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Wie lange muss man Gedenken?

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Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0

Hi,

es gab und gibt Dinge, die darf man nicht verharmlosen. Soweit mal ganz gut.

Aber wie lange muss ein "Gedenken" dauern?

Gedenkt man heute noch an die Opfer von Napoleon?
Des 30jährigen Krieges?

Was bringt ein Gedenken für die Generation in 150 Jahren oder 150 Jahren nach Holocaust?

M.

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124 Antworten
Blackhole
Beiträge : 1134

Unzählige Völker auf der Welt warten übrigens noch immer auf eine kleine Geste europäischer Reuhe für 600 Jahre Kolonialverbrechen.

Mich beschäftigt es schon lange, daß in Sachen Völkermord mit zweierlei Maß gemessen wird. Der der nicht an Europäern geschah, sondern an Afrikanern oder Indianern, gilt noch immer vergleichsweise als Lappalie.

Die Nazis katalogisierten ihre Opfer, zeichneten präzise ihre Namen auf...
Aber ist ein Völkermord "weniger schlimm", wenn die Täter derart gleichgültig waren, daß die Opfer namenlos blieben?

Die Indianer haben uns übrigens Kartoffeln, Truthahn, Mais, Schokolade und sehr viel mehr gegeben.
Bedankt haben wir uns nie.

blackhole antworten
8 Antworten
Gelöschtes Profil
(@deleted_profile)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 18002
Veröffentlicht von: @blackhole

Unzählige Völker auf der Welt warten übrigens noch immer auf eine kleine Geste europäischer Reuhe für 600 Jahre Kolonialverbrechen.

Hier sollten wir nicht verallgemeinern. Kolonialmächte waren westeuropäische Staaten, vor allem England, Frankreich, Spanien und Portugal. Kleinere Kolonialmächte waren Niederlande, Deutschland, Italien.
M.E. hatten nordeuropäische und osteuropäische Staaten keine (bis marginale) Kolonialinteressen.

Veröffentlicht von: @blackhole

Aber ist ein Völkermord "weniger schlimm", wenn die Täter derart gleichgültig waren, daß die Opfer namenlos blieben?

Gute Frage.

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Blackhole
(@blackhole)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 1134

Welche europäischen Staaten haben aktiv gegen Kolonialverbrechen protestiert?
Das war nur ein Mal der Fall, und zwar recht spät. Als die Belgier unter König Leopold 10 Millionen Kongolesen zu Tode geschunden haben.

Profitiert von den Kolonialwaren haben alle Europäer, und das gern.
Der Vergleich, wer wieviele Kolonien hatte, ist eine schwache Ausrede. Die Ausbeutung hat Europa insgesamt reich und mächtig gemacht.

blackhole antworten
Tamaro
 Tamaro
(@tamaro)
Beigetreten : Vor 7 Jahren

Beiträge : 1743

Ausbeutung geht weiter

Veröffentlicht von: @blackhole

Profitiert von den Kolonialwaren haben alle Europäer, und das gern.

Was mit dem Kolonialismus seinen Anfang nahm, dauert heute immer noch an. Allerdings sind es nicht mehr Nationalstaaten, sondern Konzerne, die mit diesem System fortfahren.

Weiterhin werden Menschen in unsäglichen Arbeitsverhältnissen beschäftigt, wo es viele Opfer gibt. Menschenrechte sind ein Fremdwort, Tier und Umwelt werden ausgebeutet. Der Gewinn fliesst zu den Reichen in den reichen Ländern.

Von daher gibt es da eigentlich noch nichts zu gedenken, da der Ausbeutungs-Prozess immer noch im Gange ist.

tamaro antworten
Gelöschtes Profil
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Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 18002

Das war nicht als Ausrede gedacht. Mir fällt bei diesen Thema immer nur auf, dass wir von gesamteuropäischer Schuld sprechen - und das stimmt so nicht. Es sind mehrheitlich westeuropäische Staaten, die durch die Kolonialisierung reich geworden sind. Von diesem Reichtum hatten die Polen, die Tschechen, Slowaken, Ungarn, Rumänen, Bulgaren usw. ja nicht viel.

