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Hilfe für Bruder

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StarTracker7
Themenstarter
Beiträge : 441

Mein Bruder lebt in seiner eigenen Welt, das tat er schon immer. Er hat bisher mit fast 30 keine Ausbildung absolviert und kann sich an keine Regeln halten. Er konsumiert viel zu viel Cannabis und ist Game-süchtig. Man kommt nicht mehr an ihn heran und meist habe ich auch schon fast keine Gesprächsbasis mehr mit ihm, obwohl wir zusammen aufgewachsen sind und uns als Kind sehr nahe standen.
Alle Versuche das zu ändern waren praktisch erfolglos.

Was könnte ich tun, um ihm zu helfen, mit dem Leben klar zu kommen?
Gäbe es vielleicht ein hilfreiches (Selbsthilfe-) Buch, dass man ihm schenken könnte in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt?

Antwort
46 Antworten
Jack-Black
Beiträge : 3630
Veröffentlicht von: @startracker7

Er konsumiert viel zu viel Cannabis und ist Game-süchtig.

Da ich selbst computerspielsüchtig war (bzw. bin - die Sucht wird man nicht los wie einen Schnupfen, das ist wie beim Alkohol), kann ich Dir meine Erfahrung nennen: Solange ich nicht ganz unten war, war da kein Rauskommen.
Sucht - das hab ich auch von anderen Abhängigen so bestätigt gefunden - ist eine Flucht vor der Realität. Das Gamen ist da so suchterzeugend, weil das Gehirn die ganze Zeit beim Zocken beschäftigt ist, also immer weiter lernt. Und zwar auf eine für das Gehirn (also einen selbst) als richtig und gut empfundene Weise: Indem Erfolge für Anstrengung belohnt werden. Das heißt: man wird beim Zocken für jeden Spielfortschritt belohnt (die genauen Mechanismen, nach welchen Erfolge in modernen Spielen belohnt werden, sind ziemlich kompliziert, aber glaub mir: die Game-Designer haben da den Dreh raus!), sodaß man immer eine "positive" Motivation hat, weiterzumachen. Das unterscheidet das Zocken von anderen, substanzbasierten Süchten: dass der "normale" Mechanismus, mit dem wir Menschen uns selbst für gute Leistungen mit Glückshormonausschüttungen belohnen und dadurch für die nächste Leistungsanstrengung motivieren, hier komplett erhalten wird. Substanzbasierte Süchte (Alkohol und insbesondere Heroin- oder Kokainsucht) wirken ohne Umwege direkt auf den Körper: Droge rein, Glückshormonpegel hoch.
Das Gamen aber funktioniert perfider: Problem stellt sich, es müssen Strategien gefunden werden, das Problem zu lösen, man muss also etwas leisten. Und erst dann, bei erfolgreicher Lösung des Problems, gibt es eine Belohnung (das "Reward-System" ist in Spielen ein stehender Begriff), z.B. inform eines neuten tollen Spielgegenstands, eines Levelups oder erweiterter Spielmöglichkeiten (freigeschalteter Spielmodus etc.), die einem selbst und möglichen Mitspielern zeigen, was man "geleistet" hat. Das ist dann eine Art sozialer Anerkennung für Geleistetes, und diese Anerkennung macht einen stolz - was dann das Gehirn veranlaßt, zur Belohnung Glückhormone auszuschütten. Der eigentliche Mechanismus ist ja was Gutes: so werden wir Menschen motiviert, etwas für uns und unser soziales Ansehen - das heißt: für unsere Mitmenschen - zu leisten.
Deswegen ist auch die "einfache" Lösung, das Schema zu unterbrechen, weniger simpel als bei substanzbasierten Süchten: die eigentliche Gehirnfunktion ist ja richtig und wichtig und soll erhalten werden: dass man sich selbst für Leistungen durch Glücksgefühle belohnt.
Das hat auch mit einem weiteren Aspekt der Spielsucht zu tun: dem Zeitaufwand. Substandbasierte Sucht ist eigentlich nicht sonderlich zeitaufwändig: sich eine Prise Koks reinzuziehen, eine Heroinspritze zu setzen oder ne halbe Flasche Schnaps reinzuschütten ist schnell erledigt.
Mit dem Zocken aber verbringt man den lieben langen Tag. Ich hatte Phasen, an denen war ich bis zu 30 Stunden - nur durch kurze Toilettenpausen unterbrochen, am Gamen. Entsprechend ist dann die Lebenszeit strukturiert: Alles, was einen vom Rechner fern hält, ist lästig, das Drücken auf den "On"-Buttom ist erste Amtshandlung nach dem Aufstehen, noch bevor man zum Pinkeln auf's Klo wankt. Eingekauft wird, was sich schnell zubereiten läßt, am besten gar nicht erst warm gemacht werden muß (Junkfood also). Wenn jemand anruft, wird er auf "laut gestellt", damit man während des Telefonats noch nebenbei weiterzocken kann. Und so weiter und so fort. Da man ja eigentlich spielt, um der Welt zu entkommen, spielt man, bis einen die Müdigkeit übermannt, d.h. die Augen fast zufallen. Sodaß man, sobald man im Bett liegt, in eine Art Erschöpfungsschlaf fallen kann, ohne noch lange über all die Probleme, die man auf die lange Bank schiebt, nachgrübeln zu müssen.

