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Demokratie und Diktatur

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Goldapfel
Themenstarter
Beiträge : 1986

Ich würde gerne mal folgendes zur Diskussion stellen:
Deutschlands Westen hat eine, Deutschlands Osten zwei Diktaturen hinter sich.
In einer Diktatur lernt man viel, aber wenig, das man in einer Demokratie brauchen kann.

So oder ähnlich hat sich Wolf Biermann kürzlich ausgedrückt, hatte es in der Jüdischen Allgemeinen gelesen, finde es allerdings gerade nicht.

Was haltet ihr von der Aussage? Stimmt ihr zu und wenn das so ist, wie können wir damit umgehen?
Oder ist das totaler Quatsch und warum.
Ich freue mich auf eure Meinungen 🙂

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66 Antworten
Blackhole
Beiträge : 1112

Teils-teils.

In manchem gleichen sich die meisten Diktaturen. Z.B. in der Korruption. Fast alle Diktaturen sind bis zum Stehkragen korrupt.

Zu den wenigen Ausnahmen gehört hierbei aber ausgerechnet die DDR. Man kann ihr viel vorwerfen, nur kein Übermaß an Korruption.

Was aber gerade in den sozialistischen Diktaturen der Fall war, ist die Erwartungshaltung einer Vollversorgung vom Staat.
Der Staat bestimmt alles, nimmt einem dafür aber auch alle Verantwortung.

Und eben das ist der Preis der Freiheit: Daß man im Guten wie im Schlechten sehr viel mehr Verantwortung für sich selbst trägt.
Man kann mit dem kompletten Lebensentwurf auf die Schnauze fliegen, man kann als Unternehmer pleite gehen, solche Erfahrungen macht man in der Demokratie.

Was aber heutzutage unbedingt zur Demokratie gehört, was aber auch unsere Schüler in der Schule viel zu wenig lernen, ist Medienkompetenz.
Nein, sich wild durchs Netz klicken können udn wissen wie man die neusten Apps runterlädt, ist noch lange keine Medienkompetenz.
Seriöse Nachrichten von Schwurbelscheiße unterscheiden, wissen wo die Grenze zwischen Kritik und Mobbing verläuft, nicht zuviel privates über sich preisgeben, DAS ist Medienkompetenz!
Und das müssen Schüler heute viel dringender lernen als Goethe und Schiller.

blackhole antworten
3 Antworten
Tagesschimmer
(@tagesschimmer)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 1236
Veröffentlicht von: @blackhole

Und eben das ist der Preis der Freiheit: Daß man im Guten wie im Schlechten sehr viel mehr Verantwortung für sich selbst trägt.
Man kann mit dem kompletten Lebensentwurf auf die Schnauze fliegen, man kann als Unternehmer pleite gehen, solche Erfahrungen macht man in der Demokratie.

Das mag aus der Sicht des heutigen Deutschlands so wirken. Aber - nur etwa jeder 6. DDR-Bürger war in der SED. Dabei war wirklich jedem klar, dass man durch Parteizugehörigkeit (Männer auch durch eine Militärlaufbahn) die Chancen der ganzen Familie verbesserte.

Was war mit denen, die nicht den angepassten Weg gingen? Viele von denen gaben selbstverständlich die „Vollversorgung“ für Freiheit auf und das endet in Diktaturen nicht auf dem Niveau der Sozialhilfe. Auch betraf es die ganze Familie, oft ein Leben lang. Da ging es um sehr viel Verantwortung.

Jedes System spielt ein anderes Spiel. Das mag von außen komisch aussehen, von innen macht es wahrscheinlich Sinn. Das gilt natürlich für alle Seiten.

tagesschimmer antworten
Blackhole
(@blackhole)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 1112

Es war nicht einfach Parteizugehörigkeit oder nicht.
Man musste sich viel weniger auf dem Markt beweisen. Betriebe wurden am Leben erhalten, auch wenn sie hoffnungslos veraltet waren.
Also auch wenn man nicht in der SED war, wenn man sogar gegen die SED war, war man es gewohnt, daß der Staat alles regelt.

blackhole antworten
Tagesschimmer
(@tagesschimmer)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 1236
Veröffentlicht von: @blackhole

war man es gewohnt, daß der Staat alles regelt

und du meinst, dieses „alles“, was der Staat so gern für jeden regeln wollte, war das, was die Menschen wollten? In der DDR haben die meisten Menschen eine gewaltige Energie und Phantasie aufgewandt, weil sie sich einfach nicht von ihrer Indiviualität verabschieden wollten.