Veröffentlicht von: @blackhole

Welche europäischen Staaten haben aktiv gegen Kolonialverbrechen protestiert?

Proteste gegen die Verletzung von Menschenrechten sind ja erst Ende des 19. Jhr. / im 20. Jhr. stärker geworden. Sie haben dazu geführt, dass ab Mitte des 20. Jhrs. viele Kolonialmächte ihre Kolonien in die Unabhängigkeit losgelassen haben.

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Tamaro
 Tamaro
(@tamaro)
Beigetreten : Vor 7 Jahren

Beiträge : 1743
Veröffentlicht von: @banji

Proteste gegen die Verletzung von Menschenrechten sind ja erst Ende des 19. Jhr. / im 20. Jhr. stärker geworden.

Menschenrechte im heutigen Sinn gibt es erst seit 1948 und dies vor allem aufgrund der Gräuel des Zweiten Weltkriegs.

In Europa gab es davor meines Wissens kaum Proteste gegen Kolonialverbrechen. Erstens hatte man hier ganz andere Problem (Weltkriege, Arbeiterbewegung) und zudem wurde versucht, die Geschehnisse in den Kolonien weitgehend unter Verschluss zu halten. Heute hat man diesbezüglich ganz andere Möglichkeiten um sich zu informieren.

Veröffentlicht von: @banji

Sie haben dazu geführt, dass ab Mitte des 20. Jhrs. viele Kolonialmächte ihre Kolonien in die Unabhängigkeit losgelassen haben.

Was das in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten gebracht hat, kann man heute sehen.

tamaro antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0

Ich halte nichts davon die Geschichte umschreiben zu wollen, indem man so tut als könnte man durch irgendwelchen mehr oder weniger symbolischen Reuebekundungen da dran was ändern.

Und ernsthafte Wiedergutmachung wird es da sicher nicht geben. Oder glaubst du, wir bekommen den ganzen amerikanischen Kontinent dazu, in die Heimatländer ihrer Vorfahren zurückzukehren, damit die Indianer ihr Land endlich wieder bekommen? DAS wäre eigentlich die einzige Form von ernsthafter Wiedergutmachung. Gilt natürlich auch für Neuseeland und Australien etc.

Bei allen anderen Formen der Entschädigung, bin ich dann auch draußen. Ich finde es natürlich gerechtfertigt Opfer des Nationalsozialismus zu entschädigen, wenn sie selbst betroffen waren. Oder gestohlenes Eigentum an die Erben wieder zu geben, wenn die eigentlichen Eigentümer nicht mehr leben.

Aber ich bin nicht bereit die Schuld der Geschichte auf mich zu nehmen und meine Steuergelder als Wiedergutmachung für etwas was vor hunderten von Jahren passiert ist auszugeben.

Ich bin sowieso kein großer Fan der Unart nach Kriegen Wiedergutmachungen zu vereinbaren, die bis weit in die Zukunft reichen, damit die Enkel der Täter die Schulden tragen (statt die Täter selbst). Ich bin noch weniger ein Fan davon, wenn ich für irgendwas bezahlen soll, was im Kaiserreich oder davor passiert ist.

Veröffentlicht von: @blackhole

Mich beschäftigt es schon lange, daß in Sachen Völkermord mit zweierlei Maß gemessen wird. Der der nicht an Europäern geschah, sondern an Afrikanern oder Indianern, gilt noch immer vergleichsweise als Lappalie.

Nein, aber es ist ein Unterschied, ob man versucht mit Geld sich von irgendeiner Schuld frei zu kaufen, die zu Kolonialzeiten passierte und wo es letztendlich auch gar nicht mehr um die eigentlich Betroffenen geht, sondern höchstens um ihre Nachfahren, die - sorry, wenn das jetzt hart klingt - nach hundert Jahren drauf bestehen, dass wir dran schuld sind, wenn es ihnen schlecht geht, obwohl ihr Land schon ewig nicht mehr unter unserer Kolonialherrschaft stand und sowieso schon lange selbständig ist.

Anonymous antworten
Gelöschtes Profil
(@deleted_profile)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 18002
Veröffentlicht von: @pottkind

Und ernsthafte Wiedergutmachung wird es da sicher nicht geben. Oder glaubst du, wir bekommen den ganzen amerikanischen Kontinent dazu, in die Heimatländer ihrer Vorfahren zurückzukehren, damit die Indianer ihr Land endlich wieder bekommen?