Und das geht immer so weiter, bis sich die Probleme nicht mehr aufschieben lassen. Und da kommt nun Deine Rolle, d.h. die Rolle des Umfelds in's Spiel: Je mehr das Umfeld Rücksicht nimmt, je weniger Druck das Umfeld aufbaut, oder sogar irgendwie Unterstützung leistet (z.B. inform von Geldzuwendungen, wenn Miete, Strom oder sonstwas nicht mehr gezahlt werden können), desto länger kann das falsche Leben aufrecht erhalten werden.

Wenn Dein Bruder wirklich gamesüchtig ist und wenn er Dir tatsächlich immer noch nahe steht - dann hat er Dich in letzter Zeit garantiert angelogen. Über was auch immer. Meinetwegen über irgenwelche Abmachungen, die er dann "aus Termingründen" nicht einhielt. Als Gamer hat man für andere zeitraufwendige Tätigkeiten keine Kapazitäten mehr frei. Beispielsweise: beim Renovieren oder bei Umzugsarbeiten helfen. Oder beim Einhüten von Kindern, oder um mal für die gebrechlichen Eltern oder Nachbarn einen Behördengang zu erledigen oder so. All die "kleinen" Tätigkeiten, die man im sozialen Miteinander wie selbstverständlich für andere verrichtet, weil die das ja umgekehrt genauso tun würden, die fressen für den Spielsüchtigen nur kostbare Zeit und werden daher mehr oder minder verweigert. Wenn Du sowas merkst: verschweige es nicht. Mach Druck. Konfrontiere Deinen Bruder. Ruhig mit entsprechend klaren und harten Worten. Weigere Dich in solchen Fällen dann zukünftig, etwas für ihn zu tun.
Es geht um sein Gehirn: das muss lernen, dass seine momentane "Problemlösungsstrategie" nicht funktioniert. Das Leben mit stundenlangem Gaming darf nicht funktionieren. Es muß Leidensdruck entstehen und zwar nachhaltiger Art. Es bringt nichts, an seine Vernunft zu appellieren oder darauf zu hoffen, dass er "Einsicht" hat. Glaub mir, der Spielsüchtige weiß theoretisch ganz genau, dass er falsch lebt. Diese Einsicht hilft null hinsichtlich einer Verhaltensänderung, solange kein echter Leidensdruck da ist. Genausogut kann man einem Dieb immer wieder sagen, dass es falsch sei zu klauen: wenn man ihn unbestraft davonkommen läßt, wird er mit dem Stehlen nicht aufhören.
Es bringt nichts, mit Deinem Bruder über die Sinnhaftigkeit des Zockens zu diskutieren. Glaub mir: er kann Dir einen Riesenhaufen guter Argumente für das Zocken nennen. Gibt es nicht inzwischen internationale hochdotierte Turniere im "E-Sport"? Gibt es nicht Streamer, die davon leben, sich von anderen beim Zocken zuschauen zu lassen? Ist das nicht eine Milliardenindustrie? Ist das nicht ein interessantes Hobby, umweltversträglich, ohne Ärger für die Nachbarn, kaum verletzungsgefährlich? Ich könnte Dir seitenlange Vorträge schreiben, wie toll das Gaming ist, wie sinnvoll, wie sozial auch wertvoll und gemeinschaftsstiftend (Stichwort: Gilden...).

Damit wirst Du Deinem Bruder nicht helfen, über seine Sucht zu sprechen. Da ist er gerade in seinem Element, da fühlt er sich wohl, da kennt er sich aus.