Es gab aber auch einige, die gerne mitspielten. Für die war es schwer zu verstehen, warum man nicht einfach nach den Regeln tanzte. Menschen sind unterschiedlich. Wer ein System mag, hat manchmal wenig Verständnis, warum andere darin nicht gut klarkommen.

tagesschimmer antworten


Ungehorsam
Beiträge : 3336

Karlspreis für Frauen aus der Opposition von Belarus
Ich bin in Diktatur und Unfreiheit aufgewachsen. Dadurch sind mir Demokratie und Freiheit sehr wertvoll geworden. Ich will nie wieder dorthin zurück, wo ich hergekommen bin.
Deshalb ist es eine mutige aber vollkommen richtige Entscheidung, den Karlspreis der Stadt Aachen für besondere Verdienste für die europäische Einigung den drei führenden Frauen der Oppositionsbewegung von Belarus zu verleihen.

ungehorsam antworten
Blackhole
Beiträge : 1112

Interessanter Erfahrungsbericht aus dem Assad-Regime, und warum es der Opposition nicht möglich war, Assad zu beseitigen und ein neues Land aufzubauen:
https://www.zeit.de/kultur/2021-12/geruch-der-diktatur-projekt/seite-2

blackhole antworten


xederlatein
Beiträge : 51

»Auch in einer Diktatur lernt man Sachen, die man später gut brauchen kann. Aber man lernt auf keinen Fall das, was man braucht, um in der Demokratie zu leben.«

Das hat er wohl alles ironisch gemeint, weil man in einer Diktatur die Demokratie vermisst, weil einer alles vorschreibt. Das wäre ja dann eine Lehre, die man später gebrauchen kann für einer Demokratie. Jetzt haben wir die Demokratie und können wieder nicht friedlich darin leben, weil die Volksvertreter nicht vom Volk ganzheitlich akzeptiert werden! Das blöde ist, dass es in der Demokratie auch demokratisch ausgearbeitete Vorschriften gibt. Und Vorschriften sind Vorschriften, so oder so, aber es gibt immer Menschen, die Vorschriften nicht akzeptieren wollen. Sie wollen anscheinend viele Kleindiktatoren sein und zurück zur Sippenwirtschaft und die Wirtschaft aussaugen zum Wohle aller! - Das war jetzt meine Ironie dazu!

xederlatein antworten
Aimeric
Beiträge : 167

Man lernt (ungesundes) Misstrauen
Mein Eindruck ist, dass Menschen, die zu lange unter einer Diktatur gelebt haben, der Demokratie ein teilweise pathologisches Misstrauen entgegenbringen und damit fatalerweise, wenn sie denn in größeren Mengen oder einflussreichen Positionen zusammenkommen, eine Demokratie destabilisieren und wieder mehr in Richtung Diktatur kippen lassen können.

aimeric antworten
6 Antworten
Goldapfel
(@goldapfel)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 1986

Bin da ganz bei dir...

goldapfel antworten
Jack-Black
(@jack-black)
Beigetreten : Vor 3 Jahren

Beiträge : 3605

Wie kommst Du darauf?

Falls Du darauf anspielst, dass die Quatschdenker und AgD-Anhänger eher in Ostdeutschland unterwegs sind, möchte ich darauf hinweisen, dass die Narrative dieser Gruppierungen so - und zwar in extremerer Form - auch in den USA oder in Frankreich und anderen "altgedienten" Diktaturen virulent sind.

Im übrigen halte ich es für nicht sonderlich zielführend, den Begriff "pathologisch" in die Diskussion zu werfen. Man ist nicht krank, wenn man überdurchschnittlich mißtrauisch unterwegs ist. Selbst blanke Dummheit ist noch keine Krankheit.

