied zu "den landeskirchlich Liberalen". Die Evangelikalen als diejenigen, die das Evangelium verkündigen, daher auch "evangelikal" = evangeliumsgemäß, und Menschen zu einem bewussten Leben mit Gott durch Jesus auffordern/ermutigen. (Damals waren aber auch "Lutheraner" für mich/in meinem Umfeld die Liberalen, bei denen Mensch ja nichts leisten muss für seine Erlösung, manchmal sogar im Sinne von "Taufschein- oder Kirchenchristen").

"Die Evangelikalen", das waren "die Gläubigen". Den Begriff hatte ich schon in meiner frühen Jugend gehört, von den Großeltern, den Leuten im Jugendkreis und in der Landeskirchlichen Gemeinschaft.

"Die Evangelikalen" veranstalteten Evangelisationen, riefen zur Bekehrung auf und legten auch Wert auf ein "christliches" Leben, auf Heiligung. Bei ihnen war es mit der Taufe nicht getan, sondern Bekehrung musste folgen und dann ein Leben, das der Bekehrung entsprach. Zeugnis geben gehörte dazu, genau wie die "Stille Zeit".
Wobei - vermutlich vermischten sich da auch die Begriffe "evangelikal" und "pietistisch".

Damals schloss sich auf jeden Fall das "Lutherischsein" mit dem "Evangelikalsein" aus. Es gab "die Kirchenchristen" und "die Evangelikalen" bzw. "uns Evangelikale".
Zu den Evangelikalen würde ich die Ludwig-Hofacker-Vereinigung (heute: Christusbewegung "Lebendige Gemeinde") zählen und Pro Christ.

Ich persönlich habe "die Evangelikalen" nicht negativ erlebt. Natürlich bin ich so erzogen worden, dass es eine "Bekehrung" braucht, mein Einschlagen in Gottes ausgestreckte Hand. Stille Zeit gehörte dazu, das Beten in Gebetsgemeinschaften und das Zeugnisgeben. Aber man lebte im Alltag mit Jesus und rechnete mit Gottes Handeln z.B. bei der Parkplatzsuche oder wenn es um Geschenke ging (was könnte/soll ich wem schenken). Und dann hatte man auch etwas zu erzählen, wenn man ein Zeugnis geben sollte. Ich empfand wenig Druck.
Die Entdeckung des biblischer Aussagen, die ich später als "lutherisch" bezeichnet bekam, war allerdings in der Rückschau ein gutes Stück befreiend, auch wenn es bei einem Teil der Gemeindeglieder der LKG zu großer Verwirrung bis Widerstand führte (v.a. bei dem Teil, der sich zumindest innerlich von der Landeskirche getrennt hatte und sich als evangelikal bezeichnen würde).

Gemeindeglieder, aus der rkK stammend und bei "den Evangelikalen" zum Glauben gekommen, erlebten einen großen Druck. Angefangen vom so empfundenen Zwang zum Zeugnisgeben bis zu einer regelrechten Werksgerechtigkeit und natürlich der starken Verpflichtung zur Mitarbeit in der Gemeinde und zum Geben. - Die Gemeinde bezeichnete sich selbst als "evangelikal", das ist keine Zuschreibung der Betroffenen.
Die anderen, die sich als von "den Evangelikalen" geschädigt sehen, haben diesen Druck auch durch, den Zwang zu einem "christlichen" Leben (eher dem Befolgen irgendwelcher Kleidungs- und Verhaltensregeln), und auch Erfahrungen in charismatischen Gemeinden. Ob sie die als "evangelikal" bezeichnen, weiß ich nicht.

pinia antworten
4 Antworten
Ungehorsam
(@ungehorsam)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 3336

"Die Evangelikalen", das waren "die Gläubigen".

Damals schloss sich auf jeden Fall das "Lutherischsein" mit dem "Evangelikalsein" aus. Es gab "die Kirchenchristen" und "die Evangelikalen" bzw. "uns Evangelikale".

Diese Denke halte ich für arrogant.

ungehorsam antworten
Sternenbluete
(@sternenbluete)
Beigetreten : Vor 12 Jahren

Beiträge : 866

Danke, dein Beitrag enthält sehr vieles wie ich es auch erlebt habe.
Allerdings bin ich nicht durch Erziehung oder Familie in diese Kreise
hineingewachsen und konnte mir von daher schon immer viel Freiheit erlauben. Ein komplette Veränderung meiner theologischen Sichtweise kam durch einen Willow Creek Kongress.

sternenbluete antworten
Ungehorsam
(@ungehorsam)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 3336

Ein komplette Veränderung meiner theologischen Sichtweise kam durch einen Willow Creek Kongress.