Um Gottes willen! Die ganzen Trump-Wähler wieder in Hessen und Brandenburg zu wissen ...

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Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0
Veröffentlicht von: @banji

Um Gottes willen! Die ganzen Trump-Wähler wieder in Hessen und Brandenburg zu wissen ...

Es ist hart, aber da muss man dann eben durch.

Beschwere dich nicht: die Spanier werden ernsthaften Platzmangeln bekommen, überlege mal wie viele Leute von ihnen abstammen.

Anonymous antworten


andreas
Beiträge : 1810

Israel gedenkt heute noch der Befreiung aus Ägypten.

Wenn sie damit aufhören, können wir über das Ende unseres Gedenkens nachdenken.

Nachtrag vom 29.01.2021 0947
Ups, lange kein Rot bekommen!

Danke auch für alle kritischen Rückmeldungen, die mir die Grenzen dieses Vergleichs noch einmal verdeutlicht haben.
Innerhalb dieser Grenzen stehe ich weiterhin zu ihm.

Die etwas durchdachtere Antwort von mir findet sich weiter unten im Thread.

andreas-wendt antworten
18 Antworten
Tinkerbell
(@tinkerbell)
Beigetreten : Vor 2026 Jahren

Beiträge : 1552

Den Vergleich finde ich schwierig, denn es geht ja hier in erster Linie um die Erinnerungskultur des Landes, was Schuld auf sich geladen hat - ich glaube nicht, dass sich die Frage darauf bezog, wie lange Juden sich noch erinnern sollen. Deswegen kann man das kaum vergleichen, oder? Das ginge nur, wenn Ägypten sich noch heute daran erinnern würde (glaube kaum, dass sie das tun, aber ich weiß es nicht). Oder habe ich dich falsch verstanden?

tinkerbell antworten
andreas
(@andreas-wendt)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 1810

Guter Einwand!

andreas-wendt antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 19 Jahren

Beiträge : 23011
Veröffentlicht von: @tinkerbell

Das ginge nur, wenn Ägypten sich noch heute daran erinnern würde (glaube kaum, dass sie das tun, aber ich weiß es nicht).

Vor ca 1-3 Jahren gab es einen Artikel, dass in Ägypten darüber nachgedacht wurde, eine Forderung über das mitgegebene Gold zu stellen.

deborah71 antworten
andreas
(@andreas-wendt)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 1810

Vor 1-3 Jahren wäre ich mir sicher gewesen, dass das Satire ist.

Aber heute ...

andreas-wendt antworten
Deborah71
(@deborah71)
Beigetreten : Vor 19 Jahren

Beiträge : 23011

Auch wenn es vllt Satire war....vergessen ist es nicht.

Aber es las sich nicht nach Satire bei Israel heute. *grübel*

Nachtrag vom 28.01.2021 2003
Ist doch schon länger her... mein Zeitgefühl taugt nichts...

https://www.n-tv.de/panorama/Klage-gegen-alle-Juden-geplant-article284488.html

Israel hat das aber nicht ernst genommen.... 😀

deborah71 antworten
Tatokala
(@tatokala)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 2625

Was historisch alles nicht belegbar ist. 😀

tatokala antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0
Veröffentlicht von: @tatokala

Was historisch alles nicht belegbar ist. 😀

Zahlen diejenigen, die die Bibel wörtlich nehmen, nicht gerne zurück?

Anonymous antworten
Gelöschtes Profil
(@deleted_profile)
Beigetreten : Vor 2 Jahren

Beiträge : 18002

Ich bin mir nicht sicher, ob da eine kleine Spur Humor mitschwingt?
Und trotzdem: genau!

deleted_profile antworten
andreas
(@andreas-wendt)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 1810

Eine Spur Humor ist immer nötig, um im Internet zu diskutieren. Und die Grenzen des Vergleichs hat Tinkerbell ja zu Recht angesprochen.

andreas-wendt antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21649

Wenn der "Holocaust" irgendwann zu einem religösen Ereignis wird, dann hat das reale Gedenken ein Ende.

lucan-7 antworten
andreas
(@andreas-wendt)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 1810

Guter Punkt.