Nein, die real-life-Folgen seines Verhaltens muß er am eigenen Leib spüren. Bei mir kamen irgendwann die Pfändungsbefehle in's Haus geflattert. Meine sitzende Lebensweise wirkte sich gesundheitlich aus. Freundschaften zerbrachen an meiner asozialen Lebensweise. Beruflich ging ein Kundenkontakt nach dem anderen flöten. Ich stand schon auf der Autobahnbrücke und überlegte, ob es nicht am einfachsten wäre, da jetzt runterzuspringen (sprang dann aber aus purem Schiss nicht).
Wie ich da persönlich "rauskam" werde ich bewußt nicht verraten - denn das war ganz einfach unverdientes Glück und taugt nicht als Bedienungsanleitung für ähnliche Fälle. Nur soviel: wenn ich nicht wirklich schon so gut wie am Ende gewesen wäre, hätte ich diese letzte Rettungsleine nicht ergriffen.

Aber was danach anstand, kann ich noch berichten: Ein fest geplanter Tagesablauf, von dem abzuweichen keine Ausrede zählte: regelmäßiges Aufstehen. Regelmäßige Arbeitszeiten (was in meinem Beruf die Ausnahme ist). Regelmäßiges, gesundes Essen. Regelmäßiger Sport (anfangs jeden Tag, später dann mindestens alle zwei Tage). Und an den Wochenende verbindliche Unternehmungen mit den letzten noch verbliebenen Freunden.
Den Computer aus dem Haus werfen war für mich keine Option, weil ich beruflich online sein muß. Falls Dein Bruder einen Job hat, in dem er auf Computer und überhaupt Onlinezeiten verzichten kann, ist das ein denkbarer Weg: einen nicht vorhandenen Rechner kann man auch nicht heimlich zum "nur ganz kurz mal zwischendurch"-Zocken benutzen. Aber Achtung: man kann auch auf Handys zocken oder dem Laptop...

Spielsucht ist übrigens genauso wie Alkoholsucht - ich erwähnte es oben schon - eine Sucht, die man nie wieder los wird. Es gibt trockene Alkoholiker und es gibt trockene Gamer. Aber es gibt genaugenommen keine "ehemaligen" unter ihnen. Einmal süchtig, immer süchtig.
Nun gibt es freilich auch Leute, die haben mal eine Zeit lang Phasen, in denen sie viel zocken. Aber wenn dann andere wichtige Dinge in ihrem Leben passieren (sie z.B. Kinder kriegen oder nur eine Partnerin finden oder eine fordernde neue Berufsstelle), können sie ihr Zocken "ganz normal" reduzieren, wie man ja auch bei anderen Hobbys die Intensität herunterfahren kann, solange man sie im gesunden Rahmen betreibt.
Aber ob Dein Bruder noch in diesem Rahmen sich befindet - das läßt sich nur herausfinden, indem Du, bzw. sein soziales Umfeld - es austestet. Wie reagiert er auf Vorhaltungen, dass er schon wieder nicht mit zum Kegelabend kommt? Liefert er Arbeitsergebnisse pünktlich ab? Und falls nicht - ändert sich das nach einem einmaligen Anschiss?

Auf "Selbstauskünfte" braucht man da wenig zu geben. Beurteile Deinen Bruder anhand seines Tuns. Wenn er sich zunehmend arschig verhält - dann kommuniziere das auch genau so. Du kommst "nicht mehr an ihn heran"? Okay - wenn er das nächste mal bei irgendwas Hilfe braucht, dann sag ihm klar in's Gesicht: "Jetzt brauchst du nicht angeschissen kommen, sieh mal zu, wie du deinen Kram auf die Reihe kriegst!" Oder stelle ihm glasklare, nicht verhandelbare Bedingungen.

Laß ihm keine Lügen, keine Ausflüchte durchgehen. Und wenn Dir das emotional zu anstrengend ist (denn die "Mitleidsmasche" beherrschen die meisten Süchtigen aus dem Effeff), dann brich den Kontakt eben ab.

Das wird Dir jeder versierte Psychotherapeut bestätigen: wenn der Leidensdruck nicht groß genug ist, wird kein Süchtiger sein Verhalten ändern. Dem Süchtigen das Leben mit seiner Sucht zu erleichtern, trägt nur dazu bei, die Sucht noch stärker werden zu lassen.