Möchtest du das etwas detaillierter ausführen?

ungehorsam antworten
Sternenbluete
(@sternenbluete)
Beigetreten : Vor 12 Jahren

Beiträge : 866

Ich fühle mich freier, weniger leistungsbezogen. Ich kann andere in ihren Fragen und Zweifeln besser annehmen. Aber auch in ihrem Glauben, auch wenn es da Unterschiede gibt.

Die Grundtheologie ist geblieben. Wir haben alle die gleiche Bibel, wir sind errettet durch den Erlösungsweg durch Jesu.

Was daraus folgt ist Form:
z.B. : wann ich wie oft stille Zeit mache,
wie ich mich kleide.

Danach muss ich den Glauben anderer nicht bewerten.
Wir sind alle Gottes geliebte Kinder, die immer wieder sündigen und auf dem Weg sind.

sternenbluete antworten
Orangsaya
Beiträge : 2984
Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Was bedeutet der Begriff Eurem Verständnis nach?

Evangelikal ist nur ein Wort. Für die einen ist es ein Versuch ein Strömung, oder Bewegung genau zu Definieren. Für andere ist es eher eine Identifikation, bei dem der theoretische Überbau weniger wichtig ist. Zu meiner Zeit (Jugend) hat man sich eher Fundamentalist. Das Wort ist unpopulär geworden, weil man die aggressive Auswirkung, die es im Islam gibt, auf Fundamentalismus einschränken will und dies eine Kategorie für Sympathie des Terrorismus ist. Ob nun Fundamentalist, Evangelikaler, bibeltreuer, das geht alles in dieselbe Richtung.

Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Wie kommt Ihr zu diesem Verständnis?

Zu meinen Jugendsünden gehörte, dass ich in solchen Kreisen drinnen steckte. Die a
Alten waren in meinem Kreis eher konservativ, wir als Jugend waren eher Jesus People, also eher Hippi bis charismatisch. Das hatte sich gegenseitig teilweise gebissen. Teilweise war es eigentlich sehr gegenläufig, aber sonntags zum Gottestdienst und Mittwochs zur Bibelstunde kam man in einer Gemeinde zusammen.

Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Wie bestimmt Ihr das Verhältnis zu anderen Strömungen / Gruppen / Bewegungen / ... der Christenheit?

Sehr durchwachen, die älteren in unserer Gemeinde sorgten für Querverbindungen zum EC. Zu Baptisten, Frei Evangelische, Adventist galten damals eher als Sekte. Wir die Jugend hatten eher Verbindungen zu Hannover, natürlich verschiedene Gruppen in Dortmund, oder nach Berlin eher charismatischer Richtungen.
Das Verhältnis zu andern Christen war eher Schwer. Das lag wohl auch daran, dass die Liebe zu Christus auch aus einem Antibild wuchs. Als erstes waren es die Katholiken. Es gab in der Jungend zwar zwei Exoten, die katholisch waren, aber die katholische Kirche war die Zentrale des Bösen, die Hure Babylons, oder sonst irgendwie satanistisch. Ein Traktat war in unserer Jugendgruppe ein Standard. Es hieß; "Okkultismus in der katholischen Kirch". Es war ein Pamphlet gegen den Vatikan und alles was katholisch war. Die evangelische Kirche galt bei den Alten als "lau". Sie wurden gerne auch Gewohnheits-, oder Sonntagschristen genannt. Die Pfarrer in der evangelischen Kirche galten als faule Säcke, die nur Sonntags fertige Predigten von der Kanzel ablesen. In meiner Nähe gab es ein Pfarrhaus, dass als exemplarisches Beispiel galt. Das Pfarrhaus wurde öfter von der Polizei durchsucht, weil die Kinder gerne Drogen nahmen. Der Weihnachtsbaum wurde vom Pfarrer persönlich geschmückt. Er hängte Panzer und anderes Kriegsspielzeug auf und stellte den Weihnachtsbaum an den Eingang des Friedhofs. Das war damals eine andere Provokation, weil viele ihre Väter, ihre Onkel, oder Geschwister im Krieg verloren haben. Das Ende vom Lied war. Das der Pfarrer eine Verhältnis mit der Kindergärtnerin angefangen hat und die Scheidung im Haus stand. Er wurde "straf"versetzt und es kam eine neue Pfarrfamilie. Natürlich war das ein Negativbeispiel für die Evangelische Kirche.

Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Vielleicht als Bonus-Frage: Würdet Ihr Euch selbst so bezeichnen?