Ich denke aber, jüdische Erinnerungskultur macht diesen Unterschied gerade nicht: Gegenstand ihres religiösen Gedenkens ist das reale Schicksal in der Geschichte.

Bereits Bonhoeffer hat in der Verfolgung der Juden auch eine religiöse Dimension gesehen.

Und jene, die heute eine "Theologie nach Auschwitz" fordern, tun es auch.

Das ist ja gerade eine Pointe des jüdischen und christlichen Glaubens, dass geschichtliche Ereignisse gleichzeitig als religiöse gesehen werden können.

andreas-wendt antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21649
Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Das ist ja gerade eine Pointe des jüdischen und christlichen Glaubens, dass geschichtliche Ereignisse gleichzeitig als religiöse gesehen werden können.

Der Auszug aus Ägypten wird von Historikern als Mythos betrachtet.

Es ist niemandem geholfen, wenn auch der "Holocaust" irgendwann mal als "Mythos" betrachtet wird (Deshalb auch meine Nicht-Empfehlung für diesen Vergleich an dieser Stelle). Eine Vermischung halte ich hier nicht für sinnvoll.

lucan-7 antworten
andreas
(@andreas-wendt)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 1810
Veröffentlicht von: @lucan-7

Der Auszug aus Ägypten wird von Historikern als Mythos betrachtet.

Ich glaube zu verstehen, was Du damit meinst, aber es ist schon etwas komplizierter:

"Mythos" ist keine historische Kategorie, sondern eine text- und religionswissenschaftliche. Unter deren Gesichtspunkten kann man tatsächlich sagen, dass gewisse Aspekte der Exoduserzählung im 2. Mose mythologische Züge tragen. Aber Historiker haben gar nicht die Aufgabe, irgendetwas als Mythos anzusehen oder nicht, sondern Wahrscheinlichkeiten auszuloten.

Was letztere angeht:
Historisch gesehen gibt es für den Exodus eines Volkes von der Größe, wie es dort erzählt wird, keine Belege. Die historische Wahrscheinlichkeit, dass es so geschehen ist, wie es im 2. Mose steht, gilt also als äußerst gering.

Heißt das, dass nach historischer Einschätzung überhaupt nichts derartiges geschehen ist?

Die meisten Historiker heute halten die Endgestalt des Pentateuch für jünger als z.B. die Prophetentexte. Und auch in denen sowie in einigen Psalmen wird auf die Erfahrung eines Auszugs aus Ägypten angespielt. Klügere Historiker als ich sagen, dass diese Texte vor allem im Nordreich Israels angesiedelt sind.
Es gilt daher vielen Historikern als recht naheliegend, dass es im Nordreich eine Gruppe von Menschen gab, die tatsächlich als Sklaven in Ägypten gewesen waren, von dort in die Freiheit gekommen waren und dies als göttliche Befreiung gedeutet haben. (Manche gehen so weit zu sagen, dass diese Leute den Gottesnamen JHWH mitgebracht haben.)
In dem sich gerade formierenden Volk Israel seien diese Menschen samt ihrer Geschichte aufgenommen worden. Die Erzählung ihrer Befreiungserfahrung sei über die Generationen zur gemeinsamen Erzählung des ganzen Volkes geworden, dass sich auch im Blick auf die unterschiedlichen Vergangenheiten als "Schicksalsgemeinschaft" (kudos to Marina Weisband) verstand.

Hier wurde ein geschichtliches Ereignis (einige, die heute in Israel wohnen, hatten Vorfahren, die mal Sklaven in Ägypten gewesen waren) zum religiösen Ereignis (Gott hat sie befreit), in das sich schließlich alle, die sich mit ihnen verbanden hineinstellten (Gott hat uns befreit), ohne dass damit der geschichtliche Kern unwichtig wurde.

Das, was hier religionsgeschichtlich geschah, ist mit "Mythos" also sehr unpassend bezeichnet.