Wenn man verstehen möchte, warum die Proteste wider die Corona-Maßnahmen von bestimmten politischen Gruppierungen instrumentalisiert werden, sollte man nicht nur auf das schauen, was im eigenen Land geschieht - da ist man gegebenenfalls einfach zu nah dran und zu sehr ist der Blick durch die Gewöhnung der eigenen, schon längst gefestigten, politischen Meinungen und vielleicht auch Vorurteile getrübt.

jack-black antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21519
Veröffentlicht von: @jack-black

Im übrigen halte ich es für nicht sonderlich zielführend, den Begriff "pathologisch" in die Diskussion zu werfen. Man ist nicht krank, wenn man überdurchschnittlich mißtrauisch unterwegs ist. Selbst blanke Dummheit ist noch keine Krankheit.

Der Begriff ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt... aber ich denke, was Aimeric meint ist ein Misstrauen, welches nicht mehr zielführend ist, sondern das genaue Gegenteil bewirkt.

So wie die Leute, die gegen eine vorgebliche "Diktatur" und für die "Freiheit" ins Felde ziehen - und sich dabei gezielt für Dinge einsetzen, die die Freiheit beschneiden und eine Diktatur fördern. Und das nicht etwa aus Versehen, sondern unmittelbar und direkt.
Das hat nicht mehr viel mit einem "gesunden Misstrauen" zu tun, also einem kritischem Hinterfragen auf einer rationalen Basis.

Vielleicht gibt es bessere Begriffe dafür, aber ich halte "pathologisch" nicht für völlig falsch. Zumindest dann, wenn es ernst gemeint ist... auf Menschen, die ganz bewusst eine Diktatur wünschen und mit positiven Begriffen täuschen wollen trifft das natürlich nicht zu.

lucan-7 antworten
Tagesschimmer
(@tagesschimmer)
Beigetreten : Vor 6 Jahren

Beiträge : 1236

Ich gehe auch von einem Teil der Leute aus, die tatsächlich im krankheitsrelevanten Bereich mitßtrauisch sind. Insbesondere, wenn es um fanatisch nachgefolgten Verschwörungstheorien geht, bei denen Menschen zu Schaden kommen.

Allein die Herkunft aus der DDR reicht aber nicht, um flächendeckend psychische Krankheiten ausbrechen zu lassen. In und nach der Wende ist die Normalbevölkerung der DDR ja eher durch Altruismus und Naivität aufgefallen. Klar, daraus mögen viele ihre Lehren gezogen und sich charakterlich verändert haben, aber nicht so, dass sie alle krank wurden. Gerade die zusätzliche Erfahrung könnte auch den Blick geweitet haben. Wer kann wirklich ausloten, wo übermäßiges Vertrauen oder Misstrauen vorliegt? (Mal abgesehen von den diagnostizierbaren Spitzen?)

Das Mehrheits- Minderheitsgefälle funktioniert ja unbewusst immer, wenn Gründe für Schwierigkeiten gesucht werden. Da sich jeder gern als Maßstab und richtig sehen will, ist irgendwie immer die Minderheit komisch und falsch.

tagesschimmer antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21519
Veröffentlicht von: @tagesschimmer

Allein die Herkunft aus der DDR reicht aber nicht, um flächendeckend psychische Krankheiten ausbrechen zu lassen.

Ich denke nicht, dass "pathologisch" hier im Sinne einer individuellen geistigen Erkrankung gemeint ist, sondern im gesellschaftlichen Sinne... dass also das Verhalten einer gesellschaftlichen Gruppe zwar im Grunde gute Absichten hat und Schaden abwenden will... durch ihr Verhalten aber am Ende genau den Schaden anrichtet, den sie eigentlich bekämpfen will.

Es ist doch seltsam, dass viele Leute meinen, gegen eine angebliche "Diktatur" zu kämpfen... und dabei Dinge fordern, die letztlich zu einer echten Diktatur führen würden.

lucan-7 antworten
Aimeric
(@aimeric)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 167

Ich dachte gar nicht mal so sehr an die DDR; ich finde vor allem das Verhalten vieler Russlanddeutscher dahingehend auffällig.

Nachtrag vom 02.01.2022 1717
Mit "pathologischer Angst" meine ich in dem Fall ein schon regelrecht krankhaftes Hineinsteigern in irrationale Ängste.

aimeric antworten


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