Ich habe gerade einen interessanten Text über Thomas Hobbes (
De cive) und dessen Sicht auf das Christentum und sein Verhältnis zum Staat gelesen.
Darin kam, vereinfacht gesagt, die Frage auf, in wiefern ein Christ dem Fürsten gehorchen müsse, wie im Neuen Testament gefordert wird.
Seine Position ist in etwa, dass ein Christ dem Fürsten [korrigiert, MfG, lubov-mod] solange gehorchen müsse, wie dieser nicht auffordere den Glauben an Jesus zu verleugnen. Die Bibel müsse durch ordinierte Geistliche ausgelegt werden und könne nicht durch private Exegese ausgelegt werden, da sonst jeder einzelne Christ dazu übergehen könnte, mit seiner persönlichen Auslegung gegen die Obrigkeit zu hetzen und damit das staatliche Gefüge zu zerrütteln.
Dieses Recht, eine Obrigkeit über die Auslegung heraus zurechtzuweisen oder sogar abzusetzen, haben wieder nur geistliche Institutionen, wie etwa die Apostel durch Jesus zugesprochen bekamen, Menschen zu verwerfen, die dann auch von Jesus verworfen wurden, oder Menschen aufzunehmen, die dann auch von Jesus aufgenommen waren:
"Was ihr auf Erden binden werdet, das soll auch im Himmel gebunden sein, was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein." (Matthäus 18,18).
Wer Christ sei, ist bei Hobbes so definiert:
"Das von den Menschen geforderte, nämlich Gott zu dienen wie Christus gelehrt habe, enthält zweierlei: Gott Gehorsam zu leisten (denn das heißt Gott dienen), und den Glauben an Jesus, nämlich den Glauben, daß Jesus der von Gott verheißene Christus sei; denn nur deshalb ist seine Lehre mehr als jede andere zu befolgen."
Beim Gedanken zu diesem Text sind mir einige Aussagen in den Sinn gekommen.
Zum Einen die Aussage, die katholische Kirche würde Jesus immer treu sein, da sie den Heiligen Geist als Beistand habe.
Während die Kirche ja das Recht habe die weltliche Führung wegen verfehlter Handlungen abzusetzen bzw. zu exkommunizieren, stellt sich die Frage, nach welchem Maßstab gemessen wird, inwiefern die Kirche selbst Jesus immer treu war und ist.
Etwas, das durch den Hinweis auf den Heiligen Geist als Beistand bereits mit "Ja" beantwortet wird aus menschlicher Perspektive aber Fragen aufwirft, wenn man die Kirchengeschichte betrachtet und sich das sehr vage, wenn aber erfolgte,
Mea Culpa des Papstes anschaut.
So gab es offensichtlich Momente in der Kirchengeschichte, wo der Beistand des Heiligen Geistes entweder nicht vorhanden war oder die Kirche diesen Geist ignorierte.
Ist die Aussage, die Kirche bleibe Jesus treu, da sie den Beistand des Heiligen Geistes habe, nicht bereits durch die Kirche selbst widerlegt? Oder übersehe ich dabei etwas?
Weiterhin kam mir die Aussage in den Sinn, dass der Jesus des einen Gläubigen bei Fronleichnam über Blütenblätter getragen würde, der Jesus eines anderen Gläubigen aber nicht.
Zu diesem Konflikt schreibt Hobbes, dass es eine bedingungslos zu akzeptierende Auslegung der Bibel bzw. der Gebote Gottes notwendig bedürfe:
"Ebenso müßten, wenn jeder seiner eigenen Ansicht folgen könnte, die entstehenden Streitigkeiten zahllos und unbestimmbar werden, und die Folge wäre zuerst Haß und dann Zank und Krieg unter den Menschen, da diese ihrer Natur nach jede Streitigkeit für eine Beleidigung nehmen; damit würde alle Gesellschaft und der Friede aufgehoben sein." (Kapitel 16 .27)
Und hier bin ich wieder nahe am Individuum und dem Spannungsverhältnis der Gläubigen untereinander.
Wie individuell kann eine Bibel-Auslegung tatsächlich sein? Ist es so, dass umso individueller die Auslegungen geschehen, das Christentum nicht umso mehr zerfasert und letztendlich tatsächlich so viele Jesus- und Gottesbilder entstehen, wie Gläubige existieren bzw. sich in Grüppchen zusammenfinden können?
Worin besteht dann der Rahmen des "einen Leibes"?
Und ist "mein Jesus vs. dein Jesus" nicht bereits eine Form des implizierten Ausschlusses aus dem Leib Christi, da es ja nur einen Leib geben kann?
Wie löst man solche Konflikte ohne die eine Institution, die die Bibel, wie bei Hobbes gefordert, für alle verbindlich auslegt?
Nachtrag vom 20.06.2019 07:04:32
"dass ein Christ dem [del]Führer[/del]" -> "dass ein Christ dem Fürsten"