Übrigens ist der küchenpsychologische Ansatz, man müsse nur die Wurzel des Übels herausfinden (also den "Grund", weswegen einer süchtig ist, entdecken), um dadurch auch das Übel selbst schnell beseitigen zu können, erfahrungsgemäß Mumpitz. Da spielt viel falsche Siegmund-Freud-Rezeption mit rein. Du wirst beim Süchtigen keine kathartische Erkenntnis hinbekommen, wo er "plötzlich" erkennt, was ihm da womöglich in der Vergangenheit von irgendeinem bösen Elternteil oder fiesen Lehrer oder einer sadistischen Freundin angetan wurde, keine "tief verborgene, unverheilte Verletzung" wird sich finden, die, einmal erkannt, mit einer fachkundigen Behandlung schnell verarztet werden kann.
Verhaltensbasierte Süchte sind ein Langzeitphänomen, sie entstehen per Lernen und sie können nur durch - sehr langwieriges! - Umlernen behandelt werden. Eine Art "Erleuchtung" oder "Erweckung" wird es da nicht geben, darauf braucht man nicht zu hoffen. Es gibt einen möglichen Umkehrpunkt: aber der besteht in der Talsohle: wenn es nicht mehr schlimmer werden kann. Der Tag nach dem Erreichen dieser Talsohle ist aber kein hell strahlender Gipfeltag, sondern nur einer, an dem es ein ganz klein wenig besser ist als gestern noch.

Und wenn man von da an keinen klaren Fahrplan hat, wird man nach dem dritten Tag schon wieder der Versuchung nachgeben, doch "mal eben" für ein paar MInuten sich einzuloggen in seinen Game-Account.

Übrigens gibt es einen großartigen Roman (Erstlingswerk, glaube ich) von Nathan Hill mit dem Titel "Geister". Eine prominente Nebenfigur darin ist ein Gamesüchtiger. Und der ist wirklich meisterhaft beschrieben, an manchen Stelle dachte ich, der Autor müsse mich heimlich beobachtet haben (was natürlich Quatsch ist 😉 ). Der einzige "Makel" an dieser Figur ist, dass der Gamesüchtige in dem Buch ein "besonderer" Spieler ist. Besser als die meisten anderen Spieler. Eine Koryphäe in seinem kleinen Gaming-Reich. Und nebenbei natürlich auch noch kreativ.

Der "normale" Gamesüchtige ist also wie diese Buchfigur - nur noch elender, noch erbärmlicher, noch uninteressanter, noch lebensuntauglicher.

Veröffentlicht von: @startracker7

Gäbe es vielleicht ein hilfreiches (Selbsthilfe-) Buch, dass man ihm schenken könnte in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibt?

Ich weiß daher nicht, ob mich entsprechendes Buch damals, als ich selbst aktiv spielsüchtig war, wirklich erreicht hätte, oder ob ich mich da nicht nur in der üblichen melodramatischen Art, die Süchtigen nun mal zu eigen ist, nur in meinem Selbstmitleid bestätigt gefühlt hätte. Aber im Nachhinein kann ich sagen, dass diese Figur in dem Buch sehr präzise geschildert wird in den typischen, wahnartigen Verhaltensweisen, die Spielsüchtige so an den Tag legen. So kannnst Du vielleicht bei der Lektüre etwas über die Verfassung Deines Bruders erfahren (und gleichzeitig noch Dich gut unterhalten lassen, denn der Roman, der im Hautpstrang von einem ganz anderen Thema handelt, ist spannend, anrührend, unterhaltsam, oft auch sehr witzig).

Zum Abschluß der Rat, der an viele Angehörige von Suchtkranken gerichtet werden darf: Vermutlich kannst Du konkret am besten helfen, indem Du erstmal alle Hilfe verweigerst und Deinen Bruder erstmal ganz runter in's Loch fallen läßt.
Wenn er da dann unten liegt und wimmert und um Hilfe bettelt - dann kannst Du die Bedingungen stellen, unter denen Du ihn da wieder raufzuziehen bereit wärest. Aber erstmal muß er da von sich aus raus wollen, und da hilft es nicht, ihm eine warme Decke runterzureichen.

jack-black antworten
11 Antworten
Tineli
 Tineli
(@tineli)
Beigetreten : Vor 2026 Jahren

Beiträge : 1380

grün
sehr fundierter Beitrag!

tineli antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21574

Danke für deinen klaren und schonungslosen Bericht... und ich kann deiner Einschätzung zustimmen, dass ab einem bestimmten Punkt unmittelbare Hilfe auch schaden kann. Nämlich dann, wenn man den Leuten aktiv dabei hilft, ihre Probleme zu verleugnen.