Auch wenn man die Erzählung für glaubwürdiger hält, als es die historischen Daten hergeben (wozu ich tendiere), gilt es doch für die kommenden Generationen genauso: Menschen, die es selbst nicht erlebt haben, stellen sich in die Schicksalsgemeinschaft derer, die es erlebt haben. "Wir waren Sklaven in Ägypten" zitiert der jüdische Vater am Sederabend, auch wenn die Familie seit Generationen in New York lebt - und sogar, wenn er selbst zum Judentum konvertiert ist.
Er tut damit nichts Anderes, als was nach allen historischen Wahrscheinlichkeiten schon die ersten Nachbarn der aus Ägypten entflohenen Sklaven getan hatten, als sie beschlossen, sich als gemeinsames Volk zu sehen.

Nicht anders tut es meine Frau, die erst vor ein paar Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, wenn sie den Holocaustgedenktag begeht: Obwohl sie nicht aus dem Volk stammt, das die Shoah vorantrieb, übernimmt sie Verantwortung dafür, dass dies Gedächtnis erhalten bleibt und wir daraus lernen.

Veröffentlicht von: @lucan-7

Es ist niemandem geholfen, wenn [auch] der "Holocaust" irgendwann mal als "Mythos" betrachtet wird

Wenn man das "auch" streicht, stimme ich Dir zu. Aber es wäre mit ihm dann eben etwas historisch völlig anderes geschehen als mit der Exodustradtion.

andreas-wendt antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21649

Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass die meisten Geschichten der Bibel irgendeinen historischen Kern haben, auf den sie sich beziehen. Auch beim Auszug aus Ägypten hat sich sicherlich kein Schreiber hingesetzt und sich gesagt: "So, jetzt denke ich mir mal eine schöne Geschichte für mein Volk aus!". Da hat es mit Sicherheit schon zuvor eine gewisse Basis gegeben.
Ob da jetzt ein paar Sklaven einfach nur geflohen sind, oder ob sie möglicherweise sogar verjagt wurden, weil man sie als "Fremde" für diverse Unglücke verantwortlich machte, das wird man heute nicht mehr mit Sicherheit herausfinden können.
Aber die Geschehnisse wie sie in der Bibel geschildert wurden kann man historisch nicht weiter begründen und sind daher auch nicht als historisch zu betrachten.

Aber auch unabhängig davon halte ich es für bedenklich, religiöses und historisches Gedenken zu vermischen. Denn in dem Moment, wo ein historisches Ereignis religös vereinnahmt wird verliert es für alle Anderen, die nicht dieser Religion angehören, an Bedeutung.

Käme denn heute irgendwer aus dem nicht-jüdischen/christlichem Kulturkreis auf die Idee, dass man aus der Vertreibung aus Ägypten irgendetwas lernen könnte? Ich denke, das wird doch wohl, selbst wenn man es für historisch hielte, als spezifisch jüdische Geschichte betrachtet, welche auch nur für die Juden von Bedeutung ist.

Ähnliches würde wohl auch mit dem "Holocaust" geschehen, sollte das Ereignis irgendwann einmal religiös vereinnahmt werden.

Und das hielte ich für einen Fehler.

lucan-7 antworten
lubov
 lubov
(@lubov)
Beigetreten : Vor 19 Jahren

Beiträge : 2684
Veröffentlicht von: @lucan-7

Aber auch unabhängig davon halte ich es für bedenklich, religiöses und historisches Gedenken zu vermischen. Denn in dem Moment, wo ein historisches Ereignis religös vereinnahmt wird verliert es für alle Anderen, die nicht dieser Religion angehören, an Bedeutung.

Das wird doch u.a. durch die Bibel sehr schön widerlegt. Der Auszug aus Ägypten war bis vor wenigen Generationen etwas, was "man" kannte. Unabhängig davon, ob man Jude, Christ, Atheist oder Hindu (z.B. Gandhi!) war, ob man Sozialist oder Nationalist war... gerade durch die religiöse Vereinnahmung bleibt das Ereignis in Erinnerung, und auch "Religionsfremde" hören davon oder sehen etwas darüber. Die Rolle des Moses hat immerhin vier Schauspielern einen Oscar eingebracht.
Der Exodus taucht als Referenz in unzähligen literarischen Werken auf, die Themen "Wunsch nach Freiheit", "Flucht", "Verfolgung", aber auch "Überdruss und Bequemlichkeit"... werden in ihm als geradezu exemplarisch gezeigt empfunden. Wäre die Geschichte nicht Teil der Bibel - und diese nicht weltumspannend erfolgreich - geworden, so wäre die Episode eines kleinen Stammes mit den Ägyptern längst vergessen.