Nein, ich würde mich heute nicht als evangelikal, oder ähnlichem bezeichnen, weil ich das nicht bin. Es hat lange genug gedauert, mich davon lösen zu können, denn die Gedankenstrukturen, die Art der sozialen Zuordnung ist schon eine mächtige Gewalt. Jeder muss lernen hier seinen eigene Weg zu gehen und die vorgelegte Spur auf der man fährt zu erkennen. Ich selbst gebe mir keine Namen/Zuordnung. Wenn mich jemand fragt, ob ich Christ bin, dann würde ich das ohne zu zögern bejahen. Ich würde mich aber eher als Mensch bezeichnen,

Nachtrag vom 18.11.2020 1300
Vielleicht als Mensch, der christlich ist, wobei mein Verständnis für Christen im weiteren Sinn verstanden werden darf.

orangsaya antworten


OpaStefan
Beiträge : 968

"evangelikal" bedeutet Abgrenzung und nicht Einheit
Hallo Andreas,
ich kann mich weitgehend in Pinias Schilderungen wiederfinden.
Also landeskirchkich-pietistisch in einer LKG aufgewachsen. Nach meiner Lebenswende vor 20 Jahren wollte ich ein entschiedenes Leben führen und hatte dieses schizophrene Leben, zwar Mitglied der Landeskirche zu sein, aber als LKG möglichst nichts mit dieser zu tun haben wollen, satt.

Obwohl ich in vielen beschriebenen Eigenschaften übereinstimme, möchte ich nicht als evangelikal bezeichnet werden. Die Gründe sind folgende.

- Ich bin ziemlich skeptisch gegen Versuche, amerikanische Sichtweisen auf Deutschland zu übertragen, ebenso gegen amerikanische Autoren und Fernsehprediger. Die bibl. Empfehlung "Prüfet alles" wird oft vernachlässigt. Dabei wird auch vor wohlgemeintem geistlichem Missbrauch (evangelisieren um jeden Preis) nicht zurückgeschreckt.

- Mit diesem Begriff verbindet sich bei mir eine Polarisierung des christlichen Lagers. Nach meinen Beobachtungen wird diese durch diverse Medien, allen voran die "christliche Bild" - "Idea", sicher nicht ohne Eigennutz, vorangetrieben.

- Außerdem fällt mir auf, dass man eine gewisse Überheblichkeit nicht leugnen kann, den einzig richtigen Weg des Glaubens gefunden zu haben. Umgekehrt kommt das weniger vor. Ich kann das gut beobachten, weil ich in einer überkonfessionellen Vereinigung mit Mitgliedern aus verschiedenen "Lagern" bin. Da denkt bei den Treffen mancher, dass er in seiner Gemeinde ist und spricht unbedacht die dort gängige Meinung über "die anderen" aus.

LG OpaStefan

opastefan antworten
3 Antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0

Dafür kriegst einen „Like“.

Max

Anonymous antworten
1-ichthys
(@1-ichthys)
Beigetreten : Vor 10 Jahren

Beiträge : 728
Veröffentlicht von: @opastefan

- Ich bin ziemlich skeptisch gegen Versuche, amerikanische Sichtweisen auf Deutschland zu übertragen, ebenso gegen amerikanische Autoren und Fernsehprediger. Die bibl. Empfehlung "Prüfet alles" wird oft vernachlässigt. Dabei wird auch vor wohlgemeintem geistlichem Missbrauch (evangelisieren um jeden Preis) nicht zurückgeschreckt.

Das sehe ich genauso.

1-ichthys antworten
Helmut-WK
(@hkmwk)
Beigetreten : Vor 20 Jahren

Beiträge : 7390

@opastefan 

Mit diesem Begriff verbindet sich bei mir eine Polarisierung des christlichen Lagers.

Laut IDEA hat sich das inzwischen gelegt. Einerseits kommt es nicht mehr so oft vor, dass ein Theologe eine kommunistische Guerillagruppe als Werkzeug Gottes bezeichnet (hab ich als Kind selbst noch miterlebt) und die radikale Evangelienkritik etc. ist auch auf dem Rückzug, andererseits sind auch „die Evangelikalen” gemäßigter geworden.

Außerdem fällt mir auf, dass man eine gewisse Überheblichkeit nicht leugnen kann, den einzig richtigen Weg des Glaubens gefunden zu haben.

Vermutlich werden das viele Evangelikale nicht so sagen. Aber aus der Erfahrung des „vor und nach meiner Bekehrung” ergibt sich oft eine entschiedene Haltung.

Zur evangelikalen »DNA« gehört nach meiner Einschätzung aber auch, dass man die eigene Gemeinde bzw. Kirche nicht als alleinseligmachend  ansieht. Die Allianz ist ja schon auf Grund ihrer Struktur „überkonfessionell”. Bei einer Gruppe, die sich selbst als die beste ansieht, gehen bei mir Warnlampen an - und das empfinde ich als zutiefst pietistisch (bzw. „evangelikal”). Ich habe auch nie die Enge erlebt, die Andere hier mit dem Wort „evangelikal” verbinden.

hkmwk antworten
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