Für einen Menschen als Ansprechpartner da zu sein ohne sich dabei ausnutzen zu lassen oder die Probleme noch zu fördern ist wohl die eigentliche Kunst, weil das eigene Bedürfnis, "helfen" zu wollen ja auch erfüllt sein will.
Und da muss man dann wirklich aufpassen, nicht selbst in eine Spirale und eine Abhängigkeit zu geraten.

lucan-7 antworten
Tineli
 Tineli
(@tineli)
Beigetreten : Vor 2026 Jahren

Beiträge : 1380

Du hast den Begriff Co-Abhängigkeit sehr gut auf den Punkt gebracht, auch dafür ein grünes Sternchen!
Gruß, Tineli

tineli antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 19 Jahren

Beiträge : 22990

begrünt 😊
ausgezeichnet 😊

deborah71 antworten
StarTracker7
(@startracker7)
Beigetreten : Vor 5 Jahren

Beiträge : 441

Hallo Jack-Black

Vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht. Ich habe ihn mit Interesse gelesen. Es hat mir geholfen, den Erfahrungsbericht von jemandem zu lesen, der vielleicht etwas Ähnliches aus der anderen Perspektive durchgemacht hat. Man kommt offenbar häufig tatsächlich nur mit viel Glück aus dieser negativen Spirale heraus.
Leider ist es in seinem Fall tatsächlich so, dass dieses Verhalten indirekt unterstützt wird von anderen Familienmitgliedern. Da kann ich leider nicht viel machen.

Danke dir!

startracker7 antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 3630

Moin,

Veröffentlicht von: @startracker7

Man kommt offenbar häufig tatsächlich nur mit viel Glück aus dieser negativen Spirale heraus.

Dazu - also zu der Häufigkeit - kann ich nichts sagen. Das Phänomen der Computerspielsucht (wobei ja zunehmend Smartphones oder Tablets den klassischen PC ablösen) ist noch relativ neu, es gibt ja unterschiedliche Meinungen dazu bis hin zu der Auffassung, dass es sich nicht um eine "echte" Sucht handele. Die Diskussion über "Killerspiele", die vor ein paar Jahren nach irgendwelchen Amokläufen durch die Medien schwappte, hat da m.M.n. viel überlagert, lange konzentrierte sich die Diskussion vor allem auf die Spiel-Inhalte. Da kam ja am Ende nicht viel dabei raus als eine weitere Auflage darüber, was "gut" für die Jugend sei, welche Gewalt- und Sexdarstellungen man ihnen zumuten könne usw. Ganz gemäß dem alten Jugendschutz-Denken aus der analogen Zeit. Erst so langsam hat sich ja herumgesprochen, dass nicht so sehr das "Was", sondern das "Wie" hier entscheidend sein könnte. Wie werden da Spielinhalte "konsumiert"? Und Gaming ist ja auch nicht rein passiver Konsum - der Spieler handelt ja die ganze Zeit, er ist aktiv...
Naja, vermutlich gibt es inzwischen Leute aus dem Gesundheitssystem, Psychologen usw., die einen besseren Überblick darüber haben, wie verbreitet eine "echte", d.h. krankhafte Spielsucht ist (im Gegensatz zur Verbreitung des intensiven Spielens - das ist bekanntermaßen inzwischen ein absolutes Massenphänomen). Und die wissen vielleicht auch schon, wie gravierend Game-Sucht im Vergleich mit anderen Süchten ist (Glücksspielsucht z.B. - zu meiner Zeit gab es für Game-Süchtige auch in der Großstadt noch keine Selbsthilfegruppe, deswegen ging ich damals zu den "Anonymen Spielern", aber das waren eben meistenteils Automaten- und Casinozocker, die mit etwas anderen Problemen zu tun hatten als ich, beispielsweise damit, dass sie das Geld ihrer Familien oder Freund verzockt hatten...).
Solche Fachleute haben dann womöglich auch schon einen Überblick über Behandlungsmethoden und deren Erfolgswahrscheinlichkeiten, können also vielleicht sagen, wie häufig Game-Süchtige den Ausstieg schaffen und welches der beste/aussichtsreichste Weg dafür ist. Ich wollte nur einfach nicht von meinem Ausstiegsweg berichten, weil der nicht als Beispiel für andere taugt. Damit ist nicht gesagt, dass es immer nur darauf hinausläuft, ob die "Umstände glücklich" sind, ganz im Gegenteil: An "Glück" und "Unglück" zu glauben, ist letztlich wieder schön bequem, der Süchtige kann sich daraus sofort wieder eine in Selbstmitleid schwimmende Entschuldigung drehen, warum er es leider nicht zu schaffen vermag, die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen: "Bei mir ist es nicht so glücklich abgelaufen, ich hatte eben Pech und deswegen bin ich rückfällig geworden und das beweist, dass ich eigentlich gar nicht loskommen kann von meiner Sucht! Ich hab halt Pech, da kann man nix machen!"