lubov antworten
Lucan-7
(@lucan-7)
Beigetreten : Vor 13 Jahren

Beiträge : 21649
Veröffentlicht von: @lubov

Wäre die Geschichte nicht Teil der Bibel - und diese nicht weltumspannend erfolgreich - geworden, so wäre die Episode eines kleinen Stammes mit den Ägyptern längst vergessen.

Auch Graf Dracula ist weltweit bekannt, und der war auch eine historische Person.

Seinem historischen Andenken hilft das allerdings kaum.

lucan-7 antworten
Anonymous
 Anonymous
(@Anonymous)
Beigetreten : Vor 1 Sekunde

Beiträge : 0

Das zweite rot war von mir, weil ich das fair fand. Ich fand es bei Lamed auch nicht hilfreich, dass er die Kreuzigung, also ein religiöses Gedenken, mit rein brachte.

Wäre das Judentum keine Religion, hätte sich das Gedenken an den Auszug aus Ägypten wahrscheinlich nicht gehalten.
Oder kennst du viele Völker, die heute noch - ohne religiöse Gründe - Gedenktage für Ereignisse haben, die ca. 4 Tausend Jahre her sind?

Völkermorde, Abschlachten von Besiegten gab es in der Antike an vielen Stellen. Die Bibel berichtet von "unter einen Bann stellen", ist damit aber gar nicht alleine. Tacitus berichtet von solchen Sitten in der Germania auch. Und das gabs auch an anderen Stellen auf der Welt.

Da gibt es heute keine Gedenken, weil es dann eben "nur" geschichtliche Ereignisse waren.

Veröffentlicht von: @andreas-wendt

Das ist ja gerade eine Pointe des jüdischen und christlichen Glaubens, dass geschichtliche Ereignisse gleichzeitig als religiöse gesehen werden können.

Stimmt schon, aber bei der Art der Begründung müsstest du jetzt davon ausgehen, dass der Holocaust Teil der jüdischen Religion wird.

Der andere Kritikpunkt wurde ja auch schon genannt: es geht bei der Fragestellung ja nicht darum wie lange die Opfer gedenken, sondern das Land der Täter.

Anonymous antworten
andreas
(@andreas-wendt)
Beigetreten : Vor 17 Jahren

Beiträge : 1810

Danke für die Rückmeldung. Kann ich nachvollziehen.

andreas-wendt antworten
Anonymous
 Anonymous
Beiträge : 0

Spannende Frage. Danke dafür.

Veröffentlicht von: @meriadoc

Was bringt ein Gedenken für die Generation in 150 Jahren oder 150 Jahren nach Holocaust?

Ja, manchmal versuche ich mich in eine Zeit in etwa 70 Jahren hineinzudenken und frage mich, wie/ ob man dann an welche Zeiten erinnern wird.

Recht interessant ist, dass zur Zeit eine Epoche ins Blickfeld rückt, derer bisher kaum gedacht wurde: die Kolonialisierung großer Teile der Welt und ihre Folgen. Auch da geschah Grauenvolles, das sich nicht wiederholen sollte.

Und, meine persönliche Meinung, ja, man sollte so lange wie irgend möglich an die Verbrechen von 1933 bis 1945 erinnern, damit auch das sich, wenn irgend möglich, nicht wiederholt. (hat aber teilweise schon, ich denke nur an die Massaker im Balkankrieg und die Menschen im Jemen gerade jetzt).

Wie man erinnert, so dass es Menschen auch berührt und nicht nur zu einer hohlen Veranstaltung wird, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage.