Veröffentlicht von: @startracker7

Leider ist es in seinem Fall tatsächlich so, dass dieses Verhalten indirekt unterstützt wird von anderen Familienmitgliedern.

Auch hier mache Dir klar, dass das Verhalten anderer Familienmitglieder nicht in Deinen Verantwortungsbereich fällt. Ich weiß, dass es sehr schwer ist, neutral und sachlich und distanziert in solchen Situationen zu bleiben und nicht zu urteilen nach dem Motto: wenn alle sich so wie ich dem Spielsüchtigen gegenüber verhalten würden, wäre das besser für ihn.
Je mehr Leute in so eine Situation involviert sind, desto verworrener wird das. Also lass die anderen Familienmitglieder so handeln, wie sie es selbst für am besten halten und handle Du, wie Du es für richtig hältst.

Ach, und noch was, das ich eigentlich gleich zu Anfang hätte schreiben müssen: dass Dein Bruder gamesüchtig ist, "wissen" wir jetzt erstmal nur von Dir. Sei also vorsichtig, das, was ich geschrieben habe oder auch andere hier, als Bestätigung Deines Urteils zu verstehen. Es besteht immerhin auch die Möglichkeit, dass Dein Bruder nur besonders intensiv ein Hobby betreibt. Gilt auch für das Kiffen. Ich kenne viele Leute, die das Kiffen tatsächlich im Griff haben (auch wenn in den Medien immer vermittelt wird, das sei eigentlich gar nicht möglich und nur eine Lagebeschönigung der Süchtigen.) Und ich kenne noch mehr Leute, die viel am Computer zock(t)en, die aber eben noch nicht süchtig waren.

Süchtig ist man dann, wenn man die Kontrolle über sein Leben verliert, nicht etwa schon dann, wenn man lediglich mehr Spaß am Zocken als am Rumsitzen im Biergarten hat.

Wo das intensive Hobby aufhört und die Sucht anfängt, wird kaum einer auf's Komma genau sagen können. Wenn Dein Bruder also mit seinem Lifestyle klarkommt, dann ist er noch nicht im Sinne des Wortes suchtkrank. Denn im Unterschied zu den substanzbasierten Süchten sind Verhaltens-Süchte nicht direkt meßbar, sondern ihr Vorliegen hat immer etwas damit zu tun, was wir als "normal und richtig" betrachten. Ist jemand allein deswegen krank, weil er sich ungern beim Sport bewegt? Ist jemand allein deswegen krank, weil er seine Karriere nicht voranbringt sondern sich lieber nach einer Halbtagsstelle umschaut, um mehr Zeit für sein Hobby zu haben?
Nein, würde ich mal sagen.
Erst, wenn einer nicht mehr sozial funktioniert und zwar in gravierendem Maße: wenn einer ständig lügt oder seine Alltagsgeschäfte nicht mehr wahrzunehmen vermag und zwar in krassem Umfang. Wenn einer entweder kriminell wird, um die Folgen seines Suchtverhaltens zu verbergen, oder in Depressionen versinkt...
Leider läßt sich da m.A.n. nicht so recht erkennen, wo da das "Vorfeld" beginnt, in dem die Weichen noch einfacher umgestellt werden könnten.
Und da wir alle Deinen Bruder nicht persönlich kennen, sind wir alle eigentlich nicht kompetent, dessen Verhalten richtig einzuschätzen. Ferndiagnosen sind selten hilfreich, wie dann erst bei einer "Krankheit", deren "offizielle Anerkennung" umstritten ist?

Also nochmal: sei Dir bewußt, dass Du kein Fachmann bist und daher auch nicht kompetent, eine entsprechende psychische Krankheit bei Deinem Bruder zu diagnostizieren. Und wir hier im Forum sind dazu noch viel weniger kompetent, ich zumindest fühle mich da nicht kompetent. Deswegen bitte ich Dich, meine Erfahrungen auch nur als solche zu betrachten, und nicht jede Parallele zu dem, was Du an Deinem Bruder beobachtest, als "Beweis" zu nehmen, dass der dann also auch spielsüchtig sei.
Solange er sich selbst nicht als süchtig versteht, bringt es eh nix, ihm da was anderes klarmachen zu wollen. Entweder, weil er eben tatsächlich gar nicht süchtig ist, oder weil noch der Leidensdruck fehlt, um ihn das Problem erkennen zu lassen. Überzeugen mit Worten kann man niemanden in so einer Sache.

Also bleibt Dir wohl nur, die für Dich geltenden Grenzen zu finden und klar zu kommunizieren. Wenn Dir die Art der Lebensführung Deines Bruders mißfällt, steht es Dir auch dann frei, Distanz zu ihm zu wahren, wenn diese Lebensführung keine krankhafte ist. Klar ist das schade und ein Verlust, wenn sich einem ein Mensch entfremdet, mit dem man sich einst ganz nah verbunden fühlte.
Aber hey - that's life! Dafür lernt man neue Menschen kennen, mit denen man näher in Kontakt kommt und gemeinsame Zeit verbringt. 😊

Nachtrag vom 10.12.2020 0434
Da ging der Link zu einem Heise-Artikel irgendwie kaputt. Ich denke doch, dass heise als Quelle hier nicht verboten ist?

https://www.heise.de/newsticker/meldung/WHO-erklaert-Computerspielsucht-offiziell-zur-Krankheit-4078524.html

jack-black antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 2 Sekunden

Beiträge : 0
Veröffentlicht von: @jack-black

Da ging der Link zu einem Heise-Artikel irgendwie kaputt. Ich denke doch, dass heise als Quelle hier nicht verboten ist?

https://www.heise.de/newsticker/meldung/WHO-erklae [unerw�nschter Link]puterspielsucht-offiziell-zur-Krankheit-4078524.html

Nein, Heise ist hier natürlich nicht verboten. Die Streich-Automatik ist manchmal ein bisschen hypersensibel...

Den Artikel findet man so:
https://www.heise.de/newsticker/archiv/2018/06 scrollen zu --> Donnerstag, 14.06.2018 --> 13:39
Oder einfach mit CTRL F --> "Computerspielsucht" und bei Bedarf CTRL G.

Anonymous antworten
frosch80
(@frosch80)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 816

Hej Kueken,

Veröffentlicht von: @provinzkueken

Die Streich-Automatik ist manchmal ein bisschen hypersensibel...

Vielleicht sollte die Streich-Automatik dann mal einen Thread im MiFü eröffnen; oder mal bei den Hochsensiblen vorbeischauen...

Danke fürs Link reparieren.

Liebe Grüße
fr😊sch

frosch80 antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 2 Sekunden

Beiträge : 0
Veröffentlicht von: @frosch80

Vielleicht sollte die Streich-Automatik dann mal einen Thread im MiFü eröffnen; oder mal bei den Hochsensiblen vorbeischauen...

ich fürchte leider, dass bei der Streich-Automatik Verhaltenstherapie nicht anschlagen wird, es sind leider nicht nur erlernte Muster, die es zu durchbrechen gilt, sondern fest angelegte Strukturen, mit denen wir uns abfinden müssen. Es ist natürlich hilfreich über die Schwächen Bescheid zu wissen und einordnen zu können, dass sie es wirklich nicht böse meint, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr bestes gibt 😊 Das einzige was helfen würde, wird von der Kasse leider nicht übernommen und die Warteliste ist lang...

Liebe Grüße
kueken

Anonymous antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 3630
Veröffentlicht von: @provinzkueken

wird von der Kasse leider nicht übernommen

😀 😀 😀

jack-black antworten
frosch80
(@frosch80)
Beigetreten : Vor 22 Jahren

Beiträge : 816

Hej Kueken,

Veröffentlicht von: @provinzkueken

ich fürchte leider, dass bei der Streich-Automatik Verhaltenstherapie nicht anschlagen wird, es sind leider nicht nur erlernte Muster, die es zu durchbrechen gilt, sondern fest angelegte Strukturen, mit denen wir uns abfinden müssen.

Hmmm... dann dürften tiefenpsychologische Ansätze auch eher nicht erfolgversprechend sein.

Veröffentlicht von: @provinzkueken

Es ist natürlich hilfreich über die Schwächen Bescheid zu wissen und einordnen zu können, dass sie es wirklich nicht böse meint, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr bestes gibt 😊

Also wohl doch eher Verhaltenstherapie für die User... und natürlich erst recht für die Moderatoren...

Veröffentlicht von: @provinzkueken

Das einzige was helfen würde, wird von der Kasse leider nicht übernommen und die Warteliste ist lang...

🙁 😨

😀 😀 😀

Liebe Grüße
fr😊sch

frosch80 antworten


Deborah71
Beiträge : 22990
Veröffentlicht von: @startracker7

Was könnte ich tun, um ihm zu helfen, mit dem Leben klar zu kommen?