Anonymous antworten


Herbstrose
Beiträge : 14194

In Anbetracht dessen,
dass Rechtsextremismus wieder zum Thema wird bzw. bereits Thema ist, kann auf das Thema Holocoust gar nicht oft genug öffentlich und erinnernd und mahnend aufmerksam gemacht werden.

herbstrose antworten
Johannes22
Beiträge : 2973

So weit ich weiß Gedenken die Südamerikaner auch heute noch dem Völkermord an den Indios und der ist über 600 Jahre her. Der Opfer des ersten Weltkrieges gedenken wir auch in ganz Europa , 100 Jahre her. Es gibt noch viele weitere Beispiele.

johannes22 antworten
2 Antworten
Blackhole
(@blackhole)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 1134

Wie mans nimmt....

....in Argentinien sind noch immer viele Straßen, Parks, usw. nach dem Indianerschlächter Sarmiento benannt. Und der wollte ganz ausdrücklich alle Indianer ausrotten.

blackhole antworten
Johannes22
(@johannes22)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 2973
Veröffentlicht von: @blackhole

Wie mans nimmt....
....in Argentinien sind noch immer viele Straßen, Parks, usw. nach dem Indianerschlächter Sarmiento benannt. Und der wollte ganz ausdrücklich alle Indianer ausrotten.

Gibt in Deutschland auch noch Straßen die nach Nazis benannt wurden. Aber das Argument das andere Verbrechen irgendwann mal vergessen wurden oder werden ist halt für die Tonne.

Sogar an Massaker die 1200 Jahre her sind wird heute noch gedacht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Blutgericht_von_Verden

Überhaupt ist die Vorstellung das die Zeit an der Schwere eines Verbrechens etwas ändert nun ja etwas merkwürdig.

johannes22 antworten


Tinkerbell
Beiträge : 1552

Müssen muss man gar nicht.
Ich denke, es gibt mehrere Gründe dafür, warum wir uns daran erinnern:

- Unser Land hat, anders als Napoleon, einen Teil des eigenen Volkes grundlos ausgelöscht.
- Die Art des Verbrechens ist von einer ganz neuen, grausamen, effektiven Qualität gewesen. Das lässt sich nicht mit einem Krieg vergleichen.
- Es gibt nach wie vor Überlebende.
- Antisemitismus ist wieder salonfähig geworden, die Geschehnisse werden verharmlost, Juden werden in unserem Land wieder bedroht (inzwischen auch besonders stark von Muslimen, aber nicht nur).

Man muss sich daran nicht erinnern und ich gehe fest davon aus, dass viele es auch nicht tun. Wenn man will, kommt man um solche Feiertage gut herum. Dann hört man bestenfalls in der Tagesschau mal, dass irgendwer was Gutes gesagt hat, und dann hat sich das erledigt.

Aber angesichts der Tatsache, in welche Richtung einige Länder - nicht nur Deutschland - momentan steuern, zeigt, dass man diesen Gedenktag noch länger begehen sollte. Ich persönlich fände es sinnvoll, die Art und Weise zu überdenken, damit die Generationen, die dafür tatsächlich nichts können, einen besseren Zugang dazu bekommen. Ansonsten sind wir nämlich ganz schnell bei "Aber ich habe doch damals nichts gemacht, also warum sollte ich mich jetzt schuldig fühlen?"

Das ist ein Gedanke, der ja auch von der AFD immer schön in die Gehirne gepflanzt wird - man würde den Generationen, die nach dem Krieg geboren sind, diese Schuld anlasten. Und das ist Quatsch. Weder du noch ich können etwas dafür, und ich fühle mich auch nicht in dem Sinne persönlich schuldig. Ich schäme mich für mein Land in dem Wissen, dass ich niemals genau sagen könnte, ob ich damals selber die Courage zum Widerstand gehabt hätte. Meine Großeltern hatten sie, was ich sehr bewundere, aber wer weiß, wie wir gewesen wären. Man hat die besten Vorstellungen über die eigene Standfestigkeit des Charakters, den unfehlbaren moralischen Kompass...im Nachhinein alles ganz einfach.

Und eben weil wir alle, denke ich, vernünftige Menschen kennen, die gerade angesichts von Corona und Co. in ganz gefährliche Richtungen abdriften, muss uns klar sein: Das kann immer wieder passieren, wenn man nicht permanent erinnert, wohin es führen kann. Der Holocaust begann nicht mit den Konzentrationslagern. Die waren nicht einfach da. Am Anfang standen nur Gedanken. Man pflanzte Misstrauen, den Glauben an eine Verschwörung und anderes. Und dieser Same ist auch wieder da, er wird eifrig verbreitet, und es ist an uns, das zu verhindern, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Nicht nur einmal im Jahr die Reden im Bundestag anzugucken und uns wohlig-rechtschaffen zu fühlen, wenn wir ein paar Artikel dazu gelesen haben.