Hilfe durch Nichthilfe. Da sein, aber nichts deckeln und nicht mitspielen, ein gesundes Nein behalten und anwenden.

Im Suchtdreieck ist der Erkrankte sehr gut darin, den Therapeuten auflaufen zu lassen und für seine Zwecke zu nutzen und den familiären Helfer ebenso. Da lauert eine Co-Abhängigkeit, wenn das Problem des Kranken das eigene Leben zu bestimmen beginnt.

Du hilfst ihm auch dadurch, dass du dich mit Co-Abhängigkeit (Kodependenz) auseinandersetzt und dich nicht hineinziehen lässt. Je stabiler du bist, umso besser ist das für deinen Bruder.

https://de.wikipedia.org/wiki/Co-Abh%C3%A4ngigkeit

Verhaltensformen in Bezug auf Süchtige
https://de.wikipedia.org/wiki/Co-Abh%C3%A4ngigkeit#Verhaltensformen_in_Bezug_auf_S%C3%BCchtige

Den Beitrag von Jack-Black finde ich zum Thema sehr hilfreich. Die Sichtweise eines Ausgestiegenen kann einem etliche Lichter aufgehen lassen.

deborah71 antworten
Herbstrose
Beiträge : 14194

Meine Gedanken dazu wären: hab ihn lieb, bete für ihn und sei für ihn da, wenn er dich braucht. Aber unterstütze ihn nicht in seiner Sucht.

Ein Selbsthilfebuch wird er höchstens zum Tütendrehen verwenden.

Bei jeder Sucht ist es so, dass man von außen gar nichts tun kann,, wenn der Betroffene nicht von sich aus will. Und auch dann muss der Betroffene die Hilfe selber organisieren.

herbstrose antworten


Kranich1
Beiträge : 20

Hallo Star Tracker,

habe auch so einen Bruder und hatte auch als Kind eine gute Beziehung zu ihm, die sich allerdings bereits in der Jugendzeit aufgrund ständige Kiffens und der dazu passenden dealenden und kriminiellen Freunde ziemlich abgekühlt hat.

Mittlerweile sind wir beide Mitte Vierzig und haben fast keinen Kontakt mehr. Jedes Gespräch ist unglaublich schwierig, weil wir sehr fern voneinander sind, bzw. hat er meine Gesprächsversuche schon so oft auflaufen lassen (bis hin zum kompletten Ignorieren von Nachrichten, Anrufen usw.), dass ich mich entschieden habe, erstmal nichts mehr zu unternehmen.

Wie geht es mir damit? Manchmal ist ganz viel Trauer darüber, eigentlich keinen Bruder zu haben, manchmal ganz viel Zorn und letztlich eine große Hilflosigkeit.
Meine einzige Möglichkeit ist da immer mal wieder das Gebet.

Und du kannst die wenigen Punkte nutzen, an denen ihr Verbindung habt. Meine Schwester geht z.B. regelmäßig mit meinem Bruder in Actionkracher im Kino, danach quatschen sie ein bisschen und gut. Die Beziehung besteht weiter, wenn auch nicht besonders intensiv.

kranich1 antworten
StarTracker7
Themenstarter
Beiträge : 441

Vielen herzlichen Dank!!!
Vielen herzlichen Dank für die vielen interessanten Gedanken, die Zusprüche und Erfahrungsbericht. Sie haben mir wirklich weitergeholfen - besonders zu sehen, dass offenbar andere Leute ganz ähnliche Erfahrungen machen.
Was ich an konkreten Verhaltenstipps von euch gelesen habe deckt sich ungefähr mit meinen bisherigen Überlegungen. Ich nehme mir noch einige Inputs zu Herzen.

Die Synthese ist in etwa:
1. Bruder in Liebe annehmen und nicht richten
2. Für ihn beten
3. Auf gesunde Weise abgrenzen, da er als Erwachsener ja selber für sein Leben verantwortlich ist
3. Trotzdem Destruktives Verhalten klar ablehnen, situationsgemäss ansprechen oder konfrontieren, keine indirekte Unterstützung (Geld etc)

Vielen Dank!

startracker7 antworten
1 Antwort
Herbstrose
(@herbstrose)
Beigetreten : Vor 9 Jahren

Beiträge : 14194

Das ist eine sehr gute Zusammenfassung. Ich wünsche dir viel Weisheit im Umgang mit deinem Bruder.

herbstrose antworten


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