Veröffentlicht von: @meriadoc

Was bringt ein Gedenken für die Generation in 150 Jahren oder 150 Jahren nach Holocaust?

Im besten Fall genau das, worum es geht: Eine bleibende, allgegenwärtige Mahnung, die uns motiviert, etwas zu tun.

tinkerbell antworten
4 Antworten
Blackhole
(@blackhole)
Beigetreten : Vor 18 Jahren

Beiträge : 1134

Ich stimme dir in den meisten Punkten zu, bis auf zwei:

Veröffentlicht von: @tinkerbell

- Unser Land hat, anders als Napoleon, einen Teil des eigenen Volkes grundlos ausgelöscht.
- Die Art des Verbrechens ist von einer ganz neuen, grausamen, effektiven Qualität gewesen. Das lässt sich nicht mit einem Krieg vergleichen.

Punkt 1: Wenn man ein anderes Volk grundlos auslöscht, viele Völker in beiden Amerikas, ist das dann weniger schlimm?

Punkt 2: Wenn man, anderst als die Nazis, die Namen der Opfer nicht aufzeichnet, ist es dann weniger grausam? Ist nur Hass extreme Grausamkeit, oder ist nicht auch extreme Gleichgültigkeit, wie die der Kolonialherren, extreme Grausamkeit?

blackhole antworten
Tinkerbell
(@tinkerbell)
Beigetreten : Vor 2026 Jahren

Beiträge : 1552

Ich finde nicht, dass man in den Kategorien "weniger schlimm" denken kann. Jedes zerstörte Menschenleben ist furchtbar, egal, ob es nun durch eine Pistole oder Vernachlässigung genommen wurde. Die Arten der Verbrechen unterscheiden sich einfach, und garantiert hätte jeder, wenn er sich entscheiden müsste, eine eigene Vorstellung davon, was für ihn grausamer ist.

Es ist nicht schlimmer, wenn eine Nation Teile ihrer selbst umbringt, als wenn indigene Völker ermordet werden - es ist anders, und es ist insofern "unnormaler", als dass man eigentlich in der Geschichte der Menschheit daran gewöhnt war, gegen Fremde Kriege zu führen. Nicht gegen das eigene Volk. Da ist, finde ich, eine gewisse Hemmschwelle überschritten worden, in einem Ausmaß, dass man eigentlich für undenkbar hielt.

Und natürlich ist auch extreme Gleichgültigkeit sehr grausam. Wie gesagt, jeder hat da seine eigenen Vorstellungen, was ein Verbrechen für ihn subjektiv grausamer erscheinen lässt. Das, was die Nazis schufen, findet in diesem Ausmaß, dieser Planung, dieser Perfektion keine Parallele in der Geschichte, auch nicht in der des ohnehin permanent in Gefahr stehenden jüdischen Volkes. Wahrscheinlich wirkt es deshalb "schlimmer".

tinkerbell antworten
Johannes22
(@johannes22)
Beigetreten : Vor 4 Jahren

Beiträge : 2973
Veröffentlicht von: @blackhole

Punkt 1: Wenn man ein anderes Volk grundlos auslöscht, viele Völker in beiden Amerikas, ist das dann weniger schlimm?

Nein aber es ist ja nicht so als wenn niemand den Völkermord an den Indianern und Indios thematisiert. Im Geschichtsunterricht wird das sogar sehr ausführlich gemacht.

johannes22 antworten
Tinkerbell
(@tinkerbell)
Beigetreten : Vor 2026 Jahren

Beiträge : 1552

Aber nicht mal ansatzweise so ausführlich wie der 2. Weltkrieg. Das ist auch normal, denke ich, denn jede Nation behandelt natürlich ihre eigene Geschichte intensiver. Außer die DDR - die fiel bei uns weg 😉

tinkerbell antworten
Seite 3 / 5
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